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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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6B_919/2018, 6B_1043/2018
Urteil vom 17. Mai 2019
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Traub.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Nichtanhandnahme (Urkundenfälschung im Amt, Amtsmissbrauch; Urkundendelikte),
Beschwerde gegen die Verfügung und den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 19. Juli 2018
(Verfahren 6B_919/2018)
Beschwerde gegen die Verfügung und den Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer,
vom 5. September 2018
(Verfahren 6B_1043/2018).
Sachverhalt:
A.
A.a. A.________ zeigte den Leiter eines Betreibungsamts am 27. September 2017 bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich wegen Urkundenfälschung im Amt und Amtsmissbrauchs an. Sie wirft dem Beanzeigten im Wesentlichen vor, sich im Zusammenhang mit Betreibungen, Pfändungen und Versteigerungen in verschiedener Hinsicht strafbar gemacht zu haben. Am 26. Oktober 2017 ergänzte sie ihre Anzeige. Die Staatsanwaltschaft ersuchte den Beanzeigten, im Sinne einer freiwilligen Vernehmlassung diverse Fragen zu beantworten. Am 8. Januar 2018 reichte der Beanzeigte eine Stellungnahme ein; am 18. April 2018 präzisierte er sie auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft nahm die Untersuchung nicht an die Hand (Verfügung vom 20. April 2018).
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich ab (Beschluss vom 19. Juli 2018).
A.b. Am 18. Juni 2018 erstattete A.________ gegen denselben Leiter eines Betreibungsamtes (erneut) sowie gegen Unbekannt Strafanzeige. Darin vertrat sie die Auffassung, eine unter ihrem Namen laufende Erklärung vom 12. März 2009, in welcher der hinsichtlich verschiedener Betreibungen jeweils erhobene Rechtsvorschlag zurückgezogen werde, sei gefälscht. Die Staatsanwaltschaft erliess am 22. Juni 2018 eine Nichtanhandnahmeverfügung und auferlegte der Anzeigerin Verfahrenskosten.
Das Obergericht bestätigte auch diese Nichtanhandnahme (Beschluss vom 5. September 2018).
B.
A.________ wendet sich mit Beschwerden in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt, den jeweiligen Beschluss aufzuheben und die betreffenden Sachen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beanzeigte sei vorläufig in seinen amtlichen Funktionen zu suspendieren. Es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Schliesslich sei ihr eine Parteientschädigung samt Zinsen zuzusprechen (Beschwerde gegen den Beschluss vom 19. Juli 2018: Verfahren 6B_919/2018; Beschwerde gegen den Beschluss vom 5. September 2018: Verfahren 6B_1043/2018).
Erwägungen:
1.
Die Eingaben der Beschwerdeführerin richten sich gegen zwei verschiedene Beschlüsse, stehen jedoch in einem engen sachlichen und prozessualen Zusammenhang. Die Beschwerdeführerin stellt in beiden Rechtsschriften die gleichen Anträge. Es rechtfertigt sich deshalb, die Verfahren 6B_919/2018 und 6B_1043/2018 zu vereinigen und die Beschwerden in einem Entscheid zu behandeln (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP).
2.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdeschriften in französischer Sprache verfasst. Dies ist zulässig (Art. 42 Abs. 1 BGG). Das Verfahren wird jedoch in der Sprache der angefochtenen Entscheide, somit auf Deutsch, geführt (Art. 54 Abs. 1 BGG; Urteil 6B_32/2019 vom 28. Februar 2019 E. 1).
3.
Nach Art. 41 Abs. 1 BGG bestellt das Gericht einer Partei gegebenenfalls einen Anwalt oder eine Anwältin, wenn sie offensichtlich nicht imstande ist, ihre Sache selber zu führen. Die Beschwerdeführerin konnte verständlich machen, was sie mit den Verfahren erreichen will (vgl. Urteil 6B_516/2018 vom 29. August 2018 E. 7). Die Gesuche um Einsetzung eines amtlichen Anwalts sind abzuweisen.
4.
4.1. Das Bundesgericht prüft die Sachurteilsvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 138 I 367 E. 1 S. 369).
4.2. Die Privatklägerschaft ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wenn sie vor Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat und wenn sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids hat, weil dieser sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4). Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG sind in erster Linie solche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR. Allfällige Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche im Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit des beanzeigten Betreibungsbeamten beurteilen sich indes ausschliesslich nach dem kantonalen Haftungsgesetz (vgl. § 2 Abs. 1, § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und § 6 Abs. 4 Haftungsgesetz des Kantons Zürich vom 14. September 1969). Öffentlich-rechtliche Ansprüche, auch solche aus Staatshaftungsrecht, sind keine Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; sie können nicht adhäsionsweise im Strafprozess geltend gemacht werden (BGE 131 I 455 E. 1.2.4 S. 461; 128 IV 188 E. 2.2 S. 191; Urteil 6B_1200/2017 vom 4. Juni 2018 E. 2.4).
Die Beschwerdeführerin ist daher nicht rechtsmittellegitimiert und auf ihr Rechtsmittel nicht einzutreten, soweit sie in den beiden Verfahren in der Sache argumentiert. Das betrifft die Rügen zur vorinstanzlichen Handhabung der Voraussetzungen einer Nichtanhandnahme, insbesondere unter Berücksichtigung von Indizien, welche nach Ansicht der Beschwerdeführerin darauf hinweisen, dass die vom Beanzeigten vorgelegte Erklärung vom 12. März 2009 über den Rückzug von Rechtsvorschlägen gefälscht sei, weshalb nicht davon gesprochen werden könne, der Straftatbestand der Urkundenfälschung sei eindeutig nicht erfüllt (vgl. Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO), und das Vorbringen, die Vorinstanz verletze den Grundsatz in dubio pro duriore (vgl. BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 S. 243), indem sie die Nichtanhandnahmeverfügung schützt. Auch die vorinstanzliche Behandlung der in diesem Zusammenhang eingereichten Anzeige gegen Unbekannt betrifft materielle Gesichtspunkte (vgl. Beschluss vom 5. September 2018 S. 4 oben). Gleich verhält es sich bezüglich der Frage, ob es in verschiedenen Arrest- und Verwertungsverfahren zu schwerwiegenden Unregelmässigkeiten gekommen sei.
5.
5.1. Die Privatklägerschaft, welche in der Sache selbst nicht legitimiert ist, kann die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Zulässig sind Rügen formeller Natur, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Ein in der Sache nicht legitimierter Beschwerdeführer kann weder die Beweiswürdigung kritisieren, noch kann er vorbringen, die Begründung sei materiell unzutreffend. Er kann jedoch beispielsweise geltend machen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht angehört worden, er habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen, oder er habe keine Einsicht in die Akten nehmen können (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; 138 IV 78 E. 1.3 S. 80; Urteil 6B_827/2014 vom 1. Februar 2016 E. 1.1).
5.2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin unter anderem eine Verletzung der Verfahrensfairness (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) und ihres Rechtes auf Erhebung einer wirksamen Beschwerde (Art. 13 EMRK). Ihr seien die Akten des Beanzeigten, insbesondere der angebliche Rückzug von Rechtsvorschlägen vom 12. März 2009, vor der Nichtanhandnahmeverfügung nicht zur Kenntnisnahme zugestellt worden. Ebensowenig habe sie Gelegenheit erhalten, zu den Angaben des Beanzeigten gegenüber der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen (Art. 29 Abs. 2 BV).
Nach Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind. Mit Erledigung einer Strafanzeige durch Nichtanhandnahme tritt die Staatsanwaltschaft auf die Strafanzeige nicht ein, bevor sie ein Strafverfahren eingeleitet hat. V or dem Erlass einer Nichtanhandnahmeverfügung hat die Privatklägerschaft demnach keinen generellen Anspruch auf rechtliches Gehör (Urteil 6B_264/2017 vom 26. Oktober 2017 E. 2.2.3). Vorab zu prüfen ist, ob die vor Schliessung des Dossiers getroffenen Vorkehren der Staatsanwaltschaft noch eine Nichtanhandnahme zugelassen haben.
Aufgrund widersprüchlicher Aktenlage stellte die Staatsanwaltschaft dem am 27. September 2017 Angezeigten "zum besseren Verständnis der (...) Abläufe (...) im Sinne einer freigestellten Vernehmlassung" unter Hinweis auf sein Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht eine Reihe von Fragen (Schreiben vom 30. Oktober 2017), welche er durch seinen Rechtsvertreter - unter Beilage verschiedener Aktenstücke - beantworten liess ("freigestellte Vernehmlassung" vom 8. Januar 2018 und Ergänzung vom 18. April 2018). Untersuchungshandlungen sind grundsätzlich nach der Eröffnung des Strafverfahrens zu tätigen. Kommt die Staatsanwaltschaft aufgrund dieser Untersuchungshandlungen zur Überzeugung, dass kein Straftatbestand erfüllt ist, schliesst sie das Verfahren durch Einstellung nach Art. 319 StPO (und nicht durch Nichtanhandnahme nach Art. 310 StPO) ab. Dies trifft zum Beispiel im Fall eines Beizugs von Akten aus anderen Verfahren (Art. 194 StPO) zu, nicht aber etwa nach einem Ermittlungsauftrag an die Polizei nach Art. 307 Abs. 2 StPO (Urteile 6B_875/2018 vom 15. November 2018 E. 2.2 und 6B_264/2017 vom 26. Oktober 2017 E. 2.2.2 mit Hinweisen). Es stellt sich die Frage, ob die Anfrage der Staatsanwaltschaft an den Beanzeigten mit einem Beizug von Akten gemäss Art. 194 StPO vergleichbar ist. Ein solcher dient dem "Nachweis des Sachverhalts" oder der "Beurteilung der beschuldigten Person" (Art. 194 Abs. 1 StPO). Im Unterschied dazu nahm die Staatsanwaltschaft hier erst eine Vorabklärung bezüglich von Tatsachen vor, welche zur Beurteilung der Eintretensfrage erforderlich sind: Immerhin muss nach Art. 310 Abs. 1 Ingress StPO feststehen, dass etwa der angezeigte Straftatbestand nicht erfüllt ist. Somit war das Strafverfahren noch nicht eröffnet und eine Nichtanhandnahmeverfügung zu erlassen, vor welcher der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör nicht gewährt werden musste.
5.3. Weiter beanstandet die Beschwerdeführerin, die Staatsanwaltschaft habe das Dossier geschlossen, ohne sich das Original des in Kopie vorliegenden angeblichen Rückzugs von Rechtsvorschlägen vom 12. März 2009 aushändigen zu lassen. Wenn die Vorinstanz dies nicht sanktioniere, offenbare sie einen Mangel an Unparteilichkeit (Art. 30 Abs. 1 BV) und verletze die Grundsätze der Waffengleichheit und von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV). Letztlich manifestiere sich darin - über eine einfache Verletzung des rechtlichen Gehörs hinaus - eine Rechtsverweigerung.
Ob diese Verfahrensgarantien verletzt sind, hängt davon ab, ob die vorinstanzliche Beweiswürdigung zur Frage der behaupteten Fälschung vertretbar ist. Das wiederum ist im bundesgerichtlichen Verfahren nicht überprüfbar, weil dies einer inhaltlichen Überprüfung der strittigen Frage der Nichtanhandnahme gleichkäme (vgl. oben E. 5.1).
5.4. Die Beschwerdeführerin kritisiert sodann die vorinstanzliche Erwägung III/1.1 (Beschluss vom 19. Juli 2018) resp. II/1 (Beschluss vom 5. September 2018), wonach die Kammer des Obergerichts in klaren Fällen toleriere, dass die Staatsanwaltschaft auch ohne vorgängiges Einholen eines Beschlusses über die Ermächtigung zur Strafverfolgung von Beamten nach § 148 des zürcherischen Gerichtsorganisationsgesetzes sofort eine Nichtanhandnahmeverfügung erlässt. Sie wendet ein, von einem klaren Fall könne man nur sprechen, wenn die Gegenpartei die Echtheit der Rückzugserklärung vom 12. März 2009 bewiesen oder zumindest deren Original ediert hätte. Darauf ist wiederum nicht einzutreten, weil das Vorbringen vordergründig zwar auf eine Rechtsverweigerung anspielt, aber letztlich nicht getrennt von der Prüfung der Sache beurteilbar ist. Ebenfalls eng verwoben mit inhaltlichen Fragen - und daher unzulässig - ist das Vorbringen, die Nichtanhandnahme führe der Sache nach praktisch dazu, dass dem Beanzeigten ohne Rechtsgrundlage eine Art von Immunität verliehen werde.
5.5. Schliesslich macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Garantie eines ordnungsgemäss zusammengesetzten Gerichts (vgl. Art. 30 Abs. 1 BV) geltend. Der Spruchkörper des Beschlusses vom 19. Juli 2018 habe nicht dem angekündigten entsprochen. Auf diese Rüge ist nicht einzutreten, legt die Beschwerdeführerin doch nicht dar, inwiefern der Umstand, dass der angefochtene Beschluss wegen Ferienabwesenheiten in einer anderen als der angekündigten Besetzung ergangen ist (vgl. a.a.O. S. 3 E. 2), der Garantie des gesetzmässigen Richters zuwiderlaufen sollte. Dazu bedürfte es zusätzlicher Umstände.
6.
Die Beschwerden sind abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Mit diesem Entscheid sind die Gesuche um vorläufige Suspendierung des Beanzeigten, auf die mangels Zuständigkeit des Bundesgerichts nicht einzutreten gewesen wäre, gegenstandslos geworden. Umständehalber sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege sind mithin gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verfahren 6B_919/2018 und 6B_1043/2018 werden vereinigt.
2.
Die Gesuche um Beigabe eines unentgeltlichen Anwalts werden abgewiesen.
3.
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
4.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. Mai 2019
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Traub