BGer 6B_78/2016
 
BGer 6B_78/2016 vom 18.04.2016
{T 0/2}
6B_78/2016
 
Urteil vom 18. April 2016
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ruedi Portmann,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Widerhandlungen gegen das Umweltschutzgesetz (USG); Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 30. November 2015.
 
Sachverhalt:
 
A.
X.________ war vom 1. April 2007 bis 31. März 2010 Verantwortlicher der A.________ AG (bis 5. Mai 2010: B.________ AG) für das Stoffschlussmanagement sowie die Laboratorien aller Standorte des Unternehmens. Ihm wird vorgeworfen, als Stoffschlussmanager die Entsorgung der aus Strassensammlerschlämmen physikalisch-chemisch aufbereiteten und gepressten Feinschlämme vorschriftswidrig auf einer Inertstoffdeponie veranlasst zu haben. Er habe sie nicht vorschriftsgemäss als Sonderabfall kennzeichnen und mit Begleitscheinen transportieren lassen. Diese Entsorgung erfolgte von Februar 2008 bis 17. März 2011, als sie von seinem Nachfolger C.________ gestoppt wurde.
 
B.
Das Bezirksgericht Hochdorf bestrafte X.________ am 19. März 2015 auf dessen Einsprache gegen einen Strafbefehl vom 7. Oktober 2014 hin mit einer bedingt ausgesprochenen Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 160.--.
Das Kantonsgericht Luzern sprach X.________ am 30. November 2015 auf seine Berufung hin vom Vorwurf der Übergabe von Sonderabfall an ein Unternehmen ohne Bewilligung frei. Es verurteilte ihn wegen vorsätzlichen mehrfachen Nichtkennzeichnens von Sonderabfällen für den Transport i.S.v. Art. 60 Abs. 1 lit. n Umweltschutzgesetz (USG; SR 814.01) und mehrfachen vorsätzlichen Transports von Sonderabfällen ohne Begleitschein i.S.v. Art. 60 Abs. 1 lit. p USG zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 160.--.
 
C.
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen, eventuell die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen, die Kosten dem Kanton Luzern aufzuerlegen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
 
Erwägungen:
1. Der Beschwerdeführer begründet das Gesuch um aufschiebende Wirkung nicht (Art. 42 Abs. 2 BGG; dazu Urteil 6B_515/2014 vom 26. August 2014 E. 1). Auf das Gesuch ist nicht einzutreten.
2. Der Beschwerdeführer macht Willkür geltend.
2.1. In der Beschwerdebegründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 86 E. 2, 116 E. 2).
Für das Bundesgericht ist der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt massgebend (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig bedeutet willkürlich (BGE 140 III 264 E. 2.3). Für die Willküranfechtung gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft nur klar anhand der angefochtenen Beweiswürdigung detailliert erhobene und aktenmässig belegte Rügen. Auf appellatorische Kritik tritt es nicht ein; es überprüft die Beweiswürdigung nicht wie ein Appellationsgericht frei (BGE 140 III 264 E. 2.3; 133 IV 286 E. 1.4 und E. 6.2).
Die Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung erweist sich als willkürlich (Art. 9 BV), wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3).
2.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, C.________ sei Beschuldigter gewesen; er sei bei seiner Einvernahme nicht unter Wahrheitspflicht gestanden und habe wissentlich die Unwahrheit aussagen können. Nach dessen Aussage habe er (der Beschwerdeführer) als Stoffmanager den finalen Entscheid zur Entsorgung auf der Inertstoffdeponie gefällt. Woher C.________, damals Leiter eines anderen Betriebs, diese Information hatte, sei nicht hinterfragt worden. Von Glaubwürdigkeit könne aus diesem Grund keine Rede sein.
Mit "diesem Grund" lässt sich kein willkürliches Berücksichtigen der Aussage von C.________ begründen. Dieser war bis Ende März 2009 Leiter eines und anschliessend sämtlicher Betriebe und ab 1. April 2010 Stoffschlussmanager sowie Laborleiter des Unternehmens (Urteil S. 9). Es ist nicht willkürlich, von dessen Sachkenntnis auszugehen.
2.3. Nach dem Beschwerdeführer war im fraglichen Zeitraum der abgetrennten Feinfraktion von Strassensammlerschlämmen entgegen der vorinstanzlichen Beurteilung kein Code zugeordnet. Es sei irrelevant, ob "man" im Unternehmen bis zur Schliessung der bisher belieferten Reaktordeponie von Sonderabfall ausgegangen sei oder nicht. Es komme auf die "Analyse im konkreten Einzelfall" an (Beschwerde S. 4). "Bei der Analyse der ersten Probe [habe] sich Inertstoffqualität" ergeben (Beschwerde S. 5). Dass diese später offenbar nicht mehr eingehalten wurde, sei nicht ihm anzulasten.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Angabe des Glührückstandes zur Messung der 95% gesteinsähnlicher Bestandteile sei erst im Jahre 2013 durch das Bundesamt für Umwelt im Dokument "Analysemethoden im Abfall- und Altlastenbereich" erfolgt. Erst seit diesem Datum könne man sich an eine Methode für das Vorliegen von Inertstoffen halten. Die Vorinstanz wähle aus den wissenschaftlich anerkannten Methoden willkürlich eine aus (Beschwerde S. 6 f.).
Die Vorinstanz setzt sich u.a. mit der Verordnung vom 22. Juni 2005 über den Verkehr mit Abfällen (VeVA; SR 814.610), der Technischen Verordnung über Abfälle vom 10. Dezember 1990 (TVA; SR 814.600) und der Verordnung des UVEK über Listen zum Verkehr mit Abfällen vom 18. Oktober 2005 (SR 814.610.1) auseinander. Dabei verweist die Vorinstanz auf den UVEK-Liste-Code 19 02 05 S ("Schlämme aus der physikalisch-chemischen Behandlung, die gefährliche Stoffe enthalten"). Solche Schlämme sind nur dann nicht als Sonderabfall zu klassieren, wenn die abgepressten Feinschlämme Inertstoffe gemäss Ziff. 11 Abs. 2 lit. a Anhang 1 TVA sind (wenn "nachgewiesen" wird, dass "die Abfälle zu mehr als 95 Gewichtsprozent, bezogen auf die Trockenmasse, aus gesteinsähnlichen Bestandteilen wie Silikaten, Carbonaten oder Aluminaten bestehen"). Auf Inertstoffdeponien dürfen nur Inertstoffe abgelagert werden (Ziff. 1 Anhang 1 TVA). Wie die Vorinstanz feststellt, definierte die TVA die Methode zur Bestimmung der gesteinsähnlichen Anteile nicht (Urteil S. 8). Das Bundesgericht hat indessen nicht Nachweismethoden zu beurteilen, sondern die angefochtene Entscheidung im Rahmen bundesrechtskonformer Rügen (oben E. 2.1) unter Willkürgesichtspunkten zu überprüfen.
2.4. Bis Ende 2007 wurden die Feinschlämme einer Reaktordeponie als Sonderabfall zugeführt. Weil diese Deponie geschlossen wurde, musste eine neue Entsorgungsmöglichkeit gefunden werden. In der Folge wurden die Feinschlämme von Februar 2008 bis 17. März 2011 auf der Inertstoffdeponie entsorgt (Urteil S. 2).
Der Beschwerdeführer war seit dem 1. April 2007 für das Stoffmanagement verantwortlich und entsorgte die Feinschlämme bis Ende 2007 als Sonderabfall. Damit ging er davon aus, dass sie gefährliche Stoffe enthielten (d.h. Stoffe im Sinne des UVEK-Liste-Code 19 02 05 S; oben E. 2.3). Ab Februar 2008 entsorgte er die Feinschlämme über drei Jahre hinweg als Inertstoffe. Die Umklassierung erscheint lediglich in der Schliessung der Reaktordeponie begründet. Die bislang als Sonderabfall deklarierten Feinschlämme konnten nicht plötzlich und unvermittelt Inertstoffqualität aufweisen.
