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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
1C_524/2015
Urteil vom 14. März 2016
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat André M. Brunner,
gegen
Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.
Gegenstand
Amtsärztliche Abklärung der Fahreignung, Kostenverlegung in einem Abschreibungsbeschluss; Höhe der Parteientschädigung.
Beschwerde gegen das Urteil vom 9. April 2014 des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer.
Sachverhalt:
A.
A.a. Mit Verfügung vom 20. Juli 2012 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau A.________ den Führerausweis vorsorglich auf unbestimmte Zeit bis zur Abklärung von Ausschlussgründen. Es ordnete eine verkehrspsychiatrische Begutachtung bei Dr. med. B.________ und eine amtsärztliche Abklärung der Fahreignung bei Dr. med. C.________ an.
Dagegen erhob A.________ am 24. Juli 2012 beim Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau (im Folgenden: Departement) Beschwerde (Verfahren 12.244).
Am 8. August 2012 zog das Strassenverkehrsamt seine Verfügung in Wiedererwägung. Es hob die Anordnung der verkehrspsychiatrischen Begutachtung bei Dr. B.________ auf. Am vorsorglichen Entzug des Führerausweises und an der amtsärztlichen Abklärung hielt es fest.
Am 8. September 2012 erhob A.________ auch gegen die Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 8. August 2012 Beschwerde beim Departement (Verfahren 12.289).
A.b. Das Departement vereinigte die beiden Beschwerdeverfahren. Am 22. Oktober 2012 schrieb es das Verfahren 12.244 infolge Gegenstandslosigkeit ab. Es auferlegte A.________ die Kosten dieses Verfahrens von insgesamt Fr. 1'206.-- zu zwei Dritteln und ersetzte ihm die in der Höhe von Fr. 2'241.-- genehmigten Kosten für die anwaltliche Vertretung zu einem Drittel aus der Staatskasse. Im Verfahren 12.289 hob es den vorsorglichen Führerausweisentzug auf, nicht jedoch die Anordnung der amtsärztlichen Abklärung.
A.c. Die von A.________ gegen den Entscheid des Departements vom 22. Oktober 2012 eingereichte Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau am 25. September 2013 gut, soweit sie sich gegen die Kostenverlegung im Verfahren 12.244 richtete, und wies die Sache zum neuen Entscheid an das Departement zurück. Das Verwaltungsgericht befand, das Departement habe die Kostenverlegung nicht hinreichend begründet.
Am 22. Januar 2014 verlegte das Departement im Verfahren 12.244 die Kosten gleich wie im Entscheid vom 22. Oktober 2012.
Am 9. April 2014 hiess das Verwaltungsgericht die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde teilweise gut. Es ordnete in Änderung des Entscheids des Departements vom 22. Januar 2014 an, A.________ habe die Kosten des Verfahrens 12.244 von insgesamt Fr. 1'206.-- zu einem Drittel zu bezahlen (Dispositiv-Ziffer 1.1). Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab (Dispositiv-Ziffer 1.2). Es hiess das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gut (Dispositiv-Ziffer 2), auferlegte die Gerichtskosten dem Staat und A.________ je zur Hälfte und merkte den A.________ auferlegten Betrag einstweilen, unter dem Vorbehalt späterer Nachzahlung, vor (Dispositiv-Ziffer 3) und sprach ihm keinen Parteikostenersatz zu (Dispositiv-Ziffer 4).
A.d. Mit Urteil 1C_254/2014 vom 18. November 2014 trat das Bundesgericht auf die von A.________ gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 9. April 2014 gerichtete Beschwerde nicht ein, weil in der Beschwerde nicht dargelegt wurde, dass und weshalb dieser einen anfechtbaren Entscheid im Sinn der Art. 90 ff. BGG darstellen sollte.
B.
Mit Kurzbrief vom 30. September 2015 teilte das Strassenverkehrsamt dem Anwalt von A.________ mit, dass es das Verfahren grundsätzlich als abgeschlossen betrachte und gedenke, das Dossier zu archivieren.
Mit Beschwerde vom 12. Oktober 2015 beantragt A.________, Dispositiv-Ziffer 1.2 des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 9. April 2014 sowie Dispositiv-Ziffer 2 des Entscheids des Departements vom 22. Januar 2014 aufzuheben und es seien ihm die in der Höhe von Fr. 2'241.-- genehmigten Kosten für die anwaltschaftliche Vertretung im gegenstandslos gewordenen Verfahren 12.244 zu zwei Dritteln, in der Höhe von Fr. 1'494.--, zu bezahlen. Eventuell sei die Sache zur Neufestlegung der Parteientschädigung im Verfahren 12.244 an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es seien zudem die Dispositiv-Ziffern 3 und 4 des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 9. April 2014 aufzuheben und ihm für das verwaltungsgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 650.-- zuzusprechen und es seien die vorinstanzlichen Kosten vollständig auf die Staatskasse zu nehmen. Eventuell sei ihm die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu bewilligen.
