BGer 6B_811/2007
 
BGer 6B_811/2007 vom 25.02.2008
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_811/2007
Urteil vom 25. Februar 2008
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari,
Gerichtsschreiber Stohner.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Daniel Buchser,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz; Beschimpfung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 1. November 2007.
Sachverhalt:
A.
Das Obergericht des Kantons Aargau befand X.________ am 1. November 2007 zweitinstanzlich der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und der Beschimpfung schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren.
B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 1. November 2007 sei aufzuheben, und er sei freizusprechen. Des Weiteren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Erwägungen:
1.
1.1 Auf die Beschwerde ist einzutreten, da sie unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von der in ihren Anträgen unterliegenden beschuldigten Person (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG) eingereicht wurde und sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz (Art. 80 BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 und 95 BGG) in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 BGG) richtet.
1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Wendung "offensichtlich unrichtig" entspricht dem Willkürbegriff im Sinne von Art. 9 BV (Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4338). Die Rüge der offensichtlich unrichtigen Feststellung des Sachverhalts, mithin der Verletzung des Willkürverbots, prüft das Bundesgericht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nur insoweit, als sie in der Beschwerde explizit vorgebracht und substantiiert begründet worden ist.
2.
2.1 Der Verurteilung wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Beschwerdeführer hat A.________ im Zeitraum von Dezember 2004 bis Juni 2005 insgesamt 600 Gramm Kokain verkauft (angefochtenes Urteil S. 19 und Anklage Ziff. 1.1). Des Weiteren hat er in der Zeit von Januar 2005 bis zum 10. Juli 2005 200 Gramm Kokain an B.________ veräussert (angefochtenes Urteil S. 20 und Anklage Ziff. 1.2 - 1.5).
2.2 Der Schuldspruch wegen Beschimpfung basiert auf folgendem Sachverhalt: Der Beschwerdeführer hat in einem in der Untersuchungshaft handschriftlich verfassten und an seine Lebenspartnerin gerichteten Brief den untersuchenden Beamten des Bezirksamts Lenzburg mehrfach als "rassistisches Arschloch", "Hurensohn" und "Perversen" bezeichnet; dieser stellte Strafantrag (angefochtenes Urteil S. 21 f. und Anklage Ziff. 2).
3.
Der Beschwerdeführer wendet sich vorab gegen seine Verurteilung wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.
3.1 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz insoweit eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung vor.
Die Vorinstanz hat erwogen, die Belastungszeugen A.________ und B.________ hätten den Beschwerdeführer ausdrücklich als ihren Kokainverkäufer identifiziert. Ihre Aussagen, mit welchen sie sich selbst massiv belastet hätten, seien glaubhaft. Insbesondere sei auch kein Grund ersichtlich, weshalb sie den Beschwerdeführer zu Unrecht des Drogenhandels hätten bezichtigen sollen (angefochtenes Urteil S. 9 - 12; S. 15). Zudem seien bei der polizeilichen Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers in den Lichtkanälen der Beleuchtung Rückstände von Kokain gefunden worden (angefochtenes Urteil S. 13 f.). Aus der Tatsache, dass in der Wohnung demgegenüber keine Drogenwaage, Streckmittel oder Verpackungsmaterial vorhanden gewesen seien, könne der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. So sei nämlich doch davon auszugehen, dass er über die Verhaftung von A.________ am 16. Juli 2005 und B.________ am 21. Juli 2005 informiert gewesen sei und daher bis zu seiner Festnahme am 3. August 2005 ausreichend Zeit gehabt habe, solche Drogenutensilien zu beseitigen (angefochtenes Urteil S. 15 f.). Ferner sei das Verhältnis zwischen den Lebenshaltungskosten des Beschwerdeführers von monatlich Fr. 6'000.-- bis Fr. 7'000.-- und seinem nachgewiesenen Einkommen von Fr. 5'600.-- pro Monat (Krankentaggeld von Fr. 3'400.-- und Mietzinseinnahmen aus der Türkei von Fr. 1'200.--) ein Indiz für zusätzliche Einkünfte aus Drogengeschäften (angefochtenes Urteil S. 14 f.). Schliesslich untermauerten auch die häufigen telefonischen Verbindungen bzw. Verbindungsversuche zwischen dem Beschwerdeführer und A.________ respektive B.________ deren Schilderungen. So habe der Beschwerdeführer zwischen dem 11. Februar 2005 und dem 3. August 2005 mehr als 13'000 Verbindungen hergestellt bzw. Verbindungsversuche unternommen, wovon insgesamt 1'390 (bzw. 8 pro Tag) auf die Mobiltelefonnummern von A.________ und B.________ entfallen seien (angefochtenes Urteil S. 17 f.). Zusammenfassend sei der Sachverhalt damit als erstellt anzusehen.
3.2 Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung einzig vor, wenn der angefochtene Entscheid auf einer schlechterdings unhaltbaren oder widersprüchlichen Beweiswürdigung beruht bzw. im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 129 I 173 E. 3.1 mit Hinweisen). Dass das angefochtene Urteil mit der Darstellung des Beschwerdeführers nicht übereinstimmt oder eine andere Lösung oder Würdigung vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, genügt praxisgemäss für die Begründung von Willkür nicht (BGE 131 IV 100 nicht publ. E. 4.1; 127 I 54 E. 2b mit Hinweisen).
3.3 Was der Beschwerdeführer gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanz vorbringt, ist nicht geeignet, Willkür darzutun. Er wiederholt über weite Strecken einzig seine bereits im kantonalen Verfahren erhobenen Tatsachenbehauptungen und stellt der vorinstanzlichen Begründung lediglich seine eigene Sicht der Dinge gegenüber, ohne näher zu substantiieren, inwiefern der Entscheid (auch) im Ergebnis schlechterdings unhaltbar sein sollte. Seine Vorbringen erschöpfen sich mithin insoweit in einer unzulässigen appellatorischen Kritik am angefochtenen Urteil und genügen den Begründungsanforderungen gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nicht (vgl. E. 1.2 hiervor). Soweit auf seine Rügen überhaupt eingetreten werden kann, sind diese nicht stichhaltig. Dies gilt insbesondere für seine pauschale Kritik an der Glaubwürdigkeit der beiden Belastungszeugen A.________ und B.________ und an der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Die Vorinstanz hat explizit auf punktuelle Widersprüche in den Aussagen von A.________ hingewiesen, sie konnte jedoch willkürfrei folgern, dessen Schilderungen seien ebenso wie jene von B.________ im Kernbereich konstant und glaubhaft. Weshalb schliesslich, wie vom Beschwerdeführer behauptet, die Schlüsse der Vorinstanz, die beiden Belastungszeugen hätten sich selbst - insbesondere auch betreffend der erworbenen Drogenmenge - massiv belastet und der Beschwerdeführer habe über ausreichend Zeit verfügt, um die Drogenutensilien aus seiner Wohnung zu entfernen, unhaltbar sein sollten, ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht näher substantiiert.
3.4 Der Beschwerdeführer macht weiter eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Die Vorinstanz habe es einerseits unterlassen, Akten beizuziehen, aus welchen sich ergebe, dass er im Jahr 2004 über genügend finanzielle Mittel verfügt habe, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Andererseits habe sie seinen Antrag auf Befragung weiterer Zeugen zu Unrecht abgelehnt. So hätten sein Vater und seine Lebenspartnerin verifizieren können, dass er aus dem Verkauf eines Imbissstandes Einnahmen erzielt habe, mit welchen er seinen Lebensstandard habe finanzieren können. Die angerufenen Zeugen hätten zudem bestätigen können, dass er zwar Drogen konsumiert, jedoch keine verkauft habe.
3.5 Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistet den Anspruch auf rechtliches Gehör. Daraus ergibt sich der Anspruch der Parteien, mit rechtzeitig und formgültig angebotenen Beweisanträgen und Vorbringen gehört zu werden, soweit diese erhebliche Tatsachen betreffen und nicht offensichtlich beweisuntauglich sind (BGE 129 II 396 E. 2.1; 120 Ib 379 E. 3b, je mit Hinweisen). Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn ein Gericht darauf verzichtet, beantragte Beweise abzunehmen, weil es auf Grund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, seine Überzeugung würde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert (BGE 129 II 396 E. 2.1; 124 I 49 E. 3a, 241 E. 2, je mit Hinweisen).
3.6 Die Vorinstanz hat alle für den Entscheid wesentlichen Beweismittel einbezogen. Sie hat, wie dargelegt, die Aussagen der beiden Belastungszeugen eingehend gewürdigt. Des Weiteren hat sie willkürfrei die Ergebnisse aus der Hausdurchsuchung - sprich die Kokainspuren in den Beleuchtungskörpern - und der Telefonkontrolle in ihre Beweiswürdigung einfliessen lassen. Zudem hat sie ausdrücklich erwogen, wie es sich mit allfälligen Einnahmen des Beschwerdeführers aus dem Verkauf des Imbissstandes verhalte, könne offen gelassen werden, genügten doch die vorhandenen Indizien ohne weiteres um seine Kokainverkäufe zu belegen (vgl. angefochtenes Urteil S. 15).
Vor diesem Hintergrund konnte die Vorinstanz ohne Verstoss gegen Art. 29 Abs. 2 BV in antizipierter Beweiswürdigung auf den ersuchten Beizug weiterer Akten und die beantragten Zeugeneinvernahmen verzichten, da solche keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn versprochen hätten.
3.7 Soweit der Beschwerdeführer daher den Schuldspruch wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz anficht, ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
4.
Der Beschwerdeführer richtet sich des Weiteren gegen seine Verurteilung wegen Beschimpfung.
4.1 Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er in einem Brief an seine Lebenspartnerin den Untersuchungsbeamten des Bezirksamts Lenzburg als "rassistisches Arschloch", "Hurensohn" und "Perversen" betitelt hat. Er stellt sich jedoch auf den Standpunkt, es gelte insoweit "das Privileg der Privatsphäre bzw. der erlaubten Äusserung im Sinne einer Psychohygiene". Zudem sei sein Verhalten entschuldbar, da er lange unschuldig in Haft gesessen und darob erzürnt gewesen sei (Beschwerde S. 12).
4.2 Gemäss Art. 177 Abs. 1 StGB wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft, wer jemanden durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift. Erfasst werden Ehrverletzungen in Form sog. Formalinjurien. Eine Formal- oder Verbalinjurie ist ein blosser Ausdruck der Missachtung, ohne dass sich die Aussage erkennbar auf bestimmte dem Beweis zugängliche Tatsachen stützt. Ob solche Werturteile dem Verletzten oder Dritten gegenüber abgegeben werden, ist nicht von Belang (vgl. Franz Riklin, Basler Kommentar Strafgesetzbuch II, 2. Aufl., 2007, Art. 177 N. 3).
4.3 Die Bezeichnungen "rassistisches Arschloch", "Hurensohn" und "Perverser" sind Formal- bzw. Verbalinjurien. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer die Ausdrücke in einem vertraulichen Brief verwendet hat, kann er im Ergebnis nichts zu seinen Gunsten ableiten. Untersuchungsgefangene haben zwar einen Anspruch darauf, mit der Aussenwelt brieflich zu verkehren. Die Kontrolle der ein- und ausgehenden Briefe ist jedoch verfassungsrechtlich zulässig (BGE 119 Ia 71 E. 3b; 118 Ia 64 E. 3q; vgl. Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 74). Es ist erstellt, dass der Beschwerdeführer darum gewusst und damit gerechnet hat, dass seine Briefe von weiteren Personen - insbesondere von der Polizei oder der Anstaltsleitung - gelesen werden (vgl. erstinstanzliches Urteil S. 35 f.). Vor diesem Hintergrund braucht die Frage, ob auch im engsten Familienkreis abgegebene Werturteile strafbar sind - d.h. ob nahe Angehörige überhaupt als Dritte gelten -, vorliegend nicht thematisiert zu werden, denn der Beschwerdeführer hat seine ehrenrührigen Äusserungen nicht in einem solch allenfalls geschützten Rahmen gemacht (vgl. hierzu die Urteile des Bundesgerichts 6S.171/2003 vom 10. September 2003, E. 1.3, und 6S.3/2007 vom 13. Februar 2007, E. 4.3; Riklin, a.a.O., Art. 173 N. 6). Der Tatbestand von Art. 177 Abs. 1 StGB ist damit erfüllt.
Wie die Vorinstanz schliesslich zutreffend ausführt, ist das Verhalten des Beschwerdeführers von vornherein nicht aufgrund einer unrechtmässigen Inhaftierung entschuldbar, denn die Untersuchungshaft ist unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben angeordnet worden.
Die Beschwerde ist deshalb auch in diesem Punkt abzuweisen.
5.
Die Beschwerde ist folglich vollumfänglich abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Da das Rechtsmittel von vornherein aussichtslos war, kann dem Gesuch nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der Gerichtskosten ist seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 25. Februar 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Schneider Stohner