BGer 9C_436/2012
 
BGer 9C_436/2012 vom 16.10.2012
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
9C_436/2012
Urteil vom 16. Oktober 2012
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.
 
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdeführerin,
gegen
N.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Susanne Friedauer,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 4. April 2012.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 9. Juni 2008 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau N.________ u.a. in Berücksichtigung der Expertise des ABI (Ärztliches Begutachtungsinstitut) vom 24. August 2007) ab 1. Juni 2006 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Im Rahmen des im Dezember 2008 von Amtes wegen eingeleiteten Revisionsverfahrens wurde die Versicherte durch die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) untersucht und begutachtet (Expertise vom 19. August 2010). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren hob die IV-Stelle mit Verfügung vom 13. Januar 2011 die halbe Rente auf Ende des folgenden Monats auf.
B.
In Gutheissung der Beschwerde der N.________ hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 4. April 2012 die Verfügung vom 13. Januar 2011 auf und verpflichtete die IV-Stelle, ihr weiterhin eine halbe Rente auszurichten.
C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 4. April 2012 sei aufzuheben und dem Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
N.________ beantragt, nicht auf die Beschwerde einzutreten, eventualiter sie abzuweisen. Das kantonale Versicherungsgericht verweist auf die Begründung seines Entscheids, ohne einen Antrag zu stellen, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG).
Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteile 9C_999/2010 vom 14. Februar 2011 E. 1 und 9C_735/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 3; SVR 2012 BVG Nr. 11 S. 44, 9C_779/2010 E. 1.1.1).
2.
Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen (Revisionsgrund; BGE 133 V 545; 130 V 343 E. 3.5 S. 349; Urteil 9C_889/2011 vom 8. Februar 2012 E. 3.1).
Referenzzeitpunkt für die Prüfung einer anspruchserheblichen Änderung bildet die letzte rechtskräftige Verfügung, welche auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Ermittlung des Invaliditätsgrades (bei Anhaltspunkten für eine Änderung in den Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigung im erwerblichen oder im Aufgabenbereich) beruht (BGE 133 V 108 E. 5.4 S. 114; Urteil 9C_889/2011 vom 8. Februar 2012 E. 3.2). Vergleichszeitraum im vorliegenden Fall ist der 9. Juni 2008 bis 13. Januar 2011.
3.
Die Vorinstanz ist in Würdigung der Akten zum Ergebnis gelangt, ein Revisionsgrund sei nicht gegeben. Die Gutachter der MEDAS hätten ausdrücklich festgehalten, dass keine Veränderung des Gesundheitszustandes stattgefunden habe, wobei aus psychiatrischer Sicht noch nie und aus rheumatologischer Sicht seit jeher bzw. seit Juni 2005 eine 20%ige Einschränkung der Leistungsfähigkeit bestanden habe.
4.
Die Beschwerde führende IV-Stelle bringt vor, die Beurteilung der Frage, ob sich der Gesundheitszustand in revisionsrechtlich erheblichem Masse verändert habe, erfordere einen Vergleich der Befunde in den Gutachten des ABI vom 24. August 2007 und der MEDAS vom 19. August 2010. Das habe die Vorinstanz nicht getan und damit den massgeblichen Sachverhalt unvollständig festgestellt.
4.1 Im Gutachten des ABI vom 24. August 2007 wurde u.a. festgehalten, die Explorandin habe sich mit langsamen schleppenden Schritten bewegt und sei während der ganzen Untersuchung zusammengesunken auf ihrem Stuhl gesessen. Die Sprechweise sei monoton, die Psychomotorik eingeschränkt und die Stimmung depressiv gewesen. Der affektive Kontakt zum Untersucher sei distanziert geblieben. Demgegenüber zeigte die Versicherte gemäss dem (psychiatrischen Teil-) Gutachten der MEDAS vom 19. August 2010 keine Verhaltensauffälligkeiten, wie die IV-Stelle insoweit richtig vorbringt. Weiter wurde die von den Gutachtern des ABI diagnostizierten rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD-10 F33.1), sollte eine solche 2007 vorgelegen haben, von den Experten der MEDAS als gegenwärtig remittiert, die anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) und die abhängige Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.7) als aktuell nicht nachvollziehbar bezeichnet; es habe zu keiner Zeit eine psychiatrische Krankheit nachgewiesen werden können.
4.2 Das Vorstehende ändert nichts daran, dass nach nicht offensichtlich unrichtiger und somit für das Bundesgericht verbindlicher Feststellung der Vorinstanz die Gutachter der MEDAS ausdrücklich eine Veränderung des Gesundheitszustandes seit Juni 2005 verneinten (E. 1 und 3). Das Fehlen einer revisionsrechtlich erheblichen Veränderung des Gesundheitszustandes seit Zusprechung der halben Rente mit Verfügung vom 9. Juni 2008 ist auch nicht das Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung, wie die diesbezüglich divergenten medizinischen Unterlagen zeigen: Während gemäss Dr. med. H.________ vom regionalen ärztlichen Dienst (RAD) von einer wesentlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes auszugehen ist (Stellungnahmen vom 20. September 2010 und 10. Januar 2011), beschreiben sowohl der behandelnde Psychiater Dr. med. S.________ (Schreiben vom 27. November 2010), als auch Dr. med. L.________ (Privatgutachten vom 16. März 2011) im Wesentlichen unveränderte Verhältnisse.
5.
Die Vorinstanz hat auch geprüft, ob die angefochtene Rentenaufhebung mit der substituierten Begründung der zweifellosen Unrichtigkeit der Verfügung vom 9. Juni 2008 zu schützen sei (vgl. Art. 53 Abs. 2 ATSG und BGE 125 V 368 E. 2 S. 369 sowie SVR 2011 IV Nr. 20 S. 53, 9C_303/2010 E. 4). Sie hat die Frage verneint. Die IV-Stelle bringt diesbezüglich nichts vor. Es besteht kein Anlass zu Weiterungen.
6.
Mit dem Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin mit Fr. 2'500.- für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 16. Oktober 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Meyer
Der Gerichtsschreiber: Fessler