BGer 6B_271/2015
 
BGer 6B_271/2015 vom 26.08.2015
{T 0/2}
6B_271/2015, 6B_313/2015
 
Urteil vom 26. August 2015
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Schär.
 
Verfahrensbeteiligte
6B_313/2015
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Felder,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin,
und
6B_271/2015
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Felder,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
6B_313/2015
Totschlag (Art. 113 StGB), Mord (Art. 112 StGB),
6B_271/2015
Verminderung der Schuldfähigkeit; Willkür,
Beschwerden gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 12. November 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
D.
 
Erwägungen:
 
1.
 
2.
 
2.1.
2.2. Art. 113 StGB privilegiert nicht nur den Täter, der sich in einer akuten Konfliktsituation befindet und sich in einer einfühlbaren, heftigen Gemütsbewegung wie beispielsweise Jähzorn, Wut, Eifersucht, Verzweiflung oder Angst dazu hinreissen lässt, einen anderen Menschen zu töten. Die genannte Bestimmung berücksichtigt auch andere Situationen, in denen die zu einer Tötung führende Gemütslage in vergleichbarer Weise als entschuldbar angesehen werden kann. Erfasst werden chronische seelische Zustände, ein psychischer Druck, der während eines langen Zeitraums kontinuierlich anwächst und zu einem langen Leidensprozess bis zur völligen Verzweiflung führt. Mit der Privilegierung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Täter auf Grund seines emotionalen Erregungszustands im Moment der Tötungshandlung nur noch beschränkt in der Lage war, sein Verhalten zu kontrollieren.
2.2.1. Die Vorinstanz prüft zunächst eine Subsumtion der Tat unter Art. 113 StGB. Sie erwägt, der Beschwerdeführer habe unter dem Einfluss eines plötzlich eingetretenen Affektsturms aus Wut und Eifersucht gehandelt. Sie bejaht aus diesem Grund das Vorliegen einer heftigen Gemütsbewegung im Sinne von Art. 113 StGB. Da dem Affektsturm eine seit längerem andauernde und sich auf die Tat hin zuspitzende Konfliktlage vorausgegangen sei, welche eine akute Belastungsstörung schweren Grades zur Folge gehabt habe, liege auch eine grosse seelische Belastung im Sinne von Art. 113 StGB vor. Hinsichtlich der Entschuldbarkeit gelangt die Vorinstanz zum Schluss, ein vernünftiger Mensch hätte sich unter vergleichbaren Umständen ernsthaft darauf gefasst machen müssen, dass das Ende der Beziehung sowie der Auszug aus der Wohnung mit grosser Wahrscheinlichkeit unausweichlich sein würden. Der Beschwerdeführer hätte sich auf diese Eventualität einstellen und die Situation meistern müssen. Dass er diese nicht richtig eingeschätzt habe, sei auf seine narzisstischen Persönlichkeitszüge in Kombination mit seinen psychischen Störungen zurückzuführen. Konfliktsituationen, die ihren Ursprung schwergewichtig in narzisstischen Persönlichkeitszügen hätten, würden nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung als überwiegend selbstverschuldet gelten. Der Beschwerdeführer sei demnach nicht durch von seinem Willen unabhängige äussere Umstände in eine Konfliktsituation hineingezwungen worden. Dass das Opfer C.________ anrief bzw. mit ihr das Wochenende zu verbringen beabsichtigte, stelle keine dem Opfer vorwerfbare Provokation dar. Das Tatbestandsmerkmal der Entschuldbarkeit sei nicht erfüllt.
2.2.2. Soweit der Beschwerdeführer in Zusammenhang mit der Belastungssituation geltend macht, die Vorinstanz habe die Gesamtumstände, insbesondere das Mitverschulden von C.________ und des Opfers nicht hinreichend berücksichtigt, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz stellt vorab sowohl die Vorgeschichte als auch die Beziehungen der drei Beteiligten zueinander ausführlich dar. Dabei berücksichtigt sie sämtliche vom Beschwerdeführer erwähnten Problembereiche (Wohn- und Beziehungssituation, Aufenthaltsstatus). Aus dem angefochtenen Entscheid geht auch hervor, dass der Beschwerdeführer in gewissem Masse abhängig von C.________ war. Die Vorinstanz zeigt schliesslich auf, inwiefern es seitens des Beschwerdeführers zu Frustrationen und Kränkungen kam. Im Rahmen der Prüfung des Totschlagstatbestands wiederholt sie diese Ausführungen nicht, setzt sie allerdings voraus. Soweit sind die vorinstanzlichen Erwägungen nicht zu beanstanden. Ob die beschriebene Situation als grosse seelische Belastung im Sinne von Art. 113 StGB oder lediglich als gewöhnliche seelische Belastung zu qualifizieren ist, kann offenbleiben, da jedenfalls die Entschuldbarkeit nicht gegeben ist. Diese prüft das Bundesgericht als Rechtsfrage mit voller Kognition (vgl. Urteil 6S.384/2000 vom 31. Oktober 2000 E. 4b). Diesbezüglich ist festzuhalten, dass C.________ den Beschwerdeführer aufgefordert hatte, aus ihrer Wohnung auszuziehen. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, es treffe nicht zu, dass er die Beziehungs- und Wohnsituation nicht richtig eingeschätzt habe, ist auf die verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) abzustellen. Demnach erkundigte er sich zwar bei seiner vormaligen Vermieterin nach einer Wohnmöglichkeit. Den Glauben an eine gemeinsame Zukunft mit C.________ gab er allerdings nie auf, obwohl eine solche höchst unsicher schien und das Beziehungsende absehbar war. Unter diesen Umständen ist die vorinstanzliche Schlussfolgerung, ein vernünftiger Mensch hätte sich ernsthaft darauf gefasst machen müssen, dass das Ende der Beziehung sowie ein Auszug aus der Wohnung mit grosser Wahrscheinlichkeit unausweichlich sein würden, nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz stellt fest, die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Situation falsch eingeschätzt habe, sei schwergewichtig auf seine narzisstischen Persönlichkeitszüge sowie auf seine psychischen Probleme zurückzuführen. Dabei stellt sie die narzisstischen Persönlichkeitszüge als Ursache für das Ausmass der Konfliktsituation in den Vordergrund. Diese waren, wie dem angefochtenen Urteil implizit zu entnehmen ist, vorbestehend und somit nicht eine Folge der Belastungssituation. Die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers sind daher nicht stichhaltig. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gelten Belastungssituationen, welche auf narzisstische Persönlichkeitszüge respektive einen dadurch verstärkten Egoismus zurückzuführen sind, nicht als äussere, vom Willen des Täters unabhängige Umstände (vgl. BGE 119 IV 202 E. 2b). In diesem Sinne ist die Entschuldbarkeit zu verneinen. Die Vorinstanz berücksichtigt die psychischen Aspekte zutreffend im Rahmen der Strafzumessung (vgl. Urteil 6B_158/2010 vom 1. April 2010 E. 3.1.2 mit Hinweisen).
2.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, die vom Gesetz geforderte besondere Skrupellosigkeit im Sinne von Art. 112 StGB sei in seinem Fall entgegen der im angefochtenen Entscheid vertretenen Auffassung nicht gegeben. Damit ist die Abgrenzung zwischen vorsätzlicher Tötung und Mord strittig.
2.3.1. Eine vorsätzliche Tötung ist als Mord zu qualifizieren, wenn der Täter besonders skrupellos handelt, namentlich wenn sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich sind (Art. 112 StGB). Mord zeichnet sich nach der Rechtsprechung durch eine aussergewöhnlich krasse Missachtung fremden Lebens bei der Durchsetzung eigener Absichten aus. Es geht um die besonders verwerfliche Auslöschung eines Menschenlebens. Für die Qualifikation verweist das Gesetz in nicht abschliessender Aufzählung auf äussere (Ausführung) und innere Merkmale (Beweggrund, Zweck). Diese müssen nicht alle erfüllt sein, um Mord anzunehmen. Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung der äusseren und inneren Umstände der Tat. Eine besondere Skrupellosigkeit kann beispielsweise entfallen, wenn das Tatmotiv einfühlbar und nicht krass egoistisch war, so etwa, wenn die Tat durch eine schwere Konfliktsituation ausgelöst wurde. Für Mord typische Fälle sind die Tötung eines Menschen zum Zwecke des Raubes, Tötungen aus religiösem oder politischem Fanatismus oder aus Geringschätzung. Die für eine Mordqualifikation konstitutiven Elemente sind jene der Tat selber, während Vorleben und Verhalten nach der Tat nur heranzuziehen sind, soweit sie tatbezogen sind und ein Bild der Täterpersönlichkeit geben (BGE 141 IV 61 E. 4.1; 127 IV 10 E. 1a; je mit Hinweisen).
2.3.2. Konkret bringt der Beschwerdeführer vor, sein Tatmotiv sei nicht krass egoistisch gewesen. Ausserdem berücksichtige die Vorinstanz zu wenig, dass er im Affekt gehandelt habe, weshalb er nicht mehr fähig gewesen sei, bewusste Entscheidungen zu treffen. Schliesslich sei die Tat weder geplant noch heimtückisch gewesen.
2.3.3. Gemäss Vorinstanz griff der Beschwerdeführer das ahnungs- und wehrlose Opfer unvermittelt an, als dieses im Auto sass und auf C.________ wartete. Die Vorgehensweise ist nicht in dem Sinne als heimtückisch zu bezeichnen, als dass der Beschwerdeführer das Opfer durch List oder mittels eines Hinterhalts in das Auto gelockt hätte. Dennoch können das Ausnutzen besonderer Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers die Tat als besonders skrupellos erscheinen lassen (vgl. Urteil 6B_55/2015 vom 7. April 2015 E. 2.1 mit Hinweisen). Weiter ging der Beschwerdeführer mit erheblicher Brutalität vor. Er stach zahlreiche Male mit grosser Wucht auf das Opfer ein. Dieses wies 34 scharfe Schnitt- und Stichverletzungen und 22 auf stumpfe Gewalt zurückzuführende Verletzungen auf. Eine Stichverletzung führte gar zur Eröffnung (Durchstich) der rechten Herzkammer. Dabei ging er mit ausserordentlicher Entschiedenheit vor. Er stach dem Opfer gezielt in den Oberkörper und den Hals. Nach einer ersten Angriffsserie attackierte er das bereits schwer verletzte Opfer, als dieses aus dem Auto gestiegen war, von neuem und führte die Tat zu Ende. Die Feststellung der Vorinstanz, wonach die Tatausführung besonders verwerflich war, ist nicht zu beanstanden. Dass der Beschwerdeführer in einem Affekt handelte, berücksichtigt sie zutreffend im Rahmen der Strafzumessung.
 
3.
 
4.
 
5.
5.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 139 III 334 E. 3.2.5; 138 I 49 E. 7.1; je mit Hinweisen) oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge muss klar vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 139 II 404 E. 10.1; je mit Hinweisen).
5.2. Gemäss dem psychiatrischen Gutachten von Dr. med. F.________ vom 6. Dezember 2012 ist nicht klar, ob die Affektüberflutung zum Zeitpunkt eintrat, als der Beschwerdegegner das Telefonat zwischen C.________ und dem späteren Opfer mithörte (Tathypothese A) oder als er mit dem Opfer am Bahnhof zusammentraf und allenfalls dort noch in einen zusätzlichen Konflikt mit diesem geriet (Tathypothese B).
5.3. Die Vorinstanz erwägt, selbst wenn die Tat nicht geplant gewesen sei, habe sich der Beschwerdegegner vor der Tatausführung Gedanken zur Vorgehensweise gemacht. Er habe das Messer mit einer bestimmten Zielsetzung an sich genommen. Angesichts der erwiesenen konkreten Tatausführung (Aufreissen der Autotür und sofortiges Zustechen) sei allerdings von Tathypothese A auszugehen.
5.4. Die Oberstaatsanwaltschaft wendet ein, die Tathypothese A sei offensichtlich unrichtig. Nach den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen sei der Beschwerdegegner aufgrund des erwähnten Telefonats in einen Affektsturm aus Wut und Eifersucht geraten. Er habe das Tatmesser ergriffen und sei damit zum Bahnhof gefahren. Dort habe er das überraschte Opfer ohne Vorwarnung mit massivster Gewalt angegriffen. Der Beschwerdegegner habe das Messer demnach mit einer bestimmten Zielsetzung an sich genommen. Gestützt auf diese sachverhaltliche Ausgangslage könne nun aber nicht von Tathypothese A ausgegangen werden, wonach die Tat relativ ungeplant abgelaufen sei, denn der Tatablauf habe einige motorische und planerische Fähigkeiten abverlangt. Die Vorinstanz weiche mit den erwähnten Ausführungen ohne erkennbaren Grund und mit einer offensichtlich widersprüchlichen Argumentation vom Gutachten ab. Sie verletze zudem ihre Begründungspflicht.
5.5. Die Feststellungen der Vorinstanz, der Beschwerdegegner habe das Messer mit einer bestimmten Zielsetzung ergriffen und die Tat habe eine gewisse Planung erfordert, sind mit dem Gutachten respektive der dort erwähnten Tathypothese A ohne Weiteres vereinbar. Die Vorinstanz geht bei ihren Ausführungen im Grunde davon aus, die Planungs- und Steuerungsfähigkeit sei im für die Tatausführung erforderlichen Mass erhalten geblieben. Dies ergibt sich auch aus dem Gutachten, wonach die Steuerungsfähigkeit bei Tathypothese A zwar eingeschränkt, jedoch nicht vollständig aufgehoben war. Die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen sind damit nicht willkürlich. Weiter verwirft die Vorinstanz Tathypothese B aufgrund des von ihr festgestellten Tathergangs. Der in Zusammenhang mit der Tathypothese B erwähnte Geschehensablauf, wonach der Beschwerdegegner das Opfer zunächst stellte und anschliessend aufgrund eines eskalierenden Konflikts auf dieses losging, ist nach den vorinstanzlichen Feststellungen nicht erstellt. Vielmehr geht die Vorinstanz davon aus, der Beschwerdegegner habe sich nach Eintreffen am Bahnhof zum Fahrzeug des Opfers begeben, die Autotüre aufgerissen und sei unvermittelt zum Angriff übergegangen. Diese Sachverhaltsfeststellungen sind einerseits nicht offensichtlich unrichtig und andererseits mit der Tathypothese A vereinbar. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht. Eine Verletzung der Begründungspflicht ist ebenfalls nicht ersichtlich.
 
6.
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Verfahren 6B_271/2015 und 6B_313/2015 werden vereinigt.
2. Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
3. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im Verfahren 6B_313/2015 wird gutgeheissen.
4. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
5. Dem Anwalt des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Michael Felder, wird für das Verfahren 6B_313/2015 aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- ausgerichtet.
6. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, und Rechtsanwältin Katja Fehrlin, Winterthur, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. August 2015
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Schär