C.
Das Departement verzichtet auf Vernehmlassung. Das Verwaltungsgericht hält fest, sein Urteil vom 9. April 2014 betreffe einen Kostenentscheid in einem vor Vorinstanz gegenstandslos gewordenen Verfahren und stelle damit nach konstanter Praxis einen Endentscheid dar, was sich auch aus der Rechtsmittelbelehrung ergebe. Es gebe keinen neueren Entscheid einer kantonalen Instanz in dieser Sache, und schon gar keinen letztinstanzlichen im Sinn von Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG, der an der Kostenregelung des Urteils vom 9. April 2014 etwas geändert hätte oder dies auch nur hätte tun können. Es könne auch nicht vertreten werden, dieses Urteil sei durch den Abschluss des Sicherungsentzugs- und Fahreignungsabklärungsverfahrens vom Zwischen- zum Endentscheid mutiert. Auf die Beschwerde könne daher mangels eines tauglichen Anfechtungsobjekts nicht eingetreten werden. Der Nichteintretensentscheid des Bundesgerichts vom 18. November 2014 führe allerdings dazu, dass A.________ der bundesgerichtliche Rechtsschutz abgeschnitten werde, weshalb sich die Frage stelle, ob die Beschwerde nicht als Revisionsgesuch zu behandeln wäre.
Erwägungen:
1.
Das Verwaltungsgericht betrachtet sein Urteil vom 9. April 2014 als Endentscheid, weil es darin endgültig über die Kosten- und Entschädigungsregelung eines gegenstandslos gewordenen Verfahrens befand. Nach der Praxis des Bundesgerichts handelt es sich dagegen um einen Zwischenentscheid, weil er das Administrativverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht abschloss. Nach dieser für das bundesgerichtliche Verfahren massgebenden Auffassung wird er erst dann zum Endentscheid im Sinn von Art. 90 BGG, wenn dieses Administrativverfahren endgültig erledigt ist. Somit beginnt die Rechtsmittelfrist grundsätzlich mit der Zustellung des verfahrensabschliessenden Entscheids neu zu laufen. Vorliegend besteht die Besonderheit, dass das Verfahren offenbar gar nicht formell zum Abschluss gebracht wurde und auch nicht werden soll. Vielmehr teilte das Strassenverkehrsamt dem Beschwerdeführer bzw. dessen Anwalt per Kurzbrief vom 30. September 2015 mit, dass "mit Blick auf die Diskussion vom 30. September 2015 und mit Blick auf die eingereichten Zeugnisse" das Verfahren grundsätzlich als beendet betrachtet und das Dossier archiviert würde. Daraus ergibt sich, dass das Verfahren auch in Bezug auf die amtsärztliche Abklärung abgeschlossen ist und das Strassenverkehrsamt keine verfahrensabschliessende Verfügung erlassen wird. Unter diesen Umständen hat der Beschwerdeführer, der den Kurzbrief am 2. Oktober 2015 zugestellt erhielt und am 12. Oktober 2015 Beschwerde einreichte, die Frist zur Anfechtung des Verwaltungsgerichtsurteils vom 9. April 2014 gewahrt.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Dagegen steht die Beschwerde nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Der Beschwerdeführer ist als Adressat des Entscheids befugt, ihn anzufechten. Er rügt eine willkürliche Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts und damit die Verletzung von Bundesrecht, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG).
Nicht einzugehen ist auf die Beschwerde insoweit, als sie sich gegen den Entscheid des Departements richtet. Dieser ist im Rahmen des Streitgegenstands durch das Urteil des Verwaltungsgerichts ersetzt worden (Devolutiveffekt) und gilt als inhaltlich mitangefochten (BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144).
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
2.
Der Beschwerdeführer bringt vor, das Verwaltungsgericht halte im angefochtenen Urteil (S. 14 oben E. 2.3.2.4) fest, er habe in objektiver Hinsicht vollständig obsiegt. Er hätte damit Anspruch auf eine volle Parteientschädigung gehabt. Es sei stossend und willkürlich, dass ihm das Verwaltungsgericht nicht wenigstens im Rahmen seines Antrags eine solche von zwei Dritteln zugesprochen habe.
2.1. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid (E. 2.3.1 S. 12) ausgeführt, die Verfahrens- und Parteikosten (hier umstritten ist nur noch die Verlegung der letzteren) seien nach den abgeschätzten Prozessaussichten zu verlegen (§§ 31 Abs. 2 und 32 Abs. 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 4. Dezember 2007; VRPG). Die Anwendung dieser Regel stehe allerdings unter der Prämisse, dass das Verfahren ohne Zutun einer Partei gegenstandslos werde; andernfalls gelte als unterliegende Partei, wer auf andere Weise (als durch Rückzug des Rechtsmittels) dafür sorge, dass das Verfahren gegenstandslos werde (§§ 31 Abs. 3 und 32 Abs. 3 VRPG). Das Verwaltungsgericht ist sodann zum Schluss gekommen, vorliegend habe das Strassenverkehrsamt mit Erlass der Wiedererwägungsverfügung vom 8. August 2012 für die Gegenstandslosigkeit des Beschwerdeverfahrens 12.244 gesorgt, weshalb die Kosten grundsätzlich auf die Staatskasse hätten genommen werden müssen. Da es indessen nach § 48 Abs. 2 VRP an die Parteibegehren gebunden sei und der Beschwerdeführer den Antrag gestellt habe, ihm einen Drittel der Kosten des gegenstandslos gewordenen Verfahrens 12.244 aufzuerlegen, habe er diesen Drittel zu tragen (angefochtener Entscheid E. 2.3.2.4 S. 13 f.).
Auch in Bezug auf die Verteilung der Parteikosten sei der Beschwerdeführer von einem Obsiegen zu zwei Dritteln ausgegangen und habe, vermeintlich dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, beantragt, ihm zwei Drittel der Parteikosten zu ersetzen. Nach der langjährigen verwaltungsgerichtlichen Verrechnungspraxis (AGVE 2012 Nr. 33 S. 223, 2009 Nr. 51 S. 278, je mit Hinweisen) seien indessen die Parteikosten der Parteien nach Massgabe des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens zu verrechnen. Das bedeutet, dass eine Partei, die zu zwei Dritteln obsiegt und dementsprechend gleichzeitig zu einem Drittel unterliegt, nur Anspruch auf den Ersatz eines Drittels (2/3 - 1/3) ihrer Parteikosten geltend machen kann (angefochtener Entscheid E. 2.4 S. 14).
2.2. Aus Sicht des Verwaltungsgerichts hat der Beschwerdeführer objektiv vollständig obsiegt, weil das Strassenverkehrsamt mit seiner Wiedererwägungsverfügung für die Gegenstandslosigkeit des Verfahrens sorgte und damit als unterliegende Partei zu behandeln ist. Dem Beschwerdeführer hätte damit an sich eine volle Parteientschädigung zugestanden. Dieser ist indessen irrtümlich davon ausgegangen, er habe nur zu zwei Dritteln obsiegt, und hat - offensichtlich in Unkenntnis der Aargauer Verrechnungspraxis - die Zusprechung einer vermeintlich dem Ausgang des Verfahrens entsprechenden Parteientschädigung von zwei Dritteln verlangt (oben E. 2.1).
Das Rechtsbegehren des Beschwerdeführers ans Verwaltungsgericht im umstrittenen Punkt - es seien ihm die genehmigten Kosten für die anwaltschaftliche Vertretung in Höhe von Fr. 2'242.-- zu zwei Dritteln in Höhe von Fr. 1'494.-- zu bezahlen - ist eindeutig und steht nicht im Widerspruch zur Begründung. Aus dieser ergibt sich vielmehr klar, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz von zwei Dritteln seiner Parteikosten geltend machte und auch machen wollte. Der Beschwerdeführer hat somit (irrtümlich) weniger gefordert, als ihm an sich zugestanden wäre. Nicht zu beanstanden ist in dieser Konstellation, dass ihm das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf seine in § 48 Abs. 2 VRPG verankerte Bindung an die Rechtsbegehren der Parteien nicht mehr zusprach, als er beantragte. Nicht nachvollziehbar ist hingegen, inwiefern die Bindung des Gerichts an die Parteianträge in dieser Konstellation eine Handhabe dafür bieten könnte, dem Antrag des Beschwerdeführers nur teilweise zu entsprechen. Das Verwaltungsgericht ist in Willkür verfallen, indem es den objektiv begründeten Antrag auf Zusprechung einer Parteientschädigung von zwei Dritteln der genehmigten Höhe abwies. Die Rüge ist begründet.
3.
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen, die Dispositiv-Ziffern 1.2, 3, 4 und 5 des angefochtenen Urteils aufzuheben und der Kanton Aargau zu verpflichten, dem Beschwerdeführer für das gegenstandslos gewordene Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'494.-- (2/3 der genehmigten Kosten von Fr. 2'241.--) sowie für das verwaltungsgerichtliche Verfahren eine solche von Fr. 650.-- (gemäss Dispositiv-Ziff. 5 des angefochtenen Urteils) zu bezahlen. Die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verbleiben dem Kanton.
Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Dispositiv-Ziffern 1.2, 3, 4 und 5 des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 9. April 2014 werden aufgehoben und der Kanton Aargau wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer für das Verfahren 12.244 eine Parteientschädigung von Fr. 1'494.-- und für das verwaltungsgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 650.--, insgesamt Fr. 2'144.--, zu bezahlen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. März 2016
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi