BGer 5C.254/2006
 
BGer 5C.254/2006 vom 08.11.2007
Tribunale federale
{T 0/2}
5C.254/2006 /bnm
Urteil vom 8. November 2007
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Gysel.
Parteien
X.________,
Beklagte und Berufungsklägerin,
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Magdalena Schaer,
gegen
Y.________,
Kläger und Berufungsbeklagten,
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Max Baumann,
Gegenstand
Stockwerkeigentum (Befehl),
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 29. August 2006.
Sachverhalt:
A.
Y.________ und X.________ sind Mitglieder der Stockwerkeigentümergemeinschaft A.________ in B.________. X.________ ist Eigentümerin der Wohnung im Erdgeschoss des Hauses A.________, der ein Sondernutzungsrecht am Gartensitzplatz zusteht, Y.________ Eigentümer der darüber liegenden Wohnung im 1. Stock. Im Januar 2004 liess X.________ einen Maschendrahtzaun errichten, der auch eine ausserhalb ihres Gartensitzplatzes liegende Landfläche einfriedet.
B.
Mit Eingabe vom 1. März 2005 erhob Y.________ beim Einzelrichter im ordentlichen Verfahren des Bezirks T.________ gegen X.________ Klage und beantragte, die Beklagte zu verpflichten, auf eigene Kosten den Zaun, den sie rechtswidrig habe erstellen lassen, zu entfernen, soweit er die Rechte der übrigen Miteigentümer verletze.
Unter Berufung auf einen von der Stockwerkeigentümerversammlung am 3. Juni 2002 gefassten Beschluss, der ihr das Recht einräume, auch die in Frage stehende ausserhalb des Gartensitzplatzes liegende Fläche einzuzäunen, schloss die Beklagte auf Abweisung der Klage.
Der Einzelrichter erkannte am 28. Oktober 2005, dass die Beklagte verpflichtet werde, auf eigene Kosten den erstellten Zaun auf dem Grundstück der Stockwerkeigentümergemeinschaft A.________ zu entfernen, und sie gestützt auf Art. 292 StGB mit Haft oder Busse bestraft werden könne, falls sie dieser Verpflichtung nicht nachkomme.
Die Beklagte appellierte, worauf das Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich am 29. August 2006 in Gutheissung der Klage seinerseits erkannte, die Beklagte werde verpflichtet, den Zaun innert 30 Tagen ab Rechtskraft des Urteils zu entfernen, soweit dieser sich nicht auf dem ihr zu Sonderrecht zugewiesenen Boden befinde.
C.
Mit eidgenössischer Berufung vom 3. Oktober 2006 stellt die Beklagte das Rechtsbegehren, die Klage in Abänderung des obergerichtlichen Urteils vom 29. August 2006 abzuweisen.
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf überhaupt eingetreten werden könne.
D.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat am 24. Juli 2007 beschlossen, dass auf die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, die die Beklagte gegen das Urteil des Obergerichts ebenfalls erhoben hatte, nicht eingetreten werde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid ist vorher ergangen, so dass noch die Bestimmungen des Bundesrechtspflegegesetzes (OG) anzuwenden sind (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG).
2.
Wie schon die erste Instanz begründet das Obergericht die Gutheissung der Klage im Wesentlichen damit, dass der Beschluss der Stockwerkeigentümerversammlung vom 3. Juni 2002 in Anbetracht der Änderungen des Protokolls anlässlich der Versammlung vom 7. April 2003 keine Grundlage für den von der Beklagten beanspruchten Zaunverlauf biete.
2.1 Gemäss dem am 4. Juni 2002 ausgefertigten Protokoll befasste sich die Stockwerkeigentümergemeinschaft an ihrer 31. ordentlichen Versammlung vom 3. Juni 2002 auf Begehren des Klägers unter anderem mit der Gestaltung und Bepflanzung der Grundstückfläche rund um den Sitzplatz der Beklagten herum. Unter Ziffer 9.2 des Protokolls wurden als Anträge des Klägers festgehalten:
a) Die Gartenanlage entlang der Strasse A._______ soll gemäss Offerte Z.________ AG neu gestaltet werden (ca. Fr. 5'000.00).
b) Erstellung eines Zauns."
Neben der flächenmässigen Begrenzung des dem beklagtischen Grundstück zustehenden Sondernutzungsrechts (Gartensitzplatz) enthält das Protokoll an der genannten Stelle alsdann den Hinweis, dass sich westlich dieser Landfläche ein "Streifen Gelände der Allgemeinheit (als Zugang bezeichnet)" befinde, das zum Gelände über der Unterniveaugarage führe. Anschliessend wurde protokollarisch festgehalten, die anwesenden (elf von zwölf, eine Wertquote von 925/1000 vertretenden) Stockwerkeigentümer könnten sich mit der folgenden Lösung (der Gartengestaltung) einverstanden erklären:
- Das ausschliessliche Benützungsrecht inkl. Zugang kann mit einem Zaun versehen werden. Zaun und Bepflanzung gehen zu Lasten der Familie X.________. Die Wiederbepflanzung des allgemeinen Landstreifens entlang der Strasse A.________ ist Sache der Allgemeinheit zu Lasten des Erneuerungsfonds gemäss Offerte Z.________.
