BGer 5A_23/2011
 
BGer 5A_23/2011 vom 25.03.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
5A_23/2011
Urteil vom 25. März 2011
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber Zbinden.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
Staat Zürich und Gemeinde A.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Definitive Rechtsöffnung,
Beschwerde gegen den Erledigungsbeschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Zivilkammer, vom 2. November 2010.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügungen vom 10. August 2010 erteilte die Einzelrichterin im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Bülach dem Staat Zürich und der Gemeinde A.________ in den drei gegen X.________ eingeleiteten Betreibungen Nr. 11'494 (EB 100383), Nr. 11'496 (EB 100384) und Nr. 11'492 (EB 100385) des Betreibungsamtes A.________ definitive Rechtsöffnung für insgesamt Fr. 50'153.30 (Schuld inklusive Kosten und Zinsen). Die Einzelrichterin verzichtete in Anwendung von § 158 GVG/ZH einstweilen auf eine Begründung der Verfügungen, wies aber X.________ in der Rechtsmittelbelehrung gestützt auf § 158 Abs. 1 GVG/ZH darauf hin, dass der Entscheid in Rechtskraft erwachse, sofern keine Partei innert 10 Tagen ab Zustellung der Verfügung schriftlich eine Begründung verlange. Weiter wurde sie darauf hingewiesen, dass die Partei, die eine Begründung verlange, innert 30 Tagen seit Mitteilung der schriftlichen Begründung Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Entscheid erheben könne. Die Verfügungen waren an den Ehemann von X.________ adressiert. Eine ordentliche Zustellung an die Betroffene persönlich ist nicht erfolgt.
B.
Mit Eingabe vom 6. September 2010 (Postaufgabe: 7. September 2010) erhob X.________ beim Obergericht des Kantons Zürich Nichtigkeitsbeschwerde gegen die drei Verfügungen. In diesem Verfahren ersuchte sie überdies um aufschiebende Wirkung sowie um unentgeltliche Prozessführung. Mit Zirkular-Erledigungsbeschluss vom 2. November 2010 trat das Obergericht auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ein mit der Begründung, es lägen keine Anfechtungsobjekte vor; es wies das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab und auferlegte X.________ die Verfahrenskosten von Fr. 750.-- (PN100192).
C.
X.________ (Beschwerdeführerin) hat gegen diesen Beschluss mit Eingabe vom 4. Januar 2011 (Postaufgabe 5. Januar 2011) beim Bundesgericht Beschwerde erhoben. Sie beantragt sinngemäss, die Rechtsöffnungsbegehren seien abzuweisen. Ferner ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege. Die Beschwerdeführerin hat überdies verlangt, ihr Verfahren PN100192 mit demjenigen des Ehemannes (PN100191) zu vereinigen.
D.
Mit Verfügung vom 13. Januar 2011 wurde dem Gesuch um Vereinigung der Verfahren nicht entsprochen.
E.
Das Obergericht hat ausdrücklich auf Vernehmlassung verzichtet. Der Staat Zürich und die Gemeinde A.________ (Beschwerdegegner) haben sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
1.1 Rechtzeitig angefochten (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid (Art. 75 Abs. 1, Art. 90 BGG) in einer Schuldbetreibungssache (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG), deren Streitwert den Betrag von Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG bei Weitem übersteigt. Der angefochtene Entscheid unterliegt somit der Beschwerde in Zivilsachen. Damit können Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 und Art. 96 BGG beanstandet werden (BGE 133 III 399). Gegen die Feststellung des Sachverhalts lässt sich indes nur vorbringen, sie sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG, soweit die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dabei bedeutet "offensichtlich unrichtig" willkürlich (BGE 135 III 127 E. 1.5 S. 130 mit Hinweis).
1.2 In der Beschwerde ist in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, welche Rechte der beschwerdeführenden Partei durch das kantonale Gericht verletzt worden sind (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245), wobei eine allfällige Verletzung verfassungsmässiger Rechte vom Bundesgericht nicht von Amtes wegen geprüft wird, sondern nur dann, wenn solche Rügen in der Beschwerdeschrift ausdrücklich erhoben und begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 135 III 232 E. 1.2 S. 234).
Das Obergericht hat sich zur Begründetheit des Rechtsöffnungsbegehrens der Beschwerdegegner nicht geäussert. Soweit die Beschwerdeführerin die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der definitiven Rechtsöffnung bestreitet, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
2.
2.1 Das Obergericht hat erwogen, die als Gerichtsurkunde versandten drei Rechtsöffnungsentscheide hätten der Beschwerdeführerin trotz zweier Zustellungsversuche der Post nicht ausgehändigt werden können und seien daher beide Male mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an das Gericht zurückgesandt worden. Dieses Verhalten der Beschwerdeführerin, die am 2. August 2010 die Vorladung zur Rechtsöffnungsverhandlung vom 10. August 2010 erhalten habe und somit ernsthaft mit der baldigen Eröffnung der Rechtsöffnungsentscheide habe rechnen müssen, sei als Zustellungsverteilung zu werten; davon sei nämlich auch dann auszugehen, wenn jemand während eines hängigen Verfahrens längere Zeit abwesend sei und während dieser Zeit nicht dafür sorge, dass ihm behördliche Sendungen nachgereicht werden. Die Beschwerdeführerin habe sich daher die fiktive Zustellung der Rechtsöffnungsentscheide entgegenhalten zu lassen; die drei Verfügungen vom 10. August 2010 gälten spätestens am 27. August 2010, d.h. nach unbenutztem Ablauf der zweiten Abholungsfrist von sieben Tagen, als zugestellt. Die in § 157 Abs. 1 GVG (recte § 158 Abs. 1 GVG) statuierte 10-tägige Frist für das Begehren um einen begründeten Entscheid sei inzwischen unbenutzt abgelaufen. Bereits aus diesem Grund lägen keine gültigen Anfechtungsobjekte im Sinn von § 281 ZPO vor, zumal die drei Verfügungen androhungsgemäss in Rechtskraft erwachsen seien (§ 158 Abs. 2 GVG).
2.2 Die Beschwerdeführerin rügt sinngemäss eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und macht zur Begründung im Wesentlichen geltend, die Verfügungen seien an ihren Ehemann und nicht an sie persönlich adressiert gewesen; das Obergericht unterschiebe ihr damit eine Zustellung der Rechtsöffnungsakten, die in Tat und Wahrheit nicht erfolgt sei. Sie erachtet damit im Ergebnis die Zustellungsfiktion für nicht anwendbar. Ferner bestreitet sie im Ergebnis ebenso, dass die besagten drei (ohne Begründung versandten) Rechtsöffnungsentscheide in Rechtskraft erwachsen seien, und rügt damit im Ergebnis willkürliche Anwendung von § 158 ZPO.
2.3 Wird der Adressat einer Urkunde anlässlich einer versuchten Zustellung nicht angetroffen und daher eine Abholeinladung in seinen Briefkasten oder sein Postfach gelegt, gilt die Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt, in welchem sie auf der Post abgeholt wird; geschieht dies nicht innert der Abholfrist von sieben Tagen, so gilt die Sendung als am letzten Tag dieser Frist zugestellt (sogenannte Zustellungsfiktion; BGE 130 III 396 E. 1.2.3 S. 399). Diese Rechtsprechung ist nur dann massgebend, wenn die Zustellung eines behördlichen Aktes mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss (BGE 130 III 396 E. 1.2.3 S. 399 mit Hinweisen).
2.4 Die Zustellungsvereitelung als Bedingung für die Anwendung der Zustellungsfiktion setzt selbstredend voraus, dass eine Zustellung der Verfügung an deren Adressaten erfolglos versucht worden ist. Diesbezüglich kann den einschlägigen kantonalen Akten entnommen werden, dass die drei die Beschwerdeführerin betreffenden Verfügungen EB100383, EB100384 und EB10385 nicht an die Beschwerdeführerin persönlich, sondern an deren an der gleichen Adresse wohnenden Ehemann adressiert waren. Im Übrigen ergibt sich nicht, dass die Zustellung zuhanden der Beschwerdeführerin persönlich nachträglich nachgeholt worden wäre. Ist somit kein gültiger Zustellungsversuch zuhanden der Beschwerdeführerin erstellt, kann dieser nicht ohne Willkür vorgeworfen werden, sie habe die Zustellung der sie betreffenden Rechtsöffnungsentscheide vereitelt. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, die Zustellung sei an eine im gleichen Haushalt lebende Person und damit gültig erfolgt. Denn es bleibt dabei, dass die Verfügungen nicht an deren Adressatin, d.h. an die Beschwerdeführerin, gerichtet waren und die im gleichen Haushalt lebende Person die an sie selbst adressierte Sendung nicht für die Adressatin der Verfügungen entgegengenommen hat. Unter den gegebenen tatsächlichen Umständen ist die Annahme einer fiktiven Zustellung mit dem Bundesrecht nicht zu vereinbaren.
3.
Da vorliegend die Nichtigkeitsbeschwerde vor der Zustellung der nicht begründeten erstinstanzlichen Entscheide eingereicht worden ist, lässt sich unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV) nicht beanstanden, dass das Obergericht auf die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten ist; nach dem klaren Wortlaut von § 158 Abs. 2 ZPO/ZH ist die Beschwerde infolge Fehlens eines begründeten Entscheids verfrüht eingereicht worden. Dennoch ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen: Wie bereits dargelegt, hat das Obergericht zu Unrecht eine fiktive Zustellung der nicht begründeten Entscheide angenommen und ist aufgrund seiner fehlerhaften Rechtsauffassung willkürlich davon ausgegangen, die zehntätige Frist für das Begehren um Zustellung eines begründeten Entscheids sei abgelaufen (§ 158 Abs. 1 GVG/ZH). Aus dieser verfassungswidrigen Überlegung heraus hat es die Eingabe der Beschwerdeführerin entgegen seiner Praxis nicht als Gesuch um einen begründeten Entscheid an die erste Instanz überwiesen (dazu: Hauser/Schweri, GVG Kommentar, 2002, N. 5 zu § 158 GVG). Der angefochtene Beschluss ist folglich aufzuheben und hinsichtlich seiner Ziffer 1 im vorgenannten Sinn neu zu fassen. Zur Behandlung des Gesuchs um unentgeltliche Prozessführung sowie zur Regelung der Kosten und Entschädigungen des kantonalen Verfahrens ist die Sache an das Obergericht zurückzuweisen.
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens rechtfertigt es sich, keine Kosten zu erheben, zumal hier ein krasser Fehler der letzten kantonalen Instanz vorliegt und die Beschwerdegegner nicht auf Abweisung der Beschwerde geschlossen haben (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin war nicht anwaltlich verbeiständet und hat im Übrigen auch nicht aufgezeigt, dass ihr ein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden ist. Unter diesen Umständen ist ihr keine Entschädigung zulasten der Beschwerdegegner zuzusprechen (BGE 133 III 439 E. 4 S. 446; 135 III 127 E. 4 S. 136).
5.
Mit der vorliegenden Kosten- und Einschädigungsregelung wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Zirkular-Erledigungsbeschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Zivilkammer, vom 2. November 2010 (PN100192) wird aufgehoben und dessen Ziff. 1 wie folgt neu gefasst.
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten. Die Eingabe von X.________ wird als Begehren um Zustellung begründeter Entscheide an die Einzelrichterin im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Bülach überwiesen.
2.
Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben.
3.
Die Sache wird zur Regelung der Kosten des kantonalen Verfahrens und zur Behandlung des Gesuchs um unentgeltliche Prozessführung für das kantonale Verfahren an das Obergericht zurückgewiesen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Einzelrichterin im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Bülach und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 25. März 2011
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:
Hohl Zbinden