BGer 6B_470/2016
 
BGer 6B_470/2016 vom 15.12.2016
{T 0/2}
6B_470/2016
 
Urteil vom 15. Dezember 2016
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiber Matt.
 
Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Postfach 1201, 6431 Schwyz,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Patrick Schönbächler,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz, Strafkammer, vom 22. März 2016.
 
Sachverhalt:
 
A.
X.________ wird vorgeworfen, als Lenker eines Postautobusses aus Unachtsamkeit trotz uneingeschränkter Sicht das Handzeichen einer Verkehrskadettin missachtet zu haben, worauf es zur Kollision mit einem anderen Verkehrsteilnehmer kam.
 
B.
Am 1. Mai 2015 sprach das Bezirksgericht March X.________ vom Vorwurf der fahrlässigen groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtbeachten von Signalen, Markierungen und Weisungen frei.
 
C.
Das Kantonsgericht Schwyz bestätigte am 22. März 2016 das bezirksgerichtliche Urteil und wies die dagegen erhobene Berufung der Staatsanwaltschaft ab.
 
D.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur neuen Beurteilung.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung. Die Vorinstanz nehme tatsachenwidrig an, der Beschwerdegegner habe die mit einer Leuchtjacke bekleidete, gemäss Zeugenaussagen mitten auf der Kreuzung stehende Verkehrskadettin bei seiner Anfahrt nicht sehen können. Tatsächlich habe er das ihm "Halt" bedeutende Handzeichen einzig infolge mangelnder Aufmerksamkeit übersehen. Gemäss Fotodokumentation hätten die vorhandenen Hindernisse die Sicht auf die Verkehrskadettin allenfalls minimal behindert. Zudem habe der Beschwerdegegner bereits bei der vorgelagerten Haltestelle längere Zeit ideale Sicht auf die vor ihm liegende Kreuzung gehabt. Die Vorinstanz beantworte nicht, warum die Verkehrskadettin den Beschwerdegegner gesehen habe, dasselbe ihm aber unmöglich gewesen sein soll. Sie weiche insofern vom Anklagesachverhalt ab. Sie beschränke sich unzulässig auf eine Willkürprüfung der erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, welche sie als "erstaunlich kategorisch" bezeichne, worauf sie aber trotz offensichtlicher Mängel dennoch abstelle. Damit verletze sie den Untersuchungsgrundsatz. Ohnehin sei gestützt auf die Zeugenaussagen, die Fotodokumentation und die allgemeine Lebenserfahrung erstellt, dass der Beschwerdegegner die Verkehrskadettin bei genügender Aufmerksamkeit hätte sehen müssen. Wenn die Vorinstanz stattdessen auf den offensichtlich untauglichen, mangelhaft dokumentierten erstinstanzlichen Augenschein abstelle, verfalle sie in Willkür.
1.2. Die Vorinstanz erwägt, die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts anlässlich des Augenscheins, wonach dem Beschwerdegegner die Sicht auf die Verkehrskadettin versperrt gewesen und er nicht abgelenkt worden sei, erschienen aufgrund der aktenkundigen Fotos zwar recht kategorisch. Sie liessen sich dadurch aber nicht widerlegen. Deshalb sei die Annahme, wonach die Unaufmerksamkeit des Beschwerdegegners nicht mit dem Übersehen der Verkehrskadettin bewiesen sei, weder willkürlich noch zu beanstanden. Auch die Verkehrskadettin könne nicht ausschliessen, dass der Beschwerdegegner ihr Handzeichen übersehen haben könnte. Angesichts des regen Verkehrsaufkommens sei ihm nicht vorzuwerfen, dass er seine Aufmerksamkeit auf die ausser Betrieb gesetzte, blinkende Lichtsignalanlage, die Fussgänger sowie den von vorne und links kommenden Verkehr gerichtet und dabei die von rechts in die vortrittsberechtigte Strasse einfahrenden Fahrzeuge zu spät wahrgenommen habe. Der Beschwerdegegner habe nicht nach einer augenscheinlich schlecht sichtbar positionierten Verkehrskadettin Ausschau halten müssen. Ihm sei umso weniger mangelnde Aufmerksamkeit vorzuwerfen, als nicht erstellt sei, wie viel Zeit ihm zum Erfassen der Verkehrskadettin verblieben sei.
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser ist offensichtlich unrichtig oder beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann. Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253). Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht. Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 141 IV 305 E. 1.2 S. 308 f.; 140 III 167 E. 2.1 S. 168; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253 mit Hinweis).
 
