BGer 1C_725/2013
 
BGer 1C_725/2013 vom 08.04.2015
{T 0/2}
1C_725/2013
 
Urteil vom 8. April 2015
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen, Eusebio, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Dold.
 
Verfahrensbeteiligte
Politische Gemeinde Uetikon am See, Postfach, 8707 Uetikon am See,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Wipf,
gegen
Mitglieder der Erbengemeinschaft A.A.________, bestehend aus:
1. B.A.________,
2. C.A.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch das Notariat Männedorf, und dieses vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Rüssli.
Gegenstand
Materielle Enteignung,
Beschwerde gegen das Urteil vom 27. Juni 2013 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung,
3. Kammer.
 
Sachverhalt:
A. Die Erben von A.A.________ (B.A.________ und C.A.________) besitzen an der Bergstrasse 75 in Uetikon am See eine Liegenschaft, auf welcher das Gebäude "Zur Sommerau" steht. Am 1. Juni 1995 stellte der Gemeinderat das Gebäude unter Denkmalschutz. Nach einem Rechtsmittelverfahren erliess er am 26. Februar 1998 eine revidierte Schutzverfügung, welche ebenfalls angefochten wurde. Der von der Zürcherischen Vereinigung für Heimatschutz erhobene Rekurs wurde am 15. Mai 2001 infolge Rückzugs bzw. Gegenstandslosigkeit abgeschrieben, nachdem der Gemeinderat am 21. September 2000 wiederum eine neue Schutzverfügung erlassen hatte. Die Letztere übernahm den grössten Teil der Verfügung vom 26. Februar 1998 unverändert. Auf den dagegen erhobenen Rekurs von B.A.________ trat die Baurekurskommission II des Kantons Zürich am 29. Mai 2001 nicht ein, einen weiteren Rekurs der Zürcherischen Vereinigung für Heimatschutz schrieb sie am 25. September 2001 infolge Rückzugs ab.
Die beiden Erben von A.A.________ reichten am 16. März 2010 aufgrund der erwähnten Unterschutzstellung bei der Gemeinde Uetikon am See ein Begehren um Entschädigung aus materieller Enteignung ein. Die Gemeinde ersuchte daraufhin um Durchführung eines Schätzungsverfahrens. Die Schätzungskommission II des Kantons Zürich beschränkte das Verfahren zunächst auf die Rechtzeitigkeit der Anspruchserhebung. Am 16. Januar 2011 bejahte sie diese und trat in einem förmlichen Zwischenentscheid auf die Klage ein.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies den von der Gemeinde Uetikon am See gegen diesen Entscheid erhobenen Rekurs am 27. Juni 2013 ab.
B. Die Gemeinde Uetikon am See beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, das erwähnte Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und auf die Klage auf Entschädigung aus materieller Enteignung nicht einzutreten, eventualiter die Angelegenheit zur materiellen Neubeurteilung an die Vorinstanz bzw. Vorvorinstanz zurückzuweisen.
Die Erben von A.A.________ ersuchen um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Verwaltungsgericht stellt den gleichen Antrag. In einem weiteren Schriftenwechsel halten die Parteien an ihren Anträgen fest; das Verwaltungsgericht hat auf eine weitere Stellungnahme verzichtet.
C. Der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung hat der Beschwerde am 15. Oktober 2013 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
 
Erwägungen:
1. Das vorinstanzliche Urteil bestätigt den Zwischenentscheid der Schätzungskommission, auf die bei ihr erhobene Klage betreffend Entschädigung aus materieller Enteignung einzutreten. Auch beim angefochtenen Urteil handelt es sich damit um einen Zwischenentscheid. Dagegen ist die Beschwerde an das Bundesgericht nach Art. 93 Abs. 1 BGG nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig. Wie bereits die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, würde die Gutheissung des Rechtsmittels der Beschwerdeführerin das Schätzungsverfahren sofort beenden und einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen. Die Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist daher erfüllt und die Beschwerde unter diesem Gesichtspunkt zulässig.
Die Unterschutzstellung, aus welcher der Anspruch aus materieller Enteignung geltend gemacht wird, ist eine Massnahme nach Art. 17 Abs. 2 RPG. Es handelt sich somit um eine "Planung" im Sinne von Art. 5 Abs. 1 und 2 RPG (BGE 111 Ib 257 E. 1 S. 259 ff. mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin ist deshalb gestützt auf Art. 34 Abs. 2 lit. a RPG i.V.m. Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG zur Beschwerde ans Bundesgericht legitimiert.
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls gegeben. Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.
2. Die Beschwerdeführerin kritisiert die Ausführungen der Vorinstanz, wonach nachvollziehbar sei, dass der Miterbe mit seinem ersten Rekurs verhindern wollte, dass sich das Gemeinwesen durch eine ungenügende und reduzierte Schutzmassnahme seiner Entschädigungspflicht ganz entledige. Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, ist indessen nicht entscheidrelevant, ob es sich dabei um eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung handelt, wie die Beschwerdeführerin glaubt (Art. 97 Abs. 1 BGG). Darauf ist deshalb nicht weiter einzugehen.
 
3.
3.1. Streitgegenstand bildet allein die Frage, ob der Entschädigungsanspruch der Beschwerdegegner aus materieller Enteignung infolge Nichteinhaltung der Frist gemäss § 183ter Abs. 1 des kantonalen Einführungsgesetzes vom 2. April 1911 zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EG ZGB; LS 230) verwirkt ist. Nach der genannten Bestimmung hat der Betroffene seine Ansprüche innert zehn Jahren seit dem Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung dem Gemeinwesen schriftlich anzumelden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts haben die Kantone die Kompetenz, Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus materieller Enteignung vorzusehen (BGE 112 Ib 496 E. 3e S. 511 mit Hinweis). Gemäss Art. 183ter Abs. 1 EG ZGB läuft die Frist zur Anspruchserhebung ab dem Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung. Dies entspricht dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Anordnung, welche die Eigentumsbeschränkung bewirkt. Auf diesen Fristbeginn stellt auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung ab, wenn das kantonale Recht zur Verjährung keine Regelung enthält (BGE 113 Ib 369 E. 1b S. 370; 111 Ib 269 E. 3a/aa S. 272 ff.; je mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung beginnt zudem die Verjährungsfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen aus materieller Enteignung - wiederum unter dem Vorbehalt einer anderslautenden gesetzlichen Regelung - auch zu laufen, wenn der Eigentümer von der rechtskräftig gewordenen Beschränkung seiner Befugnisse keine Kenntnis hat. Allerdings können Gründe des Vertrauensschutzes unter Umständen eine Abweichung von dieser Regel rechtfertigen (BGE 111 Ib 269 E. 3a/aa und cc S. 272 ff. mit Hinweisen).
3.2. Der umstrittene Entschädigungsanspruch leitet sich aus der Unterschutzstellung der Liegenschaft "Zur Sommerau" her. Die Vorinstanz erachtet als Stichtag für den Fristenlauf den Zeitpunkt, in dem die Schutzverfügung vom 21. September 2000 in Rechtskraft erwuchs. Dies war nach ihren insoweit unbestrittenen Feststellungen Ende Oktober 2001 der Fall. Die am 16. März 2010 erhobene Entschädigungsforderung ist damit nach Auffassung der Vorinstanz rechtzeitig.
3.3. Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Vorinstanz aus, bei Schutzmassnahmen gelte als Stichtag das Datum, an dem sie in ihrem vollen Umfang rechtskräftig werden. Die fragliche Unterschutzstellung sei ausserdem auch nicht bereits vor der Verfügung vom 21. September 2000 in Teilrechtskraft erwachsen, da die Gemeinde an diesem Tag erneut eine integrale Schutzverfügung erlassen habe. Es spiele vor diesem Hintergrund keine Rolle, dass die neue Verfügung nur wenige Punkte ergänzt und im Übrigen bloss den Inhalt der früheren Verfügungen übernommen habe. Schliesslich könne die Verwirkungsfrist auch aus Gründen des Vertrauensschutzes erst ab Rechtskraft der definitiv bereinigten Schutzverfügung zu laufen beginnen, denn der Eigentümer dürfe sich darauf verlassen, dass diese für die nachfolgenden Auseinandersetzungen über Ansprüche aus materieller Enteignung massgebend sei.
3.4. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die Schutzverfügung vom 21. September 2000 habe abgesehen von wenigen untergeordneten Punkten nur die frühere Verfügung vom 26. Februar 1998 bestätigt. Die Letztere sei von den Parteien nur in Nebenpunkten angefochten worden und in den übrigen Teilen in Rechtskraft erwachsen. Da sich die geltend gemachten Entschädigungsansprüche auf diese rechtskräftig gewordenen Teile der Schutzverfügung vom 26. Februar 1998 stützten (Abbruchverbot des Gebäudes und Überbauungsverbot für das unverbaute Restgrundstück), sei der erst mehr als zehn Jahre später erhobene Anspruch gemäss § 183ter Abs. 1 EG ZGB verwirkt. Es sei willkürlich, wenn das Verwaltungsgericht bei Schutzmassnahmen die Möglichkeit einer Teilrechtskraft von vornherein ausschliesse und zudem den Umstand ausser Acht lasse, dass für die Beschwerdegegner spätestens seit der Schutzverfügung vom 26. Februar 1998 keine Ungewissheit mehr über die wesentlichen Teile der Unterschutzstellung und deren enteignungsrechtliche Bedeutung habe bestehen können.
3.5. Denkmalschutzmassnahmen bewirken solange keine materielle Enteignung, als dem Eigentümer weiterhin eine bestimmungsgemässe, wirtschaftlich sinnvolle und gute Nutzung seiner Liegenschaft erhalten bleibt (BGE 117 Ib 262 E. 2a S. 264; 114 Ib 112 E. 6b S. 121; je mit Hinweisen). Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach dem gleichen Massstab, der auch bei teilweisen Bauverboten Anwendung findet (Urteil 1A.19/2004 vom 25. Oktober 2004 E. 2.2 mit Hinweisen, in: ZBl 107/2006 S. 41). Danach ist die Intensität von Eigentumsbeschränkungen immer mit Blick auf die gesamte Parzelle zu prüfen. Es geht deshalb nicht an, die durch eine Unterschutzstellung hervorgerufenen Nutzungseinschränkungen nur für das fragliche Gebäude selber zu ermitteln, ohne die auf seinem Umschwung verbleibenden baulichen Möglichkeiten mitzuberücksichtigen. Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der verbleibenden Nutzungsmöglichkeiten auf der gesamten Parzelle (a.a.O.; Urteil 1A.120/1993 vom 23. Mai 1995 E. 5d mit Hinweisen, in: ZBl 98/1997 S. 179).
Als Stichtag für die Beurteilung, ob eine Unterschutzstellung eine materielle Enteignung zur Folge hat, gilt - gleich wie für den Beginn des Fristenlaufs der Verwirkung gemäss § 183ter Abs. 1 EG ZGB - der Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (BGE 121 II 417 E. 3a S. 420 mit Hinweis). Es ist zwar möglich, dass die Schutzmassnahmen gestaffelt angeordnet und nicht alle gleichzeitig rechtskräftig werden. Ebenso können sich die baulichen Nutzungsmöglichkeiten auf dem Umschwung eines unter Schutz gestellten Gebäudes aus Anordnungen ergeben, die im Zeitpunkt der Schutzverfügung bereits rechtskräftig sind. Das ändert aber nichts daran, dass bei der Beurteilung einer neuen Schutzanordnung auch die bereits früher in Kraft getretenen Massnahmen mitzuberücksichtigen sind. Wird eine Schutzverfügung nachträglich erweitert oder verschärft, sind bei der Beurteilung, ob diese neue Massnahme eine materielle Enteignung bewirkt, auch die früheren, bereits rechtskräftigen Anordnungen mit in Betracht zu ziehen, soweit sie am Stichtag - dem Inkrafttreten der neuen erweiterten oder verschärften Massnahme - noch gelten. Andernfalls ist die gemäss der zitierten Rechtsprechung verlangte Gesamtbetrachtung der baulichen Nutzungsmöglichkeiten auf einer Parzelle nicht gewährleistet. Die Beschwerdegegner weisen zu Recht darauf hin, dass es unter Umständen erst eine zusätzliche Anordnung ist, welche die Schwelle zu einer materiellen Enteignung überschreitet, und sich der Eigentümer erst in diesem Zeitpunkt zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen veranlasst sehen kann.
Es liegt nahe, diese Erwägungen auch in Bezug auf den Lauf der Verwirkungsfrist gemäss § 183ter Abs. 1 EG ZGB zu berücksichtigen. Jedenfalls ist es nicht willkürlich, wenn die Vorinstanz bei Schutzmassnahmen als Stichtag für den Fristenlauf den Zeitpunkt als massgebend erachtet, in dem diese in ihrem vollen Umfang feststehen. Denn das Vorliegen einer materiellen Enteignung beurteilt sich, wie ausgeführt, nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der zuletzt erfolgten Schutzmassnahme, wobei frühere Schutzvorkehrungen - selbst wenn sie rechtskräftig sind - mitberücksichtigt werden müssen. Mithin erscheint nicht als willkürlich davon auszugehen, dass die zuletzt erfolgte Schutzanordnung den Lauf einer neuen Frist zur Anmeldung von Entschädigungsansprüchen auslöst, auch wenn Letztere sich teilweise oder sogar überwiegend auf frühere Massnahmen stützen.
3.6. Die Schutzverfügung vom 21. September 2000 erweitert gegenüber jener vom 26. Februar 1998 den Schutz der Veranden. Sie werden neu integral und nicht mehr nur hinsichtlich ihres Plattenbelags unter Schutz gestellt. Jedenfalls diese neue Schutzvorkehrung ist nach den vorinstanzlichen Feststellungen erst Ende Oktober 2001 rechtskräftig geworden und hat den Lauf einer neuen Verwirkungsfrist gemäss § 183ter Abs. 1 EG ZGB ausgelöst. Wenn die Vorinstanz unter diesen Voraussetzungen davon ausging, das Entschädigungsbegehren der Beschwerdegegner vom 16. März 2010 sei innert Frist erfolgt, ist dies nach dem Ausgeführten nicht willkürlich. Die betreffende Rüge der Beschwerdeführerin ist unbegründet. Offen bleiben kann, ob die Schutzverfügung vom 26. Februar 1998 teilweise in Rechtskraft erwuchs, wie sie behauptet.
4. Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang und angesichts der von der Beschwerdeführerin verfolgten Vermögensinteressen sind ihr die bundesgerichtlichen Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Sie hat ausserdem die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. April 2015
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Dold