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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
6B_195/2016
Urteil vom 22. Juni 2016
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Schär.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Pierre André Rosselet,
Beschwerdeführer,
gegen
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
2. A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Nathan Landshut,
3. B.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Elena Kanavas,
4. C.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Imkamp,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Einstellung (Amtsmissbrauch etc.),
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 8. Januar 2016.
Sachverhalt:
A.
Am 27. November 2011 fuhr X.________ mit dem Frühzug von Olten nach Zürich und wurde gemäss eigenen Angaben während der Fahrt von zwei Jugendlichen belästigt. Sie hätten ihm seine Reisetasche mit Identitätspapieren und Medikamenten weggenommen. X.________ liess vom Zug aus die Polizei benachrichtigen. In Zürich angekommen, wurden die Jugendlichen von der Polizei in Empfang genommen, befragt und wieder laufen gelassen. X.________ wurde auf den Polizeiposten mitgenommen, damit er Strafanzeige gegen die Jugendlichen erstatten konnte. Angesichts seines alkoholisierten Zustandes und seines Verhaltens nahm die Polizei allerdings keine Strafanzeige auf, sondern schickte ihn weg. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen randalierte X.________ anschliessend auf dem Polizeiposten. Ihm wurden Handschellen angelegt. Danach wurde er in eine Zelle gebracht, wo er vorübergehend an einen Tisch gefesselt wurde, um ihn von der Betätigung des Alarmknopfs abzuhalten. Schliesslich wurde er um ca. 11.45 Uhr zur Ausnüchterung ins provisorische Polizeigefängnis Zürich überführt, wo er gleichentags um 18.30 Uhr entlassen wurde. X.________ wirft den Polizisten A.________, B.________ und C.________ vor, ihn geschlagen und getreten sowie als "dreckiges schwules Schwein" bezeichnet zu haben. Ausserdem hätten sie ihn daran gehindert, seinen eingetragenen Partner zu kontaktieren, damit ihm dieser die dringend benötigten HIV-Medikamente hätte bringen können. Am 22. Dezember 2011 erstattete X.________ Strafanzeige gegen die Polizeibeamten wegen Amtsmissbrauchs, Begünstigung, Körperverletzung und allenfalls weiterer Delikte. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen A.________, B.________ und C.________ am 6. November 2013 ein.
B.
X.________ opponierte gegen die Einstellungsverfügung, worauf das Obergericht Zürich diese mit Beschluss vom 2. Juni 2014 aufhob und die Sache zur Ergänzung der Untersuchung und zu neuer Entscheidung an die Staatsanwaltschaft zurückwies. Nach ergänzenden Untersuchungshandlungen stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren am 21. August 2015 erneut ein, wogegen X.________ Beschwerde erhob. Am 8. Januar 2016 wies das Obergericht Zürich seine Beschwerde ab.
C.
X.________ wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen sowie subsidiärer Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht und ersucht um Aufhebung des Beschlusses des Obergerichts Zürich vom 8. Januar 2016 und um Durchführung der Strafuntersuchung. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht X.________ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
D.
Die Beschwerdegegner 2-4 sowie das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft Zürich verzichten auf Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG berechtigt, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG hat die Privatklägerschaft ein solches Interesse, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Keine Zivilansprüche im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die sich - wie hier - aus dem öffentlichen Recht, nämlich aus dem Haftungsrecht des Kantons Zürich, ergeben (BGE 131 I 455 E. 1.2.4; Urteil 6B_121/2016 vom 12. Februar 2016 E. 2). Die Einstellung des Strafverfahrens kann sich in solchen Fällen nicht auf die Beurteilung von Zivilansprüchen auswirken.
1.2. Indessen anerkennt die Rechtsprechung gestützt auf Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 3 und 13 EMRK, Art. 7 UNO-Pakt II sowie Art. 13 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe einen Anspruch des Betroffenen auf wirksamen Rechtsschutz (BGE 138 IV 86 E. 3.1.1). Anspruch auf eine wirksame und vertiefte amtliche Untersuchung hat, wer in vertretbarer Weise geltend macht, von einem Polizeibeamten misshandelt worden zu sein (Urteile 6B_764/2015 vom 6. Januar 2016 E. 1.2; 1C_97/2015 vom 1. September 2015 E. 3; je mit Hinweisen).
1.2.1. Der Beschwerdeführer beruft sich darauf, von den Polizeibeamten erniedrigend behandelt worden zu sein. Nebst dem Umstand, dass seine Inhaftierung ohnehin unrechtmässig bzw. unverhältnismässig gewesen sei, hätten ihn die Polizeibeamten unter Anwendung von Gewalt an den Tisch gefesselt, um ihn vom Betätigen des Alarmknopfes abzuhalten. Durch die Fesselung sei er gezwungen gewesen, in demütigender Position wie ein Hund zu verharren.
1.2.2. Mit Blick auf die eingangs erwähnte vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung sind die Behauptungen des Beschwerdeführers nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Gestützt auf die genannten Bestimmungen hat das Bundesgericht die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers anerkannt. Auf die Beschwerde ist einzutreten. Mit der Beschwerde in Strafsachen kann auch die Verletzung von Verfassungsrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (vgl. Art. 113 ff. BGG) des Beschwerdeführers besteht daher kein Raum (Urteile 6B_1192/2013 vom 17. Juni 2014 E. 1; 6B_479/2013 vom 30. Januar 2014 E. 1.1).
2.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verfahrenseinstellung und rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro duriore".
2.1. Eine Einstellung des Verfahrens erfolgt insbesondere, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO), kein Straftatbestand erfüllt ist (Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO) oder Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (Art. 319 Abs. 1 lit. c StPO). Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu richten. Dieser ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip. Er bedeutet, dass eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden darf. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf (BGE 138 IV 86 E. 4.1, 186 E. 4.1; je mit Hinweisen). Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (BGE 138 IV 86 E. 4.1.1 mit Hinweis). Bei der Beurteilung dieser Frage verfügen die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz über einen gewissen Spielraum, den das Bundesgericht mit Zurückhaltung überprüft (BGE 138 IV 186 E. 4.1).
2.2. Die Vorinstanz nimmt bezüglich des Vorfalls vom 27. November 2011 eine umfassende Aussage- und Beweiswürdigung vor. Dabei berücksichtigt sie die Aussagen der Beschwerdegegner sowie des Beschwerdeführers und zieht diverse Unterlagen wie etwa das Hafterstehungszeugnis bei. Sie gelangt zum Schluss, es sei von einer erheblichen Alkoholisierung des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Verhaftung auszugehen. Dieser habe den Polizeiposten nicht verlassen respektive sich gewaltsam Zutritt verschaffen wollen. Ob das Vorgehen der Beschwerdegegner zulässig gewesen sei, sei fraglich. Zwar habe der angetrunkene Beschwerdeführer mit seinem extrem aufdringlichen und renitenten Verhalten, der Unerreichbarkeit für Worte und polizeiliche Anordnungen, namentlich mit seinem Läuten und Poltern den Polizeibetrieb gestört. Er habe sich polizeilichen Anordnungen widersetzt, insbesondere durch den Versuch, in den Polizeiposten einzudringen. Fraglich sei allerdings, ob der Beschwerdeführer die Polizeibeamten oder sonst jemanden ernsthaft und unmittelbar gefährdet habe. Im Sinne einer milderen Massnahme hätte auch sein eingetragener Partner benachrichtigt werden können. Bei der Behauptung der Beschwerdegegner, man habe nicht gewusst, wer dieser sei, handle es sich wohl um eine Ausrede. Dies ändere allerdings nichts an der grundsätzlichen Zulässigkeit des vorübergehenden Gewahrsams.
Auch bezüglich der Fesselung an den Tisch nimmt die Vorinstanz eine umfassende Aussagewürdigung vor. Die Behauptung der Beschwerdegegner, sie hätten die Massnahme zum Selbstschutz des Beschwerdeführers ergriffen, erachtet sie als nicht zutreffend. Vielmehr habe der Beschwerdeführer damit an der Betätigung des Alarmknopfes gehindert werden sollen. Dieser Zweck sei legitim, da der Beschwerdeführer den Polizeibetrieb gestört und sich polizeilichen Anweisungen widersetzt habe.
Schliesslich befasst sich die Vorinstanz mit den zeitlichen Aspekten der Festhaltung. Sie gelangt zum Schluss, es wären weitere Abklärungen hinsichtlich der zwischen der Lösung der "Tischfesselung" und dem Transport des Beschwerdeführers ins provisorische Polizeigefängnis verstrichenen Zeitdauer möglich gewesen. Darauf könne jedoch verzichtet werden, da der weitere Gewahrsam des Beschwerdeführers nach der Lösung der Fesseln wohl ohnehin unrechtmässig gewesen sei. Der Grund, weswegen der Beschwerdeführer in polizeilichen Gewahrsam genommen worden sei, sei nach der Befreiung von der "Tischfesselung" weggefallen. Er habe sich danach beruhigt. Auch wenn der Beschwerdeführer weiterhin alkoholisiert gewesen sei, sei keine ernsthafte und unmittelbare Gefährdung von Personen mehr ersichtlich gewesen. Eine Fremdgefährdung habe, wenn überhaupt, ausschliesslich bezüglich der Polizeibeamten bestanden. Eine Eigengefährdung sei ebenfalls nicht ersichtlich gewesen und auch nicht konkret thematisiert worden. Gleichsam sei der Beschwerdeführer nicht entlassen, sondern ins provisorische Polizeigefängnis überführt worden. In objektiver Hinsicht sei wohl der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt, evtl. auch jener des Amtsmissbrauchs.
Die Vorinstanz schützt die Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft dennoch, mit der Begründung, aus den Aussagen der Beschwerdegegner spreche die Überzeugung, rechtmässig gehandelt zu haben. Würde die Einstellungsverfügung aufgehoben und die Sache an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, und reichte diese darauf eine Anklage beim Gericht ein, wäre mit grosser Wahrscheinlichkeit mit einem Freispruch zu rechnen, weil den Beschwerdegegnern kaum vorsätzliches unrechtmässiges Handeln nachgewiesen werden könnte.
2.3. Trotz des Ermessens der Staatsanwaltschaft und der Vorinstanz erweist sich die Beschwerde als begründet. Selbst die Vorinstanz, welche in ihrem 55-seitigen Beschluss eine umfassende Aussage- und Beweiswürdigung vornimmt, ist der Ansicht, der Gewahrsam des Beschwerdeführers sei - zumindest unter dem Aspekt der Dauer - unrechtmässig gewesen. Objektiv sei der Tatbestand der Freiheitsberaubung und eventuell jener des Amtsmissbrauchs erfüllt. In ihren knappen Erwägungen zum subjektiven Tatbestand geht die Vorinstanz schliesslich ohne weiteres davon aus, den Beschwerdegegnern könne wohl kein (Eventual-) Vorsatz nachgewiesen werden, weshalb die Verfahrenseinstellung zu bestätigen sei. Damit verstösst sie gegen Bundesrecht. Das Strafverfahren soll lediglich bei klarer Straflosigkeit eingestellt werden. Ein solch klarer Fall liegt nicht vor. Bei der vorinstanzlichen Erwägung, ein Vorsatz lasse sich kaum beweisen bei Vorgängen, deren Rechtmässigkeit zweifelhaft sei, handelt es sich um eine verallgemeinerte Mutmassung. Die konkreten Umstände werden dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Insgesamt ist die Beweislage vorliegend in einem Masse zweifelhaft, dass sich eine Beurteilung durch den Sachrichter aufdrängt. Indem die kantonalen Instanzen das Verfahren einstellen, verletzen sie den Grundsatz "in dubio pro duriore" und Art. 319 StPO. Die Umstände des Vorfalls vom 27. November 2011 sind einer näheren Prüfung zu unterziehen. Es kann erst nach der vom Sachgericht vorzunehmenden Aussage- und Beweiswürdigung beurteilt werden, ob sich die Beschwerdegegner strafbar gemacht haben oder nicht. Es erübrigt sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers einzugehen.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Beschluss aufzuheben. Die Sache ist zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz sowie zur Fortführung der Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Die Entschädigung ist praxisgemäss dem Rechtsvertreter auszurichten. Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos (Art. 68 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 8. Januar 2016 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen sowie an die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich zur Fortführung der Strafuntersuchung zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Pierre André Rosselet, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. Juni 2016
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Schär