BGer H 202/2006
 
BGer H 202/2006 vom 06.07.2007
Tribunale federale
{T 7}
H 202/06
Urteil vom 6. Juli 2007
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.
Parteien
R.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Herr Dr. H.________,
gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Beschluss des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 26. Oktober 2006.
Sachverhalt:
A.
Die 1995 gegründete Firma A.________ GmbH war der Ausgleichskasse des Kantons Zürich (nachfolgend: Ausgleichskasse) als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Im Januar 2003 verlegte sie ihren Sitz vom Kanton Zürich in den Kanton Tessin). Als Geschäftsführer und Gesellschafter amtete R.________. Am ... 2004 wurde über die GmbH der Konkurs eröffnet und am ... 2004 mangels Aktiven eingestellt. Mit Verfügung vom 7. März 2006 verpflichtete die Ausgleichskasse R.________ zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von Fr. 103'389.25. Die hiegegen von R.________ erhobene Einsprache wies die Ausgleichskasse mit Entscheid vom 15. September 2006 ab.
B.
R.________ erhob gegen den Einspracheentscheid Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Soweit die Beschwerde Schadenersatz für entgangene Beiträge an die Familienausgleichskasse betraf, trennte das Gericht mit Beschluss vom 26. Oktober 2006 die Beschwerde vom hängigen Verfahren ab. Soweit Schadenersatz für bundesrechtliche Beiträge in Frage stand, trat das Gericht mangels örtlicher Zuständigkeit auf die Beschwerde nicht ein und entschied, die Akten nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses an das Versicherungsgericht des Kantons Tessin zu überwiesen, damit dieses die Beschwerde betreffend Schadenersatz für bundesrechtliche Beiträge beurteile.
C.
R.________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Sache an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit diese die Rechtsmittelbelehrung berichtige und die Beschwerdefrist wieder hergestellt werde. Zudem sei das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich als nicht zuständig zu erklären, weder bezüglich der kantonalen noch der bundesrechtlichen Bereiche / Beträge. Als einzig zuständig sei das Versicherungsgericht des Kantons Tessin zu bestimmen.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) und die Ausgleichskasse verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
2.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
3.
In BGE 131 V 483 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, dass die Unterschrift des als Einzelrichter entscheidenden Präsidenten eines kantonalen Versicherungsgerichts Gültigkeitserfordernis für einen Zwischenentscheid darstellt. Diese Rechtsprechung wurde im Urteil Ausgleichskasse Verom gegen Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich vom 14. Juli 2006, I 252/06, wiedergegeben in Anwaltsrevue 2006/11 S. 444, dahingehend präzisiert, dass sich die Frage, wer den Entscheid eines kantonalen Versicherungsgerichts zu unterzeichnen hat, nach kantonalem Recht richtet, soweit dieses eine entsprechende Regelung enthält.
Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, der in Dreierbesetzung ergangen ist, trägt nur die Unterschrift des Gerichtssekretärs. Das zürcherische Recht sieht indes auch vor, dass Entscheide, die keine Sachentscheide darstellen, insbesondere prozesserledigende Beschlüsse, lediglich vom Gerichtssekretär als kanzleibediensteter Urkundsperson unterzeichnet werden (vgl. § 156 in Verbindung mit § 126 des Gerichtsverfassungsgesetzes des Kantons Zürich [GVG]). Der angefochtene Entscheid ist deshalb hinsichtlich der - von Amtes wegen zu prüfenden - gesetzlichen Formerfordernisse nicht zu beanstanden.
4.
4.1 Mit Bezug auf die örtliche Zuständigkeit der kantonalen Rekursinstanz in Schadenersatzprozessen gemäss Art. 52 AHVG bestimmte der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesene Art. 81 Abs. 3 AHVV, dass die Ausgleichskasse innert 30 Tagen seit Kenntnis des Einspruchs gegen die Schadenersatzverfügung bei der Rekursbehörde des Kantons, in welchem der Arbeitgeber seinen Wohnsitz hat, schriftlich Klage zu erheben hat. Dazu hat das Eidgenössische Versicherungsgericht wiederholt erkannt, dass Art. 81 Abs. 3 AHVV keine ausdrückliche Bestimmung über die örtlich zuständige Rekursbehörde bei Schadenersatzklagen gegen juristische Personen und deren Organe enthält, in diesen Fällen die Klage indes bei der Rekursbehörde jenes Kantons zu erheben ist, wo die juristische Person ihren Sitz hat oder vor dem Konkurs hatte, und zwar ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der in Anspruch genommenen Organe (BGE 110 V 351 E. 4b S. 358, 109 V 101). Sodann hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, dass der vorgenannte Grundsatz auch dann gilt, wenn der Sitz oder Wohnsitz kurze Zeit vor Erlass der Schadenersatzverfügung oder vor Einreichung der Schadenersatzklage gewechselt hat (AHI 1995 S. 187). In den Urteilen H 236/00 vom 29. Januar 2001 und H 110/01 vom 18. Dezember 2001 wurde diese Praxis bestätigt.
An dieser Zuständigkeitsordnung hat sich mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) am 1. Januar 2003 nichts geändert. Zwar bestimmt Art. 58 Abs. 1 ATSG, dass das Versicherungsgericht desjenigen Kantons zuständig ist, in dem die versicherte Person oder der Beschwerde führende Dritte zur Zeit der Beschwerdeerhebung ihren Wohnsitz hat. Der seit 1. Januar 2003 in Kraft stehende Art. 52 Abs. 5 AHVG sieht indes für den Schadenersatzprozess - der nunmehr als Beschwerdeverfahren ausgestaltet ist - mit dem Versicherungsgericht am Wohnsitz des Arbeitgebers ausdrücklich eine von Art. 58 Abs. 1 ATSG abweichende Zuständigkeit vor, welche dem bisherigen Art. 81 Abs. 3 AHVV entspricht (vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, N 25 zu Art. 58; BBl 1999 4621, 4764). Damit behält die bisherige Rechtsprechung zu aArt. 81 Abs. 3 AHVV auch unter der Herrschaft des ATSG und dem seit 1. Januar 2003 in Kraft stehenden Art. 52 Abs. 5 AHVG ihre Gültigkeit (Urteil H 130/06 vom 13. Februar 2007).
4.2 Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ist deshalb grundsätzlich zu Recht nicht auf die Beschwerde eingetreten, welche bundesrechtlichen Schadenersatz für eine im Zeitpunkt des Konkurses im Kanton Tessin ansässige Gesellschaft betraf. Dabei ist auch nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz unterschieden hat zwischen Schadenersatz, der entgangene bundesrechtliche Beiträge betrifft, und dem gestützt auf kantonale Beiträge der Familienausgleichskasse begründeten Schaden, ist doch für die Beurteilung des letzteren das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gemäss § 3 lit. c des Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht zuständig.
5.
Der Beschwerdeführer macht jedoch geltend, es sei ihm wegen der falschen Rechtsmittelbelehrung, welche die Beschwerdeerhebung am Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich vorsehe, ein Nachteil erwachsen.
5.1 Aus unrichtiger Rechtsmittelbelehrung dürfen den Parteien keine Nachteile erwachsen (Art. 107 Abs. 3 OG, Art. 49 Abs. 3 ATSG). Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung, welcher die Rechtsprechung allgemeine Bedeutung für die ganze Rechtsordnung beimisst (BGE 117 Ia 297 E. 2 S. 298, 421 E. 2c S. 423; vgl. auch BGE 124 I 255 E. 1a/aa S. 258), ist, dass sich eine Prozesspartei nach Treu und Glauben auf eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte (BGE 112 Ia 305 E. 3 S. 310, 106 Ia 13 E. 3 S. 16 f. mit Hinweisen). Wer hingegen die Fehlerhaftigkeit einer Rechtsmittelbelehrung erkennt oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, kann sich nicht auf die darin enthaltenen unzutreffenden Angaben berufen (BGE 124 I 255 E. 1a/aa S. 258, 119 IV 330 E. 1c S. 332). Allerdings sind nur grobe Fehler einer Partei geeignet, eine falsche Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen (BGE 106 Ia 13 E. 3b S. 17). So geniesst eine Partei keinen Vertrauensschutz, wenn sie oder ihr Anwalt die Mängel der Rechtsmittelbelehrung durch Konsultierung des massgebenden Gesetzestextes allein erkennen konnte (BGE 118 Ib 326 E. 1c S. 330); andererseits wird in diesem Zusammenhang auch von einem Anwalt nicht verlangt, dass er neben dem Gesetzestext Literatur oder Rechtsprechung nachschlage (BGE 117 Ia 421 E. 2a S. 422; vgl. zur falschen Auskunft einer Gemeinde Urteil des Bundesgerichts 1P.674/2000 vom 6. März 2001; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 113/06 vom 8. Mai 2006).
5.2 Nach diesen Grundsätzen durfte sich der Beschwerdeführer zwar auf die Richtigkeit der Rechtsmittelbelehrung verlassen. Indessen rechtfertigt die Tatsache, dass er seine Beschwerde wegen der - unbestrittenermassen falschen - Rechtsmittelbelehrung nicht direkt dem zuständigen Tessiner Versicherungsgericht (Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino) eingereicht hat, nicht die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides, nachdem im angefochtenen Entscheid die Überweisung der Akten an die zuständige Behörde vorgesehen ist. Insbesondere darin, dass die Beschwerde nicht in italienisch abgefasst ist, kann kein Nachteil erblickt werden. Es ist dem Beschwerdeführer allerdings vom zuständigen Gericht Gelegenheit zu geben, seine Eingabe zu ergänzen, nachdem er geltend macht, er habe seiner Beschwerde einige relevante Akten nicht beigelegt, welche dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich bereits bekannt seien, nicht jedoch dem Tessiner Versicherungsgericht.
6.
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario, in der bis 30. Juni 2006 gültig gewesenen Fassung). Dem Ausgang des Prozesses entsprechend sind die Gerichtskosten von Fr. 500.- dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Tribunale cantonale delle assicurazioni und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 6. Juli 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: