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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
6B_197/2013
Urteil vom 20. Juni 2013
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys,
Gerichtsschreiberin Andres.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Hauri,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 8. Januar 2013.
Sachverhalt:
A.
X.________ missachtete am 20. Dezember 2010, zwischen 17.30 und 17.45 Uhr, in Lupfig ein bereits seit 1.4 Sekunden auf Rot stehendes Lichtsignal. Er fuhr mit ca. 50 km/h auf die Ampel zu und war 75 Meter von dieser entfernt, als sie auf Gelb schaltete. Y.________, welcher auf der Querspur vor dem Lichtsignal wartete und den Vorfall beobachtete, zeigte X.________ in der Folge an.
B.
Die Gerichtspräsidentin von Brugg verurteilte X.________ am 15. November 2011 wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachten eines Rotlichts zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 100.--.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies die Berufung von X.________ am 8. Januar 2013 ab, soweit es darauf eintrat.
C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt im Hauptpunkt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, und er sei wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 250.-- zu verurteilen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz erwägt, nicht alleine die Rotphase des Lichtsignals, sondern die konkreten Umstände seien entscheidend, ob der Beschwerdeführer wegen grober Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Ziff. 2 SVG) zu verurteilen sei. Er sei bei Dunkelheit und im Feierabendverkehr über die Kreuzung gefahren. Es sei mit grossem Verkehrsaufkommen zu rechnen gewesen. Zusätzlich habe es auf seiner Spur einen Rückstau gegeben, weshalb die Verkehrslage schwer überschaubar gewesen sei. Dies habe die Gefahr erhöht, dass der Beschwerdeführer wegen Missachtens des Lichtsignals mitten auf der Kreuzung hätte stehen bleiben müssen und andere Verkehrsteilnehmer behindert hätte. Der Anzeiger habe seinetwegen bremsen müssen. Damit habe sich eine konkrete Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ergeben (Urteil S. 14 Ziff. 3.2.2.).
Der Beschwerdeführer sei 75 Meter vom Haltebalken entfernt gewesen, als die Ampel auf Gelb geschaltet habe. Dies hätte ausgereicht, um vor der Kreuzung anzuhalten. Es sei anzunehmen, dass der Beschwerdeführer gehofft habe, die Kreuzung noch überqueren zu können, bevor das Lichtsignal auf Rot schalte. Er habe grobfahrlässig gehandelt (Urteil S. 16 Ziff. 3.3.).
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes. Die Vorinstanz ziehe zur Begründung einer erhöhten abstrakten Gefahr Elemente (Dunkelheit, Feierabendverkehr/grosses Verkehrsaufkommen sowie Rückstau) heran, welche in der Anklage nicht erwähnt seien und daher nicht Gegenstand der gerichtlichen Beurteilung sein könnten.
2.1. Nach dem Anklagegrundsatz (Art. 9 StPO) bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; vgl. Urteil 6B_130/2012 vom 22. Oktober 2012 E. 6.2, nicht publ. in: BGE 138 IV 209; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f. S. 244 f.; je mit Hinweisen).
2.2. Im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten vom 24. Februar 2011, welcher mit der Überweisung der Akten an das Gericht zur Anklage wurde (Art. 356 Abs. 1 StPO), ist die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Deliktsbegehung wie folgt umschrieben: "Zur vorgenannten Zeit [20. Dezember 2010, zwischen 17.30 und 17.45 Uhr] fuhr der Beschuldigte mit dem vorerwähnten Fahrzeug in Lupfig ab der A-3 und beabsichtigte in der Folge, die Kreuzung bei der Lichtsignalanlage geradeaus zu überqueren. Dabei übersah er, dass die Ampel bereits auf rot geschaltet hatte und überquerte die Kreuzung dennoch." (kantonale Akten, Gerichtspräsidium Brugg, act. 3). In seiner Berufungserklärung wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass die Anklageschrift den gesetzlichen Anforderungen (Art. 178 StPO) nicht genüge, weil sich daraus nicht ergebe, ob ihm eine fahrlässige oder vorsätzliche Begehung vorgeworfen werde. Die Staatsanwaltschaft ergänzte die Anklage in der Berufungsantwort dahingehend, dass der Beschwerdeführer vorsätzlich gehandelt habe. Der Beschwerdeführer habe sein Tempo von 50 km/h vor dem Lichtsignal nicht vermindert und dadurch in Kauf genommen, bei einem Wechsel von Grün auf Rot vor dem Lichtsignal nicht mehr halten zu können.
2.3. Die Vorinstanz geht (im Rahmen der Beweiswürdigung) nicht über den in der Anklageschrift formulierten Anklagevorwurf hinaus. Die Zeitangabe im Strafbefehl darf die Vorinstanz - wie bereits die Gerichtspräsidentin - dahingehend konkretisieren, dass der Beschwerdeführer bei Dunkelheit und im Feierabendverkehr unterwegs war, weshalb mit einem grossen Verkehrsaufkommen zu rechnen war. Die Vorinstanz nimmt zur Konkretisierung der im Strafbefehl umschriebenen Umstände direkt Bezug auf die Aussagen, die der Beschwerdeführer vor Erlass des Strafbefehls bzw. der Anklageerhebung machte. Er erwähnte anlässlich der polizeilichen Einvernahme, dass sich ein Rückstau von der anderen Seite bis auf die Kreuzung zurückgebildet hatte, weshalb er habe bremsen müssen (kantonale Akten, Staatsanwaltschaft, act. 25). Mit Blick auf seine eigenen Aussagen wusste der Beschwerdeführer von Anfang an, was ihm vorgeworfen wurde, und konnte sich folglich gegen das ihm zur Last Gelegte wirksam verteidigen. Die Vorinstanz verlässt den angeklagten Sachverhalt auch nicht, wenn sie aufgrund der Elemente Dunkelheit, Feierabendverkehr und Rückstau auf eine schwer überschaubare Verkehrslage schliesst. Welche normativen Schlussfolgerungen sie daraus zieht und ob Straftatbestände erfüllt sind, ist eine Rechtsfrage, die losgelöst von der jeweiligen Darstellung in der Anklageschrift zu beantworten ist. Das Anklageprinzip ist nicht verletzt.
3.
Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz behaupte aktenwidrig (willkürlich), der Anzeiger hätte seinetwegen bremsen müssen. Dies werde vom Anzeiger nicht einmal für den Bereich ausserhalb der Kreuzung behauptet. Es bleibe deshalb dabei, dass der Beschwerdeführer die Kreuzung passiert habe, als das Lichtsignal bereits seit 1.4 Sekunden Rot gewesen sei. Der "feindliche" Verkehr auf der Spur des Anzeigers habe jedoch erst weitere 2.6 Sekunden später grünes Licht erhalten. Um eine Unfallgefahr zu schaffen, hätte ein anderer Verkehrsteilnehmer 2.6 Sekunden zu früh losfahren müssen. Es erscheine unhaltbar, von einer qualifizierten Gefahr, d.h. einer besonderen Nähe der Verwirklichung der Gefahr für Leib und Leben anderer auszugehen. Es habe keine Gefahr bestanden, dass korrekt fahrende Verkehrsteilnehmer vom Fehlverhalten des Beschwerdeführers hätten betroffen werden können. Da keine erhöhte abstrakte Gefahr vorliege, verletze der Schuldspruch wegen grober Verkehrsregelverletzung Bundesrecht.
3.1. Der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Ziff. 2 SVG) ist objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist nicht erst bei einer konkreten, sondern bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Ob eine konkrete, eine erhöhte abstrakte oder nur eine abstrakte Gefahr geschaffen wird, hängt von der Situation ab, in welcher die Verkehrsregelverletzung begangen wird. Wesentliches Kriterium einer erhöhten abstrakten Gefahr ist die Nähe der Verwirklichung. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt nur, wenn in Anbetracht der Umstände - Tageszeit, Verkehrsdichte, Sichtverhältnisse - der Eintritt einer konkreten Gefährdung oder gar einer Verletzung nahe liegt. Subjektiv ist ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten gefordert, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136; 123 IV 88 E. 3a S. 91 f. und E. 4a S. 93; je mit Hinweisen).
3.2. Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) fuhr der Beschwerdeführer bei grossem Verkehrsaufkommen und Dunkelheit über das seit 1.4 Sekunden auf Rot stehende Lichtsignal. Aufgrund eines Rückstaus, welcher sich bis auf die Kreuzung auswirkte, musste der Beschwerdeführer bremsen. Gemäss seinen Aussagen begann er nach den sogenannten "Haifischzähnen" zu bremsen (kantonale Akten, Staatsanwaltschaft, act. 25).
Angesichts dieser schwer überschaubaren Verkehrslage bestand die Gefahr, dass der Beschwerdeführer noch auf der Kreuzung hätte stehen können, als die anderen Verkehrsteilnehmer bereits Grün hatten. Dass dies noch nicht der Fall war, als der Beschwerdeführer das rote Lichtsignal passierte, ist unbeachtlich. Indem der Beschwerdeführer die Kreuzung befuhr, ohne sicher zu sein, dass sie verkehrsfrei war, schuf er eine erhöhte abstrakte Gefahr (vgl. BGE 118 IV 84 E. 2b S. 86). Demgegenüber läge eine bloss allgemeine, abstrakte Möglichkeit einer Gefährdung vor, wenn mit Sicherheit keine anderen Verkehrsteilnehmer vom Fehlverhalten hätten betroffen werden können (vgl. BGE 118 IV 289 E. 3b S. 289; Jürg Boll, Grobe Verkehrsregelverletzung, 1999, S. 72). Davon kann hier nicht die Rede sein. Da der Beschwerdeführer eine objektiv wichtige Verkehrsregel verletzte (Art. 27 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 68 Abs. 1bis SSV), ist der objektive Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG erfüllt.
Die Vorinstanz stellt fest, dass der Beschwerdeführer noch in der Gelbphase hätte anhalten können. Sie qualifiziert seine Weiterfahrt in der Hoffnung, die Kreuzung noch vor dem Umschalten auf Rot überqueren zu können, zu Recht als grobfahrlässig (vgl. BGE 123 IV 88 E. 4a S. 93 mit Hinweis). Damit ist auch der subjektive Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG erfüllt.
3.3. Ob der Anzeiger bremsen musste oder nicht, ist für den Ausgang des Verfahrens bedeutungslos. Deshalb erübrigen sich Ausführungen zur entsprechenden Willkürrüge.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. Juni 2013
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Die Gerichtsschreiberin: Andres