BGer 2C_982/2014
 
BGer 2C_982/2014 vom 01.09.2015
{T 0/2}
2C_982/2014
 
Urteil vom 1. September 2015
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz,
nebenamtlicher Bundesrichter Camenzind,
Gerichtsschreiber Wyssmann.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________ Suisse SA,
vertreten durch Baker & McKenzie Geneva, Avocats,
Beschwerdeführerin,
gegen
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Mehrwertsteuer (Finanzierung über eine Zweckgesellschaft),
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 18. September 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
A.a. Die A.________ Suisse SA mit Sitz in U.________ (nachfolgend: die Steuerpflichtige) betreibt das Leasinggeschäft mit Motorfahrzeugen. Sie gehört zur international tätigen B.________ Financial Group (früher A.________ Group) und ist seit 1. Januar 1995 als Mehrwertsteuerpflichtige eingetragen.
A.b. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 unterbreitete die Steuerpflichtige der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) den folgenden Sachverhalt zur Prüfung der mehrwertsteuerlichen Folgen:
A.c. Nach Ansicht der Steuerpflichtigen ergäben sich aus dem dargestellten Sachverhalt mehrwertsteuerrechtlich die folgenden Konsequenzen:
A.d. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2011 nahm die ESTV zur Anfrage wie folgt Stellung:
A.e. Die Steuerpflichtige bestritt, dass die von ihr aus dem Servicevertrag zu erbringenden Dienstleistungen (vgl. Sachverhalt B.b lit. b hiervor) steuerbar seien. Es handle sich in wirtschaftlicher Hinsicht um Dienstleistungen an sich selber oder als Nebenleistungen im Zusammenhang mit der von der Steuer ausgenommenen Finanzierungsdienstleistung.
 
B.
 
C.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) eingereicht und richtet sich gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG) des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Urteil berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig.
1.2. Mit der Beschwerde können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Trotz Rechtsanwendung von Amtes wegen prüft das Bundesgericht grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (Art. 42 BGG; BGE 140 III 115 E. 2 S. 116). Eine Verletzung von Grundrechten im Sinne von Art. 106 Abs. 2 BGG wird vorliegend nicht geltend gemacht.
1.3. Grundlage der Entscheidung bildet der von der Beschwerdeführerin zur Beurteilung unterbreitete Sachverhalt. Anwendung findet das totalrevidierte neue Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG; SR 641.20).
 
2.
 
3.
3.1. Der Inlandsteuer (Art. 1 Abs. 2 lit. a MWSTG) unterliegen die im Inland durch steuerpflichtige Personen gegen Entgelt erbrachten Leistungen. Diese sind steuerbar, soweit das Gesetz keine Ausnahme vorsieht (Art. 18 Abs. 1 MWSTG). Gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 MWSTG sind verschiedene im Gesetz aufgeführte Umsätze im Bereich des Geld- und Kapitalverkehrs von der Besteuerung ausgenommen. Dazu zählen gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. a MWSTG u.a. die Gewährung und die Vermittlung von Krediten sowie die Verwaltung von Krediten durch Kreditgeber. Ferner gehören dazu auch die Vermittlung und Übernahme von Verbindlichkeiten, Bürgschaften und anderen Sicherheiten und Garantien sowie die Verwaltung von Kreditsicherheiten (Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. b MWSTG) sowie Umsätze, einschliesslich Vermittlung, im Einlagegeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Geldforderungen, Checks und anderen Handelspapieren (Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. c MWSTG). Unter das Kreditgeschäft fallen nicht nur die Gewährung von Darlehen oder die Einräumung von Kontokorrent- und Hypothekarkrediten, sondern auch verschiedene Spezialfälle der Kreditvergabe wie z.B. die Sicherungsübereignung, das Factoring oder Sale-and-lease-back-Geschäfte im Rahmen von Leasingverträgen (so ausdrücklich Art. 2 Abs. 2 und 3 Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 [MWSTV; SR 641.201]; Camenzind/Honauer/Vallender/Jung/ PROBST, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz, 3. Aufl. 2012, Rz. 711 ff., 1224 ff., 1514 ff. ).
3.2. Leistungen sind entweder Lieferungen oder Dienstleistungen. Eine Lieferung liegt (u.a.) vor, wenn die Befähigung verschafft wird, im eigenen Namen über einen Gegenstand wirtschaftlich zu verfügen, oder beim Überlassen eines Gegenstandes zum Gebrauch oder zur Nutzung (Art. 3 lit. d Ziff. 1 und 3 MWSTG). Eine Dienstleistung ist jede Leistung, die keine Lieferung ist (Art. 3 lit. e MWSTG).
 
4.
4.1. Gemäss der Kauf- und Zessionsvereinbarung ( 
4.2. Im Übrigen verbleibt das Leasinggeschäft vollumfänglich bei der Beschwerdeführerin. Einzelheiten regelt die zwischen der Beschwerdeführerin und der Zweckgesellschaft abzuschliessende Dienstleistungsvereinbarung ( 
4.3. Mit der Abtretung der Aktiven verfolgt die Beschwerdeführerin somit den Zweck, der C.________ GmbH die nötigen Sicherheiten zu verschaffen, die sie für die Begebung der variablen Finanzierungsanleihe benötigt (Variable Funding Note). Dem gleichen Zweck dient auch das von der Beschwerdeführerin der Zweckgesellschaft eingeräumte nachrangige Darlehen. Eine Lieferung setzt voraus, dass der Empfänger über den Gegenstand wirtschaftlich verfügen oder diesen gebrauchen und nutzen darf (Art. 3 lit. d Ziff. 1 und 3 MWSTG). Das ist bei der vorliegenden Übertragung von Aktiven nicht der Fall. Die Übertragung erfolgt vielmehr zur Sicherung der Finanzierung der Beschwerdeführerin. Solche Sicherungsübereignungen stellen nach der Rechtsprechung keine Lieferungen dar (vorstehende E. 3.3). Eine Lieferung der Beschwerdeführerin an die Zweckgesellschaft als Hauptleistung scheidet somit aus. Davon, dass die Beschwerdeführerin aufgrund des unterbreiteten Sachverhalts keine Lieferungen erbringt, gehen auch Beschwerdeführerin und Eidgenössische Steuerverwaltung aus.
4.4. In Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist demnach davon auszugehen, dass es sich beim vorliegenden Rechtsgeschäft nicht um eine steuerbare Lieferung handelt, sondern um ein Finanzierungsgeschäft, das mit den übertragenen Aktiven abgesichert werden soll. Als Hauptleistungen erscheinen die Finanzierungsleistungen zu Gunsten der Beschwerdeführerin. Leistungserbringerin ist die Zweckgesellschaft. Es handelt sich bei diesen Leistungen um von der Steuer ausgenommene Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 MWSTG. Um welche Art von Finanzierungsgeschäft es vorliegend geht, d.h. feste Forderungsabtretung mit Sicherungsübereignung oder Kreditgewährung, kann offen bleiben, zumal solche Leistungen als Umsätze im Bereich des Geld- und Kapitalverkehrs auf jeden Fall von der Steuer ausgenommen sind ohne Möglichkeit der Option (vgl. Art. 21 Abs. 2 Ziff. 19 lit. a und b, Art. 22 Abs. 2 lit. a MWSTG und dazu vorn E. 3.2). Auch das ist unter den Parteien nicht umstritten.
 
