BGer 9C_783/2013
 
BGer 9C_783/2013 vom 12.05.2014
{T 0/2}
9C_783/2013
 
Urteil vom 12. Mai 2014
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Glanzmann,
Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Furrer.
 
Verfahrensbeteiligte
GastroSocial Pensionskasse,
Bahnhofstrasse 86, 5000 Aarau, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Isabelle Vetter-Schreiber,
Beschwerdeführerin,
gegen
G.________,
vertreten durch R.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Invalidenrente),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 17. September 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
A.a. Mit Verfügung vom 26. Oktober 2007 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau G.________ mit Wirkung ab 1. Oktober 2002 bis 30. Juni 2006 eine ganze Rente der Invalidenversicherung (IV) zu (Invaliditätsgrad von 100 %). Für die Zeit ab 1. Juli 2006 wurde eine separate Verfügung in Aussicht gestellt, da weitere medizinische Abklärungen angezeigt seien. In der Folge gewährte die IV-Stelle von 1. Juli 2006 bis 31. Juli 2007 eine Viertelsrente (Invaliditätsgrad von 44 %), von 1. August 2007 bis 31. Januar 2008 (wegen einer zeitweiligen Verschlechterung des Gesundheitszustands) eine ganze Rente (Invaliditätsgrad von 100 %) und ab 1. Februar 2008 wiederum eine Viertelsrente (Invaliditätsgrad von 44 %; Verfügung vom 3. Juni 2011).
A.b. Auf der Grundlage der IV-Verfügung vom 3. Juni 2011 erkannte die GastroSocial Pensionskasse (nachfolgend: Pensionskasse) G.________ von 1. August 2007 bis 31. Januar 2008 eine Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge von 100 % zu (Schreiben vom 14. Juni 2011). Ein Anspruch auf eine Viertelsrente bestehe indes nicht. Denn auf Renten, die entweder vor 2005 oder zwischen dem 1. Januar 2005 und 31. Dezember 2006 entstanden seien, finde das alte Recht Anwendung. Dieses kenne die Viertelsrente (noch) nicht. Ergänzend wies die Pensionskasse am 8. Februar 2012 darauf hin, der Rentenanspruch gegenüber der Invalidenversicherung sei vor dem 1. Januar 2005 entstanden.
B. Am 9. November 2012 erhob G.________ Klage beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit dem Rechtsbegehren, die Pensionskasse sei zu verpflichten, ihm Invalidenrentenleistungen von 1. Januar 2007 bis 31. Juli 2007 sowie ab 1. Februar 2008 auf der Basis einer Viertelsrente der IV zu bezahlen.
Mit Entscheid vom 17. September 2013 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Klage teilweise gut und verpflichtete die Pensionskasse, G.________ ab 1. Februar 2008 eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 44 % auszurichten. Im Übrigen wies es die Klage ab.
C. Hiegegen erhebt die Pensionskasse Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Klage vom 9. November 2012 vollumfänglich abzuweisen. Ferner sei der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen.
D. Mit Verfügung vom 16. Januar 2014 hat die Instruktionsrichterin der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
 
Erwägungen:
1. Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdegegners auf eine BVG-Invalidenrente ab 1. Februar 2008.
2. Gemäss der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung von Art. 24 Abs. 1 BVG besteht Anspruch auf eine volle Invalidenrente, wenn der Versicherte im Sinne der IV zu mindestens 70 %, auf eine Dreiviertelsrente, wenn er zu mindestens 60 %, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zur Hälfte, und auf eine Viertelsrente, wenn er mindestens zu 40 % invalid ist. Davor, also bis Ende 2004, hatte der Versicherte Anspruch auf eine volle Invalidenrente, wenn er im Sinne der IV mindestens zu zwei Dritteln, und auf ein halbe Rente, wenn er mindestens zur Hälfte invalid war (aArt. 24 Abs. 1 BVG). Bei einem Invaliditätsgrad von unter 50 % bestand kein Anspruch auf Invalidenleistungen (aArt. 23 BVG e contrario).
 
