BGer 6B_883/2014
 
BGer 6B_883/2014 vom 23.06.2015
{T 0/2}
6B_883/2014
 
Urteil vom 23. Juni 2015
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Andres.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Federspiel,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Mehrfache Vergewaltigung, mehrfache sexuelle Nötigung etc.; Willkür, rechtliches Gehör; Strafzumessung, ambulante Massnahme,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 3. Juli 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
D.
 
Erwägungen:
 
1.
 
2.
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung. Er macht geltend, die Vorinstanz verletze das Willkürverbot, den Grundsatz "in dubio pro reo" sowie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.
2.2. Die Vorinstanz wertet die Aussagen der Ehefrau des Beschwerdeführers zu den sexuellen Übergriffen von 2007 bis am 15. Januar 2011 als glaubhaft. Ihre Schilderungen seien weder übertrieben noch lebensfremd, sondern plausibel und nachvollziehbar. Sie seien zwar teilweise ziemlich pauschal, würden jedoch eine Vielzahl von Realkriterien aufweisen. Die Ehefrau belaste den Beschwerdeführer nicht unnötig und schildere konkrete Ereignisse. Ihre Angaben ständen mit ihrer persönlichen, sehr isolierten und für sie ausweglosen Situation im Zeitpunkt der Taten in Einklang (Urteil S. 17 f.). Die Vorinstanz erachtet auch die belastenden Erstaussagen der Ehefrau zum Vorfall vom 16. Januar 2011 als glaubhaft, während sie die Schilderungen des Beschwerdeführers zum Kerngeschehen als unglaubhaft wertet. Daran ändere nichts, dass die Ehefrau ihre Sachverhaltsdarstellungen später widerrufen habe. Die revidierten Aussagen erschienen konstruiert sowie lebensfremd und als Schutzbehauptung zugunsten des Beschwerdeführers. Sie seien pauschal und darauf ausgerichtet, den Beschwerdeführer in ein möglichst gutes Licht zu rücken. Hinsichtlich ihrer Kleidung während der sexuellen Handlungen deckten sich die Angaben der Ehefrau nun mit jenen des Beschwerdeführers, widersprächen jedoch dem Spurenbild, während ihre ursprünglichen Aussagen mit den Spuren übereinstimmten. Es sei von den ursprünglichen Angaben der Ehefrau auszugehen. Da der Widerruf ihrer Aussage am Ausgang des Verfahrens nichts zu ändern vermöge, erübrige sich eine erneute Befragung der Ehefrau, womit der Beweisantrag des Beschwerdeführers abzuweisen sei (Urteil S. 19 ff.; erstinstanzliches Urteil S. 9 ff.).
2.3. Die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz kann gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür: BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339), oder auf einer Verletzung von schweizerischem Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
2.4. Der Beschwerdeführer setzt sich mit der ausführlichen vorinstanzlichen Aussagen- und Beweiswürdigung nicht auseinander. Er beschränkt sich darauf darzulegen, wie die Beweise aus seiner Sicht richtigerweise zu würdigen wären. Damit erschöpfen sich seine Ausführungen in einer unzulässigen appellatorischen Kritik. So argumentiert er insbesondere, die früheren, belastenden Aussagen der Ehefrau seien "völlig widersprüchlich, übertrieben und lebensfremd", während der Widerruf viel glaubhafter sei. Auch sprächen sowohl die objektiven Spuren und die einvernommenen Zeugen nicht gegen seine Aussagen.
 
3.
3.1. Der Beschwerdeführer kritisiert die rechtliche Würdigung. Die Vorinstanz habe zu Unrecht das Nötigungsmittel des psychischen Drucks bejaht. Er habe keine im Sinne des Gesetzes genügend intensive tatsituative Zwangssituation geschaffen. Auch der subjektive Tatbestand sei nicht erfüllt, da er aufgrund seiner Alkoholisierung nicht habe erfassen können, dass seine Ehefrau mit den sexuellen Handlungen allenfalls nicht einverstanden sei. Er habe sich in einem Sachverhaltsirrtum befunden.
3.2. Die Vorinstanz erwägt, das Leben der Ehefrau sei von Einschüchterungen, Gewalterfahrungen, sozialer Isolation und andauernder Kontrolle durch den Beschwerdeführer geprägt gewesen. Dessen niederschwellige Gewalt habe zu einer Ausweglosigkeit der Ehefrau geführt, die darin gegipfelt habe, dass sie sich gegen seine sexuellen Avancen nicht (mehr) zur Wehr gesetzt, sondern aus Angst jeweils nachgegeben habe. Dies erscheine nachvollziehbar, da die Ehefrau dem Beschwerdeführer regelrecht ausgeliefert gewesen sei. In einem fremden Land und ohne Kenntnisse der Landessprache habe sie keine Möglichkeit gehabt, sich ausserhalb seiner Familie Hilfe zu holen. Hinzu komme, dass er sie, meist infolge seines Alkoholkonsums, fortwährend drangsaliert und nicht nachgegeben habe, bis sie ihn habe gewähren lassen sowie den Geschlechtsverkehr erduldet habe. Die Ehefrau habe immer wieder erkennen lassen, dass sie die sexuellen Handlungen nicht wollte. Sie habe sich verbal gewehrt oder den Beschwerdeführer weggeschubst, worauf dieser ihr gedroht, sie drangsaliert und sie teilweise auch geschlagen habe. Er habe ihren Willen ignoriert. Zwar habe er bei den sexuellen Handlungen keine körperliche Gewalt angewendet. Die von ihm aufgebaute Drohkulisse sei jedoch geeignet gewesen, den Widerstandswillen seiner Ehefrau dauerhaft zu brechen. Der objektive Tatbestand von Art. 190 Abs. 1 und Art. 189 Abs. 1 StGB sei erfüllt (Urteil S. 25 f.).
3.3. Eine sexuelle Nötigung begeht gemäss Art. 189 StGB, wer eine Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. Wer unter den genannten Umständen eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, macht sich nach Art. 190 StGB der Vergewaltigung schuldig.
3.4. Der Schuldspruch wegen mehrfacher Vergewaltigung und mehrfacher sexueller Nötigung verletzt kein Bundesrecht. Es ist grundsätzlich auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz zu verweisen (Urteil S. 19, 25 f.). Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, seine Ehefrau habe sich frei bewegen können und regelmässig Kontakte zu ihrer Familie gehabt, weicht er von den willkürfreien Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz ab (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; Urteil S. 18, 25). Darauf ist nicht einzugehen. Zwischen der Ehefrau und dem Beschwerdeführer bestand nicht lediglich ein allgemeines Abhängigkeitsverhältnis. Auch hat er nicht "nur" vorbestehende soziale Verhältnisse instrumentalisiert (vgl. hierzu BGE 131 IV 107 E. 2.4 S. 110 f.). Vielmehr hat er systematisch den Widerstand seiner Ehefrau gebrochen. Als sie sich anfänglich noch verbal sowie körperlich gegen die sexuellen Übergriffe wehrte, wurde er aggressiv und schlug sie teilweise. Dieses Verhalten des Beschwerdeführers, seine Drohung, er schicke seine Ehefrau zurück in den Kosovo und bleibe mit der Tochter in der Schweiz (Urteil S. 25), die finanzielle Abhängigkeit der Ehefrau und deren soziale Isolation erzeugten bei ihr einen psychischen Druck, der geeignet war, ihren Widerstandswillen dauerhaft zu brechen. Unter diesen Umständen war es ihr nicht mehr zuzumuten, sich den sexuellen Übergriffen zu widersetzen, musste sie doch andernfalls damit rechnen, geschlagen zu werden (vgl. BGE 131 IV 167 E. 3.1 S. 171 in fine).
Was der Beschwerdeführer gegen die Verwirklichung des subjektiven Tatbestands vorbringt, überzeugt ebenfalls nicht. Mit seinen Ausführungen weicht er grösstenteils von den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz ab, ohne aufzuzeigen, dass und inwiefern diese willkürlich sind (vgl. BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4 mit Hinweis). Im Übrigen setzt er sich nicht mit ihren Erwägungen auseinander. Mit seinem gewalttätigen, drohenden und einschüchternden Verhalten während mehrerer Jahre hat der Beschwerdeführer bewusst den Widerstandswillen seiner Ehefrau dauerhaft gebrochen. Die Vorinstanz verletzt weder Verfassungs- noch Bundesrecht, wenn sie davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe von der fehlenden Einwilligung seiner Ehefrau gewusst und billigend in Kauf genommen, diese zu den sexuellen Handlungen zu nötigen. Für einen Sachverhaltsirrtum gemäss Art. 13 StGB bleibt damit kein Raum.
 
