BGer 1C_484/2011
 
BGer 1C_484/2011 vom 20.02.2012
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
1C_484/2011
Urteil vom 20. Februar 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Chaix,
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Pius Schumacher,
gegen
Y.________AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Franz Keller,
Gemeinderat Luthern, Gemeindekanzlei, 6156 Luthern.
Gegenstand
Bau- und Planungsrecht,
Beschwerde gegen das Urteil vom 28. September 2011 des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung.
Sachverhalt:
A.
Anfangs 1994 erteilten das damalige Amt für Umwelt des Kantons Luzern und der Gemeinderat Luthern der Y.________AG eine bis zum 31. Dezember 2003 befristete Bewilligung für die Erweiterung der Kiesgrube Fiechten nach Westen, auf den Parzellen Nrn. 324, 325 und 330 GB Luthern sowie einer Teilfläche des Grundstücks Nr. 339 GB Luthern. Diese Bewilligung wurde in der Folge verlängert, zuletzt am 11. Dezember 2008 bis zum 31. Dezember 2011. Zudem bewilligte der Gemeinderat Luthern der Y.________AG gestützt auf die kantonalen Bewilligungen am 12. Juli 2000 eine Höherschüttung in der Abbauzone.
B.
Die Abbau- und Auffüllrechte auf der Parzelle Nr. 339 sind zivilrechtlich umstritten. Am 9. Februar 2011 verfügte das Bezirksgericht Willisau auf Antrag der Z.________AG gegenüber der Y.________AG ein superprovisorisches Verbot, auf dem Grundstück Nr. 339 Erdmaterialien abzubauen oder durch Dritte abbauen zu lassen.
C.
Am 7. Oktober 2010 ersuchte die Y.________AG erneut um Verlängerung der Dauer ihrer Bewilligung für den Kiesabbau und die Rekultivierung der Kiesgrube Fiechten um zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2013. Das Gesuch wurde von den Eigentümern der Parzellen Nrn. 324, 325 und 339 sowie durch die Vorstandsmitglieder und den Aktuar der Strassengenossenschaft Knubel-Fiechten-Gängli (Eigentümerin der Parzelle Nr. 330) mitunterzeichnet.
Gegen das Gesuch gingen verschiedene Einsprachen ein, u.a. von X.________. Dieser ist Eigentümer der Parzellen Nrn. 120 und 222 GB Luthern, über welche die Erschliessung der Kiesgrube Fiechten erfolgt, und Mitglied der Strassengenossenschaft Knubel-Fiechten-Gängli.
Am 21. April 2011 wies der Gemeinderat Luthern die Einsprachen ab und verlängerte die Dauer der Bewilligung für den Kiesabbau und die Rekultivierung der Kiesgrube Fiechten mit einer dem Entscheid beigefügten räumlichen Differenzierung: Der nördliche Teil des Abbaugebiets sei bis spätestens Ende August 2013 fertig zu rekultivieren; im südlichen Teil gelte die Bewilligung bis zum 31. August 2013 zuzüglich des Zeitraums, in dem der Zivilrichter der Y.________AG Arbeiten auf der Parzelle Nr. 339 verbiete, höchstens aber bis 31. August 2017.
Gegen diesen Entscheid gelangten X.________ und weitere Einsprecher gemeinsam ans kantonale Verwaltungsgericht. Dieses wies die Beschwerde X.________s am 28. September 2011 ab, soweit dieser die Verletzung seiner Interessen als Mitglied der Strassengenossenschaft Knubel-Fiechten-Gängli rügte. Im Übrigen trat es auf seine Beschwerde nicht ein, weil er im Jahr 2003 einem Gesuch um Verlängerung der Baubewilligung um 10 Jahre ausdrücklich zugestimmt habe. Auf die Beschwerden der übrigen Einsprecher trat das Verwaltungsgericht nicht ein.
D.
Mit Eingabe vom 26. Oktober 2011 führt X.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei insoweit aufzuheben, als er die Verletzung von ihm als Mitglied der Strassengenossenschaft Knubel-Fiechten-Gängli zustehenden Interessen rüge (nichtige Unterschrift des Vorstandes der Strassengenossenschaft auf dem Verlängerungsgesuch vom 7. Oktober 2010); seine Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 18. Mai 2011 sei im Umfang von Antrag 1 gutzuheissen. Auf das Gesuch um Verlängerung der Dauer der Bewilligung um zwei Jahre bis 31. Dezember 2013 sei zufolge fehlender ordnungsgemässer Unterschrift durch eine betroffene Grundeigentümerin nicht einzutreten, eventuell sei es vollumfänglich abzuweisen.
E.
Die Y.________AG beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Eventualiter sei festzustellen, dass sich eine Nichtverlängerung der Abbau-/Rekultivierungsbewilligung einzig auf die Fläche des Grundstücks Nr. 330 GB Luthern bezieht.
Die Gemeinde Luthern und das Verwaltungsgericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde (soweit darauf eingetreten werde).
F.
In der Replik hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest.
G.
Am 23. November 2011 wurde das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen.
Erwägungen:
1.
Da alle Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einzutreten.
2.
Gemäss § 188 Abs. 2 des Luzerner Planungs- und Baugesetzes vom 7. März 1989 (PBG/LU; in der Fassung gemäss Änderung vom 19. März 2007) ist das Baugesuch von der Bauherrschaft und den Grundeigentümern zu unterzeichnen. Die Gemeinde prüft, ob das Baugesuch den Anforderungen für eine Prüfung und Beurteilung des Bauvorhabens entspricht; ist dies nicht der Fall, verlangt sie die Behebung der gerügten Mängel innert gesetzter Frist mit der Androhung, dass andernfalls auf das Baugesuch nicht eingetreten werde (§ 192 lit. b PBG/LU).
Streitig ist vorliegend, ob das Verlängerungsgesuch der Beschwerdegegnerin vom 7. Oktober 2010 von der Strassengenossenschaft Knubel-Fiechten-Gängli (als Eigentümerin der im Abbaugebiet liegenden Parzelle Nr. 330) gültig unterschrieben wurde.
3.
Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass auch Gesuche um Verlängerung einer (Ab-)Baubewilligung von den Grundeigentümern zu unterzeichnen seien. Eigentümerin der Parzelle Nr. 330 sei weiterhin die Strassengenossenschaft, auch wenn der im Abbaugebiet befindliche Strassenteil gemäss Vereinbarung vom 28. Mai 1991 auf die Parzelle Nr. 339 verlegt worden sei. Praxisgemäss bedürfe die Einräumung von Kiesabbaurechten durch Strassengenossenschaften einer vorgängigen Statutenänderung im dafür vorgesehenen Verfahren. Das Verwaltungsgericht ging jedoch davon aus, dass an die Verlängerung einer Abbaubewilligung weniger strenge Anforderungen zu stellen seien. Dabei sei den öffentlichen Interessen und dem Gebot der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen, etwa wenn ein Bauprojekt noch nicht abgeschlossen sei und fertig gestellt werden müsse. Erleichterte Anforderungen rechtfertigten sich umso mehr, wenn relativ kurze Verlängerungen bereits länger dauernder Bewilligungen zur Diskussion stünden.
Der Kiesabbau in der Abbauzone Fiechten dauere bereits etliche Jahre an. Das streitbetroffene Strassenstück sei längst verlegt; mit der neuen Linienführung werde der Genossenschaftszweck vollumfänglich erfüllt. Zudem habe der Kiesabbau auf dem betroffenen früheren Teilstück der Genossenschaftsstrasse bereits begonnen. Es sei weder praktikabel noch verhältnismässig, in diesem späten Verfahrensstadium noch eine Änderung der Statuten der Strassengenossenschaft zu verlangen. Für die Herabsetzung der Anforderungen an die Zustimmung der Strassengenossenschaft spreche auch das von der Gemeinde plausibel begründete öffentliche Interesse am raschen Abschluss der bereits lange dauernden Kiesabbauarbeiten und an der Rekultivierung der Kiesgrube Fiechten. Diese wirke sich aufgrund ihrer Grösse und der Abbaudauer erheblich auf den Raum aus, die Abbaustelle sei gut einsehbar und liege zudem in einem Geo-Objekt von nationaler Bedeutung. Das betreffende Gebiet sei im Inventar der Naturobjekte von regionaler Bedeutung (INR Teil II) als erhaltens- und schützenswertes Objekt aufgeführt.
4.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV). Gemäss § 188 Abs. 2 PBG/LU sei die ordnungsgemässe Unterzeichnung Gültigkeitsvoraussetzung für ein Baugesuch. Diese Bestimmung sei analog auf Verlängerungen anzuwenden. Inwiefern dabei "herabgesetzte Anforderungen" an die Zustimmung der Grundeigentümer zu stellen seien, sei völlig unklar. Zudem könne eine Unterschrift nur gültig oder ungültig sein, insoweit bestehe kein Raum für "herabgesetzte Anforderungen".
Die vom Vorstand der Strassengenossenschaft erteilte Zustimmung zum Verlängerungsgesuch sei nichtig, weil die Zustimmung zum Kiesabbau bzw. dessen Verlängerung ausserhalb des statutarischen Zwecks der Strassengenossenschaft (Bau und Unterhalt der Güterstrasse) und ausserhalb der Vertretungsbefugnis des Vorstands liege. Aus diesem Grund hätten vorab die Statuten geändert und ein formeller Beschluss der Generalversammlung eingeholt werden müssen. Die Strassengenossenschaft als öffentlich-rechtliche Körperschaft könne sich nicht ihrer öffentlichen Aufgaben entledigen, indem sie einer statutenwidrigen Zweckentfremdung zustimme, die zur Zerstörung eines Strassenteilstücks führe. Die Argumentation der Vorinstanz, wonach der Genossenschaftszweck mit der Verlegung des Strassenteils erfüllt werde, sei willkürlich, da die neue Strasse auf dem Grundstück Nr. 339 liege, das nicht im Eigentum der Genossenschaft stehe.
Öffentliche Interessen und das Verhältnismässigkeitsprinzip könnten keine Verletzung von § 188 PBG/LU rechtfertigen. Im Übrigen sei es nicht unverhältnismässig, wenigstens einmal während der gesamten Dauer des Kiesabbaus in der Kiesgrube Fiechten eine korrekte Zustimmung aller betroffenen Grundeigentümer zu verlangen, nachdem sämtliche bisher von der Strassengenossenschaft abgegebenen Zustimmungen (zur Hauptbewilligung inkl. bisherige Verlängerungen) nicht gültig zustande gekommen seien.
5.
Streitig ist die Auslegung und Anwendung von Bestimmungen des PBG/LU zu den formellen Anforderungen an ein Baugesuch; hierbei handelt es sich um selbstständiges kantonales Recht, das vom Bundesgericht nur unter Willkürgesichtspunkten überprüft werden kann. Gleiches gilt für die streitigen Fragen im Zusammenhang mit der Strassengenossenschaft als öffentlich-rechtliche Körperschaft des kantonalen Rechts (statutarischer Zweck; Vertretungsbefugnis des Vorstands).
Willkür liegt nach der Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid der kantonalen Instanz nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 136 I 316 E. 2.2.2 S. 318 f. mit Hinweisen).
6.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass an ein Gesuch um Verlängerung einer bereits erteilten (Ab-)Baubewilligung geringere formelle Anforderungen zu stellen seien als an ein erstmaliges Gesuch. Diese Ausführungen stehen nicht in offensichtlichem Widerspruch zu § 188 Abs. 2 PBG/LU, der sich nur auf Baugesuche bezieht. Inwiefern Gesuche um Verlängerung einer befristeten Baubewilligung überhaupt unter diese Bestimmung fallen und wenn ja, welche formellen Anforderungen an solche Gesuche zu stellen sind, ist gesetzlich nicht geregelt.
Das Verwaltungsgericht hat auch dargelegt, was es im vorliegenden Fall unter "herabgesetzten Anforderungen" versteht, nämlich dass für ein Verlängerungsgesuch (anders als für ein erstmaliges Baugesuch) die Zustimmungserklärung des Vorstands einer Strassengenossenschaft genügen kann, auch ohne vorherige Statutenänderung.
Dies erscheint - zumindest im vorliegenden Fall - nicht offensichtlich unhaltbar: Wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, ist die Strasse längst verlegt und verläuft nunmehr ausserhalb der Kiesabbauzone; auf dem im Abbaugebiet befindlichen ursprünglichen Strassenteil wurde bereits mit dem Kiesabbau begonnen. Unter diesen Umständen stehen die Interessen und statutarischen Zwecke der Strassengenossenschaft (Bau und Unterhalt der Strasse) einer Verlängerung der Abbaubewilligung nicht entgegen. Es erscheint nicht willkürlich, dem Vorstand der Strassengenossenschaft das Recht einzuräumen, dies mit seiner Unterschrift unter das Verlängerungsgesuch zu bestätigen.
Wie die Gemeinde und das Verwaltungsgericht betonen, liegt es im öffentlichen Interesse, den Kiesabbau in der Kiesgrube Fiechten möglichst schnell abzuschliessen und die Kiesgrube ordnungsgemäss zu rekultivieren. Es scheint unstreitig zu sein, dass dieses Ziel innerhalb der bisher bewilligten Frist (bis 31. Dezember 2011) nicht erreicht werden konnte, weshalb eine Verlängerung notwendig ist; dies wird jedenfalls vom Beschwerdeführer nicht substanziiert bestritten. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht dargelegt, welches Interesse die Strassengenossenschaft daran haben könnte, sich der Verlängerung der Baubewilligung zu widersetzen.
Zwar ist dem Beschwerdeführer einzuräumen, dass eine Statutenänderung vor der Zustimmung zum ursprünglichen Baugesuch und der damit verbundenen Strassenverlegung hätte erfolgen müssen. Die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts datiert jedoch von 2008, d.h. lange nach Abschluss der Vereinbarung von 1991. Damals erachteten die Behörden die Unterschrift des Vorstands der Strassengenossenschaft für ausreichend und erteilten die Abbaubewilligung. Diese ist rechtskräftig geworden, weshalb darauf nicht mehr zurückzukommen ist.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass im Baubewilligungsverfahren grundsätzlich nicht über zivilrechtliche Fragen zu entscheiden ist. Mit der Zustimmung der Grundeigentümer zum Baugesuch gemäss § 188 Abs. 2 PBG/LU wird lediglich ein schutzwürdiges Interesse an der Behandlung des Baugesuchs nachgewiesen (MISCHA BERNER, Die Baubewilligung und das Baubewilligungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Luzerner Rechts, Diss. Bern 2009 S. 111 mit Hinweis): Die Behörden sollen ein Bauvorhaben nicht materiell überprüfen müssen, dessen Realisierung mit Blick auf zivilrechtliche Belange zweifelhaft erscheint. Diese Frage stellt sich nicht mehr, wenn die Baubewilligung bereits erteilt ist, d.h. die materielle Prüfung durch die Behörden bereits erfolgt ist.
Nach dem Gesagten verletzt das angefochtene Urteil das Willkürverbot nicht.
7.
Die Beschwerde ist damit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 und 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Der Beschwerdeführer hat die Y.________AG für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Gemeinderat Luthern und dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. Februar 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Die Gerichtsschreiberin: Gerber