BGer 6B_641/2012
 
BGer 6B_641/2012 vom 06.02.2013
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_641/2012
Urteil vom 6. Februar 2013
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Keller.
 
Verfahrensbeteiligte
Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich, Tösstalstrasse 163, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Evalotta Samuelsson,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Rechtsverweigerung / Vernichtung von erkennungsdienstlichen Unterlagen,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 8. Oktober 2012.
Sachverhalt:
A.
Die Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis führte eine Strafuntersuchung gegen den (damals noch jugendlichen) X.________ wegen des Verdachts auf Sachbeschädigung. Im Rahmen des Vorverfahrens erfolgte am 4. September 2009 eine erkennungsdienstliche Behandlung; zugleich wurde ein Wangenschleimhautabstrich zur Erstellung eines DNA-Profils und zur Speicherung des Profils in der DNA-Datenbank entnommen. Die Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis sprach X.________ mit Entscheid (Erziehungsverfügung) vom 19. März 2009 der Sachbeschädigung schuldig und erteilte ihm gestützt auf Art. 22 Abs. 1 JStG einen Verweis. Sie übermittelte am 19. März 2009 der Koordinationsstelle der Kantonspolizei Zürich das Formular "Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials" und legte den Löschungszeitpunkt auf den 5. April 2014 fest.
Nachdem X.________ Kenntnis von der weiteren Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Unterlagen und des DNA-Profils erlangt hatte, gelangte er (nach einem vorausgegangenen Schriftenwechsel mit der Kantonspolizei Zürich) am 13. Januar 2013 an die Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis und beantragte die Löschung der Daten. Diese stellte sich in ihrer abschliessenden Stellungnahme vom 15. Juni 2012 auf den Standpunkt, dass sich die Löschung nach den gesetzlichen Vorgaben richte und sie deshalb keine Anordnungen treffen könne.
B.
Das Obergericht des Kantons Zürich hiess am 8. Oktober 2012 die gegen das Schreiben der Jugendanwaltschaft gerichtete Beschwerde teilweise gut und wies die Kantonspolizei Zürich an, das gesamte erkennungsdienstliche Material, welches im Zusammenhang mit dem von der Jugendanwaltschaft gegen X.________ geführten Strafverfahren gesammelt worden war, zu vernichten.
C.
Die Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 261 Abs. 1 lit. a und b StPO über die Aufbewahrung und Verwendung erkennungsdienstlicher Unterlagen. Der dort zu findende Verweis auf die Fristen für die Entfernung von Einträgen aus dem Strafregister sei im Strafverfahren gegen Erwachsene durchaus sinnvoll. Die Regelung könne aber nicht unbesehen auf das Jugendstrafverfahren übertragen werden. Der Gesetzgeber habe offensichtlich übersehen, dass in diesem Verfahren lediglich Urteile im Strafregister eingetragen werden, die einen Freiheitsentzug im Sinne von Art. 25 JStG oder eine geschlossene Unterbringung im Sinne von Art. 15 Abs. 2 JStG zur Folge haben. Es bestehe indessen ein dringendes Bedürfnis, die erkennungsdienstlichen Unterlagen im Fall einer Verurteilung weiterhin aufzubewahren, auch wenn kein Freiheitsentzug oder eine geschlossene Unterbringung angeordnet worden sei. Überdies erscheine es nicht nachvollziehbar, weshalb bei einem Jugendlichen, der mit einem Verweis bestraft worden sei, das DNA-Profil erst nach fünf Jahren, der Fingerabdruck aber sofort nach rechtskräftiger Verurteilung vernichtet werden soll.
1.2 Die Vorinstanz verweist darauf, dass sich Aufbewahrung und Verwendung von Daten aus Strafverfahren ausschliesslich nach den massgebenden Bestimmungen der Strafprozessordnung richten. Die seinerzeitige Erziehungsverfügung der Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis sei in Übereinstimmung mit Art. 1 Abs. 2 lit. n JStG i.V.m. Art. 366 Abs. 3 StGB nicht in das Strafregister eingetragen worden. Somit bestehe nach Art. 261 Abs. 1 lit. b StPO keine Rechtsgrundlage, um die erkennungsdienstlichen Unterlagen länger als bis zum Eintritt der Rechtskraft des Entscheids aufzubewahren. Soweit die kantonale Verordnung über die erkennungsdienstliche Behandlung von Personen vom 9. November 2005 (LS ZH 551.112) längere Aufbewahrungsfristen vorsehe, seien diese wegen der derogatorischen Kraft des Bundesrechts nicht anwendbar. Schliesslich sei anzumerken, dass sich der Löschungstermin für das DNA-Profil als bundesrechtskonform erweise. Art. 259 StPO verweise auf das DNA-Profil-Gesetz. Nach Art. 16 Abs. 1 lit. g jenes Gesetzes lösche das Bundesamt für Justiz die DNA-Profile fünf Jahre nach der Erteilung eines Verweises, nach der Bezahlung einer Busse oder der Beendigung einer persönlichen Leistung nach den Art. 22-24 JStG.
1.3 Über die Rechtmässigkeit der Aufbewahrung des DNA-Profils ist nicht mehr zu entscheiden. Es kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden.
1.4 Erkennungsdienstliche Unterlagen über die beschuldigte Person dürfen im Fall einer Verurteilung ausserhalb des Aktendossiers bis zum Ablauf der Fristen für die Einträge im Strafregister aufbewahrt werden (Art. 261 Abs. 1 lit. a StPO). In das Strafregister werden Verurteilungen von Jugendlichen nur aufgenommen, wenn ein Freiheitsentzug (Art. 25 JStG), eine Unterbringung (Art. 15 JStG) oder eine ambulante Behandlung (Art. 14 JStG) angeordnet worden ist (Art. 366 Abs. 3 StGB).
1.5 Die rechtsanwendende Behörde ist in der Regel an den klaren und unzweideutigen Wortlaut einer Bestimmung gebunden. Abweichungen sind ausnahmsweise zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass dieser nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom Wortlaut kann sodann unter Umständen abgewichen werden, wenn die wörtliche Auslegung zu einem Resultat führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann oder das in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft und den Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung missachtet (BGE 126 III 266 E. 4). Kein triftiger Grund für ein Abweichen von einem klaren Wortlaut ist der blosse Umstand, dass die geltende Regelung rechtspolitisch unbefriedigend und eine andere Lösung wünschbar erscheint (BGE 114 Ia 209 E. 2).
1.6 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin handelt es sich bei der Beschränkung der eintragunsgspflichtigen Verurteilungen von Jugendlichen nicht um ein gesetzgeberisches Versehen, sondern um eine gewollte Differenzierung. Im Zusammenhang mit der anstehenden Totalrevision des Strafregisterrechts wurde eine Ausdehnung der Eintragungspflicht zwar diskutiert, aber bewusst davon abgesehen, alle Jugendurteile wegen Verbrechen oder Vergehen (sofern eine Sanktion ausgesprochen wurde) einzutragen. In diesem Sinn belässt es auch Art. 17 Abs. 2 des Vorentwurfs zu einem Bundesgesetz über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA bei der bisherigen Regelung. Eine gesetzliche Lücke liegt nicht vor, sodass die rechtsanwendende Behörde an den klaren und unzweideutigen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen gebunden ist. Nachdem die mit einem Verweis geahndeten jugendstrafrechtlichen Verurteilungen nicht in das Strafregister eingetragen werden, sind die im Rahmen des Jugendstrafverfahrens erhobenen erkennungsdienstlichen Unterlagen mit der Rechtskraft des Entscheids zu vernichten.
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. Februar 2013
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Der Gerichtsschreiber: Keller