BGer 1B_60/2008
 
BGer 1B_60/2008 vom 04.06.2008
Tribunale federale
{T 0/2}
1B_60/2008 /fun
Urteil vom 4. Juni 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Thönen.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer,
gegen
Bezirksamt Lenzburg, Bezirksamtmann,
Metzgplatz 18, Postfach, 5600 Lenzburg.
Gegenstand
Strafverfahren, Ablehnung,
Beschwerde gegen die Verfügung vom 28. Januar 2008 des Präsidiums der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau.
Sachverhalt:
A.
Das Bezirksamt Lenzburg führt gegen X.________ und weitere Mitbeschuldigte eine Strafuntersuchung wegen Personenwagendiebstahls. Er befand sich vom 31. August 2007 bis 18. Oktober 2007 in Untersuchungshaft.
Am 25. Januar 2008 stellte X.________ ein Ablehnungsbegehren gegen den Bezirksamtmann des Bezirks Lenzburg als leitenden Untersuchungsrichter. Das Präsidium der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau wies das Ablehnungsbegehren mit Urteil vom 28. Januar 2008 ab, soweit es darauf eintrat.
B.
X.________ führt mit Eingabe vom 29. Februar 2008 Beschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt, die Verfügung des Obergerichts aufzuheben und die Sache an das Obergericht zur Gutheissung des Ablehnungsgesuchs zurückzuweisen. Er ersucht zudem um unentgeltliche Prozessführung.
C.
Der abgelehnte Untersuchungsrichter und das Obergericht beantragen je Beschwerdeabweisung. X.________ hat sich mit Eingabe vom 6. Mai 2008 dazu geäussert.
Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 109 BGG entscheiden die Abteilungen des Bundesgerichts in Dreierbesetzung bei Einstimmigkeit über die Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden (Abs. 2 lit. a). Der Entscheid wird summarisch begründet. Es kann ganz oder teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Abs. 3).
2.
Streitgegenstand ist allein die Ablehnung des Untersuchungsrichters. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen weitere Aspekte des Strafverfahrens wendet, ist seine Beschwerde nicht zuzulassen. Nicht einzutreten ist namentlich auf die Vorbringen betreffend Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Untersuchungshaft, Rechtsweggarantie und faires Verfahren, soweit die Rügen keinen hinreichenden Bezug zur Garantie des verfassungsmässigen Untersuchungsrichters aufweisen.
Ebenfalls nicht einzutreten ist auf die Rüge der fehlerhaften Anwendung kantonalen Strafprozessrechts. Das Bundesgericht wacht grundsätzlich über die Einhaltung von Bundesrecht, Verfassungsrecht und Völkerrecht. Hingegen ist die Rüge der unrichtigen Anwendung kantonalen Gesetzesrechts grundsätzlich kein zulässiger Beschwerdegrund (Art. 95 BGG).
3.
Der Beschwerdeführer begründet sein Ablehnungsbegehren damit, der Untersuchungsrichter habe im Untersuchungsverfahren Fehler gemacht. Er habe zu Unrecht auf die Belastungen von Y.________ abgestellt. Dieser sei mehrfach vorbestraft und bei diesem Autodiebstahl anfangs ebenfalls tatverdächtig gewesen. Der Untersuchungsrichter kenne Y.________ von früher und habe dessen Aussagen ungeprüft übernommen. Zudem habe der Untersuchungsrichter in unzulässiger Weise eine Hausdurchsuchung und Beschlagnahme beim Beschwerdeführer durchgeführt und den Beschwerdeführer aufgrund falscher Behauptungen in Untersuchungshaft genommen. Er habe Einvernahmen nicht protokolliert oder die Protokolle nicht zu den Akten gelegt. Die Untersuchungshaft des nicht geständigen Beschwerdeführers von fast sieben Wochen habe zu lange gedauert. Dies alles begründe den Anschein der Befangenheit und führe zu einer Ablehnung des Untersuchungsrichters.
Der abgelehnte Untersuchungsrichter bestreitet die Vorwürfe. Richtig sei allein, dass der Beschwerdeführer durch Y.________ belastet werde und dass der Untersuchungsrichter Y.________ aus beruflichen Gründen kenne.
Das Obergericht führt aus, die Kritik am Verfahren vermöge den objektiven Verdacht der Voreingenommenheit des Untersuchungsrichters nicht zu begründen. Nicht zu beachten seien auch die Einwendungen gegen das Untersuchungsverfahren gegen Y.________, welches das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht berühre.
4.
Nach der Rechtsprechung beurteilt sich das Ausstandsgesuch wegen der Verfahrensführung des Untersuchungsrichters nach Art. 29 Abs. 1 BV. Die Erwägungen zur Unabhängigkeit des Richters gemäss Art. 30 Abs. 1 BV können sinngemäss herangezogen werden (BGE 112 Ia 142 E. 2b S. 145 f.; 127 I 196 E. 2b S. 198).
Verfahrens- und Einschätzungsfehler und falsche Sachentscheide sind für sich allein nicht Ausdruck einer Voreingenommenheit. Für eine Ausstandspflicht müssen objektiv gerechtfertigte Gründe dafür bestehen, dass sich in Fachfehlern gleichzeitig eine Haltung zeigt, die auf fehlender Distanz und Neutralität beruht (Regina Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, Bern 2001, S. 105 f.). Dies ist nur dann anzunehmen, wenn besonders krasse und wiederholte Irrtümer vorliegen, die einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen und sich einseitig zu Lasten einer der Prozessparteien auswirken können (BGE 125 I 119 E. 3e S. 124; 116 Ia 135 E. 3a S. 138). Überdies kann eine Ausstandspflicht auch dann entstehen, wenn der Richter mit einer Verfahrenspartei in einer besonders nahen Beziehung (Freundschaft) steht, wobei dies in Würdigung der konkreten Beziehung und des Verfahrens zu entscheiden ist. Wie weit dies für andere Verfahrensbeteiligte wie Zeugen gilt, hängt ebenfalls von der Würdigung des Einzelfalls ab (Kiener, a.a.O., S. 98 f.; 134).
5.
Gemäss Erhebungsbericht der Kantonspolizei Aargau vom 2. November 2007 wurde Y.________ als Auskunftsperson befragt. Der Beschwerdeführer soll für Y.________ Schreibarbeiten (Buchhaltung etc.) erledigt haben. Y.________ soll in seinem Büro vorübergehend die Ordner mit den Fahrzeugausweisen aufbewahrt haben und die Verantwortung für die später entwendeten Wagen übernommen haben.
Das Ausstandsverfahren ist nach dem Gesagten nicht dafür geschaffen, die Verfahrensführung des Untersuchungsrichters zu überprüfen. Dass der Untersuchungsrichter die vom Beschwerdeführer genannten Verfahrenshandlungen angeordnet hat (Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Untersuchungshaft), und dass der Tatverdacht u.a. auf Aussagen einer Auskunftsperson beruht, die der Untersuchungsrichter aus beruflichen Gründen kennt, vermag keine Ausstandspflicht zu begründen. Das Untersuchungsverfahren gegen Y.________ berührt nach Feststellung des Obergerichts das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht. Der Untersuchungsrichter ist bezüglich fremder Verfahren auf das Amtsgeheimnis verpflichtet. Eine besonders nahe Beziehung, die ausserhalb seiner amtlichen Tätigkeit läge und seine Objektivität in Frage stellen könnte, wird nicht behauptet. Damit erweist sich der Vorwurf der Befangenheit des Untersuchungsrichters als unbegründet.
6.
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos ist (Art. 64 Abs. 1 BGG). Demnach hat der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksamt Lenzburg, Bezirksamtmann, und dem Präsidium der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. Juni 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Féraud Thönen