Familie X.________ wird die Angelegenheit studieren und in den nächsten 3 Monaten ihre Meinung, respektive ihren allfälligen Gegenvorschlag, unterbreiten."
2.2 Mit Schreiben vom 20. August 2002 an die Verwaltung der Stockwerkeigentümergemeinschaft verlangte der Kläger, das Protokoll der Versammlung vom 3. Juni 2002 sei unter anderem wie folgt zu korrigieren:
- Punkt 9.2: Antrag Herr Y.________ (Brief vom 25.05.02)
a) Die zerstörte Gartenanlage entlang der Strasse A.________ ist gemäss Offerte Z.________ AG vom 11.10.01 neu zu gestalten.
b) Der Gartenzaun ist entweder abzubrechen oder an der Grenzlinie des Sonderbenützungsrechts fachmännisch zu erstellen.
Das ausschliessliche Benützungsrecht der Familie X.________... (Angabe der Ausmasse).
Die Familie X.________ wird die Angelegenheit studieren und innert 3 Monaten einen Gegenvorschlag unterbreiten·
Anschliessend sind die Gestaltung und die Kostenverteilung mit der Stockwerkeigentümergemeinschaft zu besprechen und festzulegen."
In dem vom Obergericht ebenfalls herangezogenen Protokoll der 32. ordentlichen Stockwerkeigentümerversammlung vom 7. April 2003 wurde in der Folge unter dem Titel "1. Protokoll" erklärt, das Protokoll der Versammlung vom 3. Juni 2002 werde "gemäss Schreiben von Herr Y.________ dat. 20. August 2002" ergänzt. Ausserdem wurde auf einen Ergänzungswunsch des Klägers hingewiesen, der hier jedoch ohne Bedeutung ist, und abschliessend festgehalten:
- Als gültige Ausgangslage gilt, wie im Protokoll der Versammlung vom 3.6.2002 festgehalten, das ausschliessliche Benutzungsrecht für die Stockwerk-Einheit Nr. 1 gilt für eine Fläche längsseits 12,32 (Fassaden-Innenseite) und in der Tiefe 4,75 m ab Fassade. Die allgemeine Fläche stellt die Restfläche bis zum Trottoir dar."
3.
3.1 Dem Protokoll der Stockwerkeigentümerversammlung kommt in dem Sinne konstitutive Wirkung zu, dass nur ein aus ihm ersichtlicher Beschluss rechtliche Wirkung hat (vgl. BGE 127 III 506 E. 3c S. 510 f.). Wie andere kollektive Erklärungsakte (so etwa Beschlüsse der Generalversammlung von Kapitalgesellschaften oder von Vereinsversammlungen) sind auch Beschlüsse einer Stockwerkeigentümerversammlung nach dem Vertrauensprinzip auszulegen (dazu Art. 712m Abs. 2 ZGB; Urteil 5C.328/2001 vom 27. Juni 2002, E. 1.3; BGE 95 II 320 E. IV/2 und 3 S. 328 f.). Es ist demnach zu ermitteln, wie die hier in Frage stehenden Beschlüsse der Stockwerkeigentümergemeinschaft nach den gesamten Umständen in guten Treuen verstanden werden durften und mussten (BGE 130 III 417 E. 3.2 S. 424 mit Hinweisen). Auslegungen dieser Natur prüft das Bundesgericht als Rechtsfrage im Berufungsverfahren frei (BGE 132 III 264 E. 2.2 S. 267 mit Hinweis).
3.2
3.2.1 Aus dem Protokoll der Stockwerkeigentümerversammlung vom 3. Juni 2002 ergibt sich klar, dass die Beklagte damals vorbehaltlos ermächtigt wurde, neben ihrem Gartensitzplatz auch den sog. Zugang in die Einfriedung einzubeziehen. Dass der Beklagten bzw. ihrer Familie eine Bedenkfrist gegeben und die Gelegenheit eingeräumt wurde, innert drei Monaten einen allfälligen Gegenvorschlag zu unterbreiten, vermag daran nichts zu ändern, zumal die Beklagte mit dem Inhalt des Beschlusses offensichtlich einverstanden war und die genannte Frist ohne Reaktion verstreichen liess. Dem Protokoll ist namentlich nicht etwa zu entnehmen, dass die Stockwerkeigentümergemeinschaft sich vorbehalten hätte, erst nach Ablauf der Frist endgültig über eine Ermächtigung an die Beklagte, auch den "Zugang" einzuzäunen, Beschluss zu fassen. Anders lägen die Verhältnisse dann, wenn die Beklagte fristgerecht einen Gegenvorschlag unterbreitet hätte: Die am 3. Juni 2002 beschlossene Ermächtigung zur Einfriedung hätte als dahingefallen betrachtet werden müssen, und die Stockwerkeigentümergemeinschaft hätte nach Prüfung des Gegenvorschlags gegebenenfalls einen neuen Beschluss zu fassen gehabt.
