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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_462/2012 {T 0/2}
Urteil vom 10. September 2012
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
Verfahrensbeteiligte
L.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, Davidstrasse 21, 9000 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 11. April 2012.
Sachverhalt:
A.
Der 1966 geborene L.________ war vom 1. Mai 2005 bis 30. September 2006 als Betriebsleiter für die G.________ AG tätig. Danach kümmerte er sich um die Betreuung seiner im Februar 2006 geborenen Zwillinge. Für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 30. September 2010 war er bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen mit seinem Einzelunternehmen "A.________" als Selbstständigerwerbender im Haupterwerb erfasst. Am 1. Oktober 2010 stellte er Antrag auf Arbeitslosenentschädigung. In einem Begleitschreiben vom 28. September 2010 legte er dar, dass er sich entschlossen habe, die selbstständige Erwerbstätigkeit aufzugeben. Mit Verfügung vom 23. Dezember 2010 lehnte die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen den Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. Oktober 2010 ab, wobei sie zur Begründung angab, L.________ könne innert der verlängerten Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2010 keine Mindestbeitragszeit von zwölf Monaten nachweisen und es liege auch kein Grund für eine Beitragsbefreiung vor. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 3. Mai 2011 fest.
B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 11. April 2012).
C.
L.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem sinngemässen Antrag, es seien ihm Taggelder der Arbeitslosenversicherung auszurichten; zudem verlangt er, es seien ihm "allfällige Zinsen" sowie "Nachteile" in Form von "Kursen/Massnahmen" oder in Form eines "vom RAV-Berater zu berechnenden" Betrages bzw. einer im Voraus fixierten Pauschale von Fr. 3'000.- auszugleichen.
Es ist kein Schriftenwechsel durchgeführt worden.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Vorschriften zur Erfüllung der Beitragszeit (Art. 13 Abs. 1 AVIG) als einer Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG) sowie zu den Rahmenfristen (Art. 9 AVIG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.2 Gemäss Art. 9a Abs. 2 AVIG wird die Rahmenfrist für die Beitragszeit von Versicherten, die den Wechsel zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ohne Bezug von Leistungen vollzogen haben, um die Dauer der selbstständigen Erwerbstätigkeit, höchstens jedoch um zwei Jahre verlängert. Die Rahmenfrist für die Beitragszeit von Versicherten, die sich der Erziehung ihrer Kinder gewidmet haben, beträgt vier Jahre, sofern zu Beginn der einem Kind unter zehn Jahren gewidmeten Erziehung keine Rahmenfrist für den Leistungsbezug lief (Art. 9b Abs. 2 AVIG). Durch jede weitere Niederkunft wird die Rahmenfrist nach Art. 9 Abs. 2 AVIG um jeweils höchstens zwei Jahre verlängert (Art. 9b Abs. 3 AVIG). Art. 3b Abs. 4 AVIV präzisiert, dass die vierjährige Rahmenfrist für die Beitragszeit nach Art. 9b Abs. 2 AVIG für jede weitere Niederkunft um den Zeitraum bis zur nächsten Niederkunft, höchstens jedoch um jeweils zwei Jahre, verlängert wird.
3.
Vorinstanz und Verwaltung gehen von einer im Sinne von Art. 9b Abs. 2 AVIG durch die Erziehungszeit auf vier Jahre verlängerten Beitragsrahmenfrist vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2010 aus. Es steht fest und ist letztinstanzlich unbestritten, dass der Beschwerdeführer innerhalb dieser Zeit nicht während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1 AVIG). Fraglich ist einzig, ob ein weiterer Grund vorliegt, welcher zu einer zusätzlichen, mindestens einjährigen Verlängerung der Rahmen-frist für die Beitragszeit führt, mit der Konsequenz, dass zwölf Monate der letzten Anstellung bei der G.________ AG als Beitragszeit berücksichtigt werden könnten.
4.
4.1 Das kantonale Gericht hat in pflichtgemässer Würdigung der gesamten Aktenlage mit nachvollziehbarer Begründung erkannt, der Versicherte habe keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, weil er während der Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2010 keine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe. Die Rahmenfrist für die Beitragszeit sei durch die Geburt der Zwillinge zu Recht um zwei Jahre auf insgesamt vier Jahre verlängert worden. Eine nochmalige Erweiterung um zweimal zwei Jahre mit der Begründung, dass es sich um zwei Kinder handle, komme nicht in Frage. Ob eine zusätzliche Verlängerung der Rahmenfrist für die Beitragszeit wegen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit möglich sei, müsse nicht geprüft werden, da die Aufnahme einer solchen Arbeit per 1. Oktober 2009 nicht überwiegend wahrscheinlich sei.
4.2
4.2.1 Soweit der Beschwerdeführer letztinstanzlich an seiner Argumentation festhält, wonach bei einer Geburt von Zwillingen von einer Verlängerung der Beitragsrahmenfrist im Sinne von Art. 9b Abs. 3 AVIG um zwei Jahre pro Kind auf insgesamt sechs Jahre auszugehen sei, kann ihm nicht gefolgt werden. Mehrlingsgeburten bieten im Vergleich zu Einzelgeburten keinen Anlass zu einer zusätzlichen Verlängerung der Beitragsrahmenfrist, da - wie im Einspracheentscheid vom 3. Mai 2011 zu Recht vermerkt - die Erziehungszeiten in beiden Fällen gleich lang sind. Dass sich hingegen bei aufeinanderfolgenden Einzelgeburten die Rahmenfrist für die Beitragszeit jeweils um den Zeitraum zwischen den Niederkünften verlängert, entspricht Sinn und Zweck der gesetzlich vorgesehenen Beitragsrahmenfristverlängerung, weil sich bei Kindern unterschiedlichen Alters die Erziehungszeiten auf einen längeren Zeitraum erstrecken, was eine verzögerte Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit nach sich ziehen kann.
4.2.2 Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, das Jahr seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit müsse - analog der Regelung des Art. 3b Abs. 4 AVIV, wie bei einer zweiten Niederkunft - zu einer weiteren, einjährigen Verlängerung der infolge der Erziehungszeit auf vier Jahre bemessenen Beitragsrahmenfrist führen. Allerdings lässt sich nicht bemängeln, dass die Vorinstanz die Frage, ob eine zusätzliche Verlängerung der Rahmenfrist für die Beitragszeit wegen Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit grundsätzlich und allenfalls auch im konkreten Fall überhaupt möglich ist, offengelassen hat. An ihre Feststellung, wonach der Beschwerdeführer am 1. Oktober 2009 keine selbstständige Erwerbstätigkeit aufgenommen habe, ist das Bundesgericht nämlich gebunden, weil sie weder offensichtlich unrichtig oder unvollständig ist, noch auf einer Rechtsverletzung beruht (E. 1 hiervor). Eine willkürliche Beweiswürdigung liegt nicht vor (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400). Daran vermögen die Einwendungen in der Beschwerde nichts zu ändern. Es trifft namentlich nicht zu, dass die Vorinstanz dem Versicherten keinen Anlass geboten hätte, weitere Unterlagen zur behaupteten Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit per 1. Oktober 2009 beizubringen. Mit Schreiben vom 20. Februar 2012 räumte sie ihm unter Hinweis darauf, dass sein Einzelunternehmen "A.________" bereits seit 6. April 1992 im Handelsregister eingetragen sei, Gelegenheit ein, zur von ihm behaupteten Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auf 1. Oktober 2009 Stellung zu nehmen und "entsprechende Belege" einzureichen. Seiner Eingabe vom 16. März 2012 lag eine Bestätigung der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen vom 15. März 2012 bei, woraus zu entnehmen ist, dass der Versicherte ab 1. April 1992 im Nebenerwerb und ab 1. Oktober 2009 bis 30. September 2010 als Selbstständigerwerbender im Haupterwerb erfasst gewesen ist. Aus dem zu den Akten gereichten Kontoauszug der Sozialversicherungsanstalt konnte das kantonale Gericht ersehen, dass für die letztgenannte Zeit lediglich der damalige AHV/IV/EO-Mindestbeitrag für Selbstständigerwerbende von Fr. 460.- einbezahlt wurde. Weiterführende Angaben waren vom Versicherten nicht zu erhalten. Wie bereits im Begleitschreiben vom 28. September 2010 zum Antrag auf Arbeitslosenentschädigung beschreibt der Versicherte auch im Verfahren vor Bundesgericht die Aufnahme seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit floskelartig, ohne Informationsgehalt bezüglich seiner zeitlichen und finanziellen Investitionen in sein Unternehmen. Seine Annahme, allein schon die Erfassung als Selbstständigerwerbender durch die Sozialversicherungsanstalt vermöge die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zu beweisen, geht - zumindest im vorliegenden Zusammenhang - fehl. Nach Art. 9b Abs. 2 AVIG wird die Beitragsrahmenfrist lediglich um die Dauer der selbstständigen Erwerbstätigkeit verlängert (E. 2.2 hiervor). Nur während dieser Zeitspanne ist nämlich die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung dadurch nicht möglich (vgl. THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2213 Rz. 109 und FN 245). Demgemäss ist ein Kausalzusammenhang zwischen Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit und mangelnder Erfüllung der Beitragszeit erforderlich. Der Versicherte konnte nicht nachweisen, dass er ab 1. Oktober 2009 bis 30. September 2010 durch die Führung seines Einzelunternehmens an der Aufnahme einer beitragspflichtigen Beschäftigung verhindert war. Deshalb hat es bei der Feststellung des kantonalen Gerichts, wonach die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit per 1. Oktober 2009 nicht überwiegend wahrscheinlich sei, sein Bewenden.
4.2.3 Schliesslich geht auch die Berufung auf den Vertrauensschutz fehl. Gemäss willkürfreier Feststellung der Vorinstanz liess sich die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei anlässlich eines Telefongesprächs mit einer Mitarbeiterin der Arbeitslosenkasse falsch informiert worden, nicht rechtsgenüglich erhärten.
5.
Bei diesem Ergebnis muss auf die letztinstanzlich geltend gemachten Ersatzforderungen nicht eingegangen werden.
6.
Die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) sind dem Ausgang des Verfahrens gemäss vom Beschwerdeführer als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Arbeit des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 10. September 2012
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Ursprung
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz