BGer 1C_178/2013
 
BGer 1C_178/2013 vom 04.09.2013
{T 0/2}
1C_178/2013, 1C_196/2013
 
Urteil vom 4. September 2013
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
Verfahrensbeteiligte
1C_178/2013
X.________,
Beschwerdeführerin 1,
vertreten durch Advokat Dr. Jean-Louis von Planta,
und
1C_196/2013
Stockwerkeigentümergemeinschaft Y.________,
Beschwerdeführerin 2,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Casanova,
gegen
1.  Baugesellschaft Areal Tinus,
2.  Gemeinde St. Moritz,
Beschwerdegegnerinnen.
Gegenstand
Baubewilligung,
Beschwerden gegen die Urteile vom 15. Januar 2013
des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer.
 
Sachverhalt:
 
A.
Nach umfangreichen Vorarbeiten und einer ersten öffentlichen Quartierplan-Auflage im Jahre 2007 wurde ein überarbeiteter Quartierplan vom 19. Juni bis 21. Juli 2008 öffentlich aufgelegt. Dagegen wurden zahlreiche Einsprachen erhoben. Zu den Einsprechern gehörten auch X.________ (Eigentümerin einer Wohnung auf Parzelle Nr. 2365 an der Via Guedas) und die Stockwerkeigentümergemeinschaft Y.________ (Eigentümerin von Parzelle 137). Am 13. Oktober 2008 wies der Gemeindevorstand St. Moritz die Einsprachen ab und genehmigte den Quartierplan mit Änderungen.
 
B.
 
C.
 
D.
 
E.
 
F.
 
Erwägungen:
 
1.
 
2.
Die Beschwerdeführerinnen rügen in verschiedenen Punkten Willkür in der Rechtsanwendung sowie eine ungenügende Begründung des Verwaltungsgerichts. Ob diese Rügen den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügen, ist im jeweiligen Zusammenhang zu prüfen.
 
3.
3.1. Das Verwaltungsgericht verwies auf Art. 45 Abs. 3 der Raumplanungsverordnung vom 24. Mai 2005 für den Kanton Graubünden (KRVO), wonach die Publikation u.a. die Angaben über die Bauherrschaft enthalten muss. Folge von unvollständigen Gesuchen sowie Gesuchen mit offenkundigen materiellen Mängeln sei jedoch nach Art. 41 ff. KRVO nicht das Nichteintreten, sondern - in Nachachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips - die Fristansetzung zur Vervollständigung respektive Verbesserung (Art. 44 Abs. 2 KRVO). Werde ein Gesuch innert angesetzter Frist nicht vervollständigt oder verbessert, so gelte es als zurückgezogen (Art. 44 Abs. 3 KRVO). In casu sei der geltend gemachte Mangel zwar erst nach Abschluss der ersten Auflage des Bauprojekts behoben worden, indem am 26. Januar 2011 die BG Areal Tinus gegründet und deren Mitgliederliste der Gemeinde spätestens am 15. April 2011 eingereicht worden sei. Die Unterlage sei den Beschwerdeführern anlässlich der zweiten öffentlichen Auflage vom 27. Mai bis 16. Juni 2011 bekannt gemacht worden. Diese hätten dazu am 16. Juni 2011 Stellung genommen. Damit sei ihnen das rechtliche Gehör gewährt worden. Die Zusammensetzung der Baugesellschaft sei somit bei Erteilung der Baubewilligung sowohl den Einsprechern als auch der Gemeinde bekannt gewesen, womit deren Interessen Genüge getan worden sei. Ein weitergehendes Interesse daran, dass die Zusammensetzung der Bauherrschaft schon bei der ersten Auflage des Baugesuchs hätte bekannt sein müssen, sei nicht ersichtlich.
3.2. Die Beschwerdeführerinnen halten dem entgegen, dieser Verfahrensmangel sei ohne Neuausschreibung des Baugesuchs nicht heilbar. Die nachträgliche Einreichung der Mitgliederliste am 15. April 2011 sei verspätet gewesen; im Übrigen sei sie auch danach noch verändert worden. Die Gemeinde habe keine Nachfrist i.S.v. Art 44 KRVO gesetzt, sondern habe sich absolut passiv verhalten.
3.3. Gemäss Art. 44 Abs. 1 KRVO prüft die kommunale Baubehörde eingehende Baugesuche umgehend auf Vollständigkeit; bei unvollständigen Gesuchen setzt sie beziehungsweise die Fachstelle den Gesuchstellenden innert 20 Tagen seit Eingang eine angemessene Frist zur Vervollständigung oder Verbesserung des Baugesuchs (Abs. 2). Wird das Gesuch innert der angesetzten Frist nicht vervollständigt oder verbessert, gilt es als zurückgezogen (Abs. 3). Nach Abschluss der vorläufigen Prüfung wird das Baugesuch öffentlich aufgelegt (Art. 44 KRVO).
 
4.
4.1. Das Verwaltungsgericht trat auf diese Rüge nicht ein, weil sie das privatrechtliche Baurecht betreffe; darüber sei im Baubewilligungsverfahren nicht zu befinden.
4.2. Die Beschwerdeführerinnen wenden dagegen ein, die Vorgabe des Souveräns, attraktive und preiswerte Wohnungen für die einheimische Bevölkerung zu schaffen, habe Eingang in Art. 6 Abs. 2 der Quartierplanbestimmungen vom 13. Oktober 2008 (QPB) gefunden, wonach Wohnungen im Teilgebiet A nur als Erstwohnungen genutzt werden dürften. Dies ergebe sich überdies aus der Zweitwohnungsgesetzgebung des Bundes (Art. 75b i.V.m. Art. 197 Ziff. 9 BV; Zweitwohnungsverordnung vom 22. August 2012 [SR 702]). Von den 23 Gesellschaftern seien 6 Paare; 9 Gesellschafter hätten bereits Grundeigentum in St. Moritz; mindestens 4 hätten eine Erwerbstätigkeit und einen Wohnsitz ausserhalb von St. Moritz. Es bestünde deshalb die Gefahr, dass ein grosser Teil der 24 Wohnungen als Zweitwohnungen verkauft würden.
4.3. Die angefochtene Baubewilligung wurde am 31. Oktober 2011 erteilt, d.h. vor Annahme von Art. 75 b BV am 11. März 2012. Diese Bestimmung und seine Übergangs- und Ausführungsbestimmungen sind daher auf die vorliegende Baubewilligung nicht anwendbar (vgl. das zur Publikation in der amtlichen Sammlung bestimmte Urteil 1C_646/2012 vom 22. Mai 2013 E. 11).
 
5.
Wie jedoch aus der Begründung des Verwaltungsgerichts genügend hervorgeht, erachtete es die Nichtfreilegung der Grenzsteine als unerheblich, weil die Beschwerdeführerin 1 das Erscheinungsbild der geplanten Überbauung und der einzelnen Bauten aufgrund der erfolgten Profilierung in Verbindung mit den Bauplänen genügend abschätzen und das Projekt sachgerecht anfechten konnte.
 
6.
6.1. Das Verwaltungsgericht verwies auf die Praxis der Gemeinde, wonach die Gebäudehöhe für das Haus separat ermittelt werde, wenn die Garageneinfahrt und das Haus durch das gewachsene Terrain optisch getrennt würden. Dies sei vorliegend der Fall, weshalb die Höhe der Garageneinfahrt nicht zur Gebäudehöhe von Haus 1 hinzuzurechnen sei. Folglich entspreche die projektierte Gebäudehöhe von Haus 1 den gesetzlichen Vorschriften und sei nicht zu beanstanden.
6.2. Die Beschwerdeführerin 1 beanstandet, die gemeindliche Praxis widerspreche Art. 89 Abs. 2 BauG; sie verweist hierfür auf ein Urteil des Bundesgerichts vom 15. April 2004 (1A.133/2003/1P.363/2003). Darin sei festgehalten worden, dass Art. 89 Abs. 2 BauG überhoch in Erscheinung tretende Baukörper verhindern wolle; das Bundesgericht habe damals entschieden, dass der Neu- bzw. Aufbau über der Autoeinstellhalle mit dieser eine baulich visuelle und funktionelle Einheit bilde, weshalb die Gebäudehöhe ab Unterkant Garageneinfahrt ermittelt werden müsse.
6.3. Die Gemeinde und die Beschwerdegegnerin legen in ihren Vernehmlassungen dar, dass die Fälle nicht vergleichbar seien: Vorliegend werde zwischen der Eingangshalle und dem Hauptbaukörper auf 5 m das ursprünglich gewachsene Terrain wieder hergestellt (sog. Tunneleinfahrt), was zu einer klaren optischen Trennung führe; dagegen habe in dem vom Bundesgericht 2004 beurteilten Fall kein gewachsenes Terrain mehr zwischen den verschiedenen Bauten bestanden, so dass die Baukörper zusammenhängend in Erscheinung getreten seien.
6.4. Art. 89 Abs. 2 BauG bestimmt, dass bei seitlich gegliederten und/oder in der Höhe gestaffelten Bauten die Gebäudehöhe an jedem erkennbaren Baukörperteil einzeln ermittelt wird; die Gesamthöhe eines zusammenhängenden, in der Höhe gestaffelten Gebäudes dürfe jedoch von der Talseite her gemessen die zonengemässe Gebäudehöhe höchstens um 3,0 m überschreiten.
 
7.
7.1. Das Verwaltungsgericht folgte der Auslegung der Gemeinde, wonach es beim Erlass von Art. 10 Abs. 3 QPB lediglich darum gegangen sei, die Staffelung der einzelnen Gebäude zu beschränken, um zu vermeiden, dass sie in mehrere Teile aufgegliedert würden und dadurch ein unruhiges Gesamtbild entstehe. Darum habe man die Formulierung "maximal eine Stufe" gewählt. Weil Staffelungen auch anders erfolgen könnten, habe man mit dem Klammerbegriff "Sockelgeschoss" zum Ausdruck gebracht, dass die Staffelung nur im Sockelbereich und nicht etwa zusätzlich in oberen Geschossen erfolgen dürfe. Das Gericht habe sich am Augenschein davon überzeugen können, dass es auch in der Umgebung des Bauprojekts diverse Bauten mit zweigeschossigen Sockeln gebe. Aus dem Vorprojekt lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten.
7.2. Die Beschwerdegegnerin macht geltend, zur Auslegung des Begriffs "Sockelgeschoss" sei Art. 12 Abs. 1 QPB heranzuziehen. Danach sei der Sockelvorbau derart zu gestalten, dass er sich vom übrigen Baukörper abhebe, z.B. mittels unterschiedlicher Materialisierung und Farbgebung. Dagegen werde keine Aussage zur Geschossigkeit des Sockels gemacht.
7.3. Streitig ist die Auslegung des Klammerzusatzes "Sockelgeschoss" in Art. 10 Abs. 3 QPB. Den Beschwerdeführerinnen ist einzuräumen, dass der Wortlaut für eine lediglich eingeschossige Stufung spricht; diese Auslegung wird durch das Vorprojekt (mit lediglich eingeschossigen Sockelvorbauten) unterstützt. Willkür liegt aber nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid der kantonalen Instanz nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 136 I 316 E. 2.2.2 S. 318 f. mit Hinweisen).
 
8.
Das Verwaltungsgericht führte aus, es habe sich anlässlich des Augenscheins, an welchem auch das Modell eingehend betrachtet werden konnte, überzeugen können, dass sich das hier zur Diskussion stehende Bauprojekt optimal in die bauliche und landschaftliche Umgebung einfügten sowie eine gute Beziehung der geplanten Bauten untereinander bestehe und damit der AZ-Bonus von 10 % zu gewähren sei.
 
9.
9.1. Das Verwaltungsgericht trat auf die Rüge nicht ein, weil die Wohnungsgrösse keine Vorgabe des Bauplanungs- oder Baupolizeirechts sei, die im Baubewilligungsverfahren zu prüfen sei. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, beschränkt sich doch das Baubewilligungsverfahren grundsätzlich auf die öffentlichen Rechtsgrundlagen, während privatrechtliche Einsprachen auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen sind.
9.2. Im Übrigen wird von den Beschwerdeführern auch nicht rechtsgenügend belegt, dass die Vorgabe von 130 m² Nettofläche überhaupt überschritten wird (was die Beschwerdegegnerin bestreitet). Zwar gibt es in den Akten verschiedene Hinweise, dass die Gesamtgrösse der Wohnungen zwischen 133 und 143 m² liegt (vgl. z.B. Ziff. 4 Baubewilligung betr. Erstwohnungsanteil). Es ist jedoch weder dargelegt noch ersichtlich, dass es sich dabei um Netto- und nicht um die (üblicheren) Bruttogeschossflächen handelt.
 
10.
10.1. Die Beschwerdegegnerin bestreitet dies: Beim Gutachten aus dem Jahr 2007 handle es sich um ein geologisches Gutachten zum Baugrund; die geologischen Verhältnisse hätten sich seither nicht verändert. Davon zu unterscheiden sei das Hangsicherungskonzept. Dieses sei vom Ingenieurbüro S.________ AG ausgearbeitet worden, das über umfangreiche Erfahrungen mit Baugruben in der unmittelbaren Nachbarschaft verfüge. Nachzureichen sei einzig das Ausführungsprojekt für die Baugrubensicherung; dies entspreche dem normalen Planablauf gemäss SIA.
10.2. Das Verwaltungsgericht verwies auf die in Ziff. 15 der Baubewilligung vorgesehene Publikation des Ausführungsprojekts und seine Zustellung an die Einsprecher; vor der rechtskräftigen Bewilligung dürfe mit dem Bau nicht begonnen werden. Die Beschwerdeführerinnen hätten somit erneut die Möglichkeit einer Stellungnahme sowie des Ergreifens von Rechtsmitteln. Damit sei ihren Interessen Genüge getan.
10.3. Wie sich aus dem angefochtenen Entscheid und den Bauakten ergibt, verlangte die Gemeinde bereits im Baubewilligungsverfahren den Nachweis für die Hangsicherung. Die Vorinstanzen erachteten das von der Beschwerdegegnerin vorgelegte Konzept grundsätzlich als ausreichend, ordneten jedoch an, dass dieses noch vor Baubeginn in einem Ausführungsprojekt der Baugrubensicherung (mit der definitiven Dimensionierung der Vorkehren und der Baugrubenetappierung) präzisiert werde. Es ist nicht ersichtlich, weshalb dieses Vorgehen unzulässig oder gar willkürlich sein soll.
 
11.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. 
2. 
3. 
4. 
5. 
Lausanne, 4. September 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Die Gerichtsschreiberin: Gerber