5.
5.1. Zum Einwand der Beschwerdeführerin, dass es sich um Nebenleistungen zur Übertragung des Leasinggeschäfts handle, ergibt sich Folgendes:
5.1.1. Art. 19 MWSTG behandelt die Frage der Mehrheit von Leistungen. Grundsätzlich sind voneinander unabhängige Leistungen selbständig zu behandeln (Abs. 1). Leistungen, die wirtschaftlich zusammengehören und so ineinander greifen, dass sie als ein unteilbares Ganzes anzusehen sind (sog. Leistungskomplexe), gelten demgegenüber als ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang und sind nach dem Charakter der Gesamtleistung zu behandeln (Abs. 3). Nebenleistungen, d.h. Leistungen, die mit der Hauptleistung wirtschaftlich eng verbunden sind, folgen dem Schicksal der Hauptleistung und werden gleich behandelt wie diese (Art. 19 Abs. 4 MWSTG; zum Ganzen, vgl. Alois Camenzind, Einheitlichkeit der Leistung im Mehrwertsteuerrecht, in: IFF-Forum für Steuerrecht 2004, S. 240 ff., insb. Ziff. 2.2 ff. und 6.3 mit weiteren Hinweisen; Felix Geiger, in: Geiger/Schluckebier, MWSTG Kommentar, 2012, N. 1 ff. zu Art. 19 MWSTG 2009).
5.1.2. Hauptleistung bei Finanzierungsgeschäften mit Sicherungsübereignung ist nicht die Sicherungsübereignung, sondern die Finanzierungsleistung. Auch wenn die Beschwerdeführerin die Aktiven zugunsten der Zweckgesellschaft verkauft, liegt wirtschaftlich aus Sicht der Mehrwertsteuer keine Lieferung, sondern eine Sicherungsübereignung vor (vorstehende E. 3.3). Kommt man vorliegend zum Ergebnis, dass die geplante Transaktion der Finanzierung der Beschwerdeführerin dient und die Aktiven bei der Beschwerdeführerin verbleiben, die auch das Leasinggeschäft fortführt (vorstehende E. 4.1 f.), ist von der Finanzierungsleistung als Hauptleistung auszugehen. Diese wird aber nicht durch die Beschwerdeführerin erbracht, sondern durch die Zweckgesellschaft. Mit Bezug auf die Servicedienstleistungen werden demgegenüber die Leistungen von der Beschwerdeführerin an die Zweckgesellschaft erbracht. Handelt es sich demnach um Leistungen, die von unterschiedlichen Leistungserbringern ausgehen, kann nicht von einer Haupt- und einer Nebenleistung gesprochen werden, weil eine Nebenleistung per definitionem nur als gleichgerichtete Leistung zur Hauptleistung vorkommen kann.
5.1.3. Da die Berufung auf eine Nebenleistung schon aus diesem Grund nicht durchdringt, kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen für die Qualifikation als Nebenleistung (Art. 19 MWSTG) erfüllt wäre.
5.2. Zur Frage, ob es sich bei den von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Leasinggeschäft zu erbringenden Leistungen um Leistungen an sich selber handelt (sog. Innenleistungen), ergibt sich Folgendes:
5.2.1. Steuerobjekt der Inlandsteuer sind die von steuerpflichtigen Personen gegen Entgelt erbrachten Leistungen (Art. 18 Abs. 1 MWSTG). Damit von einer mehrwertsteuerlich massgebenden Leistung gesprochen werden kann wird die Einräumung eines wirtschaftlichen Wertes an eine Drittperson in Erwartung eines Entgelts verlangt (Art. 3 lit. c MWSTG). Eine Leistung im Sinne von Art. 3 lit. c MWSTG liegt nur dann vor, wenn mehrere Beteiligte vorhanden sind. Andernfalls spricht man von reinen Innenleistungen oder von Leistungen an sich selbst (Camenzind et al., a.a.O., N. 612 ff.; Geiger, a.a.O., N. 18 zu Art. 3 MWSTG 2009).
5.2.2. Im vorliegenden Fall erbringt die Beschwerdeführerin ihre Serviceleistungen im Zusammenhang mit dem Leasinggeschäft gegenüber der Zweckgesellschaft, welche der Beschwerdeführerin hierfür eine Entschädigung (Servicing Fee von 1 %) bezahlt. Vertragliche Grundlage bildet das Servicing Agreement zwischen der Beschwerdeführerin und der Zweckgesellschaft. Damit liegt eine Leistung gegen Entschädigung an eine Drittperson vor und ist diese grundsätzlich steuerpflichtig. Mit Art. 26 MWSTG wird zudem festgehalten, dass auch das "Erbringen von Leistungen an eng verbundene Personen" als Leistungsverhältnis gilt. Selbst wenn die Zweckgesellschaft als mit der Beschwerdeführerin eng verbunden betrachtet werden müsste, ist somit von einem Leistungsaustausch auszugehen. Von Innenleistungen kann nicht die Rede sein.
 
6.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. 
2. 
3. 
Lausanne, 1. September 2015
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Der Gerichtsschreiber: Wyssmann