4.
4.1. Der Beschwerdeführer wendet sich eventualiter gegen die Strafzumessung, da die Strafe unvertretbar hoch sei.
4.2. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung wiederholt dargelegt. Darauf kann verwiesen werden (vgl. BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. S. 59 ff. mit Hinweisen).
4.3. Soweit der Beschwerdeführer seine Rüge damit begründet, er sei zumindest hinsichtlich der angeblichen Vorfälle vom Oktober 2007 bis zum 15. Januar 2011 freizusprechen, ist darauf nicht einzugehen. Im Übrigen ist sie unbegründet. Die Vorinstanz setzt sich in ihren Erwägungen zur Strafzumessung mit den wesentlichen schuldrelevanten Komponenten auseinander und würdigt sämtliche Zumessungsgründe zutreffend. Dass sie sich dabei von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten hätte leiten lassen oder wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hätte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist sie in ihrer Strafzumessung nicht an die Erwägungen der ersten Instanz gebunden. Sie darf die gleich hohe Strafe ausfällen wie jene, selbst wenn sie von Eventualvorsatz und einer leicht verminderten Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers ausgeht. Er argumentiert, die Vorinstanz hätte entgegen dem Gutachten eine weitere Einschränkung der Schuldfähigkeit annehmen müssen, ohne aufzuzeigen, dass die Vorinstanz in Willkür verfällt, indem sie das Gutachten als schlüssig erachtet und darauf abstellt. Auf diese rein appellatorische Kritik ist nicht einzutreten. Die Vorinstanz hält zu Recht fest, die leicht eingeschränkte Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers sei innerhalb des ordentlichen Strafrahmens zu berücksichtigen (Urteil S. 35). Zudem geht die Vorinstanz zugunsten des Beschwerdeführers nicht nur hinsichtlich des Vorfalls vom 16. Januar 2011, sondern auch bezüglich der übrigen sexuellen Übergriffe von einer leicht verminderten Schuldfähigkeit aus, obwohl die Gutachter hierzu keine gesicherten Aussagen machen konnten (Urteil S. 37).
4.4. Die vorinstanzliche Strafzumessung hält insgesamt vor Bundesrecht stand. Die ausgefällte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren hält sich noch innerhalb des sachgerichtlichen Ermessens.
 
5.
5.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz verletze Art. 63 Abs. 1 und 2 StGB, indem sie entgegen der gutachterlichen Empfehlung und ohne Begründung keine ambulante Massnahme anordne und die Strafe nicht zu deren Gunsten aufschiebe.
5.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer leide an einem schweren Alkoholabhängigkeitssyndrom. Die Gutachter gingen davon aus, dass eine ambulante Behandlung auch im Rahmen des Strafvollzugs durchgeführt werden könne. Es sei somit nicht erkennbar, dass die Erfolgsaussichten einer Therapie durch den gleichzeitigen Strafvollzug erheblich beeinträchtigt würden. Ein Aufschub der Strafe zugunsten einer ambulanten Massnahme dränge sich nicht auf. Es sei dem Beschwerdeführer freigestellt, im Rahmen des Strafvollzugs eine Therapie in Anspruch zu nehmen beziehungsweise die bereits angefangene Therapie fortzuführen (Urteil S. 39 f.).
5.3. Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen, ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert und die Voraussetzungen der Artikel 59-61, 63 oder 64 erfüllt sind (Art. 56 Abs. 1 StGB). Ist der Täter von Suchtstoffen abhängig, kann das Gericht gemäss Art. 63 Abs. 1 StGB anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn er eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht, und zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen. Nach Art. 63 Abs. 2 StGB kann das Gericht den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten Massnahme aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen (vgl. BGE 129 IV 161 E. 4.1 S. 162 f. und E. 4.3 S. 165).
5.4. Wie der Beschwerdeführer zutreffend vorbringt, äussert sich die Vorinstanz lediglich zur Frage des Aufschubs des Strafvollzugs zugunsten einer ambulanten Behandlung, nicht jedoch dazu, ob eine solche überhaupt angeordnet werden soll. Die Verweigerung des Aufschubs des Vollzugs bedeutet nicht, dass eine Therapie nicht wenigstens vollzugsbegleitend anzuordnen wäre. Die Vorinstanz setzt sich nicht mit der gutachterlichen Empfehlung auseinander, wonach eine ambulante deliktsorientierte und störungsspezifische Psychotherapie mit Weiterführung der aversiven medikamentösen Therapie des Alkoholabhängigkeitssyndroms entsprechend einer Massnahme nach Art. 63 StGB durchzuführen sei (Gutachten vom 2. April 2014 S. 60), sondern stellt dem Beschwerdeführer frei, im Strafvollzug eine Therapie zu machen. Damit verletzt sie Bundesrecht. Der Umstand, dass die Strafanstalten bei allen Insassen gehalten sind, gegebenenfalls therapeutische Massnahmen zu ermöglichen, macht die Anordnung einer ambulanten Behandlung durch das Gericht nicht entbehrlich. Darauf hat das Bundesgericht bereits im Urteil 6P.78/2005 vom 16. November 2005 hingewiesen (E. 9 zu Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB; vgl. Andrea Baechtold, Strafvollzug, 2. Aufl. 2009, § 9 N. 44).
 
6.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 3. Juli 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- auferlegt.
3. Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 750.-- auszurichten.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Opfer und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. Juni 2015
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Andres