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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1C_193/2009
Urteil vom 15. Juli 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.
1. Parteien
X.________,
2. Y.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt Erich Giesser,
gegen
A.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Adrian Glatthard,
Gemischte Gemeinde Brienzwiler, vertreten durch
den Gemeinderat, Postfach 60, 3856 Brienzwiler,
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des
Kantons Bern, Rechtsamt, Reiterstrasse 11, 3011 Bern.
Gegenstand
Gastgewerbe (Überzeitbewilligung),
Beschwerde gegen das Urteil vom 26. März 2009
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung.
Sachverhalt:
A.
Y.________ ist Eigentümer der Liegenschaft Gbbl. Nr. 706 in der Gemischten Gemeinde Brienzwiler; die Parzelle befindet sich in einer Wohn- und Gewerbezone, die der Lärmempfindlichkeitsstufe III zugeordnet ist. Im Erdgeschoss betreibt X.________ ein Restaurant und im Obergeschoss einen Tanzsaal sowie eine Terrasse. Im Tanzsaal finden rund 200 Personen Platz. Gemäss genereller Überzeitbewilligung vom 19. April 2006 galten für das Restaurant und den Tanzsaal Öffnungszeiten von Montag bis Donnerstag bis 01.30 Uhr sowie Freitag und Samstag bis 02.30 Uhr. X.________ ersuchte am 22. Mai 2006 um Gewährung einer Überzeitbewilligung für täglich bis 03.30 Uhr. Der Nachbar A.________ erhob hiergegen Einsprache. Mit Verfügung vom 14. November 2007 wurden X.________ vom Regierungsstatthalter von Thun, unter Auflagen, folgende generelle Überzeiten bewilligt:
Restaurant: Sonntag bis Donnerstag bis 01.30 Uhr
Freitag und Samstag bis 02.30 Uhr
Terrasse: täglich bis 00.30 Uhr
Saal: Sonntag bis Donnerstag bis 02.00 Uhr
Freitag und Samstag bis 03.30 Uhr
B.
A.________ focht die Überzeitbewilligung bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE) an. Er beantragte, für den Tanzsaal seien höchstens Öffnungszeiten von Sonntag bis Donnerstag bis 01.30 Uhr sowie freitags und samstags bis 02.30 Uhr festzulegen. Ausserdem sei X.________ zu verpflichten, im Tanzsaal eine effiziente Lüftung zu installieren. Die BVE hiess die Beschwerde am 27. Mai 2008 teilweise gut. Sie legte die Öffnungszeiten für den Tanzsaal wie folgt fest:
Sonntag bis Donnerstag bis 01.30 Uhr
Freitag und Samstag bis 02.30 Uhr
Im Übrigen wies die BVE die Beschwerde ab und bestätigte den Entscheid des Regierungsstatthalters.
C.
Gegen den Entscheid der BVE reichten X.________ und Y.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern ein. Sie verlangten eine Ansetzung der Öffnungszeiten für den Tanzsaal gemäss der Verfügung des Regierungsstatthalters. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 26. März 2009 ab.
D.
Mit Eingabe vom 1. Mai 2009 führen X.________ und Y.________ beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts. Der Entscheid des Regierungsstatthalters sei bezüglich der Überzeitbewilligung für den Tanzsaal zu bestätigen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
A.________, die BVE und das Verwaltungsgericht ersuchen um Abweisung der Beschwerde. Die Gemeinde verweist auf eine Stellungnahme im Verfahren vor der BVE, mit der sie sich für eine Bestätigung des Entscheids des Regierungsstatthalters ausgesprochen hatte.
Erwägungen:
1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind an sich erfüllt und geben keinen Anlass zu Bemerkungen. Auf die Beschwerde ist unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit der einzelnen Vorbringen einzutreten.
2.
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligungsfähigkeit der im Streit liegenden Ausdehnung der Öffnungszeiten im Lichte des kantonalen Gastgewerbegesetzes (GGG/BE; BSG 935.11) und der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes geprüft.
Insbesondere hat sich das Verwaltungsgericht mit lärmschutzrechtlichen Aspekten befasst. Nach seiner Auffassung kann offen bleiben, ob es um eine neue Anlage im Sinne von Art. 25 des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz (USG; SR 814.01) geht; diesfalls dürfte der durch die Kundschaft verursachte Lärm während der Nacht grundsätzlich höchstens eine geringfügige Störung verursachen (vgl. BGE 130 II 32 E. 2.2. S. 36 mit Hinweisen). Wie das Verwaltungsgericht dargelegt hat, führe die vorliegend verlangte Ausdehnung der generellen Überzeit ohnehin zu einer erheblichen Störung im Sinne von Art. 15 USG; es werde auch das zulässige Mass für wesentlich geänderte, bestehende Anlagen gemäss Art. 8 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) überschritten. Deshalb hat das Verwaltungsgericht den Entscheid der BVE, womit das strittige Begehren abgewiesen worden war, als rechtmässig erachtet.
Mit Blick auf die soeben angeführten Erwägungen rügen die Beschwerdeführer, aus dem angefochtenen Entscheid gehe nicht klar hervor, ob es sich beim Tanzsaal um eine neue oder eine bestehende Anlage handle. Das Verwaltungsgericht erkläre aber mit Art. 8 LSV eine Norm für massgeblich, deren Anwendbarkeit es nicht abschliessend geprüft bzw. bejaht habe. Ein solches Vorgehen stelle nicht nur eine falsche Anwendung von Bundesrecht dar, sondern missachte auch das Legalitätsprinzip gemäss Art. 5 Abs. 1 BV. Diese Rügen erweisen sich als unbegründet. Angesichts des gegebenen Streitgegenstands durfte sich das Verwaltungsgericht darauf beschränken, eine Prüfung in lärmschutzrechtlicher Sicht anhand der Vorgaben von Art. 15 USG und Art. 8 LSV vorzunehmen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Normen die einschlägigen gesetzlichen Grundlagen im betreffenden Zusammenhang bilden.
3.
Zur Hauptsache bemängeln die Beschwerdeführer die Lärmprognose des Verwaltungsgerichts. Die Erfassung zukünftiger Immissionen ist nicht eine reine Rechtsfrage, sondern wesentlich eine Frage der Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (BGE 112 Ib 154 E. 2 S. 157 mit Hinweis). Das Bundesgericht ist nach Art. 105 Abs. 2 BGG an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung gebunden, soweit diese nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht. Sachverhaltsrügen müssen rechtsgenüglich substanziiert vorgebracht werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; dazu BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 133 IV 286 E. 6.2 S. 288; je mit Hinweisen).
Das Verwaltungsgericht hat die Sachumstände materiell umfassend geprüft. Es hat namentlich das Konzept und die Grösse des fraglichen Betriebs, die besonderen örtlichen Verhältnisse sowie die Schliessungszeiten bei vergleichbaren Betrieben in umliegenden Gemeinden untersucht. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht der zu erwartende Sekundärlärm; dieser droht hier vor allem in der Form nächtlichen Lärms der Besucher aufzutreten, die das Lokal verlassen bzw. mit dem Auto wegfahren. Das Verwaltungsgericht rechnet damit, dass die strittige Ausdehnung der Öffnungszeiten zu einer starken Zunahme des Sekundärlärms nach Mitternacht führen würde. Es nimmt an, eine ins Gewicht fallende Zahl von Gästen werde sich bei Betriebsschluss anderer Tanz-, Konzert- und Barlokale in der Region zum fraglichen Betrieb begeben (sog. Bar-Tourismus). Ein Grossteil der Gäste werde mit dem Personenwagen anreisen. Dadurch werde gerade in den hier zur Diskussion stehenden Nachtzeiträumen eine unzumutbare Lärmbelästigung der Anwohnerschaft bewirkt.
4.
In BGE 126 III 223 E. 4b S. 229 f. wurden Überlegungen angestellt, inwiefern Sekundärlärm eines Gastbetriebs nach Mitternacht in einer gemischten Wohn- und Gewerbezone mit der Empfindlichkeitsstufe III zu einer erheblichen Störung im Sinne von Art. 15 USG führt. Diese Rechtsprechung wird im angefochtenen Entscheid zutreffend wiedergegeben. Das Verwaltungsgericht hat daraus abgeleitet, dass jedenfalls eine Zunahme regelmässiger Lärmimmissionen über der Weckschwelle in den strittigen Nachtzeiten eine erhebliche und somit unzulässige Störung bildet. Dieser Massstab erweist sich als bundesrechtskonform. Weitere Ausführungen dazu erübrigen sich, denn die Beschwerdeführer kritisieren das Abstellen auf diesen Massstab nicht konkret.
5.
Hingegen wenden sich die Beschwerdeführer im Grunde gegen die Richtigkeit der Tatsachenfeststellung, wenn sie die Lärmprognose des Verwaltungsgerichts anzweifeln. Insofern erweisen sich ihre Vorbringen jedoch überwiegend als appellatorische Kritik; eine solche genügt den Anforderungen an eine ausreichende Beschwerdebegründung im bundesgerichtlichen Verfahren nicht (vgl. E. 3 hiervor). Soweit darauf eingetreten werden kann, ist auszuführen, was folgt:
5.1 Das Verwaltungsgericht hat nicht übersehen, dass sich der Tanzsaal an ein junges Publikum richtet. Dennoch durfte es davon ausgehen, dass ein grosser Teil der Gäste mit dem Auto anreist. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Zusammenhang das Entstehen eines Bar-Tourismus befürchtet. Die Beschwerdeführer zeigen nicht auf, wie der nur einmal pro Nacht und überdies nicht an allen Wochentagen verkehrende, regionale Nachtbus als ausreichendes Transportmittel für die auswärtigen Besucher geeignet sein soll. Weiter wird in der Beschwerde ausgeführt, ein Grossteil der Gäste sei ortsansässig und reise mit dem Fahrrad an; diesbezüglich bleibt es aber bei der blossen Behauptung der Beschwerdeführer.
5.2 Unter der Voraussetzung, dass die Besucher des Tanzsaals vorwiegend das Auto zur An- bzw. Wegfahrt benutzen, liegt es auf der Hand, dass damit regelmässig Sekundärlärm über der Weckschwelle in den umstrittenen Zeitabschnitten verbunden ist. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht mit Blick auf den angenommenen Bar-Tourismus sogar von einer Zunahme derartiger Lärmimmissionen ausgeht. Demgegenüber meinen die Beschwerdeführer, mit dem Einsatz eines privaten Sicherheitsdiensts könne der Sekundärlärm wirksam eingedämmt werden. Im Gegensatz dazu weist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hin, dass der Sicherheitsdienst wiederholte, kurze Lärmstörungen über der Weckschwelle nicht verhindern kann (vgl. auch BGE 130 II 32 E. 2.1 S. 35).
5.3 Was die Lärmvorbelastung der Umgebung nach Mitternacht angeht, hat das Verwaltungsgericht den Sachverhalt ebenfalls nicht offensichtlich unrichtig festgestellt. Die Beschwerdeführer räumen ein, dass die Liegenschaft des benachbarten Beschwerdegegners bewohnt ist. Das Verwaltungsgericht hat berücksichtigt, dass es sich dabei um eine Wohn- und Gewerbeliegenschaft handelt. Dabei hat es festgehalten, der Gewerbebetrieb des Beschwerdegegners verursache nach Mitternacht keinen erheblichen Lärm mehr. Für diese Feststellung hat sich das Verwaltungsgericht auf eine Erhebung gestützt. Diese Erhebung stellen die Beschwerdeführer nicht in Frage. Es hilft ihnen daher nicht, wenn sie trotzdem behaupten, mit dem Betrieb des Beschwerdegegners sei nach Mitternacht erheblicher Sekundärlärm verbunden.
6.
Ferner stossen sich die Beschwerdeführer daran, dass einem Cabaret in der streitbetroffen Liegenschaft die zur Diskussion stehende Ausdehnung der Öffnungszeiten bewilligt worden ist. Das Verwaltungsgericht hat sich eingehend mit der Vergleichbarkeit von Tanz- und Cabaret-Betrieb im vorliegenden Zusammenhang befasst. Die Vergleichbarkeit hat es mit einer Mehrzahl von eigenständigen Begründungen verneint. Diese betreffen die unterschiedliche Höhe der Eintrittspreise, die abweichende Betriebsgrösse und Unterschiede beim Verhalten der Besucher. Die Beschwerdeführer äussern sich nur zur Vergleichbarkeit der Kundschaft der beiden Betriebe. Zu den beiden anderen Argumentationslinien bringen sie keine Beanstandungen vor. Da die Beschwerdeführer nicht darlegen, dass jeder Begründungsstrang Recht verletzt, kann auf diesen Punkt der Beschwerde gesamthaft nicht eingetreten werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 133 IV 119 E. 6.3 S. 120 f.).
7.
Ein zusätzlicher Rügenkomplex bezieht sich auf den Umstand, dass die generelle Überzeitbewilligung gemäss Art. 14 Abs. 3 GGG/BE in der kantonalen Praxis als Ausnahmebewilligung eingestuft wird. Das Verwaltungsgericht hat bestätigt, dass die vorliegende Überzeitbewilligung auch gestützt auf diese Norm auf einen ortsüblichen Rahmen beschränkt bleiben müsse. Die Beschwerdeführer halten diese Betrachtungsweise des Verwaltungsgerichts für willkürlich. Dieses lege zu starkes Gewicht auf die Interessen der Nachbarschaft; zudem laufe das angefochtene Urteil auf einen unzulässigen Schutz der Konkurrenz hinaus. Im Ergebnis setzen sich die Beschwerdeführer für eine liberale Handhabung des einschlägigen kantonalen Rechts im vorliegenden Fall ein; damit vermögen sie indessen keine Verfassungsverletzung darzutun. Das Verwaltungsgericht hat sich eingehend mit den diesbezüglichen Argumenten der Beschwerdeführer befasst. Es stellt dabei zu Recht das Kriterium der Wohnnutzung in der betroffenen Zone in den Vordergrund. Dieses Kriterium erweist sich auch dann als sachlich haltbar, wenn nur ein paar wenige Personen in der Nachbarschaft wohnen.
8.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang tragen die Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Sie haben dem Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 und 4 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführer haben den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren, unter solidarischer Haftbarkeit, mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemischten Gemeinde Brienzwiler, der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Juli 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Féraud Kessler Coendet