BGer 8C_937/2014
 
BGer 8C_937/2014 vom 15.06.2015
{T 0/2}
8C_937/2014
 
Urteil vom 15. Juni 2015
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Polla.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier,
Beschwerdeführerin,
gegen
HDI-Gerling Industrie Versicherung AG,
vertreten durch Fürsprecher Martin Bürkle,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz
vom 30. Oktober 2014.
 
Sachverhalt:
A. Die 1973 geborene A.________ war seit März 2010 als Reinigungsangestellte tätig gewesen und dadurch bei der HDI-Gerling Industrie Versicherung AG unfallversichert. Wegen chronischer venöser Insuffizienz der beiden unteren Extremitäten liess sie am 21. November 2012 u.a. beidseits ein Magnastripping durchführen. Nach der Operation klagte A.________ über Gefühlsstörungen und motorische Einschränkungen am linken Fuss. Frau Dr. med. B.________, Fachärztin für Neurologie, stellte eine perioperative, peroneal betonte Ischiasläsion links im Rahmen des linksseitigen Varizenstrippings fest (Bericht vom 8. Januar 2013). Am 13. Dezember 2012 liess A.________ das Ereignis als Unfall melden. Gestützt auf eine vertrauensärztliche Beurteilung des Dr. med. C.________. Facharzt für Innere Medizin FMH, Zertifizierter medizinischer Gutachter SIM, vom 22. März 2013 verneinte die HDI-Gerling Industrie Versicherung AG mit Verfügung vom 9. Juli 2013 ihre Leistungspflicht. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 5. Februar 2014).
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 30. Oktober 2014 ab.
C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien ihr die gesetzlichen Leistungen nach UVG ab dem Unfalltag zu gewähren.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz reicht am 8. Januar 2015 eine Vernehmlassung ein, welche den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnisnahme und allfälliger Stellungnahme zugestellt wurde. Während die Beschwerdeführerin an ihren Rechtsbegehren festhält, haben die HDI-Gerling Industrie Versicherung AG und das Bundesamt für Gesundheit auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Erwägungen:
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 mit Hinweisen).
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
2.1. Eine Leistungspflicht der Unfallversicherung setzt von hier nicht anwendbaren Ausnahmen abgesehen voraus, dass der Gesundheitsschaden Folge eines Unfalles ist. Ein Unfall ist gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.
2.2. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der äussere Faktor ungewöhnlich, wenn er - nach einem objektiven Massstab - nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist (BGE 134 V 72 E. 4.1 S. 76; 118 V 283 E. 2a S. 284). Dies gilt auch, wenn zu beurteilen ist, ob ein ärztlicher Eingriff den gesetzlichen Unfallbegriff erfüllt (BGE 118 V 283 E. 2b S. 28). Nach der Praxis ist es indessen mit dem Erfordernis der Aussergewöhnlichkeit streng zu nehmen, wenn eine medizinische Massnahme infrage steht (BGE 121 V 35 E. 1b S. 38; 118 V 283 E. 2b S. 284). Die Vornahme des medizinischen Eingriffs muss unter den jeweils gegebenen Umständen vom medizinisch Üblichen ganz erheblich abweichen und zudem, objektiv betrachtet, entsprechend grosse Risiken in sich schliessen.
2.3. Ob der Unfallbegriff, namentlich das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors, im Rahmen einer Krankenbehandlung, für welche der Unfallversicherer grundsätzlich nicht leistungspflichtig ist, ausnahmsweise erfüllt ist, ist aufgrund objektiver medizinischer Kriterien zu prüfen. Die Frage ist nur dann zu bejahen, wenn die ärztliche Vorkehr als solche den Charakter des ungewöhnlichen äusseren Faktors aufweist, denn das Merkmal der Aussergewöhnlichkeit bezieht sich nach der Definition des Unfallbegriffs nicht auf die Wirkungen des äusseren Faktors, sondern allein auf diesen selbst. Ein Behandlungsfehler kann den Unfallbegriff namentlich dann erfüllen, wenn es sich um grobe und ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder sogar um absichtliche Schädigungen handelt, mit denen niemand rechnet oder zu rechnen braucht. Ob ein Unfall im Sinne des obligatorischen Unfallversicherungsrechts vorliegt, beurteilt sich unabhängig davon, ob der Arzt oder die Ärztin einen Kunstfehler begangen hat, der eine (zivil- oder öffentlich-rechtliche) Haftung begründet (SZS 2014 S. 593, 8C_283/2014; SVR 2012 UV Nr. 11 S. 37, 8C_708/2011).
