BGer 1B_282/2015
 
BGer 1B_282/2015 vom 08.02.2016
{T 0/2}
1B_282/2015
 
Urteil vom 8. Februar 2016
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Störi.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Fabian Malovini,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn,
Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn.
Gegenstand
Strafverfahren, Rechtsverweigerung, eventualiter Rechtsverzögerung,
Beschwerde gegen das Urteil vom 14. August 2015 des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer.
 
Sachverhalt
A. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Solothurn führen gegen A.________ ein Strafverfahren. Sie soll am 20. Mai 2015 den Personenwagen ihrer Mutter entwendet haben und damit losgefahren sein, obwohl sie wegen des Konsums von Alkohol und Medikamenten fahruntauglich war und ihr der Führerausweis bereits entzogen war. Bei ihrer Fahrt von Rüttenen nach Solothurn und dort über die Rötibrücke prallte sie auf ein vor ihr vor einer Ampel stehendes Fahrzeug.
Am 26. Juni 2015 gab Rechtsanwalt Fabian Malovini der Staatsanwaltschaft bekannt, dass ihn A.________ mit der Wahrung ihrer Interessen betraut habe. Er ersuchte sie, ihm die Akten des laufenden sowie diejenigen eines abgeschlossenen Verfahrens zur Einsichtnahme zuzustellen oder gegebenenfalls den bei der Stadtpolizei Solothurn für den Fall zuständigen B.________ zu beauftragen, dies zu tun. Ausserdem beantragte er, ihn umgehend - vor der ersten Einvernahme seiner Mandantin - als amtlichen Verteidiger einzusetzen. Es handle sich nicht um einen Bagatellfall, und seine Mandantin sei offenkundig bedürftig; für den Fall, dass dies bestritten werde, offeriere er die entsprechenden Belege und Beweismittel.
Am 29. Juni 2015 teilte die Staatsanwaltschaft Rechtsanwalt Malovini per E-Mail mit, die Polizei habe ihr die Akten noch nicht zugestellt, seine Eingabe würde pendent gehalten.
Am 30. Juni 2015 teilte Rechtsanwalt Malovini der Staatsanwaltschaft mit, die Polizei werde ihr die Akten erst nach der Einvernahme von A.________ zustellen. Er lasse eine solche nicht zu, bevor die Staatsanwaltschaft über seine Anträge entschieden habe. Seine Klientin habe das Recht, dass über das Akteneinsichtsgesuch und den Antrag um Einsetzung einer amtlichen Verteidigung ohne Verzug, insbesondere vor der ersten Einvernahme, entschieden werde. Im Übrigen liege ja möglicherweise ein Fall notwendiger Verteidigung vor.
Am 2. Juli 2015 antwortete die Staatsanwaltschaft Rechtsanwalt Malovini per E-Mail, es sollte für ihn problemlos möglich sein, an der polizeilichen Einvernahme seiner Klientin teilzunehmen. Über alles Übrige werde später befunden, nachdem die Akten bei ihr eingegangen seien.
Rechtsanwalt Malovini beharrte mit E-Mail vom gleichen Tag darauf, dass seine Klientin einen Anspruch darauf habe, dass über ihr Gesuch auf amtliche Verteidigung vor der ersten Einvernahme entschieden werde, und dass das Verhalten der Staatsanwaltschaft rechtsverweigernd bzw. rechtsverzögernd sei.
Am 3. Juli 2015 lud B.________ A.________ wahlweise auf den 8. Juli oder den 11. Juli 2015 zur Einvernahme vor. Er wies darauf hin, dass sich der Fall im polizeilichen Vorermittlungsverfahren befinde. Er bitte um die Wahrnehmung einer der beiden Termine. Wenn er die Einvernahme nicht durchführen könne, werde er den Fall abschliessen und an die Staatsanwaltschaft rapportieren.
Am 8. Juli 2015 erhob A.________ Beschwerde ans Obergericht des Kantons Solothurn. Sie beantragte, es sei festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft eine Rechtsverzögerung oder Rechtsverweigerung begangen habe, diese sei anzuweisen, über ihre mit Eingabe vom 26. Juni 2015 gestellten Anträge zu befinden, es sei festzustellen, dass die auf den 11. Juli 2015 angesetzte Einvernahme nicht stattfinden dürfe, der zuständige Polizist sei superprovisorisch anzuweisen, dies zu unterlassen, und ihr Anwalt sei allgemein und für das Beschwerdeverfahren als amtlicher Verteidiger einzusetzen.
Die Präsidentin der Beschwerdekammer des Obergerichts lehnte den Erlass einer superprovisorischen Verfügung ab.
Am 15. Juli 2015 eröffnete die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand sowie ohne Berechtigung, Entwendung zum Gebrauch und Verletzung von Verkehrsregeln.
Am 14. August 2015 wies das Obergericht die Beschwerde kostenfällig ab.
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________ erstens, dieses obergerichtliche Urteil aufzuheben, zweitens, ihr für das vorinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zu Handen ihres Anwalts gemäss dessen Kostennote zuzusprechen oder drittens, diesen eventuell für das vorinstanzliche Verfahren als amtlichen Anwalt einzusetzen oder viertens, subeventuell die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen und fünftens, festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft eine Rechtsverweigerung, eventuell eine Rechtsverzögerung begangen habe. Für das bundesgerichtliche und das obergerichtliche Verfahren ersucht sie sechstens, um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung, unter siebtens, Kosten- und Entschädigungsfolgen.
C. Das Obergericht beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
A.________ reicht das Urteil des Obergerichts vom 8. September 2015 ins Recht und weist daraufhin, dass dieses ihren Anspruch auf amtliche Verteidigung unter Vorbehalt ihrer Bedürftigkeit anerkannt habe. Da sie bisher noch nicht formell einvernommen worden sei, zeige dies, dass die Staatsanwaltschaft ihr Gesuch um Einsetzung einer amtlichen Verteidigung ohne Verzug hätte beurteilen können und müssen.
 
Erwägungen:
1. Der Beschluss des Obergerichts ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über Rechtsverzögerung bei der Gewährung der amtlichen Verteidigung und von Akteneinsicht in einem Strafverfahren. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Es handelt sich um einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338; 129 I 281 E. 1.1 S. 283 f.; je mit Hinweisen). Als Beschuldigte ist die Beschwerdeführerin zur Erhebung der Beschwerde befugt, sofern sie ein aktuelles und praktisches Interesse an ihrer Behandlung hat (Art. 81 Abs. 1 BGG).
Die Staatsanwaltschaft hat es nicht grundsätzlich abgelehnt, über die Anträge der Beschwerdeführerin auf Einsetzung eines amtlichen Verteidigers und Akteneinsicht zu entscheiden, sondern nur, dies bereits im Stadium der polizeilichen Vorermittlungen zu tun; es geht somit um Rechtsverzögerung, nicht um Rechtsverweigerung. Dieses Stadium wurde mit der Eröffnung der Strafuntersuchung durch die Staatsanwaltschaft am 15. Juli 2015 beendet. Seither hat das Obergericht am 8. September 2015 den Anspruch der Beschwerdeführerin auf amtliche Verteidigung im Grundsatz - unter Vorbehalt ihrer Bedürftigkeit - bejaht. Nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Entscheid hat sie bzw. ihr Vertreter in der Zwischenzeit Akteneinsicht erhalten. Des Weiteren wurde die Beschwerdeführerin vor der grundsätzlichen Bejahung ihres Anspruchs auf amtliche Verteidigung gemäss ihrer eigenen Darstellung in der Vernehmlassung vom 24. September 2015 noch nicht formell einvernommen, so dass sich die Befürchtung ihres Rechtsvertreters, vor einer allfälligen Einsetzung als amtlicher Rechtsbeistand an der Einvernahme der Beschuldigten teilnehmen und damit das Risiko tragen zu müssen, dass ihm der dafür erforderliche Aufwand weder von der bedürftigen Mandantin noch von der öffentlichen Hand ersetzt wird, nicht erfüllt hat. Da die Beschwerdeführerin nicht die absolute Verfahrensdauer als Rechtsverzögerung beanstandet, sondern nur die Weigerung der Staatsanwaltschaft, über ihre Anträge auf Einsetzung eines amtlichen Verteidigers und auf Akteneinsicht bereits im polizeilichen Vorermittlungsverfahren zu entscheiden, hat sie kein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Behandlung ihrer Beschwerde mehr. Darauf ist nicht einzutreten.
2. Fällt während des bundesgerichtlichen Verfahrens das aktuelle Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an der Beurteilung ihrer Beschwerde dahin, entscheidet das Bundesgericht mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der ursprünglichen Sachlage (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP). Für die Kosten- und Nebenfolgen ist auf den mutmasslichen Ausgang des Verfahrens abzustellen (BGE 125 V 373 E. 2a; Urteil 2C_201/2008 vom 14. Juli 2008 E. 2.3). In die vorinstanzliche Kosten- und Entschädigungsregelung kann das Bundesgericht hingegen nicht eingreifen, da es den angefochtenen Entscheid nicht abändert (Art. 67 BGG e contrario und Art. 68 Abs. 5 BGG; Urteile 5A_608/2010 vom 6. April 2011 E. 5; 1C_130/2008 vom 30. Mai 2008 E. 3).
Die Beschwerdeführerin bzw. ihr Anwalt haben prima vista keinen Anspruch darauf, dass bereits zu Beginn des polizeilichen Vorermittlungsverfahrens über die amtliche Verbeiständung entschieden wird. Rechtsanwalt Malovini war als Fachmann in der Lage abzuschätzen, ob die Voraussetzungen für eine amtliche Verteidigung gegeben waren, und er hatte die Freiheit, das Mandat anzunehmen oder nicht. Es war sein unternehmerischer Entscheid, das Mandat anzunehmen und das (überschaubare) Risiko auf sich zu nehmen, die bis zur Beurteilung des Gesuchs um seine (auf den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung rückwirkende) Einsetzung als amtlicher Verteidiger zu Beginn des Untersuchungsverfahrens entstehenden Aufwendungen allenfalls selber tragen zu müssen.
Damit würde die Beschwerdeführerin an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Hingegen rechtfertigt sich unter den vorliegenden Umständen, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten.
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3. Es werden keine Kosten erhoben.
4. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Februar 2016
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi