BGer 1C_646/2015
 
BGer 1C_646/2015 vom 08.06.2016
{T 0/2}
1C_646/2015
 
Urteil vom 8. Juni 2016
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Stohner.
 
Verfahrensbeteiligte
Stadt Chur,
Beschwerdeführerin,
handelnd durch den Stadtrat Chur,
gegen
Stockwerkeigentümergemeinschaft Strasse X.________, bestehend aus: 
A.A.________ und B.A.________,
Erben C.C.________ und D.C.________,
E.E.________ und F.E.________,
G.________,
H.________,
Beschwerdegegnerin,
handelnd durch I.________,
und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Gian Reto Zinsli.
Gegenstand
Baugesuch,
Beschwerde gegen das Urteil vom 12. November 2015 des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer.
 
Sachverhalt:
 
A.
Die Stockwerkeigentümerschaft Strasse X.________ ist Eigentümerin einer in der Altstadt von Chur gelegenen Liegenschaft. Am 9. April 2014 bewilligte die Stadt Chur das von der Stockwerkeigentümerschaft gestellte Baugesuch um Ersatz der bestehenden Holzfensterläden unter Bedingungen und Auflagen. Am 15./17. Dezember 2014 ersuchte die Stockwerkeigentümerschaft im Sinne einer Projektänderung um Bewilligung des Ersatzes der bestehenden Holzfensterläden durch neue Fensterläden aus Aluminium. Die Stadt Chur holte bei der Denkmalpflege des Kantons Graubünden eine Stellungnahme ein. Mit Beschluss vom 3. März 2015 lehnte die Stadt Chur die beantragte Projektänderung ab.
Dagegen erhob die Stockwerkeigentümerschaft am 23. April 2015 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses führte am 1. Oktober 2015 in Anwesenheit der Parteien und eines Vertreters der Denkmalpflege einen Augenschein durch (vgl. Augenscheinsprotokoll vom 6. Oktober 2015).
Mit Urteil vom 12. November 2015 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde gut, hob den Beschluss der Stadt Chur vom 3. März 2015 auf und bewilligte das Projektänderungsgesuch der Stockwerkeigentümergemeinschaft Strasse X.________ unter der Auflage, dass die einzubauenden Aluminiumfensterläden dem bisherigen Lamellenbild und Farbton entsprechen; die zum Einbau bestimmten Material- und Farbmuster seien der zuständigen Baubehörde vor der Ausführung zur Genehmigung vorzulegen.
 
B.
Mit Eingabe vom 14. Dezember 2015 führt die Stadt Chur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht mit dem Hauptantrag, das angefochtene Urteil aufzuheben; eventualiter sei die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Vorinstanz stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung. Die Stockwerkeigentümerschaft Strasse X.________ beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
Die Beschwerdeführerin hält an ihrem Standpunkt und an ihren Anträgen fest.
 
Erwägungen:
 
1.
Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts, mit welchem das Projektänderungsgesuch der Beschwerdegegnerin bewilligt wurde, ist ein Endentscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 lit. a BGG steht auf dem Gebiet des Raumplanungs- und Baurechts zur Verfügung (BGE 133 II 249 E. 1.2 S. 251, 400 E. 2.1 S. 404). Ausnahmegründe im Sinne von Art. 83 BGG liegen nicht vor.
Die Beschwerdeführerin ist als Baubewilligungsbehörde durch den angefochtenen Entscheid als Trägerin hoheitlicher Gewalt berührt. Sie ist daher befugt, mit Beschwerde eine Verletzung ihrer Gemeindeautonomie geltend zu machen (Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG). In Verbindung mit dem Vorbringen der Missachtung ihrer Autonomie kann die Gemeinde auch eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) und ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) rügen. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
 
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend, da die Vorinstanz ihr das Augenscheinsprotokoll vom 6. Oktober 2015 nicht zur Stellungnahme zugestellt habe.
2.2. Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieses dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört unter anderem das Recht der Betroffenen, an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 138 V 125 E. 2.1 S. 127; zur Publikation bestimmtes Urteil 1C_457/2015 vom 3. Mai 2016 E. 2.2).
Aus dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör ergibt sich im Verwaltungsjustizverfahren zudem eine Protokollierungspflicht für Augenscheine (BGE 130 II 473 E. 4.2 S. 478 mit Hinweisen). Grundsätzlich ist zu verlangen, dass die Ergebnisse des Augenscheins, insbesondere die vom Gericht vor Ort gemachten Feststellungen und Wahrnehmungen, ihrem wesentlichen Inhalt nach schriftlich protokolliert werden, allenfalls ergänzt mit Fotos, Plänen, etc. Den Parteien muss vor Entscheidfällung die Möglichkeit gegeben werden, davon Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äussern, insbesondere allfällige Berichtigungen zu verlangen. Im bundesgerichtlichen Verfahren lässt sich dies nicht nachholen: Gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG können die Parteien nur noch geltend machen, der Sachverhalt sei offensichtlich unrichtig oder unvollständig festgestellt worden. Das Protokoll ist ihnen daher i.d.R. mit Fristansetzung zuzustellen. Bei diesem Vorgehen wird gewährleistet, dass das Protokoll eine verlässliche Grundlage für die Entscheidfällung des Gerichts und für ein späteres Rechtsmittelverfahren darstellt und den Parteien das rechtliche Gehör vollumfänglich gewährt wurde (zur Publikation bestimmtes Urteil 1C_457/2015 vom 3. Mai 2016 E. 2.3).
2.3. Die Vorinstanz hat am 1. Oktober 2015 einen Augenschein durchgeführt und ist ihrer Protokollierungspflicht nachgekommen. Das Protokoll, welches verschiedene für den Entscheid erhebliche Sachverhaltsfeststellungen enthält, datiert vom 6. Oktober 2015. Es ist den Parteien jedoch vor der Entscheidfällung am 12. November 2015
2.4. Eine Heilung der Gehörsverletzung im bundesgerichtlichen Verfahren kommt nicht in Frage, da die Sachverhaltsfeststellung betroffen ist, welche das Bundesgericht nicht mit freier Kognition beurteilen kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 I 100 E. 4.9 S. 105; zur Publikation bestimmtes Urteil 1C_457/2015 vom 3. Mai 2016 E. 2.7). Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin.
 
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese den Parteien das Augenscheinsprotokoll vom 6. Oktober 2015 zur Stellungnahme zustellt und anschliessend erneut über die Sache entscheidet.
Da die Gehörsverletzung von der Vorinstanz zu verantworten ist, ist eine Kostenauflage an die unterliegende Beschwerdegegnerin nicht gerechtfertigt. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 12. November 2015 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Juni 2016
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Stohner