BGer 8C_528/2013
 
BGer 8C_528/2013 vom 31.01.2014
{T 0/2}
8C_528/2013
 
Urteil vom 31. Januar 2014
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
 
Verfahrensbeteiligte
S.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Geschäftsstelle Zürich-City, Badenerstrasse 329, 8003 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 14. Juni 2013.
 
Sachverhalt:
A. Der 1957 geborene S.________ hatte in der zweijährigen Rahmenfrist für den Leistungsbezug (1. Dezember 2010 bis 30. November 2012) Taggelder der Arbeitslosenversicherung bezogen. Ab 1. April 2011 war er als Senior Consultant für die I.________ AG tätig. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 30. Mai 2012 auf den 31. August 2012. Am 30. August 2012 meldete sich S.________ erneut zur Arbeitsvermittlung an und am 12. September 2012 stellte er Antrag auf Arbeitslosenentschädigung für die Zeit ab 1. September 2012. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich qualifizierte die Anmeldung als Wiederanmeldung während einer laufenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug. Eine weitere zweijährige Rahmenfrist für den Leistungsbezug wurde am 1. Dezember 2012 eröffnet. Mit Verfügung vom 3. Januar 2013 stellte sie fest, es bestehe während der Rahmenfrist für den Leistungsbezug vom 1. Dezember 2012 bis 30. November 2014 mit Blick auf 17 Monate beitragspflichtiger Beschäftigung Anspruch auf höchstens 260 Taggelder. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 19. März 2013 ).
B. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 14. Juni 2013).
C. S.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Eingabe vom 18. Juli 2013 und verbesserte Rechtsschrift vom 19. August 2013) mit dem Antrag, es seien ihm in der laufenden Rahmenfrist (für den Leistungsbezug) 400 Taggelder zuzusprechen. Ferner ersucht er sinngemäss um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Mit Verfügung vom 12. Dezember 2013 lehnte das Bundesgericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mangels ausgewiesener Bedürftigkeit ab. S.________ erbrachte den Gerichtskostenvorschuss in der Folge innert Frist.
Die Arbeitslosenkasse lässt sich nicht vernehmen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Stellungnahme.
 
Erwägungen:
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft indessen - unter Beachtung der allgemeinen Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
 
2.
2.1. Nach Art. 27 Abs. 1 AVIG bestimmt sich die Höchstzahl der Taggelder innerhalb der Rahmenfrist für den Leistungsbezug (Art. 9 Abs. 2 AVIG) nach dem Alter der Versicherten sowie nach der Beitragszeit (Art. 9 Abs. 3 AVIG). Laut Abs. 2 lit. a derselben Bestimmung hatte eine versicherte Person bis 31. März 2011 Anspruch auf höchstens 400 Taggelder, wenn sie eine Beitragszeit von insgesamt 12 Monaten nachweisen konnte. In der auf den 1. April 2011 in Kraft getretenen Fassung von Art. 27 Abs. 2 AVIG beläuft sich die Höchstzahl der Taggelder bei einer nachgewiesenen Beitragszeit von insgesamt 12 Monaten auf 260 (lit. a) und bei einer Beitragszeit von insgesamt 18 Monaten auf 400 Taggelder (lit. b).
2.2. Der in Art. 9 BV verankerte Grundsatz von Treu und Glauben statuiert ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens und verleiht einer Person Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden (BGE 131 II 627 E. 6.1 S. 636). Die Voraussetzung für eine Berufung auf Vertrauensschutz, welche unter bestimmten Umständen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung der Rechtsuchenden gebieten kann, ist erfüllt: 1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat; 2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; 3. wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte; 4. wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können und 5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 131 V 472 E. 5 S. 480).
 
