BGer 8C_152/2013
 
BGer 8C_152/2013 vom 28.10.2013
{T 0/2}
8C_152/2013
 
Urteil vom 28. Oktober 2013
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiberin Polla.
 
Verfahrensbeteiligte
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich,
Brunngasse 6, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Rückerstattung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Januar 2013.
 
Sachverhalt:
A. Mit Einspracheentscheid vom 19. November 2008 forderte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 1963 geborenen B.________ zu viel bezogene Arbeitslosenentschädigung für die Monate Juni 2005 bis März 2007 in der Höhe von Fr. 16'489.70 zurück, welcher Entscheid letztinstanzlich mit Urteil des Bundesgerichts 8C_48/2011 vom 16. Mai 2011 bestätigt worden ist.
Am 21. März 2012 erliess die Arbeitslosenkasse eine Rückforderungsverfügung für zu viel ausbezahlte Zuschläge zum Arbeitslosentaggeld entsprechend der Kinder- und Ausbildungszulagen für die Monate Februar 2006 bis März 2007 von Fr. 1'280.75. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 24. April 2012).
B. Die dagegen geführte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 10. Januar 2013 teilweise gut wegen verjährtem Rückforderungsanspruch bezüglich der Monate Februar 2006 bis Februar 2007 und verpflichtete B.________ in Abänderung des Einspracheentscheids vom 24. April 2012 zur Rückerstattung von Fr. 86.20.
C. Die Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des kantonalen Entscheids.
D. Mit Verfügung vom 31. Juli 2013 gab das Bundesgericht den Parteien, dem kantonalen Gericht und dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Gelegenheit, sich insbesondere zur Frage zu äussern, ob die ursprünglich zurückgeforderten Zuschläge zum Arbeitslosentaggeld entsprechend der Kinder- und Ausbildungszulagen in der Höhe von Fr. 2'554.05 als Teil der Rückforderungssumme von Fr. 16'489.70 der betreibungsrechtlichen Vollstreckung zugeführt werden könnten.
Während Arbeitslosenkasse, Vorinstanz und SECO die Frage bejahen, verneint B.________ diese. Das SECO beantragt Gutheissung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist, B.________ schliesst in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. September 2013 auf Abweisung der Beschwerde.
 
Erwägungen:
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Dabei legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
2.
2.1. Laut Art. 22 Abs. 1 Satz 2 AVIG erhält der Versicherte - unter bestimmten, in lit. a und b dieses Absatzes aufgeführten, vorliegend unbestrittenermassen gegebenen Voraussetzungen - einen Zuschlag zum Taggeld der Arbeitslosenversicherung, der den auf den Tag umgerechneten gesetzlichen Kinder- und Ausbildungszulagen entspricht, auf die er Anspruch hätte, wenn er noch in einem Arbeitsverhältnis stünde. Dieser Zuschlag wird nur ausbezahlt, soweit (lit. a) die Kinderzulagen dem Versicherten während der Arbeitslosigkeit nicht ausgerichtet werden und (lit. b) für dasselbe Kind kein Anspruch einer erwerbstätigen Person besteht.
2.2. Gemäss Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG (in Verbindung mit Art. 95 Abs. 1 und 2 AVIG) sind unrechtmässig bezogene Leistungen der Arbeitslosenversicherung zurückzuerstatten. Der Rückforderungsanspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren nach der Entrichtung der einzelnen Leistung (Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG). Wird der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so ist diese Frist massgebend (Art. 25 Abs. 2 Satz 2 ATSG).
2.3. Bei den Fristen nach Art. 25 Abs. 2 ATSG handelt es sich um von Amtes wegen zu berücksichtigende Verwirkungsfristen (BGE 138 V 74 E. 4.1 S. 77 mit Hinweisen). Diese sind rechtsprechungsgemäss gewahrt, wenn vor Ablauf der massgebenden Frist eine Rückerstattungsverfügung ergeht (SVR 2004 AlV Nr. 5 S. 13, C 17/03 E. 4.3.2 mit Hinweis und ARV 2001 S. 91, C 31/00 E. 2a-c; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 43 zu Art. 25 ATSG). Wurde die Rückforderung einmal frist- und formgerecht geltend gemacht, ist die Frist zu ihrer Festsetzung ein für allemal gewahrt, und zwar selbst dann, wenn die entsprechende Verfügung nachträglich aufgehoben und durch eine inhaltlich berichtigte neue ersetzt werden muss. Das spätere rechtliche Schicksal der Rückerstattungsverfügung spielt demnach keine Rolle. In solchen Fällen stellt sich die Frage der Verwirkung erst wieder bei der Vollstreckung, nachdem die Rückerstattungsforderung rechtskräftig geworden ist (SVR 1997 AlV Nr. 84 S. 255, C 68/96 E. 2c/aa). Für die Vollstreckung rechtskräftig festgesetzter Rückforderungen gilt eine fünfjährige Verwirkungsfrist (SVR 2007 IV Nr. 6 S. 21, I 721/05 E. 2.3; ARV 2005 143, C 37/04 E. 4.2).
 
3.
3.1. Der Einspracheentscheid vom 19. November 2008, mit welchem die Arbeitslosenkasse den Versicherten zur Rückerstattung zu viel ausgerichteter Arbeitslosenentschädigung im Betrag von Fr. 16'489.70 verpflichtet hatte, wurde mit Urteil des Bundesgerichts 8C_48/2011 vom 16. Mai 2011 rechtskräftig. Die fünfjährige Frist zur Vollstreckung begann somit am 1. Juni 2011 zu laufen, weshalb die Vollstreckung der Rückerstattungsforderung nicht verwirkt ist.
3.2. Die Verfügung vom 21. März 2012 (bestätigt mit Einspracheentscheid vom 24. April 2012) beschlägt einzig die Rückerstattung von Zuschlägen zum Taggeld entsprechend der Kinder- und Ausbildungszulagen für die Monate Februar 2006 bis März 2007. Die zu Gunsten des Versicherten vorgenommene Korrektur der von Juli 2005 bis März 2007 mit Fr. 2'554.05 bezifferten Zuschläge erfolgte aufgrund des von ihm erst nachträglich gestützt auf sein Arbeitsverhältnis mit dem Verein X.________, geltend gemachten Anspruchs auf Kinderzulagen, welchen die kantonale Familienzulagekasse des Wallis (CIVAF) infolge verjährter Geltendmachung erst ab 1. Dezember 2006 bis 31. Dezember 2008 bejahte (Verfügung vom 29. Juli 2011). Daraufhin errechnete die Arbeitslosenkasse die Rückforderungssumme neu auf Fr. 1280.75. Dies unter Berücksichtigung einer superprovisorischen Anordnung des Pretore des Gerichtsbezirks Locarno-Campagna vom 25. Januar 2006 und eines Erkenntnisses vom 7. April 2006, wonach ab 1. Februar 2006 die entsprechenden Zuschläge direkt der Kindsmutter seines Sohnes auszurichten gewesen wären sowie unter Anrechnung der durch die CIVAF dem Versicherten für den Monat Dezember 2006, Januar und März 2007 ausgerichteten Kinderzulagen.
3.3. Nach nicht offensichtlich unrichtiger, für das Bundesgericht verbindlicher Feststellung des kantonalen Sozialversicherungsgerichts richtete die Arbeitslosenkasse dem Versicherten in der Zeit von Juli 2005 bis März 2007 einen monatlichen Kinderzulagen-Zuschlag in der Gesamtsumme von Fr. 2'554.05 aus, welcher Betrag - entgegen den teilweise schwer nachvollziehbaren, nicht stichhaltigen Darlegungen des Beschwerdegegners - im rechtskräftig festgesetzten Rückforderungsbetrag von Fr. 16'489.70 enthalten war. Soweit seine Vorbringen nicht diesen Streitgegenstand betreffen (BGE 125 V 413), ist er ohnehin nicht zu hören und die letztinstanzlich neu ins Recht gelegten Akten können als unzulässige Noven (Art. 99 Abs. 1 BGG) nicht berücksichtigt werden. Sein Einwand, dem Einspracheentscheid vom 19. November 2008 sei auf Seite 7 zu entnehmen, dass diese Berechnung keine Zuschläge für Kinderzulagen enthalte, geht fehl. Der Satz "Diese Berechnung enthält keine Zuschläge für Kinderzulagen" bezieht sich auf den bereinigten, dem Versicherten zustehenden Taggeldanspruch von Fr. 91'001.65 netto und gerade nicht auf die tatsächlich zu Unrecht ausgerichteten Leistungen von Fr. 107'491.35 (einschliesslich der an die Mutter des gemeinsamen Kindes ausbezahlten Fr. 7'800.-), weshalb die Differenz dieser beiden Summen den gesamten Rückforderungsbetrag von Fr. 16'489.70 ergibt (Fr. 107'491.35 - Fr. 91'001.65), wie den weiteren Darlegungen im Einspracheentscheid (Seite 8) zu entnehmen ist.
 
4.
4.1. Die Aufhebung oder Abänderung eines solchen in Rechtskraft erwachsenen letztinstanzlichen Urteils ist nur bei Vorliegen eines Revisionsgrundes gemäss Art. 121 ff. BGG möglich, was die Beschwerdeführerin bei Erlass ihrer neuen Verfügung vom 21. März 2012 und des Einspracheentscheids vom 24. April 2012 übersehen hat.
Soweit die Einwände des Beschwerdegegners in seiner letztinstanzlichen Eingabe vom 11. September 2013 als Revisionsgesuch gegen das Urteil vom 16. Mai 2011 betrachtet werden könnten, ist festzuhalten, dass keiner der in den Art. 121 ff. BGG abschliessend aufgeführten Revisionsgründe vorliegen würde, zumal die Geltendmachung echter Noven, also von Tatsachen, die sich erst nach Ausfällung des Urteils, das revidiert werden soll, zugetragen haben, ausgeschlossen ist.
Die von der Arbeitslosenkasse vorgenommene, neue Festsetzung der Rückforderungssumme hinsichtlich der Zuschläge für Kinderzulagen stellt insofern einen unzulässigen Eingriff in das materiell rechtskräftige bundesgerichtliche Urteil dar. Wie sowohl Vorinstanz als auch Verwaltung in ihren letztinstanzlichen Stellungnahmen nunmehr einräumen, steht der Arbeitslosenkasse zur Vollstreckung der rechtskräftigen Rückforderungssumme von Fr. 16'489.70 der betreibungsrechtliche Weg offen. Da die Rückforderung der zu viel ausbezahlten Zuschläge im Sinne von Art. 22 Abs. 1 AVIG bereits am 16. Mai 2011 rechtskräftig beurteilt wurde, stellt sich mithin auch die von der Vorinstanz bejahte Frage der Rückforderungsverjährung mit Blick auf die am 21. März 2012 reduzierte Geltendmachung der zu Unrecht ausgerichteten Zuschläge zum Arbeitslosentaggeld im Betrag von Fr. 1'280.75 nicht.
4.2. Zusammenfassend bleibt es der Arbeitslosenkasse unbenommen, die zu viel ausbezahlten, den gesetzlichen Kinder- und Ausbildungszulagen entsprechenden Zuschläge zum Arbeitslosentaggeld gestützt auf das bundesgerichtliche Urteil vom 16. Mai 2011 auf betreibungsrechtlichem Vollstreckungsweg - mithin unter Teilverzicht auf die vollstreckungsrechtliche Durchsetzung der Gesamtsumme von Fr. 16'489.70 und unter Abzug der Zuschläge, die direkt der Mutter des gemeinsamen Kindes zuflossen, zu vollziehen.
5. Der angefochtene Entscheid ist somit im Ergebnis nicht rechtens und aufzuheben, führt jedoch nicht zur Gutheissung der Beschwerde. Die in diesem Sinne unterliegende Arbeitslosenkasse hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Januar 2013 und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 24. April 2012 werden aufgehoben.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 28. Oktober 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Die Gerichtsschreiberin: Polla