BGer 6B_541/2014
 
BGer 6B_541/2014 vom 23.09.2014
{T 0/2}
6B_541/2014
 
Urteil vom 23. September 2014
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Schär.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Antonius Falkner,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Zustellung eines Strafbefehls ins Ausland; Wiederherstellung der Einsprachefrist,
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 8. April 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
D.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz sei in Anwendung von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO davon ausgegangen, der Strafbefehl vom 19. Dezember 2013 gelte am siebten Tag nach der Avisierung durch die Post als zugestellt und habe in der Folge seine Einsprache vom 17. Januar 2014 als verspätet erachtet. Da er im Fürstentum Liechtenstein respektive im Ausland wohne, gelange in Bezug auf die Zustellung behördlicher Mitteilungen nicht Art. 85 StPO, sondern Art. 87 Abs. 2 StPO zur Anwendung. Gemäss dieser Bestimmung habe ein im Ausland wohnhafter Adressat ein Zustellungsdomizil in der Schweiz zu bezeichnen, es sei denn, und dieser Fall sei gegenständlich beachtlich, es bestünden für eine solche Zustellung staatsvertragliche Regelungen. Eine Zustellfiktion sei den im Verhältnis zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweiz geltenden Abkommen nicht zu entnehmen. Gemäss Art. 52 Abs. 1 des Schengener Durchführbarkeitsübereinkommens vom 19. Juni 1990 (SDÜ; Amtsblatt der EU Nr. L 239 vom 22. September 2000, S. 19-62) könne die Zustellung gerichtlicher Urkunden zwar unmittelbar per Post erfolgen. Dies ändere aber nichts daran, dass der Empfang der jeweiligen Dokumente nach Art. 7 Abs. 2 EUeR mittels einer vom Empfänger unterschriebenen Empfangsbestätigung nachgewiesen werden müsse. Diesem Erfordernis könne mit der Anwendung der Zustellfiktion nicht Genüge getan werden. Abschliessend macht der Beschwerdeführer geltend, Zustellungen würden sich auf liechtensteinischem Territorium nach dem liechtensteinischen Zustellgesetz richten. Eine Ausweitung der schweizerischen Zustellregeln auf internationales Gebiet sei nicht rechtmässig.
1.2. Die Vorinstanz erwägt, sowohl Art. 32 des Vertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden vom 27. April 1999 (SR 0.360.163.1; nachfolgend: Vertrag mit Österreich und Liechtenstein) als auch Art. 52 Abs. 1 SDÜ sähen die direkte postalische Zustellung gerichtlicher Urkunden ins jeweilige Ausland vor. Diese beiden jüngeren Vereinbarungen gingen dem älteren Europäischen Rechtshilfeübereinkommen, welches grundsätzlich eine behördliche Zustellung verlange, vor. Auf ein Strafverfahren in der Schweiz, bei dem der einzige Auslandsbezug der Wohnsitz des Beschuldigten sei, gelange grundsätzlich die Schweizerische Strafprozessordnung und damit auch die Zustellfiktion des Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO zur Anwendung. Selbst wenn die Folgen einer nicht abgeholten Postsendung als eine Frage der internationalen Rechtshilfe betrachtet würden, gebe es hierzu keine staatsvertraglichen Regelungen. Aus diesem Umstand könne aber nicht geschlossen werden, dass eine solche Postsendung als nicht rechtskonform zugestellt zu betrachten sei. Der Strafbefehl vom 19. Dezember 2013 sei von der liechtensteinischen Post am 20. Dezember 2013 zur Abholung gemeldet worden. Da der Beschwerdeführer die Postsendung nicht abgeholt habe, jedoch mit der Zustellung habe rechnen müssen, gelte der Strafbefehl spätestens am 27. Dezember 2013 als zugestellt. Die am 17. Januar 2014 erfolgte Einsprache sei daher verspätet.
1.3. Die Zustellung eines Strafbefehls ins Ausland stellt einen formellen Akt der Gerichtsbarkeit dar und hat grundsätzlich auf dem Rechtshilfeweg zu erfolgen. Zur Vereinfachung internationaler Zustellungen wurden verschiedene Staatsverträge abgeschlossen, gemäss welchen Mitteilungen im Rahmen eines Strafverfahrens dem Empfänger im Ausland direkt per Post zugestellt werden dürfen (vgl. Art. 48 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 SDÜ). Im Geltungsbereich dieser Vereinbarungen kann auf eine rechtshilfeweise Zustellung verzichtet werden (vgl. DANIELA BRÜSCHWEILER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 87 StPO).
 
2.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. September 2014
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Die Gerichtsschreiberin: Schär