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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
8C_404/2015
Urteil vom 22. Dezember 2015
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Frésard, Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.
Verfahrensbeteiligte
GastroSocial Ausgleichskasse,
Heinerich Wirri-Strasse 3, 5000 Aarau,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Advokat Silvan Ulrich,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Familienzulage,
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 23. März 2015.
Sachverhalt:
A.
A.________, geboren 1974, ist selbstständig erwerbstätig und in dieser Eigenschaft bezüglich der Sozialversicherungen der GastroSocial Ausgleichskasse (nachfolgend: GastroSocial) angeschlossen. Die GastroSocial verwaltet die Familienausgleichskassen ihrer kantonalen Sektionen. Das erste Gesuch von A.________ vom Januar 2010 um Ausbildungszulagen für seine Tochter, geboren 1994, welche einen Lehrgang beim islamischen Zentrum B.________ besuchte, wurde von der GastroSocial am 23. September 2010 abgewiesen, da der Lehrgang nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine Ausbildung entspreche. Diese Verfügung erwuchs in Rechtskraft. Am 21. Mai 2013 ersuchte A.________ erneut um Ausbildungszulagen für seine Tochter, welche nach wie vor diesen Lehrgang beim islamischen Zentrum B.________ besuche. Unter Hinweis auf die rechtskräftige Verfügung vom 23. September 2010 wies die GastroSocial das Gesuch am 22. Mai 2013 ab. Am 31. Mai 2013 liess A.________, nunmehr anwaltlich vertreten, wiederum die Ausrichtung von Ausbildungszulagen für seine Tochter beantragen. Mit Verfügung vom 21. Mai 2014, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 29. August 2014, lehnte die GastroSocial erneut die Ausrichtung von Ausbildungszulagen, nunmehr für den Zeitraum ab August 2011, ab.
B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 23. März 2015 teilweise gut und wies die GastroSocial an, A.________ ab 1. August 2011 Ausbildungszulagen für seine Tochter auszurichten.
C.
Die GastroSocial führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 29. August 2014 zu bestätigen. Zudem sei der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (nachfolgend: BSV) beantragt die Gutheissung der Beschwerde.
D.
Mit Eingabe vom 4. September 2015 lässt A.________ an seinen Ausführungen festhalten.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
2.
Streitig ist, ob der von der Tochter des Beschwerdegegners absolvierte Kurs den Anforderungen an eine faktische Ausbildung genügt und der Beschwerdegegner demnach Anspruch auf eine Ausbildungszulage ab August 2011 für seine Tochter hat.
3.
3.1. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen (Familienzulagengesetz, FamZG; SR 836.2) werden Ausbildungszulagen ab Ende des Monats, in welchem das Kind das 16. Altersjahr vollendet, bis zum Abschluss der Ausbildung ausgerichtet, längstens jedoch bis zum Ende des Monats, in welchem das Kind das 25. Altersjahr vollendet. Aus den Materialien zum FamZG ergeben sich keine Hinweise darauf, wie der Begriff Ausbildung zu verstehen ist (BGE 138 V 286 E. 4.1 S. 288). Art. 1 Abs. 1 der Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen (Familienzulagenverordnung, FamZV; SR 836.21) statuiert, dass ein Anspruch auf eine Ausbildungszulage für jene Kinder besteht, die eine Ausbildung im Sinne des Art. 25 Abs. 5 AVHG absolvieren. Art. 25 Abs. 5 Satz 2 AHVG beauftragt den Bundesrat, den Begriff der Ausbildung zu regeln, was dieser mit den auf den 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Art. 49bis und 49ter der AHVV (SR 831.101) getan hat. Das Bundesgericht hat in BGE 138 V 286 E. 4.2.2 S. 289 festgehalten, dass bezüglich des Begriffs der Ausbildung auf die Gerichts- und Verwaltungspraxis sowie namentlich die Weisungen des BSV verwiesen werden kann (BGE 141 V 473 E. 3 S. 474).
3.2. Art. 49bis Abs. 1 AHVV besagt:
"In Ausbildung ist ein Kind, wenn es sich auf der Grundlage eines ordnungsgemässen, rechtlich oder zumindest faktisch anerkannten Bildungsganges systematisch und zeitlich überwiegend entweder auf einen Berufsabschluss vorbereitet oder sich eine Allgemeinausbildung erwirbt, die Grundlage bildet für den Erwerb verschiedener Berufe."
Das BSV hat in den Weisungen dazu festgehalten, eine Ausbildung müsse mindestens 4 Wochen dauern und systematisch auf ein Ziel ausgerichtet sein; das angestrebte Bildungsziel führe entweder zu einem bestimmten Berufsabschluss oder ermögliche eine berufliche Tätigkeit ohne Berufsabschluss oder müsse eine allgemeine Grundlage für eine Mehrzahl von Berufen bilden bzw. eine Allgemeinausbildung beinhalten; die Ausbildung müsse auf einem strukturierten Bildungsgang beruhen, welcher rechtlich oder zumindest faktisch anerkannt sei, wobei es keine Rolle spiele, ob es eine erstmalige, eine Zusatz- oder Zweitausbildung sei (Wegleitung des BSV über die Renten [RWL] in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung Rz. 3358).
4.
4.1. Vorliegend ist unbestritten, dass es sich beim absolvierten Kurs nicht um eine rechtlich anerkannte Ausbildung handelt. Ebenfalls unstrittig ist die Erfüllung der zeitlichen Anforderung an eine Ausbildung (20 Stunden pro Woche). Hingegen sind sich die Parteien uneins, ob dieser Lehrgang im Übrigen den Anforderungen an eine faktische Ausbildung genügt.
4.2. Gemäss Darstellung im vorinstanzlichen Entscheid umfasst der Lehrgang vier Studiengänge: Das Grundstudium, welches 44 Wochenstunden beinhalte, danach zwei Jahre Hauptstudium mit je 40 Wochenstunden und abschliessend ein Jahr Vertiefungskurse. In allen Teilen liege der Schwerpunkt auf dem Erlernen der arabischen Sprache (im ersten Jahr 16 Wochenstunden, im zweiten und dritten Jahr kombiniert mit arabischer Rhetorik 14 resp. 11 Wochenstunden). Daneben beinhalte das Studium die Fächer islamische Rechtslehre, Geschichte des Islams sowie weitere Nebenbereiche wie Kalligraphie und Einführung in die Predigt. Im abschliessenden Jahr werde eine berufsorientierte praktische Ausbildung an der Seite eines islamischen Gelehrten in einer Moscheegemeinde absolviert. Mit dem verliehenen Diplom als "islamische Theologin" sei es der Tochter nach Aussagen des islamischen Zentrums B.________ möglich, in ihrer oder einer ähnlichen Organisation als Theologin resp. Predigerin zu arbeiten; allerdings sei bis dato keine Anstellung erfolgt. Im Übrigen verweist der vorinstanzliche Entscheid auf die vom islamischen Zentrum B.________ aufgelegten Stundenpläne.
Gestützt auf diese Angaben hat die Vorinstanz entschieden, es handle sich beim absolvierten Lehrgang um eine faktisch anerkannte Ausbildung im Sinne von Art. 49bis Abs. 1 AHVV.
4.3.
4.3.1. Reglementierte und damit rechtlich anerkannte Bildungsgänge müssen hohe Anforderungen bezüglich des Umfangs der Informationen über Lerninhalte, Lernkontrollen (Qualifikationsverfahren) sowie Ziele und Anforderungen in beruflicher und schulischer Hinsicht erfüllen (vgl. zum notwendigen Inhalt einer Bildungsverordnung für rechtlich anerkannte Ausbildungsgänge Art. 19 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Berufsbildung [Berufsbildungsgesetz, BBG; SR 412.10]; vgl. auch Michael Buchser, Berufsbildungsabschlüsse in der Schweiz, 2009). Soll nun ein nicht reglementierter Bildungsgang einem rechtlich anerkannten gleichgestellt werden, so rechtfertigen sich auch hier hohe Anforderungen an Informationsdichte, Überprüfbarkeit der Angaben und Einhaltung von Qualitätsstandards.
4.3.2. Beim Anbieter, islamisches Zentrum B.________, handelt es sich nicht um eine anerkannte Ausbildungsstätte. Auch ist das islamische Zentrum B.________ weder dem Verband Privatschulen noch einem anderen Verband angeschlossen, was auf die Einhaltung von Minimalstandards resp. objektive Qualitätsstandards sowie eine gewisse Überprüfbarkeit des Lehrangebots schliessen liesse. Insbesondere aber sind die Angaben zum Inhalt des Lehrgangs spärlich und nicht überprüfbar. So fehlen Angaben zu den Lernzielen resp. den vorgesehenen Lernkontrollen (Prüfungen samt des Prüfungsinhalts, Verfassen von Arbeiten o.Ä.) in den einzelnen Fächern sowie den verantwortlichen Lehrpersonen (Namen und ausgewiesene Qualifikationen der Ausbildner). Auch liegen keinerlei Absprachen seitens des Ausbildungsanbieters mit offiziellen Stellen vor. Demnach fehlt es der strittigen Ausbildung an Transparenz und damit an deren Überprüfbarkeit. Zusätzlich mangelt es an der konkreten Nennung der nach Ausbildungsabschluss tatsächlich zur Verfügung stehenden Auswahl von Betätigungen, abgesehen von einer Anstellung in der Ausbildungsstätte selbst oder vergleichbaren Institutionen. Es kann somit nicht gesagt werden, die Ausbildung vermittle die Möglichkeit, danach einem breiten Spektrum von Berufen nachgehen zu können. Im Rahmen einer Gesamtsicht kann der von der Tochter des Beschwerdegegners absolvierte Lehrgang nicht als faktische Ausbildung im Sinne von Art. 49bis Abs. 1 AHVV anerkannt werden.
4.3.3. Damit ist nicht gesagt, dass eine Ausbildung in islamischer Theologie schlechthin nicht anerkannt werden könnte (vgl. dazu etwa Ausbildungen zu islamischer Theologie und islamischer Wissenschaft an den Universitäten Bern oder Zürich). Dafür bedürfte es aber umfassender und überprüfbarer Informationen über die zu vermittelnden Inhalte und der damit betrauten Lehrpersonen. An solchen fehlt es vorliegend.
4.3.4. Es bleibt festzuhalten, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt und dass er nicht allein die islamische Religionslehre trifft. Das BSV hat auch in Fällen von mehrjährigen, rein institutionsinternen Lehrgängen christlicher Organisationen die Anerkennung als Ausbildung im Sinne von Art. 49bis Abs. 1 AHVV abgelehnt. Insofern stellt die Nichtanerkennung auch keine Diskriminierung einer bestimmten Religion (Art. 8 Abs. 2 BV) dar. Vielmehr gilt der dargelegte Massstab etwa auch für die faktische Anerkennung von Ausbildungen im sozialen, sportlichen oder kulturellen Bereich.
4.4. Nach dem Gesagten ist die von der Tochter des Beschwerdegegners absolvierte Ausbildung nicht als faktisch anerkannt im Sinne von Art. 49bis Abs. 1 AHVV zu qualifizieren, weshalb er keinen Anspruch auf Ausbildungszulagen hat. Der vorinstanzliche Entscheid verletzt Bundesrecht und ist aufzuheben.
5.
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Der unterliegende Beschwerdegegner hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 23. März 2015 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der GastroSocial Ausgleichskasse vom 29. August 2014 bestätigt.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 22. Dezember 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold