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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_300/2008
Urteil vom 28. Oktober 2008
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.
Parteien
SWICA Krankenversicherung, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8401 Winterthur,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin,
Beteiligte
R.________,
Sozialamt X.________.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Februar 2008.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügungen vom 13. April 2007 und 26. April 2007 sprach die IV-Stelle des Kantons St. Gallen R.________ ab 1. November 2004 eine Viertelsinvalidenrente samt zwei (ab 1. April 2007 einer) Kinderrenten zu. Daraus resultierte für die Zeit vom 1. November 2004 bis 31. März 2007 eine Nachzahlung von zusammen Fr. 24'842.-. Gleichzeitig verfügte die IV-Stelle die Nachzahlung von Vorschussleistungen an die Swica Krankenversicherung AG (als Kollektivtaggeldversicherer nach Versicherungsvertragsgesetz [VVG]; nachfolgend: Swica) in der Höhe von Fr. 7'604.- und an das Sozialamt X.________ in der Höhe von Fr. 17'234.80.
B.
Die Swica reichte dagegen Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen ein und beantragte, die IV-Stelle sei zu verpflichten, die Verrechnung der Taggeldleistungen im Betrag von Fr. 11'237.20 vollumfänglich zuzulassen; das kantonale Versicherungsgericht lud das Sozialamt X.________ und R.________ zum Prozess bei; mit Entscheid vom 27. Februar 2008 wies es die Beschwerde ab.
C.
Die Swica führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und erneuert den vorinstanzlich gestellten Antrag.
Die IV-Stelle, das Sozialamt X.________, R.________ und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1 Es ist unter den Verfahrensbeteiligten nicht bestritten, dass die Beschwerdeführerin der Versicherten gestützt auf eine Krankentaggeldversicherung nach dem Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG) für die Zeit vom 1. November 2004 bis 26. November 2005 Taggelder von insgesamt Fr. 22'477.50 ausbezahlt hat und - entsprechend dem Grundsatz der zeitlichen Kongruenz (Art. 85bis Abs. 3 IVV) - im Umfang der für diesen Zeitraum erfolgten Nachzahlung von IV-Renten im Betrag von Fr. 11'237.20 grundsätzlich einen Direktauszahlungsanspruch hat (Art. 85bis IVV; vgl. zur Gesetzmässigkeit dieser Bestimmung auch nach dem Inkrafttreten von Art. 22 Abs. 2 ATSG die Urteile vom 14. August 2006 [I 518/05] E. 2.1 und 18. April 2006 [I 428/05] E. 4.3; zu ihrer Anwendung auf Krankentaggeldversicherungen nach VVG vgl. die Urteile vom 9. Dezember 2005 [I 632/03] E. 3.3.2 und 18. April 2006 [I 428/05] E. 4.4.1 sowie Rz. 10064 der Wegleitung über die Renten in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [RWL]).
1.2 Unbestritten ist sodann, dass das Sozialamt die Versicherte bzw. ihre Familie während des hier interessierenden Zeitraums vom 1. November 2004 bis Ende November 2005 ebenfalls unterstützt hat, und zwar mit dem Betrag von insgesamt Fr. 15'031.60. Die Beschwerdeführerin stellt zu Recht nicht in Frage, dass auch die Sozialhilfe grundsätzlich zu den bevorschussenden Dritten im Sinne von Art. 85bis IVV gehört. Es ist auch nicht bestritten, dass die Sozialhilfebehörde gemäss Art. 18 des st. gallischen Sozialhilfegesetzes vom 27. September 1995 ein Rückforderungsrecht im Sinne von Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV hat (vgl. in BGE 128 V 108 [I 727/00] nicht publizierte E. 5c; Urteil vom 14. August 2006 [I 518/05] E. 2.2; anders noch BGE 123 V 25 E. 5c zur alten Fassung [bis 31. Dezember 2002] von § 19 Abs. 2 des zürcherischen Sozialhilfegesetzes vom 14. Juni 1981). Die Beschwerdeführerin bestreitet jedoch unter Hinweis auf die Subsidiarität der Sozialhilfe den Nachzahlungsanspruch der Sozialhilfebehörde, soweit zugleich ein von ihr als prioritär betrachteter Nachzahlungsanspruch des Krankentaggeldversicherers besteht.
2.
2.1 Weder Art. 22 Abs. 2 ATSG noch Art. 85bis IVV regeln, wie vorzugehen ist, wenn die Nachzahlungssumme nicht ausreicht, um alle geltend gemachten Verrechnungen zu decken. Es liegt insoweit eine Gesetzeslücke vor, die durch Richterrecht (Art. 1 Abs. 2 ZGB) oder mangels eines solchen durch Verwaltungspraxis auszufüllen ist. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat für diesen Fall in Rz. 10075 RWL folgende Weisung getroffen (Art. 64 Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 72 Abs. 1 AHVG und Art. 176 Abs. 2 AHVV): "Haben mehrere bevorschussende Dritte ein Gesuch um Überweisung der Nachzahlung eingereicht und erfüllen die Gesuchsteller alle Voraussetzungen dazu, so ist die Nachzahlung unter den bevorschussenden Dritten im Verhältnis zu den erbrachten Vorschussleistungen aufzuteilen." Die vorgesehene Aufteilung im Verhältnis zu den erbrachten Vorschussleistungen wird auch in der Lehre vertreten (GABRIELA RIEMER-KAFKA, Auszahlung von Sozialversicherungsleistungen an bevorschussende Dritte, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Aktuelle Fragen der Sozialversicherungspraxis, St. Gallen 2001, S. 107 ff., 125 Fn. 50; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, N 33 zu Art. 22; FRANZ SCHLAURI, Die zweigübergreifende Verrechnung und weitere Instrumente der Vollstreckungskoordination des Sozialversicherungsrechts, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Sozialversicherungsrechtstagung 2004, S. 137 ff., 160; RUEDI SCHLÄPPI, Rückforderung von Arbeitgeber-Vorschussleistungen, Schweizer Versicherung 2/1998 S. 38 ff., 41). Ob die in Rz. 10075 RWL getroffene Regelung inhaltlich gesetzmässig ist, braucht jedoch aus folgenden Gründen nicht abschliessend beurteilt zu werden.
2.2 Die anteilmässige Aufteilung muss nämlich in jedem Fall zurücktreten, wenn einer der Bevorschussenden nur in Ergänzung zur Invalidenversicherung leistungspflichtig ist, während der andere auch dann, wenn die IV-Rente von Anfang an bezahlt worden wäre, seine volle Leistung hätte erbringen müssen, diese Leistung mithin unabhängig von der IV-Rente und kumulativ zu ihr so oder so geschuldet wäre. Dies ist hier der Fall: Gemäss der massgeblichen vertraglichen Regelung (AVB 2002, Taggeldversicherung Salaria VVG, Art. 24 Ziff. 1) schuldet die Beschwerdeführerin das Taggeld nur in Ergänzung zur IV-Rente. Hätte die Invalidenversicherung ihre Rente von Beginn an ausbezahlt, hätte die Beschwerdeführerin gemäss Vertrag nur die Differenz zwischen der IV-Rente und dem vereinbarten Taggeld bezahlen müssen. Die Versicherte hätte somit von Invalidenversicherung und Beschwerdeführerin zusammen gleich viel erhalten wie sie tatsächlich von der Beschwerdeführerin allein erhalten hat, nämlich Fr. 22'477.50. Die Sozialhilfe hätte auch in diesem Fall den ganzen verbleibenden Betrag bezahlen müssen. Ihre Zahlung kann daher nicht als Vorschuss im Hinblick auf die IV-Rente betrachtet werden, sondern erfolgte unabhängig von dieser. Gemäss BGE 131 V 242 E. 5.2 und 5.3 müssen zwar die Vorschüsse im Sinne von Art. 85bis Abs. 1 IVV nicht in subjektiver Kenntnis eines Rentenbegehrens erfolgt sein; vorausgesetzt bleibt aber, dass für die zur Verhinderung eines doppelten Leistungsbezugs erforderliche Drittauszahlung die normativen Erfordernisse des Art. 85bis Abs. 1-3 IVV erfüllt sind (a.a.O., E. 5.2; BGE 132 V 113 E. 3.2.2 S. 116 f.). Daran fehlt es, wenn die Drittauszahlung zur Verhinderung eines doppelten Leistungsbezugs nicht erforderlich ist, weil die Leistung des Dritten so oder so hätte erbracht werden müssen, auch wenn im fraglichen Zeitraum (Art. 85bis Abs. 3 IVV) die Leistung der Invalidenversicherung bereits gewährt worden wäre. Das ist hier in Bezug auf die Sozialhilfeleistungen der Fall. Der Sozialhilfebehörde steht daher kein Drittauszahlungsanspruch zu und die Frage einer Aufteilung gemäss Rz. 10075 RWL stellt sich nicht.
2.3 Diesem Ergebnis kann auch nicht die Subsidiarität der Sozialhilfe entgegengehalten werden oder der Umstand, dass die Beschwerdeführerin als privatwirtschaftliches Versicherungsunternehmen im Unterschied zur öffentlichen Hand für ihre Leistungen Prämien bezogen hat; diese Prämien finanzieren die gemäss Versicherungsvertrag zu erbringenden Leistungen, also nur die Differenz zwischen dem vereinbarten Taggeld und einer allfälligen Leistung der Invalidenversicherung (vorne E. 2.2). Nur diesen Betrag schuldet die Beschwerdeführerin. Die verbleibende Differenz zum Existenzbedarf ist durch die Sozialhilfe zu decken. Es besteht keine gesetzliche Grundlage, um die Beschwerdeführerin zu verpflichten, an die Kosten der Sozialhilfe beizutragen; sie müsste so eine Leistung erbringen, die sie vertraglich nicht schuldet.
