BGer 2C_38/2009
 
BGer 2C_38/2009 vom 05.06.2009
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_38/2009
Urteil vom 5. Juni 2009
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Müller, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen, Zünd, Donzallaz,
Gerichtsschreiber Küng.
Parteien
X.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Paul Schaltegger,
gegen
Swissmedic, Schweizerisches Heilmittelinstitut.
Gegenstand
Art. 20 Abs. 2bis VwVG (Zeitpunkt der Zustellung einer Verfügung),
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2008.
Sachverhalt:
A.
Die Swissmedic übergab am 5. Juni 2008 die Verfügung, mit der sie das Gesuch der X.________ AG um Zulassung des Arzneimittels "________" abwies, in Bern der Post. Die Sendung traf am 6. Juni 2008 bei der Poststelle Neuenhof/AG ein, wo die X.________ AG ihren Geschäftssitz hat. Es ist nicht geklärt, ob an diesem Tag auch eine rote Abholungsmeldung in das Postfach der X.________ AG gelegt wurde. Fest steht jedoch, dass die Post eine solche Aufforderung ins Postfach legte, als die Sendung innert der siebentägigen Frist nicht abgeholt worden war. Der Geschäftsführer der X.________ AG nahm darauf am 16. Juni 2006 die Sendung der Swissmedic in Empfang.
Die X.________ AG erhob gegen die erwähnte Verfügung der Swissmedic am 18. August 2008 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Sie ging davon aus, dass die Rechtsmittelfrist mit der Abholung der Sendung am 16. Juni 2008 zu laufen begonnen habe. Das Bundesverwaltungsgericht trat auf die Beschwerde mangels Wahrung der Rechtsmittelfrist nicht ein.
B.
Die X.________ AG beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, das genannte Urteil aufzuheben und das Bundesverwaltungsgerichts anzuweisen, auf die beim ihm erhobene Beschwerde einzutreten.
Die Swissmedic stellt den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesverwaltungsgericht und das Eidgenössische Departement des Innern haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
C.
Der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hat der Beschwerde am 4. Februar 2009 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Vorinstanz gelangt zum Schluss, die Einladung zur Abholung der Verfügung der Swissmedic sei der Beschwerdeführerin am 6. Juni 2008 in ihr Postfach gelegt worden. Die Beschwerdefrist gemäss Art. 20 Abs. 1bis VwVG habe nach Ablauf von sieben Tagen, also am 14. Juni 2008, zu laufen begonnen. Das Ende der 30-tägigen Rechtsmittelfrist falle demnach auf den 14. Juni (recte: Juli) 2008, weshalb die erst am 18. August 2008 der Post übergebene Beschwerde verspätet sei.
1.2 Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die Abholungseinladung sei erst am 16. Juni 2008 in ihr Postfach gelegt worden. Die Rechtsmittelfrist habe mit der Entgegennahme am gleichen Tag zu laufen begonnen; ihr Ende falle auf den 18. August 2008, so dass die an diesem Tag der Post übergebene Beschwerde rechtzeitig erhoben worden sei.
1.3 Es ist unbestritten, dass die Rechtsmittelfrist gewahrt wäre, falls der Beschwerdeführerin die Abholungseinladung erst am 16. Juni 2008 ins Postfach gelegt worden sein sollte. Ebenso steht fest, dass die Frist versäumt worden wäre, wenn die Post die Abholungseinladung bereits am 6. Juni 2008 ins Fach der Beschwerdeführerin gelegt hätte. Zu prüfen ist deshalb allein, in welchem Zeitpunkt die Zustellung der Abholungseinladung erfolgte.
2.
2.1 Nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid ging die Verfügung der Swissmedic am 6. Juni 2008 bei der Poststelle Neuenhof ein, wurde dort zur Abholung registriert, jedoch erst am 16. Juni 2008 abgeholt. Die Vorinstanz stützt sich dabei auf einen Ausdruck von "Track & Trace" der Post und auf einen Stempel auf dem Briefcouvert, der eine Abholfrist bis zum 13. Juni 2008 angibt. Sie erklärt weiter, es sei zwar nicht auszuschliessen, dass der Beschwerdeführerin am 6. Juni 2008 keine Abholungseinladung ins Postfach gelegt wurde, zumal feststehe, dass solche Fehler bei der Poststelle Neuenhof vorkämen; doch sei es ebensogut möglich, dass der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin die Abholungseinladung vom 6. Juni 2008 übersehen oder verloren habe. Sein Eingangsvermerk auf dem Briefumschlag, der auf den 16. Juni 2008 laute, schliesse diese Möglichkeit nicht aus. Er habe die Sendung an diesem Tag abgeholt, nachdem die Post jedenfalls nach Ablauf der Abholfrist am 13. Juni 2008 eine Abholungseinladung ins Postfach gelegt habe. Unter diesen Umständen lässt sich nach Auffassung der Vorinstanz nicht mehr eruieren, ob die Post bereits am 6. Juni 2008 oder erst nach unbenützter Frist eine Abholungseinladung ins Fach der Beschwerdeführerin legte. Da nach der Rechtsprechung eine Vermutung für die ordnungsgemässe Zustellung der Abholungseinladung bestehe, habe die Beschwerdeführerin die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen.
2.2 Die Beschwerdeführerin erblickt in dieser Beweislastverteilung einen Verstoss gegen Art. 20 VwVG in Verbindung mit Art. 8 ZGB. Die Vorinstanz habe von ihr zu Unrecht einen sicheren Beweis verlangt, dass sie am 6. Juni 2008 keine Abholungseinladung erhalten habe, anstatt zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall erhebliche Zweifel an einer ordnungsgemässen Zustellung bestünden. Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, die vorinstanzliche Beweiswürdigung sei willkürlich und beruhe auf einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
3.
3.1 Die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels beim Bundesverwaltungsgericht beginnt am Tag nach der Mitteilung der Verfügung zu laufen (Art. 20 Abs. 1 VwVG in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 VwVG und Art. 37 VVG). Eine Mitteilung, die nur gegen Unterschrift des Adressaten oder einer anderen berechtigten Person überbracht wird, gilt spätestens am siebenten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt (Art. 20 Abs. 1bis VwVG; sog. Zustellungsfiktion).
3.2 Das Gesetz regelt nicht näher, wem die Beweislast für die Zustellung obliegt. Nach einer langjährigen Rechtsprechung hat die Behörde nachzuweisen, dass und wann ihre Verfügung dem Adressaten zugestellt wird. Bedient sie sich dabei der Post und ist - infolge Unmöglichkeit der direkten Übergabe - eine Abholungseinladung auszustellen, gilt eine widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten oder in das Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist. Es findet also in diesem Fall hinsichtlich der Ausstellung der Abholungseinladung eine Umkehr der Beweislast in dem Sinne statt, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten des Empfängers ausfällt, der den Erhalt der Abholungseinladung bestreitet (vgl. die Nachweise der bisherigen Rechtsprechung bei Kathrin Amstutz/Peter Arnold, in: Basler Kommentar, 2008, N. 31 zu Art. 44 BGG).
3.3 Die Vorinstanz ist zu Recht von dieser - jüngst wieder bestätigten - Praxis ausgegangen (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 9C_753/2007 vom 29. August 2008, E. 3). Auch die Beschwerdeführerin stellt sie nicht in Frage. Umstritten sind einzig die Anforderungen, die an die Widerlegung der Vermutung, die Abholungseinladung sei in das Postfach gelegt worden, zu stellen sind.
4.
4.1 Im erwähnten, zuletzt ergangenen Entscheid hat sich das Bundesgericht zur aufgeworfenen Frage nach dem Beweismass nicht abschliessend geäussert. Es erachtete es jedenfalls nicht als willkürlich, auf die Vermutung der korrekten Übermittlung einer Abholungseinladung abzustellen, wenn nicht zumindest eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegen sie spreche. Es liess jedoch offen, ob für die Widerlegung der Vermutung der volle Beweis erforderlich sei (Urteil des Bundesgerichts 9C_753/2007 vom 29. August 2008, E. 5.2). Auch in früheren Entscheiden äusserte es sich zu dieser Frage nicht ausdrücklich. Die verwendeten Formulierungen lassen indessen darauf schliessen, dass für die Widerlegung der Vermutung kein Beweis des Gegenteils erforderlich sein soll, sondern dass es sich um eine sog. natürliche Vermutung (vgl. dazu BGE 117 II 256 E. 2b und c S. 258 f.) handelt, die durch den Gegenbeweis entkräftet werden kann. So wurde verschiedentlich erklärt, die Vermutung des Zugangs der Abholungseinladung gelte, sofern nicht besondere Umstände für eine Pflichtwidrigkeit des Postangestellten sprächen (Urteile 1P.505/1998 vom 28. Oktober 1998 E. 2c und 1P.284/1998 vom 14. August 1998 E. 3c). Es erscheint auch sachlich gerechtfertigt, zur Widerlegung der fraglichen Vermutung keinen strikten Beweis zu verlangen, sondern den Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der Zustellung genügen zu lassen. Denn der Nichtzugang einer Abholungseinladung ist eine negative Tatsache, für die naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden kann. Mit der Möglichkeit, die Zugangsvermutung durch den Gegenbeweis zu widerlegen, wird auch bis zu einem gewissen Grad der Kritik Rechnung getragen, die an dieser Vermutung geübt wird (vgl. Yves Donzallaz, La notification en droit interne suisse, Bern 2002, N. 1251; ders., Loi sur le Tribunal fédéral, Bern 2008, N. 1166; Robert Hauser/Erhard Schweri, Kommentar zum zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, 2002, § 177 N. 44).