3.
3.1. Die Regelung von lit. f war in der Botschaft des Bundesrats vom 1. März 2000 zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; 1. BVG-Revision) nicht enthalten (BBl 2000, 2637, 2703 ff. Ziff. 4.2 und 2723 f.). Ihr Inhalt respektive zumindest ein Teil davon wurde jedoch anlässlich der ständerätlichen Beratung zur Sprache gebracht, und zwar als lit. g, welche von der Verwaltung beantragt worden war (Protokoll der Sitzung der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 4./5. November 2002, S. 67). Im amtlichen Bulletin des Ständerates vom 28. November 2002 (AB 2002 S 1054) findet sich die fragliche Übergangsbestimmung sodann in ihrem ganzen Wortlaut. Der Ständerat hat sie diskussionslos "auf Antrag der Kommission" angenommen. Sowohl die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit als auch der Nationalrat schlossen sich dem Beschluss des Ständerates ohne Diskussion an (Protokoll der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 27./28. März 2003, S. 36 f.; AB 2003 N 631).
3.2. Das BSV beschreibt in seinen Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 75 vom 2. Juli 2004 die Wirkung von lit. f Abs. 1-3 im Wesentlichen wie folgt: Eine bereits am 1. Januar 2005 laufende Rente wird vom alten Recht beherrscht. Ebenso wird eine Rente, die nach altem Recht entstanden ist und unter dem neuen Recht ausgerichtet wird, nach dem alten Recht berechnet. Bis zum 31. Dezember 2006 werden im BVG keine Viertels- und Dreiviertelsrenten existieren. Entsprechend werden bezüglich der laufenden Renten und für die während der Zeitspanne von zwei Jahren (vom 1. Januar 2005 - Inkrafttreten der Gesetzesänderung - bis 1. Januar 2007) entstehenden Renten keine Dreiviertels- und Viertelsrenten zur Auszahlung gelangen. Sollte sich der Invaliditätsgrad in dieser Zeit bis zu 50 % vermindern, wird die bisherige volle Rente beibehalten.
3.3. Das Bundesgericht hatte bereits Gelegenheit, zum Gehalt von lit. f Stellung zu nehmen. Dabei ist es nicht in allen Belangen der Auffassung des BSV gefolgt. Insbesondere hat es erwogen, dass lit. f Abs. 2 sich nur auf BVG-Rentenansprüche bezieht, die in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 entstanden sind. Anders als für altrechtlich begründete Leistungsansprüche ist für sie die Anwendbarkeit des neuen Rechts nicht ausgeschlossen, sondern intertemporalrechtlich für eine bestimmte Zeit suspendiert. Per 1. Januar 2007 sind sie entsprechend der neuen Rentenabstufung anzupassen, ohne dass es einer revisionsrechtlich erheblichen Änderung des Invaliditätsgrades bedarf (BGE 135 V 319 E. 3.2 S. 322 ff.; SVR 2011 BVG Nr. 41 S. 155, 9C_1049/2010 E. 3). Auf der anderen Seite hat das Bundesgericht bestätigt, dass für einen vor dem 1. Januar 2005 entstandenen Rentenanspruch die altrechtliche Rentenabstufung (mit voller oder halber Rente) massgebend ist. In einem solchen Fall hat die versicherte Person bei einem Invaliditätsgrad unter 50 % keinen Anspruch auf eine BVG-Invalidenrente. Ein solcher entsteht auch nach Inkrafttreten der neuen Rentenabstufung nicht (SVR 2011 BVG Nr. 41 S. 155, 9C_1049/2010 E. 3), es sei denn, der Invaliditätsgrad verändere sich nach dem 1. Januar 2007 revisionsrechtlich erheblich (Urteil 9C_1027/2008 vom 10. August 2009 E. 6.1).
 