2.4 Der gesamte Nachzahlungsbetrag (von Fr. 11'237.20) für die Zeit vom 1. November 2004 bis 26. November 2005 ist daher der Beschwerdeführerin auszubezahlen. Die Beschwerde ist begründet.
3.
Es bleibt die prozessrechtliche Situation zu prüfen.
3.1 Die IV-Stelle hat der Beschwerdeführerin und dem Sozialamt eine Nachzahlung zugesprochen. Nur die Beschwerdeführerin hat Beschwerde erhoben mit dem Antrag, ihr sei ein grösserer Anteil an der Nachzahlung zuzusprechen. Das Sozialamt hat selber nicht Beschwerde erhoben, ist aber von der Vorinstanz beigeladen worden und hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Wenn der Drittauszahlungsanspruch als solcher weder im Grundsatz noch in der Höhe umstritten ist, wohl aber seine Aufteilung unter mehrere Drittansprecher, dann muss jede Erhöhung des dem einen zugesprochenen Betrags zwangsläufig eine Reduktion des den anderen zugesprochenen Betrags zur Folge haben, weil die IV-Stelle insgesamt nicht höhere Drittauszahlungen zusprechen kann als die zu verrechnende Nachzahlung ausmacht. Wenn ein Drittansprecher beschwerdeweise das Begehren stellt, der eigene Betrag sei zu erhöhen, weil ein anderer Drittansprecher nicht oder nicht im zugesprochenen Umfang drittauszahlungsberechtigt sei, dann muss dies zwangsläufig zugleich als Begehren verstanden werden, den dem anderen zustehenden Betrag zu reduzieren. Es handelt sich insoweit um eine Drittbeschwerde gegen die den anderen Ansprecher begünstigende Verfügung, wozu der beschwerdeführende Drittansprecher als unmittelbar Betroffener legitimiert ist (Art. 59 ATSG; vgl. BGE 133 V 196 nicht publizierte E. 2.4). Der begünstigte Drittansprecher, gegen den sich das Rechtsbegehren richtet, ist in diesem Beschwerdeverfahren nicht bloss Beigeladener, sondern Gegenpartei, zumindest soweit er eigene Rechtsbegehren stellt (vgl. BGE 128 II 90 E. 2b S. 94; 126 V 455 E. 2s S. 459; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, S. 179; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 190 Rz. 526).
3.2 Hier hat das Sozialamt am 19. März 2007 für die Zeit vom November 2004 bis März 2007 einen Verrechnungsantrag über den Betrag von Fr. 24'842.- gestellt; es hat das Gesuch nach Erhalt der Verfügung vom 13. April 2007 nicht widerrufen und so die IV-Stelle auch nicht dazu veranlasst, die Verfügung rechtzeitig vor einem vorinstanzlichen Entscheid im Sinne der Beschwerde der Taggeldversicherung in Wiedererwägung zu ziehen. Das Sozialamt hätte sich sowohl im vorinstanzlichen als auch im bundesgerichtlichen Verfahren wie eine Gegenpartei äussern können, hat aber jeweils darauf verzichtet und auch nicht Antrag gestellt. Dass es formal im vorinstanzlichen Verfahren nur als Beigeladener und nicht als Gegenpartei bezeichnet worden ist, ändert nichts daran, dass es in Wirklichkeit die Stellung einer Gegenpartei hatte. Es steht daher nichts entgegen, dass im bundesgerichtlichen Entscheid seine Rechtsstellung verschlechtert wird.
4.
Die IV-Stelle hat in diesem Verfahren nicht im eigenen Vermögensinteresse gehandelt, sondern zwischen den Vermögensinteressen der Beschwerdeführerin und denjenigen des Sozialamtes entschieden; sie trägt daher keine Kosten (Art. 66 Abs. 4 BGG). Diese sind dem Sozialamt aufzuerlegen, das materiell unterlegene Gegenpartei ist (E. 3.2) und in seinem unmittelbaren Vermögensinteresse handelte, auch wenn es auf Stellungnahmen und Anträge verzichtete (vgl. BGE 127 V 107 E. 6b S. 111; Urteil vom 22. Oktober 1999 [I 139/99] E. 4; SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz, N 10 zu Art. 66). Die nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Februar 2008 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 13. April 2007 (soweit sie die Verrechnung der Nachzahlung für ausgerichtete Leistungen betrifft) werden aufgehoben.
2.
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin einen Drittauszahlungsbetrag von Fr. 11'237.20 zu bezahlen. Dem Sozialamt X.________ steht für die Zeit vom 1. November 2004 bis 26. November 2005 keine Drittauszahlung zu.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 600.- werden dem Sozialamt X.________ auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 28. Oktober 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Meyer Schmutz