BGer 8C_564/2010
 
BGer 8C_564/2010 vom 11.04.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
8C_564/2010
Urteil vom 11. April 2011
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
 
Verfahrensbeteiligte
Unia Arbeitslosenkasse, Zahlstelle St. Gallen, Teufenerstrasse 8, 9000 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,
gegen
K.________,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 28. Mai 2010.
Sachverhalt:
A.
Die 1977 geborene, ledige K.________ war ab Februar 1999 für die L.________ AG tätig. Dieses Arbeitsverhältnis löste sie per Ende November 2000 durch Kündigung auf, weil sie sich der Betreuung ihrer am 6. September 2000 geborenen Tochter widmen wollte. Im Oktober 2008 trennte sie sich vom Kindsvater B.________ mit welchem sie zuvor über zehn Jahre im Konkubinat zusammengelebt hatte. Bis anhin war B.________ für den finanziellen Unterhalt der dreiköpfigen Familie aufgekommen.
Am 5. März 2009 stellte K.________ Antrag auf Arbeitslosenentschädigung und gab an, sie sei bereit und in der Lage, teilzeitlich, im Rahmen von 50 % einer Vollzeitbeschäftigung, erwerbstätig zu sein. Mit Verfügung vom 1. April 2009 verneinte die Unia Arbeitslosenkasse einen Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung mit der Begründung, K.________ habe weder die Beitragszeit erfüllt, noch liege ein Befreiungsgrund vor. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 21. August 2009).
B.
In Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid auf, stellte in den Erwägungen fest, K.________ sei von der Erfüllung der Beitragszeit befreit, und wies die Sache zur Prüfung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen und zur neuen Verfügung an die Arbeitslosenkasse zurück (Entscheid vom 28. Mai 2010).
C.
Die Arbeitslosenkasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid des kantonalen Gerichts sei aufzuheben.
K.________ lässt sich nicht vernehmen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) äussert sich in seiner Stellungnahme in gutheissendem Sinn.
D.
Am 11. April 2011 hat die I. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts eine öffentliche Beratung durchgeführt.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen zur Erfüllung der Beitragszeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG), zu den im Allgemeinen geltenden zweijährigen Rahmenfristen für den Leistungsbezug und die Beitragszeit (Art. 9 AVIG), zur Verlängerung der Rahmenfristen für versicherte Personen, die vorübergehend aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, um sich der Erziehung ihrer Kinder unter 10 Jahren zu widmen, im Besonderen (Art. 9b AVIG) sowie zur Dauer der erforderlichen Beitragszeit innerhalb der entsprechenden Rahmenfrist (Art. 13 Abs. 1 AVIG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
3.
Es steht fest und ist letztinstanzlich unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin innerhalb der für die Erfüllung der Beitragszeit massgebenden Rahmenfrist vom 5. März 2005 bis 4. März 2009 (Art. 9b Abs. 2 AVIG; in der Verfügung der Arbeitslosenkasse vom 1. April 2009 - nicht korrigiert im Einspracheentscheid vom 21. August 2009 - wird die Beitragsrahmenfrist zu Unrecht auf den Zeitraum vom 5. März 2007 bis 4. März 2009 festgelegt) nicht während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1 AVIG). Streitig ist einzig, ob sie wegen Auflösung des Konkubinats nach Art. 14 Abs. 2 AVIG von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist.
4.
4.1 Gemäss Art. 14 Abs. 2 AVIG sind Personen von der Erfüllung der Beitragszeit befreit, die wegen Trennung oder Scheidung der Ehe, wegen Invalidität (Art. 8 ATSG) oder Todes des Ehegatten oder aus ähnlichen Gründen oder wegen Wegfalls einer Invalidenrente gezwungen sind, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder zu erweitern. Diese Regel gilt nur dann, wenn das betreffende Ereignis nicht mehr als ein Jahr zurückliegt und die betroffene Person beim Eintritt dieses Ereignisses ihren Wohnsitz in der Schweiz hatte.
4.2 Art. 14 Abs. 2 AVIG ist in erster Linie für jene Fälle vorgesehen, in denen die Person, welche durch Geldzahlungen an den Unterhalt der Familie beiträgt, oder die Erwerbsquelle plötzlich aus- oder weggefallen ist. Sie zielt auf Versicherte, die nicht auf die Aufnahme, Wiederaufnahme oder Ausdehnung der Erwerbstätigkeit vorbereitet sind und aus wirtschaftlicher Notwendigkeit in verhältnismässig kurzer Zeit neu disponieren müssen (BGE 125 V 123 E. 2a S. 125; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2252 Rz. 243). Gemäss höchstrichterlicher Praxis bildet namentlich die Auflösung eines Konkubinats keinen ähnlichen Grund im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG, weil die Beendigung der Lebensgemeinschaft keine rechtliche Unterhalts- und Beistandspflicht auslöst (BGE 123 V 219).
5.
5.1 Das kantonale Gericht untersucht, ob an dieser Rechtsprechung festgehalten werden kann und kommt zum Schluss, dass die Auflösung eines Konkubinats in einer besseren Erkenntnis der ratio legis von Art. 14 Abs. 2 AVIG als ähnlicher Grund für eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit gelten müsse. Während das Familienrecht einen rechtlich verbindlichen und klaren Rahmen von Rechten und Pflichten für nahe menschliche Beziehungen schaffe, um diesen hinreichenden Schutz zu gewährleisten, verfolge das Sozialversicherungsrecht die Absicherung der ganzen Bevölkerung oder eines grossen Teils davon gegen die wirtschaftlichen Folgen sozialer Risiken und diene dem Ausgleich von damit verbundenen Schäden oder der Tragung von Lasten. Ein legitimes Interesse an wirtschaftlichem Ausgleich bestehe aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht auch ausserhalb familienrechtlicher Pflichten. Vergleichbarer Tatbestand für die Betrachtung der Auflösung des Konkubinats als ähnlicher Grund bezüglich der Beitragsbefreiung sei die Scheidung, welche eine familienrechtliche Statusänderung bewirke. Ein der Scheidung ähnlicher Grund könne aber kein familienrechtlicher Statusbegriff sein, denn sonst wäre er nicht nur ähnlich, sondern gleichwertig. Die wirtschaftliche Lage, welche die Absicherung durch das Sozialversicherungsrecht nötig mache, sei für die haushaltführende Person nach der Auflösung des Konkubinats ähnlich wie nach der Scheidung. Die spezifisch sozialversicherungsrechtliche Behandlung des Konkubinats bringe keine unzulässige familienrechtliche Gleichstellung mit sich.
5.2 Die Arbeitslosenkasse wendet dagegen ein, das frühere Eidgenössische Versicherungsgericht habe in seiner konstanten Rechtsprechung dem Grundsatz, wonach das Familienrecht für das Sozialversicherungsrecht Voraussetzung sei und diesem daher grundsätzlich vorgehe, stets Rechnung getragen. Die eheähnliche Lebensgemeinschaft, das Konkubinat, sei im ZGB nicht geregelt. Zudem seien die "ähnlichen Gründe" gemäss Art. 14 Abs. 2 AVIG in der Zwischenzeit mit Art. 13 Abs. 1bis AVIV konkretisiert worden. Die eheähnlichen Gemeinschaften seien darin nicht erwähnt. Es bestehe keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Die Auslegung des kantonalen Gerichts verletze Bundesrecht. Allenfalls sei eine rechtspolitische Lücke anzunehmen, welche durch den Gesetzgeber zu füllen sei.
5.3 Nach Auffassung des SECO ist bereits deshalb keine analoge Anwendung des Eherechts auf das Konkubinat in Betracht zu ziehen, weil sich die Partner durch die Wahl des Konkubinats bewusst gegen das Eherecht entschieden hätten. Das Konkubinat und die Ehe seien in fast allen rechtlichen Gebieten unterschiedlich zu behandeln. Das Sozialversicherungsrecht sei grundsätzlich zivilstandsunabhängig ausgestaltet, weshalb Konkubinatspartner ohne besondere Anordnung alleinstehenden Personen gleichgestellt seien. So erhalte der überlebende Konkubinatspartner keine AHV-Rente beim Tod des anderen Partners, eine laufende AHV-Rente erlösche nicht beim Eingehen eines Konkubinats und im Bereich der Einkommenssteuer werde allein auf den Zivilstand abgestellt. Bei der kantonalen Erbschafts- und Schenkungssteuer würden Zuwendungen unter nahen Verwandten und Ehepartnern niedriger besteuert als jene unter Konkubinatspartnern. Diese steuerliche Ungleichbehandlung sei vom Bundesgericht als zulässig erklärt worden. Zwar hätten sich die gesellschaftlichen Ansichten bezüglich des Konkubinats in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Dies habe aber bisher in ähnlich gelagerten Fällen nicht zu einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung geführt.
6.
Zu prüfen ist, ob die Praxis, wonach die Auflösung eines Konkubinats keinen ähnlichen Grund im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG darstellt, zu ändern ist.
6.1 Die Änderung einer Rechtsprechung muss sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend erachtet worden ist. Eine Praxisänderung lässt sich grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht (BGE 135 II 78 E. 3.2 S. 85; 135 III 66 E. 10 S. 79; 134 V 72 E. 3.3 S. 76).
6.2
6.2.1 Die in Frage stehende Praxis wurde mit BGE 106 V 58 - in Anwendung der Verordnung vom 14. März 1977 über die Arbeitslosenversicherung, in Kraft seit 1. April 1977 (AlVV; AS 1977 498) - begründet. Unter bestimmten Voraussetzungen sah Art. 17 Abs. 1 AlVV eine Beitragsbefreiung für Personen vor, welche nach dem Schulaustritt, nach einer beruflichen Ausbildung an einer Schule oder nach einer branchenüblichen Anlehre wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse keine zumutbare Beschäftigung als Arbeitnehmer finden. Nach Art. 17 Abs. 4 AlVV war Art. 17 Abs. 1 AlVV sinngemäss auf Personen anwendbar, die wegen Scheidung der Ehe, Tod oder Invalidität des Ehegatten oder eines ähnlichen Vorkommnisses aus wirtschaftlichen Gründen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gezwungen sind. In BGE 106 V 58 wurde entschieden, die Auflösung einer Wohngemeinschaft falle nicht unter die "ähnlichen Vorkommnisse" im Sinne des Art. 17 Abs. 4 AlVV. Zur Begründung wurde angegeben, dass eine solche Lebensform, selbst wenn sie eine moralische Verantwortung mit sich bringe, von ihrem Wesen her rechtlich unsicher sei, da jeder Beteiligte deren Beendigung herbeiführen könne, ohne zu irgendwelchen geldwerten Leistungen, sei es für die Vergangenheit oder für die Zukunft, verpflichtet zu sein; jeder Beteiligte müsse deshalb jederzeit auf die Einstellung der Leistungen gefasst sein, die der andere Partner ihm rechtlich auf freiwilliger Basis erbringe (BGE 106 V 58 E. 3 S. 60).
Mit Art. 14 Abs. 2 AVIG, in Kraft seit 1. Januar 1984, wurde eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit nicht nur bei Eintritt ins Erwerbsleben, sondern auch bei einer beruflichen Umstellung oder Vervollkommnung vorgesehen. Sinn und Zweck der bisherigen Regelung auf Verordnungsstufe ist durch die Gesetzesnovelle nicht berührt worden. Er besteht nach wie vor darin, dass von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sein soll, wer durch einen bestimmten Grund dazu gezwungen wird, eine Erwerbstätigkeit erstmals oder erneut aufzunehmen (oder eine bisher in reduziertem Umfang ausgeübte Erwerbstätigkeit zu erweitern). Eine Ergänzung erfuhr in Art. 14 Abs. 2 AVIG bloss die Aufzählung der massgeblichen Gründe und insofern der Personenkreis, der sich gegebenenfalls auf Art. 14 Abs. 2 AVIG berufen kann. Zum einen ist nun ausdrücklich auch die Trennung einer Ehe genannt, in welchem Punkt der Gesetzgeber übrigens lediglich die Rechtsprechung zu Art. 17 Abs. 4 AlVV kodifizierte (ARV 1980 Nr. 21 S. 40, C 185/78). Zum andern erwähnt Art. 14 Abs. 2 AVIG neu den Wegfall einer Invalidenrente als Befreiungsgrund. Trotz dieser Erweiterung des Personenkreises blieb auch im neuen Recht der Auffangtatbestand der "ähnlichen Gründe" (altrechtlich: "ähnliche Vorkommnisse") bestehen. Die Formulierung "aus ähnlichen Gründen" in Art. 14 Abs. 2 AVIG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, welcher vom Gesetzgeber bewusst nicht näher umschrieben wurde, um die Vorschrift entsprechend der Vielfalt des Lebens flexibel handhaben zu können (Botschaft vom 2. Juli 1980 zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [BBl 1980 III 565 Ziff. 321.1 ad Art. 13 E-AVIG]). Auch wenn die Aufzählung der massgeblichen Gründe demnach nicht abschliessend ist, so ändert dies nichts daran, dass eine Befreiung nach Art. 14 Abs. 2 AVIG nur möglich ist, wenn zwischen dem geltend gemachten Grund und der Notwendigkeit einer Aufnahme oder Erweiterung einer Erwerbstätigkeit ein Kausalzusammenhang gegeben ist (BBl 1980 III 566 Ziff. 321.1 ad Art. 13 E-AVIG). Dies kommt unter anderem auch im verlangten zeitlichen Zusammenhang zum Ausdruck (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 AVIG).
In BGE 123 V 219 sah das Eidgenössische Versicherungsgericht keine Veranlassung, auf die mit BGE 106 V 58 begründete Rechtsprechung zurückzukommen. Zwar stellte es fest, das Konkubinat stelle zwischenzeitlich keine Besonderheit mehr dar und bleibe auch nicht ohne rechtliche Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Konkubinatspartnern. Da das Sozialversicherungsrecht des Bundes aber nach wie vor an die Begriffe des Zivilrechts, namentlich des Familienrechts, anknüpfe, könnten die rechtlichen Auswirkungen einer Trennung von Konkubinatspartnern nicht denjenigen einer Trennung oder Scheidung der Ehe angeglichen werden (BGE 123 V 219 E. 2e S. 222).
Der vorliegend im Vordergrund stehende Satzteil des Art. 14 Abs. 2 AVIG - Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit "aus ähnlichen Gründen" - ist seit BGE 123 V 219 unverändert geblieben. Nach wie vor wäre allein gestützt auf die Formulierung der Gesetzesbestimmung eine Beitragsbefreiung zufolge Konkubinatsauflösung somit grundsätzlich möglich.
6.2.2 Seitherige Änderungen sind allerdings in anderen Bereichen zu verzeichnen. So wurde namentlich mit BGE 125 V 205 die Rechtsprechung, wonach haushaltführende Konkubinatspartnerinnen AHV-rechtlich als angestellte Haushälterinnen zu qualifizieren sind, aufgegeben. Diese Praxis entstand aus dem tatsächlichen Bedürfnis nach sozialer Absicherung für diese Personen, indem Art. 5 Abs. 2 AHVG (Beiträge von Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit; massgebender Lohn) analog zur Anwendung gebracht wurde (BGE 125 V 205 E. 7b S. 216). Eine Frau, die in einem eheähnlichen Verhältnis mit einem Mann lebt, den gemeinsamen Haushalt besorgt und von ihrem Partner Unterhaltsleistungen erhält, übte nach dieser Praxis eine beitragspflichtige Beschäftigung aus (BGE 125 V 205 E. 7g S. 217 f.; Urteil C 162/96 vom 27. August 1997 E. 3a, nicht publ. in: BGE 123 V 219, aber in: ARV 1998 Nr. 4 S. 21). Dieser Versicherungsschutz fiel mit der Aufgabe der Rechtsprechung weg. Gemildert wurde diese Konsequenz zunächst durch Art. 13 Abs. 2bis AVIG (in Kraft vom 1. Januar 1996 bis 30. Juni 2003). Gemäss dieser Bestimmung wurden Zeiten, in denen Versicherte - unabhängig von ihrem Zivilstand - keine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hatten, weil sie sich der Erziehung von Kindern unter 16 Jahren widmeten, als Beitragszeit angerechnet. Die 3. AVIG-Revision führte allerdings zu einem Systemwechsel: Die Erziehungszeiten werden nunmehr nicht mehr als Beitragszeiten anerkannt; dafür wird seit Inkrafttreten des Art. 9b AVIG auf den 1. Juli 2003 im Falle von Erziehungszeiten, ebenfalls unabhängig vom Zivilstand, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen entweder die Rahmenfrist für den Leistungsbezug (Art. 9b Abs. 1 AVIG) oder für die Beitragszeit (Art. 9b Abs. 2 AVIG) verlängert. Das kantonale Gericht weist zu Recht darauf hin, dass diese Entwicklung eine faktische Verschlechterung für nichteheliche Lebenspartner beim Dahinfallen des Zusammenlebens oder der aus dem Zusammenleben fliessenden Versorgung bedeutet, wenn sie sich während mehrerer Jahre der Erziehung der Kinder widmen, innerhalb der verlängerten Rahmenfrist keine beitragspflichtige Beschäftigung ausüben und demzufolge wegen der Nichterfüllung der Beitragszeit keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung haben (GÄCHTER/SCHWENDENER, Nichteheliche Lebensgemeinschaften im Sozialversicherungsrecht, Ein Beitrag zum Verhältnis von Familien- und Sozialversicherungsrecht, FamPra.ch 2005 S. 852).
6.2.3 In der bundesrätlichen Verordnung ist seit BGE 123 V 219 eine - nicht abschliessende - Präzisierung der ähnlichen Gründe erfolgt. Ein ähnlicher Grund im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG liegt nach Art. 13 Abs. 1bis AVIV, in Kraft seit 1. Juli 2003, insbesondere vor, wenn Personen, die wegen Wegfalls der Betreuung von Pflegebedürftigen gezwungen sind, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder zu erweitern, falls: a) die pflegebedürftige Person dauernd auf Hilfe angewiesen war, b) die betreuende und die pflegebedürftige Person im gemeinsamen Haushalt gewohnt haben, und c) die Betreuung mehr als ein Jahr gedauert hat. Die Auflösung des Konkubinats wird in dieser Bestimmung nicht erwähnt, obwohl der Bundesrat aus diesem Anlass im Vergleich zur bisherigen Praxis bei Auflösung einer eheähnlichen Gemeinschaft eine entsprechende Erweiterung des Katalogs der ähnlichen Gründe hätte vornehmen können.
Aus den Weisungen des SECO ergibt sich nichts anderes. Nach Ziffer B196 des Kreisschreibens des SECO über die Arbeitslosenentschädigung (KS ALE), gültig ab Januar 2007, liegen ähnliche Gründe im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG unter anderem dann nicht vor, wenn ein Konkubinat aufgelöst wird.
6.2.4 Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare vom 18. Juni 2004 (Partnerschaftsgesetz, PartG; SR 211.231) auf den 1. Januar 2007 wurde die eingetragene Partnerschaft im Sozialversicherungsrecht während ihrer Dauer einer Ehe (Art. 13a Abs. 1 ATSG) und die gerichtliche Auflösung der eingetragenen Partnerschaft einer Scheidung gleichgestellt (Art. 13a Abs. 3 ATSG). Mit Blick auf Art. 13a Abs. 1 und 3 ATSG ist somit eine versicherte Person bei gerichtlicher Auflösung der eingetragenen Partnerschaft gestützt auf Art. 14 Abs. 2 AVIG von der Erfüllung der Beitragszeit befreit, falls die übrigen Voraussetzungen (namentlich finanzielle Notwendigkeit, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder zu erweitern) gegeben sind. Der Gesetzgeber hat es bisher unterlassen, für unverheiratete Paare unterschiedlichen Geschlechts eine Art. 13a ATSG entsprechende Bestimmung zu erlassen.
6.3 Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Vorgaben, welche eine versicherte Person, die infolge Auflösung eines Konkubinats gezwungen ist, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, erfüllen muss, um Anspruch auf Arbeitslosentaggelder zu haben, seit BGE 123 V 219 strenger geworden sind (E. 6.2.2 hiervor). Gleichzeitig haben Gesetz- und Verordnungsgeber davon abgesehen, Grundlagen für eine spezielle sozialversicherungsrechtliche Absicherung von (ehemaligen) Konkubinatspartnern zu schaffen (E. 6.2.3 f. hiervor).
Unverändert geblieben ist seitdem die - im Gegensatz zur Ehe - während der Dauer einer eheähnlichen Gemeinschaft mangelnde gesetzliche Verpflichtung zu gegenseitigem Unterhalt. Wird eine lebensprägende Ehe geschieden, so haben die Partner Anspruch auf Fortführung der ehelichen Lebenshaltung (BGE 135 III 59 E. 4.1 S. 61). Die Beendigung der eheähnlichen Gemeinschaft unterliegt keinerlei Schranken materieller oder formeller Art; sie kann jederzeit formlos aufgelöst werden und begründet weder eine gegenseitige Unterstützungspflicht noch einen Unterhaltsanspruch für die Zeit danach. Das Konkubinat verschafft den Partnern mit anderen Worten nach wie vor keine rechtlich geschützte Vertrauensposition (BGE 135 III 59 E. 4.2 S. 63). Dennoch hat die faktische Leistung von regelmässigem Unterhalt an einen Konkubinatspartner für diverse Rechtsgebiete Folgen (vgl. die Zusammenstellung in: AEBI-MÜLLER/WIDMER, Die nichteheliche Gemeinschaft im schweizerischen Recht, Jusletter vom 12. Januar 2009 S. 5 ff.).
Es ist dem SECO beizupflichten, dass sich die gesellschaftlichen Ansichten in Bezug auf das Konkubinat in den letzten Jahrzehnten - allerdings weniger seit BGE 123 V 219 bis heute, viel stärker im Zeitraum zwischen BGE 106 V 58 und BGE 123 V 219 - gewandelt haben, dies aber keine entsprechende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Bezug auf die Gleich-/Ungleichbehandlung von Ehe und Konkubinat bewirkt hat. Der Versuch einer sozialen Absicherung für die haushaltführende Konkubinatspartnerin in AHV-rechtlicher Hinsicht wurde mit BGE 125 V 205 namentlich deshalb aufgegeben, weil ein entscheidender Unterschied zwischen ehelicher und eheähnlicher Gemeinschaft durch die Revision des Eherechts an Bedeutung verloren hat, indem die Rollenverteilung während der Ehe gemäss Art. 163 Abs. 2 ZGB in der Fassung vom 5. Oktober 1984, in Kraft seit 1. Januar 1988, nunmehr auf dem Konsens der Ehegatten beruht. Diese Wandlung, welche ins Gesetz eingeflossen ist, stand der Weiterführung der bisherigen Praxis entgegen (BGE 125 V 205 E. 7c S. 216). Die in BGE 125 V 205 erwähnten Veränderungen sind allerdings nicht geeignet, die vorliegend zur Diskussion stehende Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 219 in Frage zu stellen. Zum einen geht es in casu um die Folgen der Auflösung eines Konkubinats, während in BGE 125 V 205 die Wirkungen des eheähnlichen Zusammenlebens im Vordergrund stehen. Zum anderen wurde mit der Änderung der Rechtsprechung in BGE 125 V 205 nicht zuletzt der Problematik von Richterrecht im gesetzlich nicht geregelten Bereich des Konkubinatsverhältnisses Rechnung getragen. Diese Praxisänderung bestärkt die auch in anderen Rechtsgebieten gewonnene Erkenntnis, dass eine allfällige Korrektur der mitunter als ungerecht empfundenen Rechtslage, welche insbesondere auf dem fehlenden Schutz des finanziell schwächeren Konkubinatspartners beruht, durch die Ausstattung stabiler und lebensprägender Partnerschaften mit angemessenen Rechtswirkungen Sache des Gesetzgebers ist (vgl. BGE 135 III 59 E. 4.3 S. 63 bezüglich Berücksichtigung eines vorehelichen Konkubinats beim nachehelichen Unterhalt).
7.
Entgegen der Ansicht des kantonalen Gerichts liegt der zur Diskussion stehenden Rechtsprechung keine unzulässige Diskriminierung einer Lebensform im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BV zugrunde. Ehe und Konkubinat sind unterschiedliche Formen des Zusammenlebens mit unterschiedlichen Rechtswirkungen. Am Umstand, dass die Konkubinatspartner keine gegenseitige Unterstützungspflicht, welche mit Art. 163 ZGB vergleichbar wäre, trifft, und noch weniger ein Unterhaltsanspruch für die Zeit danach besteht, womit das eheähnliche Zusammenleben den Partnern im Vergleich zur Ehe keine rechtlich geschützte Vertrauensposition verschafft, hat sich nichts geändert. Damit liegt weiterhin ein sachlicher Grund für die im Rahmen von Art. 14 Abs. 2 AVIG unterschiedliche Behandlung der betroffenen Personen nach Ehetrennung oder -scheidung einerseits und nach Auflösung eines Konkubinats anderseits vor und es besteht keine im Sinne des Gleichbehandlungsgebots von Art. 8 Abs. 1 BV unzulässige oder willkürliche (Art. 9 BV) Differenzierung. Die Voraussetzungen für eine Praxisänderung (E. 6.1 hiervor) sind nicht erfüllt.
8.
Die Beschwerdegegnerin hat unbestrittenermassen die Rahmenfrist für die Beitragszeit nicht erfüllt. Gestützt auf die bisherige Praxis, an welcher festzuhalten ist, fehlt es auch an einem Befreiungstatbestand, weshalb die von der Arbeitslosenkasse mit Einspracheentscheid vom 21. August 2009 bestätigte Ablehnung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung rechtens ist.
9.
Bei diesem Ausgang des Prozesses hat grundsätzlich die unterliegende Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen. Mit Blick darauf, dass das kantonale Gericht gestützt auf eine sorgfältige Abwägung von der bisherigen Rechtsprechung abgewichen ist, das Bundesgericht aber nach gründlicher Prüfung von einer Praxisänderung absieht, rechtfertigt es sich, für das bundesgerichtliche Verfahren ausnahmsweise keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 28. Mai 2010 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 11. April 2011
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Ursprung Berger Götz