BGer 5A_282/2014
 
BGer 5A_282/2014 vom 21.08.2014
{T 0/2}
5A_282/2014
 
Urteil vom 21. August 2014
 
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Bovey,
Gerichtsschreiber Zbinden.
 
Verfahrensbeteiligte
A.X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Härdi,
Beschwerdeführer,
gegen
Bezirksgericht Lenzburg, Abteilung Familiengericht, Metzgplatz, 5600 Lenzburg.
Gegenstand
Errichtung einer Erziehungsbeistandschaft,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, vom 27. Februar 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
A.X.________ (2002) wohnt zusammen mit ihren Eltern, B.X.________ und C.X.________, in U.________. Am 6. März 2013 ordnete das Familiengericht Lenzburg für sie eine Erziehungsbei-standschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB an, ernannte eine Beiständin und beauftragte diese, die Eltern in ihrer Sorge um die verbeiständete Tochter zu unterstützen, insbesondere deren schulische, gesundheitliche und persönliche Entwicklung aufmerksam zu begleiten und den Eltern bei Fragestellungen und Konflikten zwischen Eltern und Schule unterstützend und vermittelnd zur Seite zu stehen. Die Beiständin wurde als Ansprechperson für Schulbehörden, Lehrpersonen und weitere involvierte Fachpersonen bestimmt und ihr schliesslich aufgetragen, der Verbeiständeten und ihren Eltern die psychologische und medizinische Unterstützung der entsprechenden Fachstellen und Dienste zu vermitteln.
 
B.
A.X.________, gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Härdi, gelangte gegen den erstinstanzlichen Entscheid an das Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, das ihre Beschwerde mit Entscheid vom 27. Februar 2014 abwies.
 
C.
A.X.________ hat dagegen am 7. April 2014 (Postaufgabe) beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt, den Entscheid des Obergerichts vom 27. Februar 2014 aufzuheben, eventualiter die Vorinstanz anzuhalten, über die Errichtung einer Erziehungsbeistandschaft neu zu entscheiden. Des Weiteren ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
 
D.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung ist mit Verfügung vom 8. April 2014 abgewiesen worden.
 
Erwägungen:
 
1.
Die Beschwerdeführerin beantragt, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben, eventualiter die Vorinstanz anzuhalten, über die Errichtung einer Erziehungsbeistandschaft neu zu entscheiden. Aus dieser Formulierung der Rechtsbegehren ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin im Hauptantrag um Aufhebung der Beistandschaft ersucht.
 
2.
2.1. Unter dem Aspekt der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) macht die Beschwerdeführerin geltend, die Vorinstanz habe auf einen Bericht der Schulbehörde W.________ abgestellt, ohne sie vorgängig zur Stellungnahme zu diesem Bericht einzuladen.
2.2. Die Garantie von Art. 29 Abs. 2 BV umfasst das Recht, von allen bei Gericht eingereichten Stellungnahmen Kenntnis zu erhalten und sich dazu äussern, unabhängig davon, ob die Eingaben neue und/oder wesentliche Vorbringen enthalten (BGE 137 I 195 E. 2.3.1 S. 197; 133 I 100 E. 4.3-4-7 S. 102 ff.). Nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung besteht dieses Replikrecht unabhängig davon, ob ein zweiter Schriftenwechsel angeordnet, eine Frist zur Stellungnahme angesetzt oder die Eingabe lediglich zur Kenntnisnahme oder zur Orientierung zugestellt worden ist (BGE 132 I 42 E. 3.3.3 und 3.3.4 S. 47; 133 I 98 E. 2.2 S. 99). Dabei wird jedoch erwartet, dass eine Partei, die eine Eingabe ohne Fristansetzung erhält und dazu Stellung nehmen will, dies umgehend tut oder zumindest beantragt; ansonsten wird angenommen, sie habe auf eine weitere Eingabe verzichtet (BGE 133 I 100 E. 4.8 S. 105 mit Hinweisen; vgl. auch Urteil 5A_42/2011 vom 21. März 2011 E. 2.2.2 mit Hinweisen, in: Pra 2011 Nr. 92 S. 657).
2.3. Die Vorinstanz hat den Bericht der Regionalschule W.________ vom 22. Dezember 2013 der Beschwerdeführerin bzw. ihrem Vertreter zur Kenntnisnahme zugestellt. Die entsprechende Verfügung datiert vom 6. Januar 2014. Der Entscheid in der Sache erging schliesslich am 27. Februar 2014, womit die Beschwerdeführerin über ausreichend Zeit verfügt hatte, um zum Bericht Stellung zu nehmen. Angesichts der zitierten Rechtsprechung durfte die Vorinstanz zum Zeitpunkt des Entscheides davon ausgehen, die Beschwerdeführerin habe auf eine Stellungnahme verzichtet, auch wenn sie nicht ausdrücklich zur Stellungnahme eingeladen worden war. Der Vorwurf der Verletzung des rechtlichen Gehörs erweist sich als unbegründet.
2.4. Soweit die Beschwerdeführerin nunmehr erstmals vor Bundesgericht den Inhalt des Berichts kritisiert, ihn als falsch bezeichnet und in diesem Zusammenhang neue Tatsachen vorbringt, erweist sich ihre Eingabe als unzulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG). Darauf ist nicht einzutreten.
 
3.
3.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe sich mit den Gründen für ihren Schulwechsel von V.________ nach W.________ nicht auseinandergesetzt und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt.
3.2. Aus Art. 29 Abs. 2 BV ergibt sich die Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen (BGE 124 I 49 E. 3a S. 51, 242 E. 2; je mit Hinweisen). Dabei ist nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236). Im Falle vorweggenommener Beweiswürdigung muss sich zumindest implizit ergeben, weshalb das Gericht dem nicht abgenommenen Beweismittel jede Erheblichkeit oder Tauglichkeit abspricht (Urteil 5P.322/2001 vom 30. November 2001 E. 3c, nicht publiziert in BGE 128 II 4 mit Hinweisen).
3.3. Die Vorinstanz hat ihre Argumentation im Wesentlichen auf den Bericht der Regionalschule W.________ vom 22. Dezember 2013 gestützt, welcher der Beschwerdeführerin bzw. ihrem Vertreter zur Kenntnisnahme zugestellt worden war und gegen den im kantonalen Verfahren keine Opposition erwachsen ist (siehe dazu: E. 1). Die darin enthaltenen Ausführungen gaben im Wesentlichen Anlass dazu, die vom Familiengericht ausgesprochene Massnahme des Kindesschutzes zu bestätigen. Spielten aber die Ereignisse um den Schulwechsel für die Beurteilung der Notwendigkeit und Angemessenheit der Massnahme keine Rolle, war die Vorinstanz selbst im Lichte von Art. 29 Abs. 2 BV nicht gehalten, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.
 
4.
4.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Anordnung einer Erziehungsbeistandschaft sei vorliegend die falsche Massnahme und somit nicht nötig. Die Beiständin sei weder bei den Eltern noch in der Schule präsent. Mit dieser Massnahme würden nur Kosten generiert. Schliesslich habe die Schulleitung die Eltern noch nie vorgeladen.
4.2. Der Vorwurf der Bundesrechtsverletzung erweist sich als unbegründet. Wie bereits erwähnt, hat das Obergericht auf den Bericht der Schulbehörde W.________ abgestellt, den die Beschwerdeführerin vor Obergericht trotz vorhandener Möglichkeit im kantonalen Verfahren nicht beanstandet hat. Aufgrund der nunmehr verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz zu diesem Bericht funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schulbehörde nicht. So halten sich die Eltern der Beschwerdeführerin nicht an die Abmachung, bei krankheitsbedingter Abwesenheit der Beschwerdeführerin die nachzuholenden Arbeiten abzuholen und mit ihr den verpassten Stoff aufzuarbeiten. Auch die in Aussicht gestellte Nachhilfe wurde nicht organisiert; zudem nahmen die Eltern auch an den vereinbarten Elterngesprächen nicht teil. All dies hat nach der Feststellung der Vorinstanz dazu geführt, dass die Beschwerdeführerin trotz Normalbegabung in der 5. Klasse den Stoff der 4. Klasse immer noch nicht beherrscht. Aus dem Schulbericht geht weiter hervor, dass die Beschwerdeführerin als Folge der mangelnden elterlichen Unterstützung und Kontrolle enorme Mühe bekundet, Aufgaben regelmässig zu erledigen und über längere Zeit auf ein Ziel hin zu arbeiten. Auch hinsichtlich der schulischen Absenzen hat sich trotz neuen Schulumfeldes keine Besserung eingestellt, nachdem die Beschwerdeführerin in 15 Schulwochen bereits über 21 Halbtagesabsenzen zu verzeichnen hat. Weiterer Handlungsbedarf besteht laut den obergerichtlichen Feststellungen bei der Hygiene des Kindes, zumal die Beschwerdeführerin laut Angaben der Lehrpersonen wegen ungepflegter Haare und vernachlässigter Körperpflege aufgefallen ist, was insbesondere dazu führt, dass sie von anderen Schülern gemieden wird. Die zuständige Lehrerschaft stellte ausserdem fest, dass die Beschwerdeführerin in der Schule oft unausgeschlafen und müde wirkt, was auf übermässigen Medienkonsum zurückzuführen ist. Auch wird laut den obergerichtlichen Feststellungen infolge des geringen Selbstbewusstseins der Beschwerdeführerin und ihrer Ausgrenzung einer erhöhte Gefahr der Ausbeutung befürchtet.
4.3. Aufgrund dieser tatsächlichen Feststellungen, welche die Beschwerdeführerin nicht rechtsgenügend als willkürlich oder sonst wie gegen Bundesrecht verstossend kritisiert, durfte die Vorinstanz ohne Bundesrechtsverletzung von einer drohenden bzw. bereits bestehenden Gefährdung des Kindeswohls ausgehen. Soweit die Beschwerdeführerin nunmehr beanstandet, die Schulbehörde habe es unterlassen, das Gespräch mit ihr zu suchen, ist darauf nicht weiter einzugehen. Die Beschwerdeführerin legt nicht substanziiert dar, dass sie diese Tatsachenbehauptung bereits im kantonalen Verfahren geltend gemacht hat. Zudem wird dies durch die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz widerlegt. In der Sache erweist sich die angeordnete Erziehungsbeistandschaft als durchaus geeignet, zumal sie den konkreten Problemen angepasst worden ist: So beauftragte das Familiengericht die Beiständin, die Eltern in ihrer Sorge um die Beschwerdeführerin zu unterstützen, insbesondere deren schulische, gesundheitliche und persönliche Entwicklung aufmerksam zu begleiten und den Eltern bei Fragestellungen und Konflikten zwischen Eltern und Schule unterstützend und vermittelnd zur Seite zu stehen. Die Beiständin wurde als Ansprechperson für Schulbehörden, Lehrpersonen und weitere involvierte Fachpersonen bestimmt und ihr schliesslich aufgetragen, der Verbeiständeten und ihren Eltern die psychologische und medizinische Unterstützung der entsprechenden Fachstellen und Dienste zu vermitteln. Die Beschwerdeführerin bringt nicht vor, inwiefern die auf die konkreten Probleme zugeschnittene Massnahme den Bedürfnissen nicht gerecht zu werden vermöchte.
 
5.
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Frage der Entschädigung stellt sich nicht.
 
6.
Die Beschwerde hat sich von Anfang an als aussichtslos erwiesen, zumal die Beschwerdeführerin nichts vorgebracht hat, was den angefochtenen Entscheid als bundesrechtswidrig erscheinen liess. Fehlt es somit an einer der kumulativen Voraussetzungen (nicht aussichtslose Beschwerde), muss das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen werden (64 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bezirksgericht Lenzburg, Abteilung Familiengericht, und dem Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. August 2014
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: von Werdt
Der Gerichtsschreiber: Zbinden