BGer 6B_481/2007
 
BGer 6B_481/2007 vom 27.12.2007
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_481/2007
Urteil vom 27. Dezember 2007
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecherin Michaela C. Hamberger,
gegen
Generalprokurator des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Gewerbsmässiger Betrug; Veruntreuung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Kassationshof, vom 6. August 2007.
Sachverhalt:
A.
Das Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern verurteilte X.________ am 4. Mai 2006 wegen gewerbsmässigen Betrugs in 14 Fällen und Veruntreuung in 3 Fällen zu 26 Monaten Gefängnis.
Der Kassationshof des Berner Obergerichts wertete eine vom Wirtschaftsstrafgericht als Betrugsfall eingestufte Tat als Veruntreuung, bestätigte ansonsten die erstinstanzliche Verurteilung am 6. August 2007 im Schuld- wie im Strafpunkt.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, den Entscheid des Kassationshofs aufzuheben und ihn freizusprechen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:
1.
1.1 Nach der Überzeugung des Kassationshofs (angefochtener Entscheid S. 9 Ziff. 15) steht fest, dass der Beschwerdeführer "im Jahr 1999 mittels Frau A.________ und weiteren Vermittlern, Anleger zu Zahlungen auf zwei auf Dr. B.________ lautende Konten veranlasste, mit der Behauptung, das Geld werde auf diesen Konten blockiert. Das auf diesen Konten angesammelte Geld werde sodann in Programme der amerikanischen Notenbank (FED) investiert, was möglich sei, ohne das Kapital vom Konto abzuziehen. Zum Mitmachen am Programm reiche der Kapitalnachweis. Die Bank verpflichte sich gegenüber der FED, das Geld während der Anlagedauer zu blockieren. Die Anlage sei somit sehr sicher und gewinnbringend. Sein (angebliches) Brokerdiplom und seine Beziehungen verschafften ihm Zugang zu diesem FED-Programm und bringe den Anlegern privilegierte Möglichkeiten. Der Beschwerdeführer wurde dabei als Chef des Anlageprogramms präsentiert. Den Anlegern wurden unterschiedliche, jedoch immer hohe Renditen (meist zwischen 50 % - 100 %) bei unterschiedlicher, jedoch meist kurzer Anlagedauer in Aussicht gestellt. Gestützt auf diese Angaben des Beschwerdeführers oder seiner Vermittler wurden insgesamt CHF 1'199'667.74 auf die beiden Konten B.________s einbezahlt. Dieses Geld wurde allerdings dort, entgegen den Zusicherungen, nie blockiert, sondern umgehend abdisponiert. Es war nie die Absicht des Beschwerdeführers, das Geld zu blockieren. Die Anleger wurden über den Abzug des Geldes nicht informiert. Die gesamten Belastungen auf beiden Konti belaufen sich auf CHF 1'146'067.32. Der Beschwerdeführer hatte auch nie Verbindungen zur FED. Er verfügte folglich nicht über die Möglichkeit, in FED-Programme zu investieren. Wozu die Gelder gebraucht wurden, ist mit Ausnahme von Rückzahlungen im Umfang von ca. CHF 200'000 nicht erwiesen. Abgesehen von dieser Ausnahme, wurde das Kapital nie zurückbezahlt oder die versprochenen Gewinne ausgeschüttet". In der Folge (angefochtener Entscheid S. 9 ff. Ziff. 16) führt der Kassationshof für jeden einzelnen Anleger aus, mit welchem konkreten Angebot er von welchem Vermittler zur Anlage welcher Summe gebracht wurde und welches Schicksal diesen Anlagen beschieden war.
1.2 Für den Kassationshof ist der Betrugstatbestand in allen Fällen erfüllt, in denen die Geschädigten in Anlagegeschäften unerfahren waren. Im Fall des gelernten Industriekaufmanns C.________, der seit 1990 selbständig im Finanzdienstleistungssektor tätig ist, sieht er dagegen den Betrugstatbestand mangels Arglist nicht als erfüllt. Der Beschwerdeführer macht, wie schon vor dem Kassationshof, geltend, weder der objektive Tatbestand sei erfüllt, da er nicht arglistig gehandelt habe, noch der subjektive, da er nicht in der Absicht gehandelt habe, sich unrechtmässig zu bereichern.
2.
2.1 Des Betrugs im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB macht sich schuldig, wer in der Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen anderen am Vermögen schädigt.
Arglistig handelt der Täter, der ein ganzes Lügengebäude errichtet oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient. Ein Lügengebäude liegt vor, wenn mehrere Lügen derart raffiniert aufeinander abgestimmt sind und von besonderer Hinterhältigkeit zeugen, dass sich auch das kritische Opfer täuschen lässt. Ist dies nicht der Fall, scheidet Arglist jedenfalls aus, wenn sowohl das vom Täter gezeichnete Bild insgesamt als auch die falschen Tatsachen für sich allein in zumutbarer Weise überprüfbar gewesen wären und schon die Aufdeckung einer einzigen Lüge zur Aufdeckung des ganzen Schwindels geführt hätte. Als besondere Machenschaften gelten Erfindungen und Vorkehren sowie das Ausnützen von Begebenheiten, die allein oder gestützt durch Lügen oder Kniffe geeignet sind, das Opfer irrezuführen. Machenschaften sind eigentliche Inszenierungen: Sie bestehen aus einem ganzen System von Lügen und setzen damit gegenüber einer blossen Summierung von Lügen höhere Anforderungen an die Vorbereitung, Durchführung und Wirkung der Täuschungshandlung voraus (BGE 126 IV 165 E. 2a mit Hinweisen). Besondere Machenschaften können namentlich vorliegen, wenn der Täter gefälschte oder rechtswidrig erlangte Urkunden oder inhaltlich unwahre Belege verwendet (BGE 128 IV 18 E. 3a mit Hinweisen). Schliesslich ist Arglist auch bei einfachen falschen Angaben gegeben, wenn deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, sowie, wenn der Täter den Getäuschten von der möglichen Überprüfung abhält oder nach den Umständen voraussieht, dass dieser die Überprüfung der Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde (BGE 128 IV 18 E. 3a mit Hinweisen). Unter dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung scheidet Arglist aus, wenn das Opfer die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet hat. Entsprechend entfällt der strafrechtliche Schutz nicht bei jeder Fahrlässigkeit des Opfers, sondern nur bei Leichtfertigkeit (BGE 126 IV 165 E. 2a mit Hinweisen).
2.2 Der Kassationshof hat erwogen (angefochtener Entscheid S. 16 ff., Ziff. 23 ff., insbesondere 27), der Beschwerdeführer habe ein raffiniert ausgeklügeltes Anlagebetrugssystem geschaffen. Die internationale Ausgestaltung - deutsche Anleger, Anlage in der Schweiz, Anlageprogramm der amerikanischen Notenbank - und die Zwischenschaltung von Vermittlern hätten dessen Überprüfung erschwert. Durch die (angebliche) Blockierung der Gelder auf einem Treuhandkonto Dr. iur. B.________s hätten sich die Anleger überzeugen lassen, das Geschäft sei nicht risikoreich. Das Anlagekonstrukt sei für die Anleger nur schwer überprüfbar gewesen, und sie seien zudem mit dem Hinweis, das Anlageprogramm sei nicht öffentlich, aufgefordert worden, Nachfragen zu unterlassen. Die mögliche und in einigen Fällen auch durchgeführte Überprüfung der Person Dr. B.________s hätte zu keinen negativen Ergebnissen geführt. Bei den Geschädigten sei zum Teil deren Jugend oder deren Alter, zum Teil auch das zu den meist aus deren Bekanntenkreis stammenden Vermittlern vorbestehende Vertrauensverhältnis, bei allen aber deren Unerfahrenheit in geschäftlichen Dingen ausgenützt worden. Das Strafrecht sei auch dazu da, Schwächere, Naive und Unerfahrene zu schützen. Die Geschädigten hätte zwar vielleicht fahrlässig gehandelt. Angesichts des vom Beschwerdeführer betriebenen Täuschungsaufwandes könne ihnen indessen keine Leichtfertigkeit bzw. eine die Arglist ausschliessende Opfermitverantwortung angelastet werden.
2.3 Der Beschwerdeführer hat effektiv ein jedenfalls für unbedarfte Anleger schwer durchschaubares Konstrukt geschaffen und dessen Überzeugungskraft durch die Mitwirkung des über einen nachprüfbar guten Ruf verfügenden Treuhänders Dr. iur. B.________ gestärkt. Allfälligen vertieften Nachforschungen hat er mit dem Hinweis auf die Vertraulichkeit der Beteiligung an einem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Anlageprogramm der FED aktiv vorgebeugt. Mit dieser "privilegierten" Anlagemöglichkeit hat er den Anlegern zudem eine Erklärung für die hohen Gewinnaussichten geliefert. Auch wenn dieses Konstrukt einer kritischen Betrachtung nicht standhalten kann - im Geschäftsleben bedeuten hohe Gewinnaussichten immer hohes Risiko, und blockierte Gelder werfen normalerweise kaum und schon gar keine hohen Gewinne ab -, so waren die umfangreichen Täuschungsmanöver des Beschwerdeführers doch geeignet, die geschäftlich unerfahrenen Geschädigten, deren Kritikfähigkeit zudem durch die hohen Gewinnaussichten getrübt gewesen sein mochte, von der Tragfähigkeit der vorgeschlagenen Anlagemöglichkeit zu überzeugen und sie von weiteren Nachforschungen abzuhalten. Der Kassationshof hat das Vorgehen des Beschwerdeführers zu Recht als arglistig beurteilt.
2.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, nicht in Bereicherungsabsicht gehandelt zu haben, da er die Anlagegelder nicht für sich persönlich abgezweigt habe. Er habe von den mageren Einkünften seiner Lebenspartnerin und der Unterstützung Dr. B.________s gelebt. Er habe denn auch immer wieder betont, dieses Geld abgehoben zu haben, um den Schaden der Anleger zu mindern, auch wenn er heute nicht mehr nachweisen könne, in was für Geschäfte er genau investiert habe.
Der bereits vor dem Kassationshof in gleicher Weise erhobene Einwand ist unzutreffend und wurde von diesem im angefochtenen Entscheid bereits widerlegt (S. 19 Ziff. 29 -31). Dessen Ausführungen, wonach sich der Beschwerdeführer bereicherte, indem er das fremde, angeblich blockierte Geld der Anleger entgegen den Abmachungen abhob und darüber - zu welchen Zwecken auch immer - wie über eigenes Geld verfügte, treffen zu, es kann darauf verwiesen werden.
2.5 Im Fall des geschäftlich versierten Anlegers C.________ hat der Kassationshof Arglist verneint und den Beschwerdeführer wegen Veruntreuung verurteilt. Dieser macht geltend, auch hier fehle es an der Bereicherungsabsicht, weshalb der subjektive Tatbestand von Art. 138 Ziff. 1 StGB nicht erfüllt sei. Der Einwand geht fehl, es kann auf die E. 2.4 und die darin enthaltenen Hinweise auf das angefochtene Urteil verwiesen werden.
3.
Der Beschwerdeführer empfindet seine Strafe als "viel zu hoch". Der Kassationshof habe zu wenig berücksichtigt, dass er bei seinem Handeln immer nur die Abwendung von Schaden für die Anleger vor Augen und keine anderen Beweggründe gehabt habe. Zudem habe er seine Herzbeschwerden nicht in ausreichendem Mass strafmindernd gewichtet. Eine Grundstrafe von 2 1/2 Jahren wäre ausreichend, was unter Berücksichtigung der gutachterlich festgestellten Verminderung seiner Zurechnungsfähigkeit eine auszufällende Strafe von 20 Monaten ergebe. Diese sei, angesichts der in seinem Fall günstigen Prognose, bedingt auszusprechen.
3.1 Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht nicht, dass der Kassationshof die Strafzumessung nach altem Recht vornahm. Dieser hat die Bewährungsaussichten als schlecht beurteilt, weil der Beschwerdeführer vorbestraft ist, sich unbeirrbar gezeigt hat und nach schlüssigem Gutachten eine therapeutische Behandlung die Rückfallgefahr nicht zu senken vermöchte (angefochtener Entscheid S. 26 Ziff. 42). Mit dieser schlechten Prognose, mit der sich der Beschwerdeführer mit keinem Wort auseinandersetzt und die plausibel erscheint, ist sowohl nach neuem als auch nach altem Recht ein (auch nur teilweise) bedingter Vollzug ausgeschlossen. Das neue Recht ist somit nicht milder, weshalb der Kassationshof die Strafzumessung zu Recht nach der einschlägigen altrechtlichen Bestimmung vornahm (Art. 2 Abs. 2 StGB).
Nach Art. 63 StGB misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen, wozu auch allfällige Unterhaltspflichten gehören. Der Umfang der Berücksichtigung verschiedener Strafzumessungsfaktoren liegt im Ermessen der kantonalen Behörde. Die strafrechtliche Abteilung kann in die Strafzumessung nur eingreifen, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wenn sie wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. falsch gewichtet hat (BGE 129 IV 6 E. 6.1; 127 IV 101 E. 2; 124 IV 286 E. 4a). Der Richter muss die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe vorgenommen hat, in den Grundzügen wiedergeben, so dass die Strafzumessung nachvollziehbar ist. Besonders hohe Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung werden unter anderem gestellt, wenn die ausgesprochene Strafe ungewöhnlich hoch oder auffallend milde ist (BGE 127 IV 101 E. 2c; 121 IV 49 E. 2a/aa; 120 IV 136 E. 3a; 118 IV 337 E. 2a).
3.2 Die ausgeprochene Strafe erscheint weder ungewöhnlich hoch noch ungewöhnlich tief. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, der Kassationshof habe einzelne Strafzumessungskriterien übersehen, und das ist auch nicht ersichtlich. Dass er einzelne Kriterien weniger stark gewichtete, als der Beschwerdeführer dies gerne hätte, lässt die Strafzumessung keineswegs bundesrechtswidrig erscheinen. Geradezu stossend erscheint zudem seine Behauptung, der Kassationshof habe übersehen, dass er die Anlagegelder einzig deshalb abgehoben habe, um Schaden von den Anlegern abzuwenden. Auch wenn der Verwendungszweck der ertrogenen bzw. veruntreuten Gelder im Dunkeln geblieben ist, so steht keinesfalls fest, dass der Beschwerdeführer sie aus altruistischen Gründen zum Schutz der Anleger abhob. Wäre dies sein Ziel gewesen, hätte er die Anlagegelder einfach zurückzahlen und die Anleger dadurch vom Kapitalverlust verschonen können. Zusammenfassend ist nicht ersichtlich, inwiefern der Kassationshof die massgeblichen Strafzumessungskriterien nicht zutreffend und umfassend gewürdigt und eine Strafe im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens ausgefällt hat. Die Rüge ist unbegründet.
4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 BGG). Der finanziellen Situation des Beschwerdeführers wird durch eine reduzierte Gerichtsgebühr Rechnung getragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
2.2 Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Kassationshof, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Dezember 2007
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Schneider Störi