BGer 6B_499/2014
 
BGer 6B_499/2014 vom 30.03.2015
{T 0/2}
6B_499/2014
 
Urteil vom 30. März 2015
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Schär.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Guido Ranzi,
Beschwerdeführer,
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Parteientschädigung, Genugtuung, Schadenersatz,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 22. Januar 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
D.
 
E.
 
Erwägungen:
 
1.
 
2.
2.1. Die Kosten einer Strafuntersuchung trägt grundsätzlich der Staat (Art. 423 StPO). Wird das Strafverfahren eingestellt oder erfolgt ein Freispruch, so können die Verfahrenskosten nach Art. 426 Abs. 2 StPO dem Beschuldigten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn er rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens verursacht oder dessen Durchführung erschwert hat. Unter denselben Voraussetzungen können ihm auch die Entschädigung für die Ausübung seiner Verfahrensrechte und die erlittenen wirtschaftlichen Einbussen sowie die Genugtuung für erstandene Haft ganz oder teilweise verweigert werden (Art. 429 Abs. 1 lit. a - c i.V.m. Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO). Bei der Kostenpflicht des freigesprochenen oder aus dem Verfahren entlassenen Beschuldigten handelt es sich nicht um eine Haftung für ein strafrechtliches Verschulden, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung eines Strafverfahrens verursacht wurde. Gemäss Art. 41 Abs. 1 OR ist zum Ersatz verpflichtet, wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit. Im Zivilrecht wird demnach eine Haftung ausgelöst, wenn jemandem durch ein widerrechtliches und - abgesehen von den Fällen der Kausalhaftung - schuldhaftes Verhalten ein Schaden zugefügt wird. Widerrechtlich im Sinne von Art. 41 Abs. 1 OR ist ein Verhalten, wenn es gegen Normen verstösst, die direkt oder indirekt Schädigungen untersagen bzw. ein Schädigungen vermeidendes Verhalten vorschreiben. Solche Verhaltensnormen ergeben sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung, unter anderem aus Privat-, Verwaltungs- und Strafrecht, gleichgültig, ob es sich um eidgenössisches oder kantonales, geschriebenes oder ungeschriebenes Recht handelt (BGE 119 Ia 332 E. 1b S. 334 mit Hinweisen). Gegen die Unschuldsvermutung von Art. 10 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verstösst es aber, in der Begründung des Entscheids, mit dem ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung erfolgt und dem Beschuldigten Kosten auferlegt werden oder eine Entschädigung verweigert wird, diesem direkt oder indirekt vorzuwerfen, er habe sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden (BGE 120 Ia 147 E. 3b S. 155 mit Hinweis; vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1326 Ziff. 2.10.2 und 1329 f. Ziff. 2.10.3.1). Die Unschuldsvermutung ist verletzt, wenn die Kostenauflage (offen oder verdeckt) an eine eben gerade nicht bewiesene Tatschuld anknüpft. Die Begründung der Kostenauflage darf bei einer unbefangenen Person nicht den Eindruck erwecken, die beschuldigte Person sei nach wie vor eines Delikts verdächtig oder schuldig ( YVONA GRIESSER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 9 zu Art. 426 StPO mit Hinweisen).
2.2. Die Vorinstanz begründet ihren Entscheid damit, der Beschwerdeführer sei, auch wenn ihm nicht nachgewiesen werden könne, dass er über den genauen Inhalt des Koffers Bescheid wusste, von einem "illegalen Inhalt" des Koffers ausgegangen. Wer einen Koffer mit illegalem Inhalt zur Aufbewahrung entgegennehme, müsse damit rechnen, dass er sich möglicherweise der Hehlerei oder der Gehilfenschaft zu einer anderen Straftat schuldig mache und gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet werde. Die Behörden seien verpflichtet gewesen, die näheren Umstände abzuklären. Ob sein Verhalten direkt in den Bereich von Art. 41 OR falle, sei nicht näher zu prüfen. Vielmehr habe er einen Sachverhalt geschaffen, der geeignet sei, anderen einen Schaden zu verursachen. Der Beschwerdeführer habe damit die Einleitung des Verfahrens bewirkt. Der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer wurde vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz freigesprochen. Weiterer Delikte wurde er nicht angeklagt. Indem die Vorinstanz dem Beschwerdeführer vorwirft, er habe damit rechnen müssen, sich in irgendeiner Form strafbar zu machen, macht sie ihm unerlaubterweise einen strafrechtlichen Vorwurf, ohne dass ein qualifiziert rechtswidriger und rechtsgenügend nachgewiesener Sachverhalt vorliegen würde (vgl. GRIESSER, a.a.O., N. 10 zu Art. 426 StPO; BGE 112 Ia 371 E. 2a S. 374). Gleiches gilt, soweit die Vorinstanz dem Beschwerdeführer ein in zivilrechtlicher Hinsicht relevantes Verhalten vorwirft. Der Sachverhalt ist auch diesbezüglich nicht ausreichend erstellt und die Erwägungen der Vorinstanz sind äusserst vage. Damit lässt sich die Verweigerung der Entschädigungen nicht begründen.
 
3.
 
4.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten und sie nicht gegenstandslos geworden ist. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 22. Januar 2014 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 500.-- auferlegt.
3. Der Kanton Thurgau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'250.-- auszurichten.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. März 2015
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Schär