3.2.2 Eine gerichtliche Anfechtung des Beschlusses vom 3. Juni 2002 (im Sinne von Art. 712m Abs. 2 in Verbindung mit Art. 75 ZGB) unterblieb. Das Obergericht ist jedoch der Ansicht, die der Beklagten erteilte Einzäunungsermächtigung sei gestützt auf das klägerische Protokollberichtigungsgesuch vom 20. August 2002 anlässlich der Stockwerkeigentümerversammlung vom 7. April 2003 eingeschränkt worden.
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Das Protokoll dieser Versammlung hält unter "1. Protokoll" fest, dasjenige der vorangegangenen ordentlichen Versammlung vom 3. Juni 2002 werde "gemäss Schreiben von Herr Y.________" (Kläger) vom 20. August 2002 ergänzt. In dieser Eingabe hatte der Kläger jedoch nicht etwa geltend gemacht, das Protokoll gebe nicht wieder, was am 3. Juni 2002 beschlossen worden sei, bzw. es sei etwas anderes beschlossen worden, als im Protokoll festgehalten. Unter Berufung auf sein Schreiben vom 25. Mai 2002 hatte er vorab eine Neuformulierung seiner im Zusammenhang mit der Gestaltung des Gartens gestellten Anträge verlangt. Auf die strittige Einzäunung nahm er dabei einzig insofern Bezug, als er seine in der Versammlung vom 3. Juni 2002 gestellten Anträge dahin korrigiert haben wollte, dass der Gartenzaun (der damals bestand) abzubrechen oder an die Grenze des Sonderbenutzungsrechts (der Beklagten) zurückzusetzen sei. Den gemäss Protokoll vom 4. Juni 2002 gefassten Beschluss, insbesondere die Ermächtigung der Beklagten zur Miteinzäunung des sog. Zugangs, hatte er in seinem Schreiben vom 20. August 2002 nicht (ausdrücklich) in Frage gestellt. Namentlich hatte er nicht etwa geltend gemacht, bei dem im genannten Protokoll festgehaltenen Zugeständnis an die Beklagte, auch den als Zugang bezeichneten Landstreifen in die Einfriedung einzuschliessen, habe es sich um einen Verschrieb oder um ein anderweitiges Versehen gehandelt. Als Korrektur wollte der Kläger neben der flächenmässigen Begrenzung des ausschliesslichen Benutzungsrechts der Beklagten (dessen von ihm angegebenen Ausmasse mit den im fraglichen Protokoll vermerkten übereinstimmten) ferner festgehalten haben, dass die Familie der Beklagten die Angelegenheit studieren und innert drei Monaten einen Gegenvorschlag unterbreiten werde und dass anschliessend die Gestaltung und die Kostenverteilung mit der Stockwerkeigentümergemeinschaft zu besprechen und festzulegen sei.
Im Zusammenhang mit der Versammlung vom 3. Juni 2002 wurde im Protokoll der Versammlung vom 7. April 2003 ausserdem unter Angabe der Masse erklärt, was als ausschliessliches Benutzungsrecht der Stockwerkeinheit der Beklagten gelte, und abschliessend festgehalten, dass das (ergänzte) Protokoll mit 7 zu 3 Stimmen genehmigt worden sei.
3.2.3 Unter Ziffer 8 befasste sich das Protokoll der Versammlung vom 7. April 2003 mit weiteren Anträgen des Klägers und solchen der Familie der Beklagten zur Gestaltung deren Sitzplatzes. Die Rede war dabei jedoch ausschliesslich von der Bepflanzung bzw. von einem Gartenzaun, der fachmännisch erstellt werden solle. Zum Verlauf der Einzäunung wurde auch an jener Stelle nichts festgehalten.
3.3 Die Ausführungen im Protokoll der Versammlung vom 7. April 2003, wo unter Berufung auf das klägerische Protokollberichtigungsgesuch vom 20. August 2002 lediglich von einer Ergänzung gesprochen wird, können unter den dargelegten Umständen entgegen der Auffassung der Vorinstanz keineswegs dahin ausgelegt werden, dass die Stockwerkeigentümergemeinschaft auf das Zugeständnis, auch das als Zugang bezeichnete Gelände einzufrieden, zurückgekommen wäre und den Beschluss vom 3. Juni 2002 entsprechend abgeändert hätte. Es bleibt somit bei diesem Beschluss. Da auch sonst keine Rechtswidrigkeit der strittigen Einfriedung dargetan ist, ist die Klage in Gutheissung der Berufung abzuweisen.
4.
Die Gerichtsgebühr ist ausgangsgemäss dem Kläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Dieser ist ausserdem zu verpflichten, die Beklagte für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG). Sodann ist die Sache zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen für das kantonale Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
In Gutheissung der Berufung wird das Urteil des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 29. August 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird dem Kläger auferlegt.
3.
Der Kläger wird verpflichtet, die Beklagte für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
4.
Bezüglich der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. November 2007
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: