BGer U_43/2007
 
BGer U_43/2007 vom 19.02.2008
Tribunale federale
{T 7}
U 43/07
Urteil vom 19. Februar 2008
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.
Parteien
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin,
gegen
A.________, 1965, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ruedi Portmann, Zürichstrasse 9, 6004 Luzern.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden vom 26. Juni 2006.
Sachverhalt:
A.
A.________ (Jg. 1965) war als Anlageführer in der Firma X.________ AG in Y.________ angestellt und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) versichert. Am 3. April 2003 musste er mit seinem Personenwagen vor einem Fussgängerstreifen anhalten, worauf der ihm nachfolgende Lenker nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte und auf das Heck seines Fahrzeuges auffuhr. Wegen anschliessend aufgetretenen Kopfschmerzen und zunehmenden Beschwerden im Nackenbereich suchte A.________ wenige Stunden nach dem Unfall die Rheumatologin Dr. med. W.________ in Z.________ auf, welche eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) und eine leichte okzipitale Schädelkontusion diagnostizierte (Berichte vom 3. und 28. April 2003).
Nach dem Unfall vom 3. April 2003 konnte A.________ seine Arbeit trotz mehrerer Wiedereingliederungsversuche im früheren Arbeitgeberbetrieb wegen belastungsabhängigen Nackenbeschwerden rechtsbetont mit Ausstrahlungen in beide Schultern nicht wieder aufnehmen. Auf Anregung seines Hausarztes Dr. med. R.________ fand am 8. September 2003 eine kreisärztliche Untersuchung durch den Chirurgen Dr. med. I.________ statt und ab 15. Oktober bis 12. November 2003 hielt sich A.________ in der Klinik E.________ auf (Austrittsbericht vom 19. November 2003). Ab Dezember 2003 stand er bei Dr. med. L.________ vom Psychiatrie-Team T.________ in psychiatrischer Behandlung (Bericht vom 14. Dezember 2004). Auch wurde unter anderem eine chiropraktische Behandlung im Zentrum O.________ durchgeführt (Berichte vom 7. Mai und 26. November 2004). Nach einer vom 7. bis 13. Januar 2005 dauernden neurologischen Abklärung in der Medizinischen Klinik des Spitals U.________ (Expertise vom 20. Januar 2005) veranlasste die SUVA eine weitere kreisärztliche Untersuchung durch Dr. med. N.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie, welcher am 22. Februar 2005 Bericht erstattete. Gestützt auf die dabei gewonnenen Erkenntnisse stellte die SUVA, welche bis anhin für die Heilbehandlung aufgekommen war und Taggelder ausgerichtet hatte, ihre Leistungen mit Verfügung vom 10. März 2005 auf Ende März 2005 ein. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 17. Mai 2005 fest.
B.
Auf Beschwerde hin wies das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden als Versicherungsgericht die Sache mit Entscheid vom 26. Juni 2006 an die SUVA zurück, damit diese eine neuropsychologische Begutachtung anordne und im Anschluss daran über die Kausalitätsfrage neu befinde.
C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren um Aufhebung des kantonalen Entscheids.
A.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1 Das auf den 1. Januar 2007 in Kraft getretene (AS 2006 S. 1205, 1243) Bundesgesetz über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz [BGG]; SR 173.110) ist auf ein Beschwerdeverfahren nur anwendbar, wenn der angefochtene (kantonale) Entscheid nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der vorinstanzliche Gerichtsentscheid am 26. Juni 2006 und damit vor dem 1. Januar 2007 erlassen wurde, richtet sich das Verfahren noch nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gewesenen Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
1.2 Die Kognition des Bundesgerichts im Unfallversicherungsbereich ergibt sich damit aus Art. 132 OG (ab 1. Juli 2006: Art. 132 Abs. 1 OG; Umkehrschluss aus Art. 132 Abs. 2 OG). Danach ist die Überprüfungsbefugnis im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung (lit. a); das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (lit. b) und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (lit. c).
2.
2.1 Zu prüfen ist, ob dem Beschwerdegegner auf Grund des Auffahrunfalles vom 3. April 2003 auch nach dem 31. März 2005 noch Leistungen der Unfallversicherung zustehen.
2.2 Bezüglich der für die Beurteilung massgebenden Rechtsprechung zum für einen Leistungsanspruch vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen versichertem Unfallereignis und eingetretenem Gesundheitsschaden (BGE 129 V 177 E. 3.2 und 3.3 S. 181 f. mit Hinweisen) wird auf die Ausführungen im kantonalen Entscheid verwiesen. Nachdem die SUVA ihre Leistungspflicht zunächst bejaht hat, setzt die nunmehr angefochtene Leistungseinstellung voraus, dass der Unfall von 3. April 1993 jegliche kausale Bedeutung für die noch geltend gemachten Beschwerden verloren hat, was von der SUVA mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen) darzutun ist (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 326 E. 3b mit Hinweisen).
3.
