BGer 4A_147/2015
 
BGer 4A_147/2015 vom 15.07.2015
{T 0/2}
4A_147/2015
 
Urteil vom 15. Juli 2015
 
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett,
Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Hurni.
 
Verfahrensbeteiligte
A.D.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans M. Weltert,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Bolzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Organisationsmängelverfahren,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 29. Januar 2015.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
B.a. Mit Gesuch vom 12. September 2014 stellte A.D.________ dem Bezirksgericht Luzern gestützt auf Art. 731 b Abs. 1 Ziff. 2 OR folgende Rechtsbegehren gegen die B.________ AG:
B.b. Mit Berufung vom 24. November 2014 beantragte die Gesuchstellerin dem Kantonsgericht Luzern die Aufhebung des bezirksgerichtlichen Entscheids und wiederholte ihre erstinstanzlich gestellten Begehren.
 
C.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden Rechtsmittelentscheid eines oberen kantonalen Gerichts (Art. 75 BGG), ist innert der Beschwerdefrist (Art. 100 BGG) von der mit ihren Rechtsbegehren unterlegenen Partei (Art. 76 BGG) eingereicht worden und bei der Streitsache handelt es sich um eine Zivilsache (Art. 72 BGG) mit einem Streitwert von über Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).
1.2. Die Beschwerdebefugnis setzt ein aktuelles und praktisches Interesse an der Gutheissung der Beschwerde voraus, das auch im Zeitpunkt des bundesgerichtlichen Urteils noch vorhanden sein muss (vgl. BGE 131 I 153 E. 1.2 S. 157; 120 II 5 E. 2a). Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn die gerügte Rechtsverletzung sich jederzeit wiederholen könnte und eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (BGE 140 III 92 E. 1.1 S. 94; 139 I 206 E. 1.1 S. 208).
1.3. Da die Beschwerde in Zivilsachen ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 107 Abs. 2 BGG), ist grundsätzlich ein materieller Antrag erforderlich; Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung oder blosse Aufhebungsanträge genügen nicht und machen die Beschwerde unzulässig (BGE 133 III 489 E. 3.1 S. 489 f.).
1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den Lebenssachverhalt, der dem Streitgegenstand zugrunde liegt, als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt, namentlich die Anträge der Parteien, ihre Tatsachenbehauptungen, rechtlichen Erörterungen, Prozesserklärungen und Beweisvorbringen, der Inhalt einer Zeugenaussage, einer Expertise oder die Feststellungen anlässlich eines Augenscheins (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Partei, welche die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz anfechten will, muss klar und substanziiert aufzeigen, inwiefern diese Voraussetzungen erfüllt sein sollen (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18). Soweit sie den Sachverhalt ergänzen will, hat sie zudem mit Aktenhinweisen darzulegen, dass sie entsprechende rechtsrelevante Tatsachen und taugliche Beweismittel bereits bei den Vorinstanzen prozesskonform eingebracht hat (BGE 140 III 86 E. 2 S. 90). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Auf eine Kritik an den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die diesen Anforderungen nicht genügt, ist nicht einzutreten (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18; 133 II 249 E. 1.4.3).
1.5. Die Beschwerdeführerin verkennt die aufgeführten Grundsätze in verschiedener Hinsicht. Sie stellt in einer Sachverhaltsübersicht, die sie ihren rechtlichen Vorbringen voranstellt, die Hintergründe der Streitsache und des Verfahrens aus eigener Sicht dar und kritisiert dabei - wie auch in ihrer weiteren Beschwerdebegründung - unter Verweis auf verschiedene Aktenstücke des kantonalen Verfahrens die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid, ohne substanziiert Ausnahmen von der Sachverhaltsbindung geltend zu machen. Die entsprechenden Ausführungen haben unbeachtet zu bleiben.
 
2.
 
2.1.
2.1.1. Gemäss dem im Abschnitt über "Mängel in der Organisation der Gesellschaft" eingeordneten Art. 731b OR kann ein Aktionär, ein Gläubiger oder der Handelsregisterführer dem Richter beantragen, die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, falls der Gesellschaft eines der vorgeschriebenen Organe fehlt oder eines dieser Organe nicht rechtmässig zusammengesetzt ist (Abs. 1 Ingress). Der Richter kann insbesondere der Gesellschaft unter Androhung ihrer Auflösung eine Frist ansetzen, binnen derer der rechtmässige Zustand wieder herzustellen ist (Abs. 1 Ziff. 1), das fehlende Organ oder einen Sachwalter ernennen (Abs. 1 Ziff. 2) oder die Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs anordnen (Abs. 1 Ziff. 3).
2.1.2. Zum Anwendungsbereich der nicht rechtsgenügenden Zusammensetzung des Organs zählen vor allem Fälle des Fehlens der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Mitglieder der Organe (z.B. des Verwaltungsratspräsidenten gemäss Art. 712 Abs. 1 OR), der mangelnden Unabhängigkeit bzw. Befähigung der Revisionsstelle (v.a. Art. 727b und 728 OR) oder der Nichterfüllung der gesetzlichen Wohnsitzerfordernisse (Art. 718 Abs. 4 und Art. 730 Abs. 4 OR). Eine nicht rechtsgenügende Zusammensetzung liegt aber etwa auch dann vor, wenn ein gesetzlich vorgeschriebenes Organ nicht mehr handlungsfähig ist, so z.B. wenn aufgrund einer andauernden Pattsituation im Verwaltungsrat die Führung der Gesellschaft dauerhaft unmöglich geworden ist (BGE 140 III 349 E. 2.1 S. 351; Urteil 4A_522/2011 vom 13. Januar 2012 E. 2.3 unter Hinweis auf die Botschaft vom 19. Dezember 2001 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht], BBl 2002, S. 3232).
2.1.3. Art. 731b Abs. 1 OR gibt dem Gericht einen Ermessensspielraum, um eine mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalles angemessene und verhältnismässige Massnahme treffen zu können (BGE 138 III 407 E. 2.4 S. 409, 294 E. 3.1.4 S. 298, 166 E. 3.5 S. 170; 136 III 369 E. 11.4.1 S. 371). Bei den in den Ziffern 1-3 von Art. 731b Abs. 1 OR genannten Massnahmen zur Behebung des Organisationsmangels handelt es sich denn auch um einen exemplifikativen, nicht abschliessenden Katalog (BGE 138 III 294 E. 3.1.4 S. 298; 136 III 369 E. 11.4.1 S. 371). Das Gericht kann auch eine in Art. 731b Abs. 1 OR nicht gesetzlich typisierte Massnahme anordnen (vgl. BGE 138 III 294 E. 3.3.3 S. 303 f.), wie etwa die Abberufung von Verwaltungsräten (Urteil 4A_161/2013 vom 28. Juni 2013 E. 2.2.2) oder die Einberufung einer Generalversammlung (Urteil 4A_605/2014 vom 5. Februar 2015). Für den Fall einer blockierten Zweipersonenaktiengesellschaft hat das Bundesgericht schliesslich auf die Möglichkeit einer Übernahme der Aktien des einen Aktionärs durch den anderen im Rahmen einer richterlich angeordneten Versteigerung hingewiesen (BGE 138 III 294 E. 3.3.3 S. 303 f.; vgl. dazu auch die Besprechung von TRAUTMANN/VON DER CRONE, Organisationsmängel und Pattsituation in der Aktiengesellschaft, SZW 5/2012, S. 461 ff., mit weiteren Hinweisen auf mögliche Massnahmen bei Pattsituationen [insb. S. 472 ff.]).
2.2. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung verfügt das kantonale Sachgericht bei Ermessensentscheiden über einen weiten Beurteilungsspielraum. Das Bundesgericht als Höchstgericht und Instanz der reinen Rechtskontrolle überprüft Ermessensentscheide mit Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen. Es greift ausserdem in Ermessensentscheide ein, wenn sich diese als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 136 III 278 E. 2.2.1 S. 279; 135 III 121 E. 2 S. 123 f. mit Hinweisen).
2.3. Die Vorinstanz hat zunächst darauf hingewiesen, dass die Ernennung des fehlenden Organs durch den Richter im Gesetz ausdrücklich vorgesehen sei. Sie hat sodann festgehalten, dass die Parteien sich über die Person des zu ernennenden Verwaltungsrats bzw. über die konkret zu ernennende Revisionsstelle uneinig seien. Während die Beschwerdeführerin F.________ als Verwaltungsrat eingesetzt haben wolle, beantrage die Beschwerdegegnerin die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils, mit dem C.D.________ als einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat eingesetzt wurde.
2.4. Die Beschwerdeführerin trägt in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht wie bereits im Berufungsverfahren mehrere Vorwürfe gegen C.D.________ vor: So habe dieser es damals versäumt, eine Generalversammlung für das Geschäftsjahr 2013 rechtzeitig anzusetzen, worin eine Pflichtverletzung liege. Weiter habe C.D.________ begonnen, die Gesellschaft auszuhöhlen und deren Geschäftstätigkeit auf seine Einzelfirma zu übertragen, u.a. durch die Überleitung von Arbeitsverhältnissen. Zudem habe er als Verwaltungsratspräsident einen Betrag von Fr. 400'000.-- auf sein Privatkonto überweisen lassen. Schliesslich sei nun gegen C.D.________ ein Strafverfahren wegen Vermögensdelikten eingeleitet worden. All dies belege, dass C.D.________ nicht über die nötige Integrität und Unabhängigkeit für einen Verwaltungsrat verfüge; schon aus diesem Grund habe er nicht richterlich als solcher eingesetzt werden dürfen. Die Vorinstanz habe weiter Bundesrecht verletzt, indem sie sich über den Willen der Generalversammlung hinweg gesetzt habe, die C.D.________ abgewählt habe. Dieses Vorgehen stelle zudem einen Ermessensmissbrauch bzw. Willkür dar.
 