1.4.
1.4.1. Die Vorinstanz begründet nachvollziehbar, weshalb sie zum Schluss gelangt, es sei nicht erwiesen, dass der Beschwerdegegner die Verkehrskadettin aus Unachtsamkeit übersehen habe. Es ist unbestritten, dass aufgrund eines Jodlerfests reger Strassen- und Fussgängerverkehr herrschte und dass die Lichtsignalanlage auf der Unfall-Kreuzung deshalb ausser Betrieb war. Ebenso unbestritten ist, dass der Beschwerdegegner auf der Hauptstrasse unterwegs und damit grundsätzlich vortrittsberechtigt war. Es ist daher nicht willkürlich anzunehmen, er habe seine Aufmerksamkeit unter diesen Umständen auf die Lichtsignalanlage, die Fussgänger und den Gegenverkehr richten dürfen. Hingegen habe er aufgrund seines Vortrittsrechts keine besondere Verkehrsregelung durch eine Verkehrskadettin erwarten müssen. Er habe zudem nachvollziehbar erklärt, dass er aufgrund der am linken Strassenrand stehenden Verkehrskadetten davon ausgegangen sei, deren Einsatz sei von den Verantwortlichen noch nicht für nötig befunden worden. Was die Beschwerdeführerin vorbringt, belegt keine Willkür.
1.4.2. Zwar ist tatsächlich fraglich, wie aussagekräftig der von der ersten Instanz zu Fuss durchgeführte Augenschein hinsichtlich der Frage ist, ob der Beschwerdegegner die Verkehrskadettin von seinem erhöhten Fahrersitz aus gesehen haben kann. Jedoch ist es nicht willkürlich, wenn die Vorinstanz im Zweifel zu seinen Gunsten annimmt, davon sei nicht auszugehen, zumal auch die aktenkundigen Fotos diesen Schluss nicht sicher zuliessen. Vielmehr sei es auch gestützt darauf nicht unwahrscheinlich, dass der Beschwerdegegner die damals dreizehneinhalbjährige, kleine Verkehrskadettin selbst bei gebotener Aufmerksamkeit übersehen haben könne. Das von der Beschwerdeführerin ins Recht gelegte Beweisfoto lässt diese Annahme jedenfalls nicht als unhaltbar erscheinen. Darauf sind in der Strassenmitte zwei Inselschutzpfosten sowie die Lichtsignalanlage zu erkennen, was auch die Beschwerdeführerin einräumt. Entgegen ihrer Auffassung ist es durchaus denkbar, dass sie die Verkehrskadettin wesentlich verdeckt haben können. Die Vorinstanz berücksichtigt hinsichtlich der gebotenen Aufmerksamkeit zudem zu Recht die Verkehrssituation. Dies lässt die Beschwerdeführerin ausser Acht, wenn sie einzig auf die Fotos abstellt. Diese zeigen nicht das Verkehrsaufkommen am Tattag. Sie sind insofern für die Sicht des Beschwerdegegners nur beschränkt aussagekräftig.
1.4.3. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin stützt die Vorinstanz ihren Entscheid auch nicht ausschliesslich auf den erstinstanzlichen Augenschein. Sie bezieht vielmehr offensichtlich die Fotos und die Aussagen der Beteiligten mit ein. Die Beschwerdeführerin scheint mit ihrem Einwand im Übrigen zu verkennen, dass die Vorinstanz eine vorwerfbare Unachtsamkeit des Beschwerdegegners nicht primär mit dem Argument fehlender Sicht verneint. Sie begründet dies massgeblich damit, dass ihm angesichts des hohen Verkehrsaufkommens zugestanden werden müsse, sein Augenmerk auf die blinkende Lichtsignalanlage, die Fussgänger und den Gegenverkehr gerichtet zu haben. Dies ist nicht willkürlich. Die Vorinstanz begründet damit auch nachvollziehbar, weshalb zwar die Verkehrskadettin den Beschwerdegegner gesehen haben mag, er sie hingegen nicht. Sie verletzt in diesem Zusammenhang auch den Anklagegrundsatz nicht. Ob und weshalb der Beschwerdegegner die Verkehrskadettin nicht gesehen hat, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Diese nimmt die Vorinstanz willkürfrei vor, zumal sie erwägt, die Verkehrskadettin könne ebenfalls nicht mit Sicherheit sagen, ob der Beschwerdegegner sie gesehen habe. Es ist nicht unhaltbar, wenn die Vorinstanz dem Beschwerdegegner zugute hält, dass ihm unter den gegebenen, anspruchsvollen Verkehrsbedingungen nicht ausreichend Zeit zum Erfassen der - im Zweifel jedenfalls nicht ideal positionierten - Verkehrskadettin verblieben ist, nachdem er sich einen Überblick über die Verkehrssituation vor und links von ihm verschafft hatte. Dass sie dabei, anders als die Beschwerdeführerin, nur die Zeit zwischen dem Losfahren und der Kollision berücksichtigt, nicht aber auch diejenige des vorhergehenden Halts, ist nicht schlechterdings unhaltbar. Die Beschwerdeführerin räumt selber ein, dass der Beschwerdegegner anlässlich des Halts noch mindestens zwanzig Meter von der Kreuzung entfernt und mit ein- sowie aussteigenden Passagieren beschäftigt war. Es ist daher plausibel, dass er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht voll auf die vor ihm liegende Kreuzung konzentrierte. Unter diesen Umständen war die Vorinstanz nicht gehalten, weitere Abklärungen hinsichtlich des dem Beschwerdegegner bis zur Kollision verbleibenden Zeitfensters vorzunehmen. Sie durfte vielmehr im Zweifel davon ausgehen, dass ihm nur wenig Zeit blieb. Da den tatsächlichen Sichtverhältnissen in der Argumentation der Vorinstanz keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, durfte sie, zumal angesichts der beschränkten Aussagekraft, auch auf die Wiederholung des erstinstanzlichen Augenscheins verzichten, ohne den Untersuchungsgrundsatz zu verletzen. Sie weist im Übrigen zu Recht darauf hin, dass die Beschwerdeführerin eine Wiederholung erst replicando im Berufungsverfahren verlangt hat. Die Staatsanwaltschaft scheint dies somit ebenfalls nicht für vordringlich erachtet zu haben. Trotz der missverständlichen Wortwahl nimmt die Vorinstanz im Ergebnis keine reine Willkürprüfung der erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen vor. Sie würdigt die Beweise vielmehr umfassend. Der diesbezügliche Einwand der Beschwerdeführerin ist unbegründet.
1.4.4. Das vorinstanzliche Urteil beruht weder auf einer willkürlichen Sachverhaltsfeststellung noch verletzt es Bundesrecht.
 
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dem Beschwerdegegner ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihm im bundesgerichtlichen Verfahren keine Aufwände entstanden sind.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Es werden keine Kosten erhoben.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Dezember 2016
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Matt