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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
2C_205/2015
Urteil vom 24. November 2015
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Genner.
Verfahrensbeteiligte
A.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Hollinger,
gegen
Amt für Migration und Personenstand des
Kantons Bern,
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern.
Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung aus der Schweiz,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 2. Februar 2015.
Erwägungen:
1.
1.1. Der kosovarische Staatsangehörige A.________ (geb. 1951) hielt sich in den siebziger Jahren zeitweise als Saisonnier, Ende der achtziger Jahre als Ehemann einer aufenthaltsberechtigten Landsfrau und von 1999 bis 2000 als Asylbewerber in der Schweiz auf. Am 30. September 2000 ehelichte er im Kosovo eine Schweizer Bürgerin, reiste am 16. Januar 2002 erneut in die Schweiz ein und erhielt die Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Ehefrau. Im August 2007 wurde ihm die Niederlassungsbewilligung erteilt. Die kinderlose Ehe wurde nach mehrjährigem Getrenntleben am 6. Januar 2009 geschieden.
Nach einer Verurteilung im Jahr 1990 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h wurde A.________ zwischen 2000 und 2007 wegen Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 47 km/h, 34 km/h, 30 km/h, 16 km/h, 15 km/h und 10 km/h gebüsst. Es folgten je eine bedingte Geldstrafe wegen Missbrauchs von Ausweisen und Schildern (2007) und wegen mehrfachen Fahrens ohne Führerausweis (2008) sowie eine Busse wegen Widerhandlungen gegen das Gastgewerbegesetz und gegen das Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen (2010).
Am 20. Februar 2003 hatte der Oberste Gerichtshof der Republik Kroatien A.________ in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Vergewaltigung, begangen am 21. Juni 1995 in Kroatien, verurteilt. Nach der Auslieferung durch die Schweiz am 22. Oktober 2010 wurde das Strafverfahren in Kroatien wieder aufgenommen und A.________ am 2. Mai 2011 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er verbüsste die Strafe in Kroatien und wurde am 13. September 2013 bedingt aus dem Strafvollzug entlassen. Daraufhin kehrte er in die Schweiz zurück.
1.2. Das Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern hatte auf entsprechendes Gesuch hin die Niederlassungsbewilligung von A.________ bis zum 22. Oktober 2014 unter dem Vorbehalt des Widerrufs aufrecht erhalten. Am 3. Juli 2013 widerrief es die Niederlassungsbewilligung und wies A.________ aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (Entscheid der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern vom 29. April 2014; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 2. Februar 2015).
1.3. A.________ erhebt am 5. März 2015 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sowie subsidiäre Verfassungsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Niederlassungsbewilligung nicht zu widerrufen; eventualiter sei eine Verwarnung auszusprechen und der Widerruf anzudrohen.
Das Verwaltungsgericht, die Polizei- und Militärdirektion und das Staatssekretariat für Migration (SEM) schliessen auf Abweisung der Beschwerde; der Migrationsdienst des Kantons Bern hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Der Beschwerdeführer hat am 2. Juni 2015 repliziert.
Mit Präsidialverfügung vom 7. März 2015 ist der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung zuerkannt worden.
2.
2.1. Gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4), weshalb darauf einzutreten ist. Für die ebenfalls erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde bleibt daher kein Raum (Art. 113 BGG). Die Wegweisung ficht der Beschwerdeführer nicht an. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist nicht einzutreten.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, so dass sie im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG mit summarischer Begründung zu erledigen ist.
2.2. Der Beschwerdeführer bestreitet vor Bundesgericht zu Recht nicht mehr, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung nach Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG (SR 142.20) i.V.m. Art. 62 lit. b AuG erfüllt sind. Soweit er in der Replik - abweichend von der Beschwerde - vorträgt, Auslöser des Widerrufs habe das in Kroatien in Abwesenheit gefällte Urteil vom 20. Februar 2003 gebildet, ist er nicht zu hören, zumal das Vorbringen verspätet ist (BGE 132 I 42 E. 3.3.4).
Zu prüfen bleibt die Verhältnismässigkeit der Massnahme im Sinn von Art. 96 AuG. Weil der Beschwerdeführer geschieden ist und seine in der Schweiz lebenden Kinder erwachsen sind, mangelt es an einem Familienleben im Sinn von Art. 8 Ziff. 1 EMRK bzw. Art. 13 BV, welches durch den Widerruf der Bewilligung vereitelt werden könnte.
2.2.1. Ausgangspunkt für das migrationsrechtliche Verschulden ist die vom Strafgericht ausgesprochene Strafe (BGE 134 II 10 E. 4.2 S. 23; 129 II 215 E. 3.1 S. 216). Durch den Zeitablauf seit der Tatbegehung, das Verhalten der ausländischen Person bis zum angefochtenen Urteil und weitere Faktoren kann das öffentliche Interesse an der Wegweisung relativiert oder erhöht werden (Urteil 2C_685/2014 vom 13. Februar 2015 E. 6.1).
Der Beschwerdeführer ist wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Dieses Strafmass indiziert ein erhebliches Verschulden, liegt es doch weit über der Grenze von einem Jahr, welche gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG i.V.m. Art. 62 lit. b AuG für die Möglichkeit des Widerrufs massgeblich ist. Wenn hohe Rechtsgüter wie Leib und Leben oder die sexuelle Integrität betroffen sind, gilt eine strenge Praxis (Urteil 2C_162/2012 vom 12. Oktober 2012 E. 3.2.1).
Seit der Begehung des Verbrechens waren im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils rund 20 Jahre vergangen, was grundsätzlich zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen ist. Indessen wird diese Zeitdauer dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer die Strafe erst im Jahr 2011 angetreten hat. Zwar stellt der Zeitpunkt, in dem die Strafe verbüsst ist, kein eigenständiges Kriterium für die Abwägung der Interessen dar (vgl. für den Kriterienkatalog die Urteile des EGMR M.P.E.V. und andere gegen Schweiz vom 8. Oktober 2014 [3910/13] § 52; Üner gegen Niederlande vom 18. Oktober 2006 [46410/99] § 57). Liegen jedoch - wie hier - Tatbegehung und Strafantritt 16 Jahre auseinander, soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Strafsache erst seit Kurzem abgeschlossen ist.
Das migrationsrechtliche Verschulden wird erhöht durch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer immer wieder delinquiert hat. Durch die Begehung der teils schweren Verkehrsregelverletzungen hat er wiederholt die Sicherheit anderer Menschen gefährdet. Seine deliktische Laufbahn lässt eine bedenkliche Geringschätzung der hiesigen Rechtsordnung erkennen.
Die Vorinstanz hat schliesslich zu Recht auf die instabile finanzielle Situation des Beschwerdeführers hingewiesen: Gemäss dem Betreibungsregisterauszug vom 19. März 2014 bestanden Betreibungen im Umfang von Fr. 16'130.10 und offene Verlustscheine von insgesamt Fr. 140'915.80. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers liegt kein öffentliches Interesse darin, ihm die Niederlassungsbewilligung zwecks Schuldentilgung zu belassen. Das Risiko, dass weitere Schulden angehäuft würden, ist real; jedenfalls hat der Beschwerdeführer den Nachweis der Schuldentilgung nicht erbracht.
Gesamthaft lassen die Art und Schwere der verfahrensauslösenden Strafe, die zusätzliche Delinquenz sowie die Anhäufung von Schulden das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts als erheblich erscheinen.
Bei dieser Ausgangslage ist auf das seit 2010 hängige Strafverfahren betreffend den Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung, der Widerhandlung gegen das Ausländergesetz und gegen das Waffengesetz nicht näher einzugehen. Wie die Vorinstanz festhält, kann sich der Beschwerdeführer diesbezüglich auf die Unschuldsvermutung gemäss Art. 32 Abs. 1 BV berufen. Der am 19. März 2015 ergangene Strafbefehl wegen Vergehens gegen das Waffengesetz ist als echtes Novum unbeachtlich (vgl. BGE 139 III 120 E. 3.1.2). Das Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Anwesenheit in der Schweiz sei für den Abschluss der Strafuntersuchung notwendig und liege daher im öffentlichen Interesse, beschlägt lediglich die festzusetzende Ausreisefrist.
2.2.2. Das private Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz ist eher gering:
Er kam erst im Alter von 50 Jahren in die Schweiz und verbrachte bis zu seiner Überstellung nach Kroatien ungefähr acht Jahre und neun Monate hier. Die restlichen rund 16 Monate bis zum angefochtenen Urteil entfallen auf die aufschiebende Wirkung der gegen den Widerruf eingelegten Rechtsmittel. Diese Zeitspanne ist zwar in die Interessenabwägung einzubeziehen; aufgrund der Tatsache, dass der Aufenthalt nur noch dank der aufschiebenden Wirkung der Rechtsmittel bestanden hat, kommt ihr jedoch eine geringere Bedeutung zu. Insgesamt und insbesondere gemessen an der im Ausland verbrachten Zeit ist die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in der Schweiz nicht als besonders lang zu werten.
Die Integration des Beschwerdeführers in die schweizerischen Verhältnisse ist mässig. Zwar hat er nie Sozialhilfe bezogen und war - soweit ersichtlich - die meiste Zeit erwerbstätig. Die hohen Schulden und die wiederholte Delinquenz fallen jedoch zu seinen Ungunsten ins Gewicht. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, welche auf vertiefte soziale oder berufliche Beziehungen zur Schweiz schliessen liessen.
2.3. Zusammenfassend überwiegen die öffentlichen Interessen am Widerruf der Bewilligung die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz deutlich. Demgemäss besteht kein Raum für eine Verwarnung im Sinn von Art. 96 Abs. 2 AuG.
3.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist abzuweisen. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist nicht einzutreten. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.
2.
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. November 2015
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Die Gerichtsschreiberin: Genner