2.5.
2.5.1. Diese Einwände verfangen, unabhängig davon, ob sie in sachverhaltlicher Hinsicht überhaupt zutreffen, geschweige denn eine Stütze in den für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) finden, nicht.
2.5.2. Die Frage, ob die Vorinstanz mit C.D.________ ausgerechnet einen der beiden zerstrittenen Aktionäre als Verwaltungsratsmitglied hätte einsetzen dürfen, bleibt damit immer noch offen. Bei dieser handelt es sich aber - da sich die entsprechende Einsetzung im durch Art. 731b Abs. 1 OR eröffneten Ermessensspielraum bewegt - um eine solche der zutreffenden Ermessensausübung, also der 
2.5.3. Da das Bundesgericht als Höchstgericht und Instanz der reinen Rechtskontrolle nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Sachgerichts setzt, ist die Frage nach der Angemessenheit vorliegend indessen nicht zu prüfen (vgl. auch MARCEL SCHÖNBÄCHLER, Die Organisationsklage nach Art. 731b OR, Diss. Zürich, 2013, S. 450 ff.). Die Vorwürfe der Beschwerdeführerin sind - abgesehen von Willkür - nur unter dem Blickwinkel zu beurteilen, ob die Vorinstanz mit der Einsetzung von C.D.________ grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder ob sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen (oben E. 2.2).
2.5.4. Damit erweisen sich die gegen den angefochtenen Entscheid vorgetragenen Rügen als unbegründet bzw. zielen ins Leere. Die Beschwerdeführerin vermag die vorinstanzliche Ermessensausübung nicht als bundesrechtswidrig auszuweisen.
 
3.
 
4.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. 
2. 
3. 
4. 
Lausanne, 15. Juli 2015
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Kiss
Der Gerichtsschreiber: Hurni