BGer 8C_277/2013
 
BGer 8C_277/2013 vom 07.06.2013
{T 0/2}
8C_277/2013
 
Urteil vom 7. Juni 2013
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
 
Verfahrensbeteiligte
V.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Werner Kupferschmid,
Beschwerdeführerin,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 28. Februar 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
Die 1964 geborene V.________ war je zu 50 % als Mitarbeiterin im Service-Center für die X.________ AG und als Mitarbeiterin in der Buchhaltung und Administration der Y.________ AG tätig und an beiden Arbeitsstellen bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 12. November 2006, nachts um 0.05 Uhr, war sie als Lenkerin eines Personenwagens in einer Autobahnausfahrt im Begriff, vor einer Verkehrsampel anzuhalten, als eine weitere Verkehrsteilnehmerin auf die Autobahn fahren wollte, bei der Einmündung die Beherrschung über ihr Fahrzeug verlor und frontal mit dem Auto von V.________ kollidierte. Dabei zog sich V.________ gemäss Arztzeugnis UVG des Spitals W.________ vom 5. Dezember 2006 eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) und eine Sternumkontusion zu. Die SUVA erbrachte Versicherungsleistungen. Mit Verfügung vom 10. September 2008, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 31. Oktober 2008, stellte sie ihre Leistungen mangels eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen den geklagten Beschwerden und dem Unfallereignis auf den 31. Oktober 2008 hin ein. In teilweiser Gutheissung der hiergegen geführten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid auf und wies die Sache zu ergänzenden medizinischen Abklärungen und zur neuen Verfügung an die SUVA zurück (Entscheid vom 26. August 2009). Die SUVA holte in der Folge das interdisziplinäre Gutachten des Medizinischen Begutachtungsinstituts I.________ vom 19. Mai 2010 ein. Am 4. Januar 2012 verfügte sie die Einstellung der Leistungen auf den 31. Januar 2012. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 2. März 2012).
 
B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 28. Februar 2013).
 
C.
V.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, die SUVA sei zu verpflichten, die gesetzlich vorgesehenen Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung, insbesondere Rente und Integritätsentschädigung, auszurichten.
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen). Das Bundesgericht prüft indessen grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389 mit Hinweisen; Urteil 8C_934/2008 vom 17. März 2009 E. 1, nicht publ. in: BGE 135 V 194, aber in: SVR 2009 UV Nr. 35 S. 120).
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
Im Einspracheentscheid vom 2. März 2012, auf welchen das kantonale Gericht hinweist, und im angefochtenen Gerichtsentscheid werden die nach der Rechtsprechung für den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG) geltenden Voraussetzungen des natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhanges zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181), insbesondere bei Schleudertraumen der Halswirbelsäule und bei schleudertraumaähnlichen Verletzungen (BGE 134 V 109), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
Streitig und zu prüfen ist die Leistungspflicht der SUVA für die über den 31. Januar 2012 hinaus anhaltend geklagten Beschwerden der Versicherten. Dabei wird zu Recht nicht geltend gemacht, diese Beschwerden seien auf einen im Sinne der Rechtsprechung organisch hinreichend nachweisbaren Gesundheitsschaden (vgl. Urteil 8C_806/2007 vom 7. August 2008 E. 8.2) zurückzuführen.
 
4.
4.1. Ausgangspunkt der Adäquanzprüfung bildet das (objektiv erfassbare) Unfallereignis. Abhängig von der Unfallschwere sind je nachdem weitere Kriterien in die Beurteilung einzubeziehen (BGE 134 V 109 E. 10.1 S. 126). Massgebend für die Unfallschwere ist der augenfällige Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden Kräften (SVR 2010 UV Nr. 3 S. 11, 8C_283/2009 E. 9.1; 2008 UV Nr. 8 S. 26, U 2/07 E. 5.3.1).
4.2. Die Vorinstanz hat den Unfall vom 12. November 2006 den mittelschweren Ereignissen im engeren Sinn zugeordnet und hat eine Adäquanzprüfung nach der Schleudertrauma-Praxis vorgenommen. Dagegen werden keine Einwände erhoben. Bei dieser Unfallschwere müssten von den zusätzlich zu beachtenden Kriterien (gemäss BGE 134 V 109 E. 10.3 S. 130: besonders dramatische Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit des Unfalls; Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzungen; fortgesetzt spezifische, belastende ärztliche Behandlung; erhebliche Beschwerden; ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert; schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen; erhebliche Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen) mindestens drei in der einfachen Form oder aber eines in besonders ausgeprägter Weise erfüllt sein, damit der adäquate Kausalzusammenhang bejaht werden könnte (SVR 2010 UV Nr. 25 S. 100, 8C_897/2009 E. 4.5).
Während das kantonale Gericht einzig die Kriterien der fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung sowie der erheblichen Beschwerden - wenn auch nicht in besonders ausgeprägter Weise - als gegeben erachtete, sieht die Beschwerdeführerin mit Ausnahme der ärztlichen Fehlbehandlung alle hiervor zitierten Kriterien als erfüllt an.
4.2.1. Der Berücksichtigung des Kriteriums der besonders dramatischen Begleitumstände oder besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls liegt der Gedanke zugrunde, dass solche Umstände geeignet sind, bei der betroffenen Person während des Unfallgeschehens oder nachher psychische Abläufe in Bewegung zu setzen, die an den nachfolgenden psychischen Fehlentwicklungen mitbeteiligt sein können. Dabei sind objektive Massstäbe anzuwenden. Nicht was im einzelnen Betroffenen beim Unfall psychisch vorgeht - sofern sich dies überhaupt zuverlässig feststellen liesse -, soll entscheidend sein, sondern die objektive Eignung solcher Begleitumstände, bei Betroffenen psychische Vorgänge der genannten Art auszulösen. Zu beachten ist zudem, dass jedem mindestens mittelschweren Unfall eine gewisse Eindrücklichkeit eigen ist (Urteil 8C_584/2010 vom 11. März 2011 E. 4.3.2 mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin war am 12. November 2006 im Begriff, ihren Personenwagen vor einem Lichtsignal anzuhalten, als - nach ihrer Schilderung - plötzlich "ein schwarzer Schatten" (das Auto der Unfallverursacherin) auf sie zukam, ohne dass sie reagieren konnte. In Berücksichtigung der Kasuistik (vgl. die Übersicht über die Praxis hierzu in SVR 2013 UV Nr. 3 S. 7, 8C_398/2012 E. 6.1) und der konkreten Gegebenheiten (die Versicherte wurde noch am Unfalltag wieder aus der Spitalpflege entlassen, ohne dass eine Arbeitsunfähigkeit attestiert worden wäre; beide Unfallbeteiligten wurden lediglich leicht verletzt) ist dieses Kriterium nicht erfüllt. Die starke Beschädigung beider Fahrzeuge vermag daran entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nichts zu ändern.
4.2.2. Eine Verletzung besonderer Art ist nicht schon deshalb anzunehmen, weil der SUVA-Kreisarzt am 18. Januar 2008 mehretagige diskrete (unfallfremde) Diskusprotrusionen und einen Morbus Scheuermann diagnostiziert hatte. Vielmehr rechtfertigt sich eine entsprechende Qualifikation der erlittenen Verletzungen nur bei Vorliegen einer erheblich vorgeschädigten Wirbelsäule (SVR 2009 UV Nr. 30 S. 105, 8C_413/2008 E. 6.3.2; Urteil 8C_456/2011 vom 11. Juli 2011 E. 6.2). In der Regel wird vorausgesetzt, dass die versicherte Person aufgrund der Vorschädigung unmittelbar vor dem Unfall mindestens teilweise arbeitsunfähig war (Urteil 8C_759/2007 vom 14. August 2008 E. 5.3). Davon kann vorliegend keine Rede sein. Auf den Einwand, es sei "doch eher" davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Moment des Aufpralls den Kopf in Abwehrhaltung weggedreht habe, auch wenn sie unmittelbar nach dem Unfall eine gerade Kopfhaltung beim Aufprall bestätigt habe, ist schon deshalb nicht einzugehen, weil sie gemäss Rapport der Kantonspolizei vom 14. November 2006 angegeben hatte, dass sich die (nächtliche) Kollision plötzlich ereignete ("Ich konnte nicht mal mehr reagieren, das ging dermassen schnell."). Das chronifizierte Schmerzbild, diagnostiziert ist im Gutachten des Medizinischen Begutachtungsinstituts I.________ vom 19. Mai 2010 - mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit - lediglich ein chronisches Schmerzsyndrom zervikothorakal und zervikozephal, kann nicht als schwere Verletzung qualifiziert werden. Die in der Beschwerde erwähnte deutliche Wesensveränderung wurde fachärztlich nicht festgestellt; die Rede ist - ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit - von akzentuierten Persönlichkeitszügen (ICD-10 Z73), von einer undifferenzierten Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.1) und von einem Status nach Frontalkollision mit HWS-Distorsion und Thorax-/Sternumkontusion (ICD-10 T91.8). Beim Kriterium der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen ist namentlich deren erfahrungsgemässe Eignung, psychische Fehlentwicklungen auszulösen, zu berücksichtigen (vgl. SVR 2012 UV Nr. 23 S. 83, 8C_435/2011 E. 4.2.7). Es geht nicht um die Schwere der psychischen Fehlentwicklungen an sich.
4.2.3. Eine fortgesetzt spezifische, belastende ärztliche Behandlung liegt entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts und der Beschwerdeführerin offensichtlich nicht vor. Nachdem die Versicherte am Unfalltag im Spital W.________ behandelt worden war, absolvierte sie vom 19. Februar bis 17. März 2007 einen Rehabilitationsaufenthalt in der Klinik A.________. Es folgten physiotherapeutische, osteopathische und komplementärmedizinische Behandlungen sowie eine pharmakologische Schmerztherapie. Die durchgeführten Therapiemassnahmen waren für die Beschwerdeführerin nicht überdurchschnittlich belastend im Sinne der Rechtsprechung und es ist der Vorinstanz beizupflichten, dass die Abklärungsmassnahmen bei diversen Spezialärzten und Verlaufskontrollen in diesem Zusammenhang ausser Betracht fallen; praxisgemäss werden an das Kriterium der fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung deutlich höhere Anforderungen gestellt (vgl. Urteil 8C_910/2009 vom 13. Januar 2010 E. 4.4 mit Hinweisen).
4.2.4. Das Kriterium der erheblichen Beschwerden ist unbestrittenermassen in einfacher Form erfüllt.
4.2.5. Eine ärztliche Fehlbehandlung wird, nach Lage der Akten zu Recht, nicht geltend gemacht.
4.2.6. Zur Bejahung des Kriteriums des schwierigen Heilungsverlaufs und der erheblichen Komplikationen bedarf es besonderer Gründe, die die Heilung beeinträchtigt haben (Urteil 8C_825/2008 vom 9. April 2009 E. 4.8). Solche können entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin weder im Auftreten gesundheitlicher Schwankungen noch in Dekonditionierungseffekten, Schmerzmittelabhängigkeit oder Schlafstörungen gesehen werden; das Kriterium ist zu verneinen.
4.2.7. Was das Kriterium der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen betrifft, gilt festzustellen, dass dieses, selbst wenn es mit der Beschwerdeführerin bejaht werden könnte, jedenfalls nicht in ausgeprägter Weise gegeben wäre. Die Versicherte geht davon aus und macht auch in der Beschwerde geltend, dass ihr ein Arbeitspensum über 50 % nicht möglich sei, obwohl das Gutachten des Medizinischen Begutachtungsinstituts I.________ vom 19. Mai 2010 insgesamt eine 80%ige Arbeitsfähigkeit in der angestammten, leidensangepassten Tätigkeit seit mindestens 1. November 2008 attestiert.
4.3. Da mithin keines der massgeblichen Kriterien besonders ausgeprägt vorliegt und selbst dann, wenn man zugunsten der Versicherten die beiden Kriterien der erheblichen Beschwerden und der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen als erfüllt erachten würde, die Kriterien nicht in gehäufter Weise gegeben sind, ist die Adäquanz eines Kausalzusammenhanges zwischen dem Unfallereignis vom 12. November 2006 und den geklagten, im Sinne der Rechtsprechung organisch nicht hinreichend nachweisbaren Beschwerden zu verneinen.
 
5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die unterliegende Beschwerdeführerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. Juni 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz