BGer 5A_553/2012
 
BGer 5A_553/2012 vom 14.04.2014
{T 1/2}
5A_553/2012
 
Urteil vom 14. April 2014
 
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichterinnen Escher, Hohl,
Bundesrichter Marazzi, Herrmann,
Gerichtsschreiber Möckli.
 
Verfahrensbeteiligte
Daniel L.  Vasella,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Gessler,
Beschwerdeführer,
gegen
1.  Verein JUSO Schweiz,
2. Cédric  Wermuth,
beide vertreten durch Rechtsanwältin Regula Bähler,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Persönlichkeitsverletzung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer,
vom 19. Juni 2012.
 
Sachverhalt:
A. In der Zeitung "20 Minuten" wurde am 2. November 2010 über die "1:12-Initiative" des Vereins JUSO Schweiz berichtet (Ergänzung der Bundesverfassung insbesondere mit einer Bestimmung Art. 110a Abs. 1: "Der höchste von einem Unternehmen bezahlte Lohn darf nicht höher sein als das Zwölffache des tiefsten vom gleichen Unternehmen bezahlten Lohnes. Als Lohn gilt die Summe aller Zuwendungen (Geld und Wert der Sach- und Dienstleistungen), welche im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit entrichtet werden.").
B. Mit Klage vom 7. März 2011 stellte Daniel Vasella beim Bezirksgericht Baden die Begehren, es sei der JUSO Schweiz und Cédric Wermuth zu verbieten, die auf der Homepage www.juso.ch (unter Blog) gezeigten Bildmontagen (Beilagen 3-6), die den Kläger weitgehend nackt darstellen, auf der Homepage der JUSO Schweiz oder sonst im Internet oder anderswo zu zeigen, unter Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB, und es sei festzustellen, dass die genannten Bildmontagen das Persönlichkeitsrecht des Klägers widerrechtlich verletzten.
C. Gegen das obergerichtliche Urteil hat Daniel Vasella am 27. Juli 2012 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben, mit welcher er dessen Aufhebung verlangt und im Übrigen die gleichen Begehren wie vor erster Instanz stellt. Mit Präsidialverfügung vom 24. August 2012 wurde der Beschwerde in dem Sinn die aufschiebende Wirkung erteilt, dass die vorsorglichen Massnahmen des Bezirksgerichts Baden vom 19. Januar 2011 bis zum Entscheid in der vorliegenden Sache in Kraft bleiben. Mit Schreiben vom 12. September 2012 verzichtete das Obergericht auf eine Vernehmlassung. Am 1. Oktober 2012 reichten die Beschwerdegegner ihre Vernehmlassung ein, mit welcher sie die Abweisung der Beschwerde verlangten.
 
Erwägungen:
1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzliches Endurteil in einer nicht vermögensrechtlichen Zivilsache. Die Beschwerde in Zivilsachen steht damit offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 2 und Art. 90 BGG). Es sind alle Vorbringen im Sinn von Art. 95 f. BGG zulässig. Auch wenn inzwischen über die 1:12-Initiative abgestimmt worden ist, dauert die Verletzung unzweifelhaft an (vgl. Urteil 5C.4/2000 vom 7. Juli 2000 E. 3c/aa, nicht publ. in: BGE 126 III 305) und besteht nach wie vor beidseitig ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung der vorliegenden Beschwerde.
2. Die kantonalen Gerichte haben für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG) festgehalten, dass es sich erkennbar um eine Fotomontage handelt, wobei der Kopf einer Fotografie des Beschwerdeführers entnommen ist und der nackte Körper von einer unbekannten Drittperson stammt, dass der Beschwerdeführer in der Version, in welcher seine Augenpartie und die Scham mit Banknoten abgedeckt sind, nach wie vor zu identifizieren ist (jedenfalls in Verbindung mit dem Hinweis "Dani V."), und dass die Körperhaltung (zusammengepresste Knie) ein Scham- oder Angstgefühl des Beschwerdeführers suggeriert. All dies ist zwischen den Parteien auch nicht umstritten.
3. Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann das Gericht anrufen (Art. 28 Abs. 1 ZGB), wobei eine Verletzung gemäss Abs. 2 widerrechtlich ist, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist. Vom Gesetzeswortlaut her ist mithin jede Persönlichkeitsverletzung widerrechtlich (Persönlichkeit als absolutes Rechtsgut), wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Der Verletzte hat demnach die Tatsache und die Umstände der Verletzung sowie deren Schwere nachzuweisen, während dem Verletzer der Nachweis rechtfertigender Sachumstände obliegt (vgl. BGE 136 III 410 E. 2.3 S. 414). Praxisgemäss ist in zwei Schritten zu prüfen, ob eine Persönlichkeitsverletzung vorliegt und ob ein Rechtfertigungsgrund gegeben ist (vgl. BGE 126 III 305 E. 4a S. 306; 127 III 481 E. 2c S. 488; 134 III 193 E. 4.6 S. 201; 136 III 410 E. 2.2.1 S. 413).
3.1. Ausgehend von den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen, wonach der Beschwerdeführer auf der Abbildung für Dritte klar erkennbar - mithin identifizierbar - ist und wonach keine Zustimmung vorliegt, hat das Obergericht die Persönlichkeitsverletzung bejaht, was in der Beschwerde letztlich nicht bestritten wird und deshalb in der gebotenen Kürze abgehandelt sei.
3.2. Eine Persönlichkeitsverletzung ist nicht widerrechtlich, wenn ein Rechtfertigungsgrund gegeben ist. Darunter fällt insbesondere die Einwilligung des Verletzten, sodann das überwiegende private oder öffentliche Interesse und schliesslich die gesetzliche Vorschrift (BGE 134 III 193 E. 4.6 S. 200 f.). Satire ist eine Form der Berichterstattung und dient in einem weiteren Sinn der Information des Publikums (Urteil 5C.211/1994 vom 19. Dezember 1994 E. 3c), weshalb an ihr ein öffentliches Interesse besteht und sie einen Rechtfertigungsgrund darstellen kann (BGE 95 II 481 E. 8 S. 495). Weil Satire definitionsgemäss überzeichnet oder verfremdet, kann sie nur unter erschwerten Umständen angefochten werden, wenn nämlich die ihrem Wesen eigenen Grenzen in unerträglichem Mass überschritten sind (Urteile 5C.249/1992 vom 17. Mai 1994 E. 5a; 5C.26/2003 vom 27. Mai 2003 E. 2.3; 5A_850/2011 vom 29. Februar 2012 E. 5.2.4; 5A_376/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 5.2.1).
3.3. Nach verbreiteter Definition liegt Satire vor, wenn kumulativ drei Merkmale erfüllt sind, nämlich ein aggressives, ein soziales und ein ästhetisches. Die Aggression richtet sich nicht gegen eine bestimmte Person, sondern gegen einen Repräsentanten eines bestimmten Verhaltens oder auch gegen eine Ordnung oder Institution. Mit dem Angriff wird ein sozialer Zweck verfolgt, indem die dargestellte Wirklichkeit mit einer übergeordneten Norm konfrontiert bzw. ein Widerspruch aufgedeckt wird. Dieser Vorgang wird auf der Ebene der ästhetischen Darstellung mit verschiedenen Stilmitteln vollzogen (vgl. SENN, Satire und Persönlichkeitsschutz, Diss. Zürich 1998, S. 23 ff. m.w.H.). Eines dieser Stilmittel kann die Karikatur sein, welche im Prinzip visuell gestaltete Satire ist (vgl. SENN, a.a.O., S. 141). Dabei wird in der verzerrten Form der Bildsprache das Charakteristische entdeckt und analysiert, wobei die Absicht der Karikatur idealtypisch die Aufdeckung von Missständen mittels Überzeichnung ist ( SENN, a.a.O., S. 33 unten).
3.4. Entsprechend dem Vorbringen der Beschwerdegegner ist das Obergericht davon ausgegangen, dass sich diese des Stilmittels der Satire bzw. der Karikatur bedient hätten, wobei es im Wesentlichen auf die in Deutschland verbreitete "Einkleidungstheorie" (vgl. dazu ACKERMANN, Satire und Strafrecht, in: Strafrecht als Herausforderung, Zürich 1999, S. 83 f. m.w.H.) abgestellt hat. Im Einzelnen hat es befunden, der Beschwerdeführer wäre als früherer CEO und sodann VR-Präsident eines bedeutenden pharmazeutischen Unternehmens angesichts seines sehr hohen Einkommens, insbesondere während der Zeit des Doppelmandates, massiv von der Realisierung der 1:12-Initiative betroffen. Die mit dem Bild des Beschwerdeführers und der beiden weiteren Personen versehene Fotomontage fordere diese auf, "sich warm anzuziehen", was heisse, dass sie sich auf etwas Unerfreuliches einstellen müssten. Mit "Abzocker" sei insbesondere auch der Beschwerdeführer in seiner wahrgenommenen Erscheinung als Bezüger von sehr hohem Einkommen gemeint. Dieser Aussagekern, nämlich die Voraussage, der Kläger müsse sich auf Unangenehmes gefasst machen, stelle keine Persönlichkeitsverletzung dar. Zu prüfen sei weiter, ob die "Einkleidung" dieser Aussage, nämlich die verfremdete Darstellung des Klägers als nackte Person, persönlichkeitsverletzend sei. Der Kläger werde zwar nackt gezeigt und in einer Stellung, die darauf schliessen lasse, dass er sich mutmasslich ob seiner Nacktheit schäme. Der abgebildete Körper, auf dem der Kopf des Klägers "montiert" worden sei, könne aber keineswegs als unansehnlich qualifiziert werden. Die Zuordnung eines solchen Körpers zum Portrait des Klägers wirke nicht herabsetzend. Die Abbildungen würden sich denn auch nicht gegen den Beschwerdeführer als individuelle Person im Sinn eines persönlichen Angriffs richten. Vielmehr würden neben ihm zwei weitere führende Personen aus dem schweizerischen Wirtschaftsleben mit sehr hohem Einkommen unter der Bezeichnung "Abzocker" nackt abgebildet. Der Kläger werde also zusammen mit diesen als Repräsentant des mit der 1:12-Initiative anvisierten Verhaltens angegriffen. Weil die Fotomontage die dem Wesen der von der Meinungsäusserungsfreiheit geschützten satirischen Darstellung eigenen erweiterten Grenzen nicht in unerträglichem Mass überschreite, stelle sie nach Ansicht der Mehrheit der urteilenden Kammer keine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung dar (eine Minderheit der Kammer hätte die Widerrechtlichkeit bejaht mit der Begründung, der Beschwerdeführer werde durch die nackte Abbildung unnötigerweise ins Lächerliche gezogen).
3.5. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, dass gar keine Satire vorliege bzw. der betreffende Rechtfertigungsgrund von den Beschwerdegegnern bloss vorgeschoben sei. Er bringt vor, im Zusammenhang mit dem Text "Abzocker zieht euch warm an" hätte es näher gelegen, ihn und die beiden anderen Wirtschaftsführer verpackt in warme Wollsachen darzustellen, und er hat auch eine betreffende Fotomontage zu den kantonalen Akten gegeben.
3.6. Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, er werde unnötig ins Lächerliche gezogen. Die Beschwerdegegner hätten die gleiche Botschaft auch ohne demütigende Blossstellung publizieren können.
3.7. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Persönlichkeit des Beschwerdeführers verletzt worden ist, die nicht auf ihn als Privatperson zielende karikierende Darstellung aber im Rahmen der politischen Auseinandersetzung gerade noch tolerierbar erscheint und somit ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Jedenfalls hat das Obergericht mit der betreffenden Ansicht in vertretbarer Weise von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und mithin kein Bundesrecht verletzt.
4. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer wird damit kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6'000.-- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. April 2014
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: von Werdt
Der Gerichtsschreiber: Möckli