4.
4.1. Im vorliegenden Fall ist der ursprüngliche Invaliditätsgrad von 100 % während der zweijährigen Übergangsperiode - per 1. Juli 2006 - auf 44 % gesunken. Zwar erliess die Invalidenversicherung auf dieses Datum hin eine neue Verfügung (vgl. Sachverhalt lit. A). Prinzipiell macht es jedoch keinen Unterschied, ob sie im Oktober 2007 zunächst eine befristete Rente bis Ende Juni 2006 zusprach und später separat über die unmittelbar anschliessende Zeit verfügte oder ob sie dannzumal eine einzige, dafür abgestufte Rentenverfügung erlassen hätte. Ist der Rentenanspruch einer bestimmten Stufe (vgl. Art. 28 Abs. 2 IVG) einmal entstanden, richtet sich der Übergang auf eine Invalidenrente anderer Stufe nicht mehr nach Art. 28 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 29 Abs. 1 IVG, sondern nach den revisionsrechtlichen Bestimmungen von Art. 17 ATSG sowie Art. 88a und Art. 88bis IVV. Dies gilt auch bei der (rückwirkend erfolgten) abgestuften und/oder befristeten Rentenzusprechung, wobei diesbezüglich Art. 88bis IVV nicht anwendbar ist ( ULRICH MEYER, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 2. Aufl. 2010, S. 363 mit Hinweis auf BGE 109 V 125). Es steht daher nicht eine Invalidenrente zur Diskussion, die während der Übergangsfrist vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 entstanden ist. Vielmehr ist eine Invalidenrente zu beurteilen, die im Sinne von lit. f Abs. 1 vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung zu laufen begonnen hat. Gleichzeitig steht fest, dass die Anwendung von lit. f Abs. 2 von vornherein ausscheidet (vgl. E. 3.3).
4.2. Nachdem hier der Rentenanspruch vor der Änderung von Art. 24 BVG entstanden ist resp. die Invalidenrente vor dem 1. Januar 2005 zu laufen begonnen hat, bleibt grundsätzlich das bisherige Recht anwendbar (lit. f Abs. 1). Eine Ausnahme ergibt sich aus lit. f Abs. 3 e contrario. Danach gilt das neue Recht mit der feineren Rentenabstufung, wenn der Invaliditätsgrad bei einer Revision steigt ( GEISER/ SENTI, in: Handkommentar zum BVG und FZG, 2010, S. 1490 N. 20; JÜRG BRÜHWILER, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2007, S. 2046 Rz. 115; BRECHBÜHL/SCHNYDER : Änderung bei den Leistungen der beruflichen Vorsorge, in: SZS 2005 S. 50; vgl. auch Isabelle Vetter-Schreiber, BVG-Kommentar, 3. Aufl. 2013, S. 337). In concreto war dies für die Zeit vom 1. August 2007 bis zum 31. Januar 2008, also nach Ablauf der Übergangszeit Ende Dezember 2006, der Fall, als sich der Invaliditätsgrad von 44 % wieder auf 100 % erhöhte. Diese Erhöhung unterliegt demnach - was auch die Beschwerdeführerin nicht zu bestreiten scheint - der neuen, am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Ordnung.
4.3. Streitig ist dagegen, nach welchem Recht - dem bisher, bis Ende Dezember 2004 anwendbaren oder dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen - sich der Umstand richtet, dass der Invaliditätsgrad per 1. Februar 2008 wieder auf 44 % gesunken ist. Der in E. 4.2 zitierten Lehre lässt sich dazu nichts Explizites entnehmen. Wohl handelt es sich vorliegend um eine laufende Rente, für die nach Ablauf der Übergangsfrist Ende Dezember 2006 nicht automatisch die neue Rentenabstufung gilt (vgl. E. 4.1 in fine). Mithin mutiert sie infolge der (zwischenzeitlichen) Erhöhung des Invaliditätsgrades nicht zu einer "neuen" Rente, die per se dem geltenden (neuen) Recht unterliegt. Indes besagt die Wendung "noch" in lit. f Abs. 3 - im Umkehrschluss - unmissverständlich, dass ab dem Zeitpunkt, in dem eine Erhöhung des Invaliditätsgrades gegeben ist, fortan neues Recht zur Anwendung gelangt. Triftige Gründe, die ein Abweichen vom klaren Wortlaut rechtfertigen, finden sich keine (vgl. dazu BGE 140 V 15 E. 5.3.2 S. 18; vgl. auch E. 3.1). Dass eine spätere Verringerung des Invaliditätsgrades wieder einen Wechsel von der neuen zur altrechtlichen Regelung zeitigen soll, was mit Sinn und Zweck einer Übergangsbestimmung kaum vereinbar scheint (vgl. Müller/Uhlmann, Elemente einer Rechtssetzungslehre, 3. Aufl. 2013, S. 220 Rz. 348 viertes Lemma), ist weder sachlich geboten noch sieht die Übergangsbestimmung Entsprechendes vor. Lit. f Abs. 3 dient der Besitzstandswahrung für Rentenansprüche, die bis zum 31. Dezember 2004 entstanden sind (Hans-Ulrich Stauffer, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2012, S. 320 f. Rz. 881). Bei Erhöhung des Invaliditätsgrades bedarf es keiner solchen. Vielmehr wird im Moment, in dem sich der Invaliditätsgrad erhöht, der Grundsatz der Nichtrückwirkung von lit. f Abs. 1 durchbrochen. Konsequenterweise richtet sich das Rentenverhältnis von da an nach dem neuen Recht. Bei dieser - unterschiedlichen - Sach- und Rechtslage kann entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht von rechtsungleicher Behandlung oder Willkür gesprochen werden. Im Übrigen sind Bundesgesetze für das Bundesgericht massgebend (Art. 190 BV).
5. Gemäss dem Prozessausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegner hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
5. Die Beschwerde wird abgewiesen.
6. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
7. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen.
8. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 12. Mai 2014
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kernen
Der Gerichtsschreiber: Furrer