BGer 6B_197/2013
 
BGer 6B_197/2013 vom 20.06.2013
{T 0/2}
6B_197/2013
 
Urteil vom 20. Juni 2013
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys,
Gerichtsschreiberin Andres.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Hauri,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 8. Januar 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
Erwägungen:
 
1.
 
2.
2.1. Nach dem Anklagegrundsatz (Art. 9 StPO) bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; vgl. Urteil 6B_130/2012 vom 22. Oktober 2012 E. 6.2, nicht publ. in: BGE 138 IV 209; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f. S. 244 f.; je mit Hinweisen).
2.2. Im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten vom 24. Februar 2011, welcher mit der Überweisung der Akten an das Gericht zur Anklage wurde (Art. 356 Abs. 1 StPO), ist die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Deliktsbegehung wie folgt umschrieben: "Zur vorgenannten Zeit [20. Dezember 2010, zwischen 17.30 und 17.45 Uhr] fuhr der Beschuldigte mit dem vorerwähnten Fahrzeug in Lupfig ab der A-3 und beabsichtigte in der Folge, die Kreuzung bei der Lichtsignalanlage geradeaus zu überqueren. Dabei übersah er, dass die Ampel bereits auf rot geschaltet hatte und überquerte die Kreuzung dennoch." (kantonale Akten, Gerichtspräsidium Brugg, act. 3). In seiner Berufungserklärung wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass die Anklageschrift den gesetzlichen Anforderungen (Art. 178 StPO) nicht genüge, weil sich daraus nicht ergebe, ob ihm eine fahrlässige oder vorsätzliche Begehung vorgeworfen werde. Die Staatsanwaltschaft ergänzte die Anklage in der Berufungsantwort dahingehend, dass der Beschwerdeführer vorsätzlich gehandelt habe. Der Beschwerdeführer habe sein Tempo von 50 km/h vor dem Lichtsignal nicht vermindert und dadurch in Kauf genommen, bei einem Wechsel von Grün auf Rot vor dem Lichtsignal nicht mehr halten zu können.
2.3. Die Vorinstanz geht (im Rahmen der Beweiswürdigung) nicht über den in der Anklageschrift formulierten Anklagevorwurf hinaus. Die Zeitangabe im Strafbefehl darf die Vorinstanz - wie bereits die Gerichtspräsidentin - dahingehend konkretisieren, dass der Beschwerdeführer bei Dunkelheit und im Feierabendverkehr unterwegs war, weshalb mit einem grossen Verkehrsaufkommen zu rechnen war. Die Vorinstanz nimmt zur Konkretisierung der im Strafbefehl umschriebenen Umstände direkt Bezug auf die Aussagen, die der Beschwerdeführer vor Erlass des Strafbefehls bzw. der Anklageerhebung machte. Er erwähnte anlässlich der polizeilichen Einvernahme, dass sich ein Rückstau von der anderen Seite bis auf die Kreuzung zurückgebildet hatte, weshalb er habe bremsen müssen (kantonale Akten, Staatsanwaltschaft, act. 25). Mit Blick auf seine eigenen Aussagen wusste der Beschwerdeführer von Anfang an, was ihm vorgeworfen wurde, und konnte sich folglich gegen das ihm zur Last Gelegte wirksam verteidigen. Die Vorinstanz verlässt den angeklagten Sachverhalt auch nicht, wenn sie aufgrund der Elemente Dunkelheit, Feierabendverkehr und Rückstau auf eine schwer überschaubare Verkehrslage schliesst. Welche normativen Schlussfolgerungen sie daraus zieht und ob Straftatbestände erfüllt sind, ist eine Rechtsfrage, die losgelöst von der jeweiligen Darstellung in der Anklageschrift zu beantworten ist. Das Anklageprinzip ist nicht verletzt.
 
3.
3.1. Der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Ziff. 2 SVG) ist objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist nicht erst bei einer konkreten, sondern bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Ob eine konkrete, eine erhöhte abstrakte oder nur eine abstrakte Gefahr geschaffen wird, hängt von der Situation ab, in welcher die Verkehrsregelverletzung begangen wird. Wesentliches Kriterium einer erhöhten abstrakten Gefahr ist die Nähe der Verwirklichung. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt nur, wenn in Anbetracht der Umstände - Tageszeit, Verkehrsdichte, Sichtverhältnisse - der Eintritt einer konkreten Gefährdung oder gar einer Verletzung nahe liegt. Subjektiv ist ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten gefordert, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136; 123 IV 88 E. 3a S. 91 f. und E. 4a S. 93; je mit Hinweisen).
3.2. Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) fuhr der Beschwerdeführer bei grossem Verkehrsaufkommen und Dunkelheit über das seit 1.4 Sekunden auf Rot stehende Lichtsignal. Aufgrund eines Rückstaus, welcher sich bis auf die Kreuzung auswirkte, musste der Beschwerdeführer bremsen. Gemäss seinen Aussagen begann er nach den sogenannten "Haifischzähnen" zu bremsen (kantonale Akten, Staatsanwaltschaft, act. 25).
3.3. Ob der Anzeiger bremsen musste oder nicht, ist für den Ausgang des Verfahrens bedeutungslos. Deshalb erübrigen sich Ausführungen zur entsprechenden Willkürrüge.
 
4.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. Juni 2013
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Die Gerichtsschreiberin: Andres