3.1 Im Einspracheentscheid vom 17. Mai 2005 stellte die SUVA zunächst fest, dass auf Grund der vorhandenen Arztberichte keine klar ausgewiesenen, organisch nachweisbaren Unfallfolgen im Sinne struktureller Veränderungen vorliegen. In psychischer Hinsicht verwies sie auf eine in der Klinik E.________ veranlasste psychosomatische Beurteilung, welche eine anhaltende Schmerzproblematik im Nackenbereich nach HWS-Schleudertrauma bei Anpassungsstörung mit depressiven und ängstlichen Zügen sowie Zeichen der Symptomausweitung ergeben hatte. Des Weitern berief sie sich auf Dr. med. L.________, der die Diagnose einer Anpassungsstörung und einer Schmerzverarbeitungsstörung mit Symptomausweitung sowie depressiven, ängstlichen Zügen hatte bestätigen können. Sie erwog, zwar habe der heutige Beschwerdegegner ein Schleudertrauma der HWS oder eine in ihren Auswirkungen äquivalente Verletzung erlitten, doch sei es in der Folge nicht zu dem in solchen Fällen typischerweise auftretenden, so genannten bunten Beschwerdebild gekommen. Auf rein körperlicher Ebene lägen bloss Klagen über diffuse Beschwerden vor, bei welchen bereits der natürliche Kausalzusammenhang mit dem versicherten Unfallereignis nicht gegeben sei. Was die psychische Beeinträchtigung anbelangt, anerkannte sie dem Grundsatz nach die natürliche Kausalität, verneinte indessen - der Rechtsprechung in BGE 115 V 133 folgend - die Adäquanzfrage.
3.2 Das kantonale Gericht hegte demgegenüber offenbar schon Zweifel am Vorliegen eines - von den Verfahrensbeteiligten gar nicht in Frage gestellten - HWS-Traumas und erachtete die Einholung eines neuropsychologischen Gutachtens als sinnvoll, nachdem immerhin ein Verdacht auf ein HWS-Trauma bestanden habe und der beigezogene Spezialist Dr. med. M.________, Neuropsychologie Spital U._______, aus neurologischer Sicht ausdrücklich eine weiterführende neuropsychologische Abklärung empfohlen habe. Es führte aus, die Neuropsychologie sei heute eine selbstständige, wissenschaftlich gut fundierte und international anerkannte Disziplin, welche in der Regel zuverlässige Aussagen über Hirnleistungen, besonders im kognitiven Bereich, sowie über allfällige Wesensveränderungen machen könne; in den meisten Fällen erlaube sie die Erkennung typischerweise heterogener Muster (besondere Leistungsprofile) bei traumatischen Hirnverletzungen, welche sie damit von diffusen, allgemeinen Leistungshemmungen abzugrenzen vermöge.
3.3 Aus der Begründung des kantonalen Entscheids wird nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Erkenntnisse von der angeordneten neuropsychologischen Abklärung zu erwarten sein sollen. Aus der Bezugnahme auf "diffuse, allgemeine Leistungshemmungen" kann allenfalls geschlossen werden, dass sich die Vorinstanz wenn nicht gar den Nachweis einer organischen (Hirn-)Schädigung, so doch zumindest konkretere Aufschlüsse über - von der SUVA nicht ausdrücklich in Abrede gestellte - klinisch feststellbare, organisch jedoch nicht hinreichend objektivierbare Beeinträchtigungen erhofft. Letzteres allerdings müsste - worauf die SUVA schon im Einspracheentscheid vom 17. Mai 2005 hingewiesen hat - auch eine Prüfung der Adäquanzfrage nach sich ziehen. Diese allerdings könnte unter Umständen für den Beschwerdegegner insofern günstiger ausfallen, als sie nicht in Anlehnung an BGE 115 V 133, sondern allenfalls nach Massgabe von BGE 117 V 359 erfolgen könnte - dies mit dem Unterschied, dass im Rahmen der Adäquanzprüfung rein von der psychischen Problematik geprägte Beurteilungskriterien nicht mehr ausgeklammert werden dürften, weil nach der Schleudertrauma-Praxis, anders als im Falle einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall, bei der Prüfung der einzubeziehenden unfallbezogenen Kriterien auf eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird, da hier nicht entscheidend ist, ob Beschwerden eher als organischer und/oder psychischer Natur beurteilt werden (BGE 117 V 359 E. 6a S. 367 und 369 E. 4b S. 382 f.).
3.4 Wie es sich diesbezüglich verhält, kann indessen dahingestellt bleiben. Die SUVA legt in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausführlich dar, dass das frühere Eidgenössische Versicherungsgericht den Erkenntnissen aus neuropsychologischer Sicht regelmässig die Eignung, für sich allein unfallbedingte hirnorganische Funktionsstörungen nachzuweisen, abgesprochen hat (BGE 119 V 335 E. 2b/bb S. 341). Davon abzuweichen besteht, entgegen der offenbar vom kantonalen Gericht vertretenen Auffassung, kein Anlass, zumal sich aus den Akten keine Anzeichen für eine die organisch nicht objektivierbaren Beschwerden allenfalls erklärende hirnorganische Schädigung ergeben, welche in den Resultaten einer neuropsychologischen Testung eine Stütze finden könnten. Lediglich zusammen mit den Erkenntnissen anderer medizinischer Disziplinen könnte eine neuropsychologische Untersuchung allenfalls zur Klärung der Frage nach der natürlichen Kausalität von auf Hirnleistungsstörungen hinweisenden Symptomen beitragen, die sich organisch nicht klar zuordnen lassen. Es muss daher mit der Feststellung der SUVA im Einspracheentscheid vom 17. Mai 2005 sein Bewenden haben, wonach zusätzliche Abklärungen keine Erkenntnisse zu Tage fördern könnten, welche sich auf die Beurteilung ihrer Leistungspflicht auswirken würden.
4.
Das kantonale Gericht wird die zufolge seiner Rückweisung zwecks einer neuropsycholgischen Abklärung bis anhin unterbliebene gerichtliche Adäquanzprüfung nachzuholen haben. Zu diesem Zweck ist die Sache im Hinblick auf die Wahrung des Instanzenzugs an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, vom 26. Juni 2006 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit diese nach erfolgter Adäquanzprüfung über allfällige Leistungsansprüche neu entscheide.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 19. Februar 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Ursprung Krähenbühl