 
3.
3.1. Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin anlässlich der krankheitsbedingten Varizenoperation vom 21. November 2012 eine perioperative, peroneal betonte Läsion des Nervus ischiadicus am linken Bein erlitt. Uneinigkeit besteht über die Ursache dieser Nervenschädigung.
3.2. Die Vorinstanz erwog, ärztlicherseits seien mehrere mögliche Ursachen der Nervenschädigung diskutiert worden: Das Anlegen einer Blutdruckmanschette, eine absichtliche Schädigung, ein Überbiegen oder Überstrecken des linken Knies oder eine Hyperflexion im Hüftbereich, ein Anschlagen des dorsalen Oberschenkels an einer harten Kante sowie ein Lagerungsschaden. Eine Blutdruckmanschette sei nicht angelegt worden, keinerlei Anhaltspunkte bestünden für eine Schädigung durch den verwendeten Kompressionsverband oder für eine absichtliche Schädigung. Ebenfalls sei nach übereinstimmender medizinischer Aktenlage eine Schädigung durch den operativen Eingriff als solchen auszuschliessen, da der Schaden des Ischiasnervs fern des Operationsfelds sei. Nachdem die involvierten Operateure und Pflegefachfrauen anlässlich einer Standortbestimmung am 6. Dezember 2012 versicherten, es habe unmöglicherweise eine Hyperflexion im Hüftbereich stattgefunden und Frau Dr. med. B.________ in ihrer Beurteilung vom 27. November 2012 eine Hyperflexion nur als möglich erachtet habe, scheide dies ebenso als überwiegend wahrscheinliche Schadensursache aus wie eine Überstreckung des Knies. Gemäss Aktenlage könne sodann auch nicht auf ein Aufschlagen des dorsalen Oberschenkels auf eine harte Kante geschlossen werden. Auch ein Lagerungsschaden sei nicht überwiegend wahrscheinlich ursächlich hierfür, zumal ärztlicherseits auch in diesem Zusammenhang auf die unklare Schadensursache hingewiesen worden sei. Da somit keine der möglichen Schädigungsursachen als überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei und die Ätiologie der Ischiadicusparese unklar bleibe, trage die Beschwerdeführerin die Folgen der Beweislosigkeit. Ein unfallversicherungsrechtlich relevanter Behandlungsfehler liege ohnehin nicht vor und die Aussergewöhnlichkeit sei auch nach dem üblichen Unfallbegriff zu verneinen.
3.3. Was beschwerdeweise dagegen eingewendet wird, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auf die letztinstanzlich neu aufgelegte neurologisch-gefässchirurgische Expertise des Spitals D.________ vom 1. und 3. Oktober 2014 ist nicht weiter einzugehen, da es sich hierbei um ein unzulässiges Novum handelt, zu dem nicht erst der angefochtene Entscheid Anlass gegeben hat (Art. 99 Abs. 1 BGG).
Dr. med. C.________ hielt in seiner versicherungsmedizinischen Stellungnahme vom 22. März 2013 zwar fest, am ehesten liege ein Lagerungsschaden vor, betonte aber, dass aus den Akten nicht eruiert werden könne, wie dieser entstanden sei. Es sei den Operateuren nicht bekannt, dass beim Umlagern der Versicherten irgendwie unnatürlich am Oberschenkel gezogen bzw. direkten Druck ausgeübt worden sei. Von einem wahrscheinlichen Lagerungsschaden mit unklarer Ätiologie gehen auch die Operateurin Frau Dr. med. E.________, Assistenzärztin Chirurgie am Spital F.________, im Arztzeugnis UVG vom 13. Dezember 2012 und Dr. med. G.________, Leitender Oberarzt Neurologie, Klinik H.________, im Bericht vom 2. April 2013 aus.
3.4. Selbst wenn mit der Beschwerdeführerin damit nicht Beweislosigkeit herrschte, sondern eine lagerungsbedingte Nervenschädigung als überwiegend wahrscheinlich anzusehen wäre, läge keine medizinische Vorkehr vor, die im Rahmen der Krankenbehandlung einen Unfall im Sinne des Art. 4 ATSG darstellen würde. In Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts fehlt es aufgrund der medizinischen Darlegungen an einem unfallversicherungsrechtlich relevanten (groben) Behandlungsfehler. Es finden sich keine Anhaltspunkte, dass intra- wie perioperativ in grober Weise nicht sachgerecht vorgegangen worden wäre. Ein entsprechendes Ereignis im Operationssaal oder in der Operationsvorbereitung wird im Operationsbericht vom 30. November 2012 nicht erwähnt. Frau Dr. med. E.________ trug in der ambulanten Notfall-Krankengeschichte am 22. November 2012 zwar ein, dass sie bei der Desinfektion des linken Beines beobachtet habe, wie beim Hochhalten des Beines durch die technische Operationsassistentin das Bein im Knie eingeknickt sei, wobei diese es sofort wieder gestreckt habe. Während die nachbehandelnde Neurologin Frau Dr. med. B.________ es für eher möglich hielt, dass die Hyperflexion in der Hüfte mit Überdehnung des Ischiasnervs in der Oberschenkel- bzw. Glutealregion ausschlaggebend für die Schädigung gewesen sei und nicht die Knieflexion während der Operationslagerung, hielt Dr. med. C.________ in der medizinischen Stellungnahme vom 22. März 2013 dieses Ereignis nicht für schadensursächlich. Keiner der mit dem Vorfall befassten Mediziner sah darin aber einen zur Ischiasläsion führenden Behandlungsfehler im Sinne einer groben oder ausserordentlichen Verwechslung oder Ungeschicklichkeit. Ein vom medizinischen Standard abweichender, als grob zu qualifizierender Fehler ist nach Lage der Akten nicht rechtsgenüglich erstellt.
3.5. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin läge auch ohne die erhöhten Anforderungen an die Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors bei medizinischen Massnahmen im Rahmen einer Krankheitsbehandlung (Vorliegen von groben und ausserordentlichen Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder sogar von absichtlichen Schädigungen) kein Unfallgeschehen vor: Die Durchführung des Eingriffs wich gemäss der medizinischen Aktenlage nicht vom medizinisch Üblichen ab. Ein schadensursächliches Ereignis konnte nicht ermittelt werden. Die ärztlichen Handlungen als solche wiesen intra- wie perioperativ nicht den Charakter eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf, sondern blieben im Rahmen des Alltäglichen und Üblichen, wovon auch die Beschwerdeführerin ausgeht, wenn sie einen Behandlungsfehler verneint. Ein Lagerungsschaden mit einer Nervenläsion kann nie sicher ausgeschlossen werden, er stellt eine mögliche, wenn auch relativ seltene Komplikation in Zusammenhang mit einer Operation dar (in 6 bis 12 von 10'000 Narkosen; Dirk Aschemann [Hrsg.], OP-Lagerungen für Fachpersonal, Springer Medizin Verlag Heidelberg 2009, S. 100 f.). Über das Risiko einer Nervenläsion als allgemeines Anästhesierisiko wurde die Beschwerdeführerin vor dem Eingriff aufgeklärt, in welches sie einwilligte. Indem sich - unter der Annahme, es liegt ein Lagerungsschaden vor - ein medizinisch bekanntes Operationsrisiko verwirklichte, ist, auch in Berücksichtigung der Komplikationsrate (SZS 2014 S. 593, 8C_283/2014 E. 3.5) die medizinische Vorkehr nicht als ungewöhnlicher äusserer Faktor zu werten, weshalb kein Unfall vorliegt.
4. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 15. Juni 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Die Gerichtsschreiberin: Polla