BGer 2C_642/2007
 
BGer 2C_642/2007 vom 03.03.2008
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_642/2007
Urteil vom 3. März 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Karlen,
Gerichtsschreiber Küng.
Parteien
Eidgenössische Steuerverwaltung, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________ AG,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch FIGAS, Autogewerbe-Treuhand der Schweiz.
Gegenstand
Mehrwertsteuer (Art. 17 Abs. 3 MWSTV; Wirkungen der Gruppenbesteuerung).
Beschwerde gegen das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts
vom 11. Oktober 2007.
Sachverhalt:
A.
Drei Gesellschaften, die in Winterthur Autogaragen betreiben, schlossen sich ab dem 1. Juli 1997 für die Belange der Mehrwertsteuer zu einer Besteuerungsgruppe zusammen. Gruppenträgerin war die Y.________ AG (heute: X.________ AG). Am 1. April 1998 trat auch die Z.________ AG der Gruppe bei.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung führte bei der Gruppe im Januar und Februar 2001 eine Mehrwertsteuerkontrolle für den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis zum 30. September 2000 durch. Am 29. März 2001 stellte sie der Y.________ AG die Ergänzungsabrechnung Nr. 249'441 zu, mit der sie eine Steuernachforderung von Fr. 186'056.-- geltend machte, weil die Y.________ AG und die Z.________ AG die Umsätze aus Leasinggeschäften nicht korrekt versteuert hatten. Nach einer erfolglos gebliebenen Einsprache erhob die X.________ AG Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Dieses hiess ihr Rechtsmittel am 11. Oktober 2007 im Sinne der Erwägungen teilweise gut, hob den Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur Berechnung der Mehrwertsteuerforderung an die Eidgenössische Steuerverwaltung zurück. Im Übrigen wies es das Rechtsmittel ab.
B.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2007 aufzuheben und ihren Einspracheentscheid vom 16. September 2004 zu bestätigen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet.
Die Beschwerdegegnerin hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
1.1 Gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer ist die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig (Art. 82 lit. a in Verbindung mit Art. 83 sowie Art. 86 Abs. 1 BGG). Die Eidgenössische Steuerverwaltung ist zur Beschwerdeführung befugt (Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG in Verbindung mit Art. 45b MWSTGV).
1.2 Beim angefochtenen Urteil, das die Sache an die Eidgenössische Steuerverwaltung zurückweist, handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG anfechtbar ist. Nach der Rechtsprechung ist ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne der genannten Norm zu bejahen, wenn die Verwaltung aufgrund des Rückweisungsentscheids eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung erlassen müsste (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.). Da sich die Eidgenössische Steuerverwaltung in dieser Situation befindet und auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf ihre Beschwerde einzutreten.
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Vorinstanz habe den Streitgegenstand in unzulässiger Weise auf Fragen der Gruppenbesteuerung ausgedehnt, obwohl sich das Verfahren nur auf die steuerliche Behandlung von Leasinggeschäften bezogen habe.
2.2 Im Verfahren der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege gilt als Streitgegenstand das Rechtsverhältnis, das Gegenstand der angefochtenen Verfügung bildet, in dem Umfang, in dem es im Streit liegt. Beschwerdebegehren, die neue, in der angefochtenen Verfügung nicht geregelte Fragen aufwerfen, überschreiten den Streitgegenstand und sind deshalb unzulässig. Denn in einem Rechtsmittelverfahren kann der Streitgegenstand grundsätzlich nur eingeschränkt, aber nicht ausgeweitet werden (BGE 131 II 200 E. 3.2). Was Streitgegenstand ist, bestimmt sich nach dem angefochtenen Entscheid und den Parteibegehren (BGE 133 II 35 E. 2). Auch wenn zum Verständnis der Anträge auf die Begründung zurückgegriffen werden muss, ergibt sich der Streitgegenstand stets aus der beantragten Rechtsfolge und nicht aus deren Begründung (BGE 131 II 200 E. 3.3). Der Rechtsprechung liegt damit eine objektmässige und nicht eine aspektmässige Umschreibung des Streitgegenstands zugrunde (vgl. Christoph Auer, Streitgegenstand und Rügeprinzip im Spannungsfeld der verwaltungsrechtlichen Prozessmaximen, Diss. Bern 1997, S. 42 und 75). In sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten ist dieses Verständnis in der jüngsten Praxis - in Abgrenzung zur früheren restriktiveren Praxis - besonders deutlich formuliert worden. Der Streitgegenstand umfasst immer ein ganzes Rechtsverhältnis und nicht lediglich einen Teilaspekt desselben (BGE 125 V 413 E. 2).
2.3 Die Beschwerdeführerin bestätigte in ihrem Einspracheentscheid vom 16. September 2004 die Steuernachforderung gemäss der früher ausgestellten Ergänzungsabrechnung Nr. 249'441. Die Beschwerdegegnerin bestritt bei der Vorinstanz eine solche mehrwertsteuerrechtliche Schuld. Streitgegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens bildete demnach die Frage, ob die von der Beschwerdeführerin festgesetzte Mehrwertsteuerforderung gegenüber der Beschwerdegegnerin tatsächlich bestehe. Die Vorinstanz durfte somit alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen prüfen, von denen die Existenz der fraglichen Steuerforderung abhängt. Dazu zählt auch der zeitliche Umfang der Steuerpflicht der Gruppe. Der gegenteilige Standpunkt, den die Beschwerdeführerin einnimmt, basiert auf einer restriktiveren - aspektmässigen - Umschreibung des Streitgegenstands, die jedoch wie erwähnt nicht mit der Rechtsprechung im Einklang steht.
2.4 Die Beschwerde ist demnach unbegründet, soweit darin eine unzulässige Ausweitung des Streitgegenstands gerügt wird.
3.
3.1 Nach Auffassung der Vorinstanz ist die Z.________ AG für die vor ihrem Beitritt zur Besteuerungsgruppe getätigten Umsätze individuell zu besteuern. Die Beschwerdeführerin habe deshalb die Steuernachzahlung, welche die Z.________ AG für den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis zum 31. März 1998 betreffe, nicht von der Besteuerungsgruppe verlangen dürfen. Diese Sicht kritisiert die Beschwerdeführerin als unzutreffend.
3.2 Die Gruppenbesteuerung gemäss Art. 17 Abs. 3 MWSTV bewirkt, dass die zusammengeschlossenen Unternehmen als eine steuerpflichtige Person gelten. Sämtliche Umsätze, welche die Mitglieder an Dritte erbringen, werden der Gruppe zugerechnet. Umsätze zwischen den Mitgliedern werden nicht besteuert. Die Gruppenträgerin vertritt die Gruppe gegenüber der Steuerverwaltung (vgl. das von der Eidgenössischen Steuerverwaltung herausgegebene Merkblatt Nr. 01 Gruppenbesteuerung, Ziff. 13; BGE 125 II 326 E. 9a/aa S. 339 f.). Die Mitglieder der Gruppe haften solidarisch für sämtliche von der Gruppe geschuldeten Steuern (Art. 25 Abs. 1 lit. f MWSTV). Die Solidarhaft erstreckt sich aber nur auf die Steuerschulden, die während der Zugehörigkeit eines Mitglieds zur Gruppe entstanden sind (Ziff. 13.4 des erwähnten Merkblatts Nr. 01).
3.3 Die Vorinstanz leitet aus der erwähnten Haftungsregelung ab, dass Gruppenmitglieder für die Zeit vor ihrem Beitritt zur Gruppe individuell zu besteuern sind. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die Gruppenträgerin trete in die Rechte und Pflichten eines neuen Gruppenmitglieds ein, so dass dieses nach dem Gruppenbeitritt nicht mehr individuell besteuert werden könne. Vielmehr bestehe das neue Mitglied nach der Aufnahme in die Gruppe nicht mehr als selbständiges Steuersubjekt. Diese Sicht entspringt offenkundig dem Bedürfnis nach einer möglichst einfachen Verfahrensabwicklung in Fällen, in denen die Steuern bereits bezahlt sind. Sie ist aber mit der erwähnten Begrenzung der Solidarhaftung der Gruppenmitglieder auf die Zeit während der Gruppenzugehörigkeit nicht zu vereinbaren. Solange noch nicht alle Steuerschulden aus der Zeit vor dem Gruppenbeitritt vollständig beglichen sind, besteht das neue Gruppenmitglied als Steuersubjekt auch nach dem Gruppenbeitritt weiter. Die Zugehörigkeit zu einer Besteuerungsgruppe ändert nichts daran, dass die Mitglieder weiterhin selbständige Unternehmen bilden und auch individuell besteuert werden können. Das anerkennt letztlich auch die Beschwerdeführerin selber. So erklärt sie, dass bei einer Zwangsvollstreckung eine Aufteilung der Steuernachforderung nötig gewesen wäre. Tatsächlich hätte jener Teil der Steuerschuld der Z.________ AG, die vor ihrem Beitritt zur Gruppe per 1. April 1998 entstanden war, in einem separaten Verfahren eingetrieben werden müssen. Ist das Gruppenmitglied für diesen Zeitraum aber ein selbständiges Steuersubjekt, hat die Besteuerung auch in einem individuellen Verfahren zu erfolgen. Dem Wunsch nach einer vereinfachten Abwicklung kann dadurch Rechnung getragen werden, dass sich das neue Gruppenmitglied für die vor dem Beitritt entstandenen Steuerforderungen durch die neue Gruppenträgerin vertreten lässt. Eine solches Vertretungsverhältnis muss dann aber auf den erlassenen Rechnungen und Verfügungen ausdrücklich angegeben werden. Im vorliegenden Fall hat eine solche Vertretung, wie die Vorinstanz zu Recht darlegt, nicht stattgefunden.
3.4 Der angefochtene Entscheid verletzt aus diesen Gründen kein Bundesrecht.
4.
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat mangels entstandener Umtriebe keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. März 2008
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Merkli Küng