BGer 2C_940/2014
 
BGer 2C_940/2014 vom 30.05.2015
{T 0/2}
2C_940/2014
 
Urteil vom 30. Mai 2015
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Genner.
 
Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
zurzeit Strafanstalt X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger,
gegen
Amt für Migration Basel-Landschaft,
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.
Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,
Beschwerde gegen das Urteil
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft,
Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht,
vom 30. Juli 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Das angefochtene Urteil unterliegt als letztinstanzlicher Endentscheid eines kantonalen Gerichts auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts grundsätzlich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (vgl. Art. 82 lit. a BGG, Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG, Art. 90 BGG). Gegen Entscheide über den Widerruf einer Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, weil grundsätzlich ein Anspruch auf das Fortbestehen dieser Bewilligung gegeben ist (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen (Form, Frist und Legitimation gemäss Art. 42, Art. 100 Abs. 1 und Art. 89 Abs. 1 BGG) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten, soweit sie sich auf den Widerruf der Niederlassungsbewilligung bezieht.
1.2. Gegen Entscheide betreffend die Wegweisung ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG). Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nach Art. 113 ff. BGG gegen kantonale Wegweisungsentscheide steht offen, sofern sich die betroffene ausländische Person auf besondere verfassungsmässige Rechte berufen kann, die ihr unmittelbar ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinn von Art. 115 lit. b BGG verschaffen (BGE 137 II 305 E. 3.3 S. 310). Da der Beschwerdeführer keine Begründung für die Zulässigkeit der subsidiären Verfassungsbeschwerde nach Art. 113 BGG anführt, ist auf den Antrag, von der Wegweisung abzusehen, nicht einzutreten.
 
2.
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. 3 S. 415). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
 
3.
3.1. Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG (SR 142.20) i.V.m. Art. 62 lit. b AuG kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn die ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Als längerfristig im Sinn von Art. 62 lit. b AuG gilt eine Freiheitsstrafe, deren Dauer ein Jahr überschreitet (BGE 139 I 145 E. 2.1 S. 147).
3.2. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren einen Widerrufsgrund im Sinn von Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG i.V.m. Art. 62 lit. b AuG gesetzt hat. Der Beschwerdeführer macht - nebst zwei Sachverhaltsrügen - geltend, der Widerruf sei unverhältnismässig. Zudem sei der Hinweis der Vorinstanz auf ein "vorsätzliches Tötungsdelikt" im Sinn von Art. 121 Abs. 3 lit. a BV nicht verständlich, habe er doch niemanden getötet.
3.3. Der Verurteilung wegen versuchter vorsätzlicher Tötung lag nach den Feststellungen des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt folgender Sachverhalt zugrunde: Am 6. September 2008 habe sich der Beschwerdeführer zusammen mit seiner älteren Schwester B.C.-A.________ auf der Suche nach ihrer beider Schwester D.A.________ zu deren Wohnung begeben, wo diese zusammen mit ihrem Freund E.________ gewohnt habe. Die Beziehung sei von der Familie A.________ nicht gebilligt worden. Der Beschwerdeführer  und B.C.-A.________ hätten D.A.________ nicht angetroffen, aber E.________, welcher sich gerade im Treppenhaus befunden habe. Das von den Geschwistern gewünschte Gespräch habe auf dem Trottoir stattgefunden, wo B.C.-A.________ E.________ Vorhaltungen gemacht habe wegen dessen Verhaltens gegenüber D.A.________. In der nun aggressiven Stimmung habe E.________ dem Beschwerdeführer einen Kopfstoss versetzt, so dass dieser rückwärts gegen ein  Baugerüst gefallen sei. Hierauf habe der Beschwerdeführer E.________ mit dem mitgeführten Messer einen Stich in den Bauch versetzt. Dies habe beim Opfer zu lebensgefährlichen Verletzungen geführt, an deren Folgen dieses mit Sicherheit verstorben wäre, wenn es auch nur zu einer geringfügigen Verzögerung während des Transports ins Spital oder bei den spitalinternen Abläufen gekommen wäre.
 
4.
4.1. In sachverhaltlicher Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, entgegen der Darstellung der Vorinstanz sei seine Schwester D.A.________, die Freundin des Opfers, im Kosovo nicht zwangsweise verlobt worden.
4.2. Sodann stehe gemäss der klaren Aktenlage fest, dass sich der Beschwerdeführer und seine Schwester B.C.-A.________ aus Sorge um die Schwester D.A.________ zu deren Wohnung begeben hätten; einen anderen Grund gebe es nicht.
 
5.
5.1. Nachdem der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt worden ist, liegt ein "vorsätzliches Tötungsdelikt" im Sinn von Art. 121 Abs. 3 lit. a BV vor. Die Rüge, der Beschwerdeführer habe niemanden getötet, ist nicht stichhaltig, weil Art. 121 Abs. 3 lit. a BV nicht an den Erfolg der Tatbegehung anknüpft.
5.2. Liegt ein Widerrufsgrund vor, ist zu prüfen, ob die Massnahme verhältnismässig ist (Art. 5 Abs. 2 BV; vgl. auch Art. 96 Abs. 1 AuG). Dabei sind namentlich die Schwere des Verschuldens, der Grad der Integration sowie die dem Betroffenen drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 139 I 31 E. 2.3.1 S. 33; 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19; 135 II 377 E. 4.3 S. 381). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind umso strengere Anforderungen an eine fremdenpolizeiliche Massnahme zu stellen, je länger eine ausländische Person in der Schweiz anwesend war. Die Niederlassungsbewilligung einer ausländischen Person, die sich schon seit langer Zeit hier aufhält, soll nur mit besonderer Zurückhaltung widerrufen werden; allerdings ist dies bei wiederholter bzw. schwerer Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die betroffene Person hier geboren ist und ihr ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (BGE 139 I 31 E. 2.3.1 S. 33 f.; 135 II 377 E. 4.3 S. 381; Urteile 2C_155/2014 vom 28. Oktober 2014 E. 5.2; 2C_147/2014 vom 26. September 2014 E. 3.2).
5.3. Das migrationsrechtliche Verschulden ergibt sich - ausgehend von der verfahrensauslösenden Verurteilung - aus einer Gesamtbetrachtung des deliktischen Verhaltens bis zum angefochtenen Urteil, wobei das Alter bei der jeweiligen Tatbegehung sowie die Art, Anzahl und Frequenz der Delikte zu berücksichtigen ist (Urteile 2C_147/2014 vom 26. September 2014 E. 4.2; 2C_28/2014 vom 21. Juli 2014 E. 6.3).
5.4. Dem öffentlichen Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers sind dessen private Interessen an einem Verbleib in der Schweiz gegenüberzustellen.
5.5. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das erhebliche öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz überwiegt. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung erweist sich als verhältnismässig.
 
6.
6.1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der unterliegende Beschwerdeführer gemäss Art. 66 Abs. 1 BGG grundsätzlich kostenpflichtig; er hat indessen um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht. Gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Praxisgemäss sind Prozessbegehren als aussichtslos anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218; 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 mit Hinweisen). In Anbetracht der Sachlage waren dem Rechtsmittel keine realistischen Erfolgsaussichten beschieden, zumal die Vorinstanz ihr Urteil sorgfältig begründet hat. Die Beschwerde erweist sich damit als aussichtslos. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen und die (umständehalber reduzierten) Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen.
6.2. Ausgangsgemäss ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. Mai 2015
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Die Gerichtsschreiberin: Genner