4.2 Die Vorinstanz hebt im angefochtenen Entscheid hervor, es könne trotz der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Umstände nicht ausgeschlossen werden, dass ihr Geschäftsführer die Abholungseinladung übersehen oder verloren habe. Sie prüft hingegen nicht, ob die vorgebrachten Indizien die Vermutung, dass ihr am 6. Juni 2008 eine Abholungseinladung ins Postfach gelegt wurde, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu widerlegen vermögen. Damit verlangt die Vorinstanz von der Beschwerdeführerin zu Unrecht den vollen Beweis dafür, dass ihr am genannten Datum keine Abholungseinladung zuging. Der angefochtene Entscheid verletzt demnach die bundesrechtlichen Beweisanforderungen an die Widerlegung der erwähnten Zugangsvermutung.
5.
5.1 Der Ablauf der fraglichen Zustellung ist, soweit er noch eruiert werden kann, unbestritten. Die Beschwerdeführerin macht geltend, im Lichte der erwähnten Beweisanforderungen müsse die Vermutung, ihr sei am 6. Juni 2008 eine Abholungseinladung zugegangen, als widerlegt gelten. Eine gegenteilige Beweiswürdigung sei willkürlich.
5.2 Die Vorinstanz scheint es selber für ausgeschlossen zu halten, dass der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin eine am 6. Juni 2008 ins Postfach gelegte Abholungseinladung nicht abgeholt hätte, wenn ihm eine solche zu Gesicht gekommen wäre. Denn es ist erwiesen, dass dieser solche Sendungen immer gleichentags am Schalter abzuholen pflegt. Es fragt sich damit einzig, ob die Ursache für die fehlende Kenntnisnahme der Abholungseinladung eher bei der Beschwerdeführerin oder bei der Post zu suchen ist.
5.3 Die Letztere räumt ein, dass ihrem Mitarbeiter ein Fehler bei der Zustellung der Abholungseinladung unterlaufen sein könnte. Die Vorinstanz stellt auch fest, dass in der Poststelle Neuenhof vor dem 6. Juni 2008 verschiedentlich Irrtümer bei der Verteilung von Abholungseinladungen in die Postfächer vorkamen. Fehlerhafte Ablagen können auch nicht ohne weiteres korrigiert werden, weil der dabei verwendete Avis keine näheren Angaben über die Sendung und ihren Empfänger enthält. Er unterscheidet sich damit von den Abholungseinladungen, die in Briefkästen gelegt werden. Hier darf in der Regel davon ausgegangen werden, dass der Empfänger, der irrtümlich ein solche Einladung erhält, diese an den zutreffenden Adressaten weiterleitet (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_753/ 2007 vom 29. August 2008, E. 5.1). Aufgrund der bekannten Unregelmässigkeiten bei der Poststelle Neuenhof und der fehlenden Korrekturmöglichkeit bei Irrtümern besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführerin am 6. Juni 2008 keine Abholungseinladung ins Postfach gelegt wurde. Umgekehrt bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin eine Abholungseinladung übersehen haben könnte. Es kommt hinzu, dass die Abholungseinladung bei der weiteren Bearbeitung der eingegangenen Post sehr wahrscheinlich bemerkt worden wäre, wenn sie der Geschäftsführer bei der ersten Durchsicht auf der Poststelle übersehen hätte. Schliesslich liegen keine Indizien vor, die auf einen Verlust des Avis auf Seiten der Beschwerdeführerin hindeuten.
5.4 Unter den dargestellten Umständen erscheint es offensichtlich wahrscheinlicher, dass am 6. Juni 2008 keine Abholungseinladung ins Postfach der Beschwerdeführerin gelegt wurde, als dass deren Organe eine solche übersehen oder verloren haben. Eine gegenteilige Beweiswürdigung müsste als willkürlich bezeichnet werden. Ist demnach davon auszugehen, dass die Verfügung der Swissmedic der Beschwerdeführerin erst am 16. Juni 2008 zugestellt wurde, hat diese die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht rechtzeitig erhoben.
6.
Der angefochtene Nichteintretensentscheid ist daher aufzuheben und die Sache zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die Swissmedic hat jedoch die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Behandlung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Swissmedic hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Eidgenössischen Departement des Innern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Juni 2009
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Müller Küng