Der Hinweis auf eine "Analyse der ersten Probe", aufgrund welcher die Deponiebewilligung erteilt wurde, bildet für sein Vorgehen keine Grundlage. Es ist der Erfahrungssatz (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117) heranzuziehen, dass die Inertstoffqualität durchgehend gewährleistet sein muss und dafür nicht auf eine erste unternehmensintern analysierte "Mischprobe" abgestellt werden kann. Entscheidend ist die tatsächliche Inertstoffqualität (zur Codierung Urteil S. 6 f.). Auch wenn dem Beschwerdeführer nicht bewiesen werden konnte, "die Analysedaten nicht fortlaufend überwacht zu haben" (Urteil S. 13), hatte er aufgrund seiner Zuständigkeit für das Stoffschlussmanagement dafür zu sorgen, dass nur dem technischen Standard gemäss Ziff. 1 Anhang 1 TVA entsprechende "Inertstoffe" und keine Sonderabfälle (Art. 30f USG; Art. 3 Abs. 2 TVA; Art. 2 Abs. 2a VeVA) auf die Inertstoffdeponie transportiert wurden. Er war verantwortlich für die Einhaltung des jeweils aktuellen Standards. Ihm ist entgegen zu halten, was er der Vorinstanz vorwirft, dass nicht "aus diversen wissenschaftlich anerkannten Methoden irgendeine" ausgewählt werden kann (oben E. 2.3). Durch Zusammenarbeit mit und Konsultation von Fachleuten u.a. der Deponieverwaltung (Art. 5 TVA) liesse sich eine im Verkehrskreis nicht massgebende Methodenwahl ausschliessen.
2.5. Der Beschwerdeführer behauptet, dass er für "die operativen und strategischen Entscheide zuständig gewesen" sei, bedeute nicht, dass er den finalen Entscheid für die Entsorgung auf die Inertstoffdeponie gefällt habe. Es treffe zu, dass der Betrieb auf sein Fachwissen und seine Abklärungen angewiesen gewesen sei. Er habe sein Fachwissen gebraucht, um Abklärungen vorzunehmen und Entsorgungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Den endgültigen Entscheid habe der Betrieb getroffen. Er habe in der Einvernahme die Nachfrage, wer abschliessend entschieden habe, mit "Das weiss ich nicht mehr." beantwortet. Er habe zwar Abklärungen vorgenommen, "den Betrieben den Entsorgungsweg jedoch bloss vorgeschlagen bzw. angeboten [...]". Diese Erklärung habe die Vorinstanz zu Unrecht mit einem "Herunterspielen seiner Rolle" abgetan (Beschwerde S. 8; dazu Urteil S. 11).
Die Vorinstanz konnte sich auf die Aussage des Beschwerdeführers, dass er für die strategischen und operativen Entscheide der Entsorgung zuständig war (Urteil S. 10 und 11), und willkürfrei auch auf die Aussage von C.________ stützen (Urteil S. 10), dass der Beschwerdeführer als Stoffschlussmanager für die Entsorgung verantwortlich war und den Entscheid für die Inertstoffdeponie gefällt hatte.
2.6. Die Vorinstanz weist auf ein mögliches Motiv für das Vorgehen hin, weil die Entsorgungsvarianten zu kalkulieren waren. Danach beliefen sich die Kosten bei der Inertstoffdeponie ab Januar 2009 auf Fr. 65.-- und auf der Reaktordeponie auf Fr. 144.-- pro Tonne (Urteil S. 11 f.). Der Beschwerdeführer, welcher Mitglied der Geschäftsleitung war (Urteil S. 11), vermag keine Willkür aufzuzeigen, indem er einwendet, diese Tatsache habe niemals ein Motiv sein können, denn er habe einen Fixlohn und keine Bonuszahlungen erhalten und habe daraus keinen Vorteil ziehen können; einen Vorteil hätte ausschliesslich die Arbeitgeberin gehabt (Beschwerde S. 8).
2.7. Der Beschwerdeführer macht zum subjektiven Sachverhalt geltend, selbst wenn die Abfälle als Sondermüll auf der früheren Deponie entsorgt worden seien, müsse das nicht bedeuten, dass diese Entsorgungsweise korrekt oder alternativlos und eine Entsorgung auf einer Inertstoffdeponie nicht möglich gewesen wäre. Die Staatsanwaltschaft habe es versäumt, das Resultat der ersten Mischprobe zu beschaffen. Damit gelinge der Nachweise nicht, dass die Abgabe an eine Inertstoffdeponie gesetzwidrig gewesen sei. Wie die Vorinstanz feststelle, sei er für die Qualitätssicherung nicht verantwortlich gewesen (Beschwerde S. 9 f.; vgl. dazu oben E. 2.4 mit Hinweis auf Urteil S. 13).
Mit Hinweis auf eine erste unternehmensintern analysierte Mischprobe, aufgrund welcher die Inertstoffdeponierung ab Februar 2008 vom Kanton Zug bewilligt worden war (Beschwerde S. 5 f.), vermag der Beschwerdeführer keine willkürliche Verantwortungszuschreibung für die gesetzwidrige Entsorgung zu belegen. Das Stoffschlussmanagement war eine ihn verpflichtende Daueraufgabe.
Der Beschwerdeführer wusste um die Problematik der Sonderabfallqualität der Strassensammlerschlämme. Die Vorinstanz schliesst willkürfrei, die Pflichtverletzung sei so augenfällig, dass die Willensrichtung nicht anders als Inkaufnahme im Sinne des Eventualvorsatzes gedeutet werden könne (Urteil S. 14).
3. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. April 2016
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Briw