3.
3.1. Die Arbeitslosenkasse ermittelte in ihrer Verfügung vom 3. Januar 2013 (bestätigt mit Einspracheentscheid vom 19. März 2013) eine beitragspflichtige Beschäftigung von 17 Monaten in der Beitragsrahmenfrist vom 1. Dezember 2010 bis 30. November 2012. In Anwendung von Art. 27 Abs. 2 lit. a AVIG in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung ergab sich daher ein Anspruch auf höchstens 260 Taggelder in der Rahmenfrist für den Leistungsbezug vom 1. Dezember 2012 bis 30. November 2014. Die Vorinstanz ist der Ansicht, die Ablehnung eines weitergehenden Taggeldanspruchs sei auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensgrundsatzes nicht zu beanstanden. Dem Beschwerdeführer sei im Bestätigungsschreiben der Kasse vom 20. August 2010 zugesichert worden, dass ihm durch einen Verzicht auf Arbeitslosenentschädigung für den Monat August 2010 "gemäss den gesetzlichen Grundlagen von heute" keine Nachteile in der Anspruchsberechtigung erwachsen würden. Diese Auskunft sei klar unter Vorbehalt einer allfälligen Gesetzesänderung erfolgt und in Bezug auf die damalige Rechtslage zutreffend gewesen. Da der Vertrauensschutz bei Gesetzesänderungen grundsätzlich nicht greife und ein Ausnahmefall nicht vorliege, könne der Beschwerdeführer aus diesem Schreiben nichts zu seinen Gunsten ableiten, weshalb eine Addition der Beitragsmonate aus einem weiter zurückliegenden Arbeitsverhältnis (Dauer: 1. September bis 26. November 2010 ) nicht möglich sei.
3.2. Der Beschwerdeführer bestreitet weder die Anwendung des Art. 27 Abs. 2 lit. a AVIG in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung noch die Berechnung der Beitragszeit. Er verlangt jedoch, dass er in seinem Vertrauen auf die behördliche Auskunft vom 20. August 2010 zu schützen sei. Demgemäss müsse sein Anspruch gestützt auf Rahmenfristen berechnet werden, welche auf der Annahme eines Taggeldbezugs für den Monat August 2010 basierten. Zur Begründung gibt er an, wenn er im August 2010 Arbeitslosenentschädigung bezogen hätte, so würde sich für die aktuelle Leistungsrahmenfrist ein Anspruch auf 400 Taggelder ergeben, da er in diesem Fall 21 Beitragsmonate vorweisen könnte. Die Mitarbeiterin der Arbeitslosenkasse habe ihm die Auskunft vom 20. August 2010 in einem Zeitpunkt erteilt, in welchem das neue Recht bereits beschlossen und das Datum der Inkraftsetzung bekannt gewesen sei. Sie habe daher gewusst oder hätte wissen müssen, dass eine Rechtsänderung eintreten werde, welche sich nachteilig auswirken könne. Zudem sei die Auskunft sowohl nach altem als auch nach neuem Recht falsch gewesen, weil sich der Verzicht auf Leistungen schon vor Inkrafttreten der heute geltenden Regelung negativ, unter Umständen aber auch positiv, hätte auswirken können. Er habe aber damals wissen wollen, ob der Nichtbezug Nachteile habe. Dies sei verneint worden. Wenn er gewusst hätte, dass "solche" Nachteile eintreten könnten, hätte er sicher nicht auf das Arbeitslosentaggeld (für den Monat August 2010) verzichtet. Diese Täuschung habe fatale Folgen, weil seine letzte Arbeitgeberin in der Schlussphase der Anstellung Hilfe angeboten habe, welche er abgelehnt habe. Es sei ihm wegen der Fehlinformation nicht in den Sinn gekommen, um einen weiteren Beschäftigungsmonat zu bitten. Somit habe er diese Gelegenheit verpasst, weshalb ihm nun nach neuem Recht - für den Anspruch auf 400 Taggelder - ein Beitragsmonat fehle.
 
4.
4.1. Es war schon im vorinstanzlichen Verfahren unbestritten, dass zufolge des Verzichts auf Arbeitslosentaggelder für den Monat August 2010 keine Leistungsrahmenfrist eröffnet worden war. Diese lief erst ab 1. Dezember 2010, nachdem die kurzzeitige Anstellung (mit Arbeitsantritt am 1. September 2010) per 26. November 2010 gekündigt worden war. Der Beschwerdeführer verlangt nun eine nachträgliche Korrektur der Beitrags- und Leistungsrahmenfristen, bzw. eine Berechnung der Taggelder unter der Annahme, er hätte im August 2010 nicht auf Arbeitslosentaggelder verzichtet. Dabei stützt er sich auf das Schreiben einer Sachbearbeiterin der Arbeitslosenkasse vom 20. August 2010. Darin wird einerseits der Verzicht auf Arbeitslosenentschädigung für August 2010 bestätigt und andererseits zugesichert, dass ihm nach den gesetzlichen Grundlagen "von heute" keine Nachteile in der Anspruchsberechtigung entstehen würden, da er bis auf diesen Monat immer gearbeitet und Beiträge bezahlt habe.
4.2. Der Versicherte macht zu Recht geltend, diese Auskunft sei sowohl unter altem wie auch unter neuem Recht - in ihrer Schrankenlosigkeit - falsch. In der Tat kann sich die mit einem Verzicht auf den Bezug von Arbeitslosenentschädigung für einen Monat verbundene Nichteröffnung der Rahmenfrist für den Leistungsbezug bzw. eine zeitlich spätere Eröffnung zum Nachteil - aber je nach Konstellation auch zum Vorteil - einer versicherten Person auswirken. Ob der Verzicht einen positiven oder einen negativen Einfluss auf den Anspruch auf Arbeitslosentaggelder hat, lässt sich gar nicht allgemein sagen, weil dies von der weiteren Entwicklung, welche sich nicht vorhersehen lässt, namentlich von der Dauer der beitragspflichtigen Beschäftigung und den Zeiten der Arbeitslosigkeit im Einzelfall abhängt. In seinem Rechenbeispiel bringt der Beschwerdeführer zum Ausdruck, dass sich die Nichteröffnung der Rahmenfrist für den Leistungsbezug im August 2010 in concreto nachteilig auf die Anzahl der Taggelder in der neuen Leistungsrahmenfrist niederschlägt. Hätte er damals Arbeitslosenentschädigung bezogen, wäre die zweijährige Leistungsrahmenfrist auf den 1. August 2010 eröffnet worden. Wegen der Arbeitslosigkeit ab 1. September 2012 wäre die neuste Leistungsrahmenfrist auf die Zeit vom 1. September 2012 bis 31. August 2014 (nicht, wie vom Versicherten geltend gemacht, vom 1. August 2012 bis 31. Juli 2014) angesetzt worden. In der entsprechenden Beitragsrahmenfrist vom 1. September 2010 bis 31. August 2012 hätte der Beschwerdeführer eine Beitragszeit von über 18 Monaten nachweisen können, weshalb er Anspruch auf 400 Taggelder gehabt hätte (E. 2.1 hiervor).
4.3. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Bestätigungsschreiben vom 20. August 2010 nicht nur entsprechend der damaligen Rechtslage, sondern auch in Bezug auf die damalige Situation abgegeben wurde. In jenem Zeitpunkt hatte die Behörde mit Blick auf die lückenlose Beitragszeit vor Eintritt der tatsächlichen Arbeitslosigkeit (auf den 1. August 2010) noch keine Anhaltspunkte dafür, dass fehlende Beitragszeiten die Anspruchsberechtigung künftig in Frage stellen könnten. Es war auch nicht absehbar, dass der Versicherte die am 1. September 2010 angetretene Stelle bereits im November 2010 wieder verlieren würde und sich in der Folge eine neuerliche Arbeitslosigkeit einstellen würde. Die Verwaltung hatte deshalb entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers weder Anlass, über alle Eventualitäten nach Inkrafttreten der neuen AVIG-Bestimmungen zu informieren, noch konnte sich ihre Antwort mangels Vorhersehbarkeit auf die künftige Beschäftigungssituation des Versicherten beziehen. Zwischen der vertrauensbildenden Auskunft vom 20. August 2010 und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit vom 1. September 2012 liegen über zwei Jahre. Ob behördlicherseits anfangs 2011 wiederholt zugesichert worden war, dass ein Verzicht (auf Taggelder) immer ein "Pluspunkt" sei, kann dahingestellt bleiben (bezüglich mündlicher Zusicherungen und Auskünfte: vgl. Urteil 8F_6/2013 vom 25. Juni 2013 E. 2 mit Hinweisen). So oder anders durfte er sich nicht für längere Zeit auf die unveränderte Gültigkeit der im August 2010 abgegebenen (und allenfalls anfangs 2011 mündlich wiederholten) Zusicherung verlassen. Immerhin wurde bereits am 1. Dezember 2010 eine neue Rahmenfrist für den Leistungsbezug eröffnet. Damit wurde die Ausgangslage ein erstes Mal verändert. Unvorhersehbar war im August 2010 auch der Zeitpunkt der neuen Anstellung (1. April 2011) und der Arbeitslosigkeit (1. September 2012). Letzter Anlass in dieser Ereigniskette, um sich nach den aktuellen Voraussetzungen zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung in einer Folgerahmenfrist zu erkundigen, bot die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 30. Mai 2012 durch die I.________ AG auf den 31. August 2012. Da sich die Auskunft vom 20. August 2010 nicht auf diese Entwicklung, sondern auf die damaligen Verhältnisse bezog, fehlt bereits die erste Voraussetzung für eine erfolgreiche Berufung auf den Vertrauensschutz (E. 2.2 hiervor). Es erübrigen sich deshalb Weiterungen zur Frage, ob die letztinstanzlich erstmals vorgebrachte, nicht belegte Behauptung, der letzte Arbeitgeber hätte ihn noch einen weiteren Monat beschäftigt, wenn der Versicherte gewusst hätte, dass er einen zusätzlichen Beitragsmonat hätte vorweisen müssen, um Anspruch auf 400 Taggelder zu haben, rechtzeitig ins Verfahren eingebracht wurde.
5. Zusammenfassend rechtfertigt es sich nicht, den Beschwerdeführer aus Gründen des Vertrauensschutzes abweichend von den gesetzlichen Vorgaben zu behandeln und ihm in der laufenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug einen Anspruch auf 400 Taggelder zuzuerkennen.
Im Übrigen bringt der Versicherte nichts vor, das auf eine Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG oder einen Mangel in der vorinstanzlichen Feststellung des Sachverhalts laut Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG schliessen liesse.
6. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) vom Beschwerdeführer als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 31. Januar 2014
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz