BGer 2C_276/2012
 
BGer 2C_276/2012 vom 04.12.2012
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_276/2012
Urteil vom 4. Dezember 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Stadelmann,
Gerichtsschreiber Errass.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Thomas Tribolet,
gegen
Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg, Route d'Englisberg 11, 1763 Granges-Paccot.
Gegenstand
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, I. Verwaltungsgerichtshof, vom 2. Februar 2012.
Sachverhalt:
A.
Die dominikanische Staatsangehörige X.________ (geb. 1974) ist Mutter von drei in den Jahren 1992, 1995 und 1997 geborenen Kindern, welche in der Dominikanischen Republik leben. Am 24. März 2005 reiste sie in die Schweiz ein und heiratete am 24. Juni 2005 in Murten den Schweizer Y.________, worauf sie eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib beim Ehemann erhielt.
Am 31. Juli 2009 zog der Ehemann Y.________ in die Dominikanische Republik; seine Ehefrau blieb in der Schweiz. Am 1. Februar 2010 kam Y.________ in die Schweiz zurück und nahm in Murten Wohnsitz. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt reiste er wieder in die Dominikanische Republik zurück. Am 10. März 2012 verstarb er.
Mit Verfügung vom 4. April 2011 lehnte das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg das Gesuch von X.________ um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab und setzte ihr eine Frist von dreissig Tagen zum Verlassen des Kantons Freiburg. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg mit Urteil vom 2. Februar 2012 abgewiesen.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 23. März 2012 an das Bundesgericht beantragt X.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern, eventualiter die Sache an die Vorinstanz zur neuen und umfassenden Prüfung des Sachverhaltes zurückzuweisen. Gleichzeitig stellt sie das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg und das Bundesamt für Migration beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg verweist auf seine Eingabe an die Vorinstanz. Mit Eingabe vom 6. Juni 2012 hält X.________ an ihren Anträgen fest.
C.
Mit Verfügung vom 27. März 2012 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Erwägungen:
1.
1.1 Nach Art. 83 lit. c BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten u.a. unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Ziff. 2). Die Beschwerdeführerin macht Gründe im Sinne von Art. 50 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005 (AuG; SR 142.20) geltend, welche ihr einen Anspruch gäben, sich weiterhin in der Schweiz aufzuhalten. Sie verfügt somit über einen potentiellen Anspruch (BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179); ob tatsächlich solche Gründe vorliegen, bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung. Die Sachentscheidvoraussetzungen sind erfüllt (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 sowie 100 BGG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
1.2 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es legt seinem Urteil zudem den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
2.1 Ausländische Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern haben einen Rechtsanspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen (Art. 42 Abs. 1 AuG). Vorbehalten bleiben das Vorliegen von Rechtsmissbrauch oder Widerrufsgründen (Art. 51 Abs. 1 AuG). Der Bewilligungsanspruch besteht trotz Auflösens bzw. definitiven Scheiterns der Ehegemeinschaft fort, wenn diese mindestens drei Jahre gedauert und die betroffene ausländische Person sich hier erfolgreich integriert hat (Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG), oder wenn wichtige Gründe einen Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (lit. b). Die beiden Kriterien - Fristablauf und Integration - sind für den Anspruch nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG kumulativ erforderlich (BGE 136 II 113 E. 3.3.3 S. 119).
2.2 Es ist unbestritten, dass die Ehegemeinschaft der Beschwerdeführerin mindestens mehr als vier Jahre in der Schweiz geführt wurde und demgemäss grundsätzlich ein Anspruch nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG besteht. Die Vorinstanz hat jedoch eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung mangels erfolgreicher Integration der Beschwerdeführerin abgelehnt.
2.2.1 Die Integration soll längerfristig und rechtmässig anwesenden Ausländerinnen und Ausländern ermöglichen, am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft teilzuhaben (Art. 4 Abs. 2 AuG; vgl. BGE 134 II 1 E. 4.1 S. 4 f.). Nach Art. 77 Abs. 4 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) liegt eine erfolgreiche Integration nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG vor, wenn die Ausländerin oder der Ausländer namentlich die rechtsstaatliche Ordnung und die Werte der Bundesverfassung respektiert (lit. a) sowie den Willen zur Teilnahme am Wirtschaftsleben und zum Erwerb der am Wohnort gesprochenen Landessprache bekundet (lit. b). Nach Art. 4 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern (VintA; SR 142.205) zeigt sich der Beitrag der Ausländerinnen und Ausländer zu ihrer Integration namentlich in der Respektierung der rechtsstaatlichen Ordnung und der Werte der Bundesverfassung (lit. a), im Erlernen der am Wohnort gesprochenen Landessprache (lit. b), in der Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen in der Schweiz (lit. c) sowie im Willen zur Teilnahme am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung (lit. d). Sowohl Art. 77 Abs. 4 VZAE als auch Art. 4 VintA nennt die Kriterien nicht abschliessend. Bei der Prüfung der Integrationskriterien verfügen die zuständigen Behörden über einen grossen Ermessensspielraum, in welchen das Bundesgericht nur zurückhaltend eingreift (vgl. Art. 54 Abs. 2 und 96 Abs. 1 AuG; vgl. zum Ganzen Urteil 2C_749/2011 vom 20. Januar 2012 E. 3.2 mit Hinweisen).
2.2.2 Die Vorinstanz hat festgestellt, die Beschwerdeführerin könne als beruflich integriert gelten. Sodann führte sie aus, gegen die Beschwerdeführerin seien keine Betreibungen erhoben worden und sie müsse nicht durch die öffentliche Fürsorge unterstützt werden. Weiter liege eine Bestätigung des Schweizerischen Roten Kreuzes vor, wonach sie jeden Dienstag von 19 bis 20.30 Uhr einen Deutschkurs (Mittelstufe) besuche. Sie verfüge offensichtlich über einen guten Leumund und sei nicht straffällig geworden. Etwas Nachteiliges über ihre Lebensführung sei nicht bekannt. Gegen eine erfolgreiche Integration der Beschwerdeführerin würden in erster Linie ihre mangelhaften - wenn nicht gar ungenügenden - Kenntnisse über die schweizerischen Gegebenheiten sprechen, wobei diesbezüglich die Anforderungen aber nicht allzuhoch angesetzt werden dürften, gehe es doch nicht um die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung oder um eine Einbürgerung.
Trotz diesen Feststellungen führte die Vorinstanz weiter aus, zwar könne von einer gewissen Integration gesprochen werden, was allein nichts Besonderes sei, sondern grundsätzlich von einer alleinstehenden, gesunden 38-jährigen Frau erwartet werden dürfe. Nötig sei darüber hinaus eine eigentliche Verwurzelung in der Schweiz, von der bei der Beschwerdeführerin keine Rede sein könne. Sie habe bis zum 31. Altersjahr ununterbrochen in ihrer Heimat gelebt und habe damit die prägenden Lebensjahre in der Dominikanischen Republik verbracht, wo sich ihr (inzwischen verstorbener) Ehemann aufhielt, sowie ihre Kinder und offensichtlich auch der Rest ihrer Familie. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass sie mit den kulturellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten ihres Heimatlandes nach wie vor bestens vertraut sei und es sei ihr zuzumuten, in ihre Heimat zurückzukehren.
2.2.3 Die Beschwerdeführerin rügt diese Schlussfolgerung der Vorinstanz zu Recht. Das Bundesgericht hat in Urteil 2C_427/2011 vom 26. Oktober 2011 festgehalten, es müssten ernsthafte Gründe vorliegen, um die Integration eines Ausländers zu verneinen, welcher in der Schweiz beruflich integriert sei, zu keinem Zeitpunkt Sozialhilfe bezogen, nie gegen die öffentliche Ordnung verstossen habe und die an seinem Wohnort gesprochene Sprache beherrsche (E. 5.3). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall keine ernsthaften Gründe, wie sie im zitierten Urteil verlangt werden, dargelegt. Sie führt zwar aus, es bestünden keine besonders intensive, über eine normale Integration hinausgehende private Bindungen gesellschaftlicher oder beruflicher Natur beziehungsweise entsprechende vertiefte Beziehungen zum ausserfamiliären und ausserhäuslichen Bereich. Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG verlangt jedoch lediglich eine erfolgreiche Integration und nicht - wie von der Vorinstanz angenommen - eine speziell erfolgreiche Integration mit besonders intensiven Beziehungen. Ist eine solche Integration gegeben, so ist entgegen der Vorinstanz zudem keine weitere Interessenabwägung vorzunehmen und insbesondere auch nicht zu prüfen, ob der Ausländerin die Rückkehr in die Heimat zumutbar wäre. Nachdem die Vorinstanz selber eine normale Integration der Beschwerdeführerin annimmt, hat sie demnach zu Unrecht die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG verweigert.
3.
Die Beschwerde erweist sich damit als begründet und ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg ist anzuweisen, der Beschwerdeführerin die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu verlegen (vgl. Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Freiburg hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, I. Verwaltungsgerichtshof, vom 2. Februar 2012 wird aufgehoben. Das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg wird angewiesen, der Beschwerdeführerin die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Freiburg hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'400.-- zu entschädigen.
4.
Zur Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Freiburg, I. Verwaltungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. Dezember 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Der Gerichtsschreiber: Errass