BGer C 260/2006
 
BGer C 260/2006 vom 29.03.2007
Tribunale federale
{T 7}
C 260/06
Urteil vom 29. März 2007
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön,
Gerichtsschreiberin Heine.
Parteien
W.________, 1966, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Niedermann, Neugasse 55, 9000 St. Gallen,
gegen
UNIA Arbeitslosenkasse, Bahnhofstrasse 24, 9443 Widnau, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. September 2006.
Sachverhalt:
A.
W.________ meldete sich per 2. November 2005 zum Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung an. Seine Stelle bei der Firma M.________ war durch die Arbeitgeberin auf den 31. Oktober 2005 gekündigt worden. Nach Einholung von Stellungnahmen sowohl beim Arbeitgeber als auch beim Arbeitnehmer verfügte die Unia Arbeitslosenkasse am 6. Dezember 2005 die Einstellung der Anspruchsberechtigung von W.________ für die Dauer von 45 Tagen. Die dagegen gerichtete Einsprache wies die Kasse mit Entscheid vom 3. Februar 2006 ab.
B.
Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen insoweit gut, als es die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung von 45 Tagen auf 32 Tage reduzierte. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen (Entscheid vom 21. September 2006).
C.
W.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid sei insoweit aufzuheben, als die Beschwerde vom 16. Februar 2006 nicht gutgeheissen wurde; zudem sei auf die ausgesprochene Einstellung in der Anspruchsberechtigung für die Dauer von 32 Tagen vollumfänglich zu verzichten und dem Beschwerdeführer seien die zurückbehaltenen bzw. nicht ausbezahlten 45 Arbeitslosentaggelder auszurichten.
Die Arbeitslosenkasse Unia verzichtet auf eine Stellungnahme, ebenso das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco).
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG), die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen eines Arbeitnehmers (Art. 321d Abs. 2 OR), den Begriff der Selbstverschuldens bei Kündigung durch den Arbeitgeber (Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV) sowie die Dauer der Einstellung nach dem Grad des Verschuldens (Art. 45 Abs. 2 und Abs. 3 AVIV) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig sind auch die Ausführungen zu Art. 20 lit. b des Übereinkommen Nr. 168 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988 (SR 0.822.726.8). Ebenfalls verwiesen werden kann auf die vorinstanzlichen Erwägungen zum Beweisgrad beim Einstellungsgrund des Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV und zur Rechtsprechung bezüglich der Beweiskraft von Behauptungen des Arbeitgebers im Fall von Differenzen zwischen ihm und dem Arbeitnehmer (BGE 112 V 242 E. 1 S. 244 f.; ARV 1993/94 Nr. 26 S. 183 f. E. 2a; Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. Soziale Sicherheit, 2. Auflage, Basel 2007, S. 2427 Rz 831 mit Hinweisen).
3.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit in der Anspruchsberechtigung einzustellen ist.
3.1 Das kantonale Gericht führt aus, die Aussagen des Arbeitgebers bezüglich Verwarnungen erschienen als glaubwürdig. Dem Beschwerdeführer hätte klar sein müssen, dass sein - seit längerer Zeit beanstandetes - Verhalten gegenüber Kunden von der Arbeitgeberin nicht mehr akzeptiert werde und er mit einer Kündigung rechnen müsse, sollte sich sein Verhalten nicht verbessern. Die Vorinstanz korrigierte jedoch die Einstellungsdauer von 45 auf 32 Tage mit der Begründung, das Arbeitsklima bei der Firma M.________ sei auch aus vom Versicherten nicht zu vertretenden Gründen schwierig gewesen. Zudem habe er nicht, wie ihm vorgeworfen wurde, zu Lasten der Arbeitslosenversicherung auf die Verlängerung der Kündigungsfrist verzichtet.
3.2 Der Versicherte wendet ein, beim Einstellungsgrund von Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV genüge der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht, sondern das dem Versicherten zur Last gelegte Verhalten müsse klar feststehen. Der Vorwurf der Unfreundlichkeit gegenüber Kunden stütze sich zum einen einseitig auf blosse Behauptungen der Arbeitgeberin ab, zum anderen sei er offensichtlich falsch. Die Stellungnahme der Arbeitgeberin zur Beschwerde erschöpfe sich in pauschalen Vorwürfen, ohne diese anhand konkreter Vorkommnisse zu substantiieren, geschweige denn zu belegen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Vorinstanz ohne Begründung die vagen Behauptungen der Arbeitgeberin den viel präziseren, zeitnäheren und somit glaubwürdigeren Aussagen des Versicherten vorziehe. Schliesslich weist er auf die vielen zufriedenen Kunden und sein gutes Arbeitszeugnis vom 1. Dezember 2006 hin. Die vom Beschwerdeführer eingeräumte Unfreundlichkeit gegenüber zwei bis drei Kunden sei längst kein Kündigungsgrund gewesen, denn er habe sich ihnen gegenüber zwar bestimmt, aber höflich verhalten und somit adäquat reagiert.
Bezüglich der Verwarnungen könne sich die Arbeitgeberin nicht an die Anzahl geführter Gespräche erinnern, und auch die Präzisierung bezüglich Grund und Inhalt der Verwarnung bringe keine weiteren Aufschlüsse. Es sei gestützt auf die Aussagen der Arbeitgeberin weiterhin umstritten und somit nicht nachgewiesen, dass und wofür der Beschwerdeführer verwarnt worden sei. Die Behauptung, der Versicherte habe die Kündigung (eventual-) vorsätzlich in Kauf genommen, gehe fehl.
Während seiner krankheitsbedingten Abwesenheit vom 10. bis 21. Oktober 2006 sei der Versicherte täglich von seiner Arbeitgeberin telefonisch bedroht, beschimpft und unter Druck gesetzt worden; zudem habe sie den Lohn nicht mehr ausbezahlt, weshalb der Beschwerdeführer eine Rechtsanwältin habe einschalten müssen. Die Arbeitgeberin habe sich gerächt, indem sie den Beschwerdeführer bei der Arbeitslosenkasse anschwärzte. Das auf Druck der Rechtsanwältin ausgestellte Arbeitszeugnis sei auch nur deshalb gut, weil die Arbeitgeberin gewusst habe, dass sie für wahrheitswidrige Aussagen schadenersatzpflichtig gemacht werden könne.
4.
Wie bereits die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, muss praxisgemäss das der versicherten Person im Rahmen von Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV zur Last gelegte Verhalten in beweismässiger Hinsicht feststehen, ansonsten eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung ausser Betracht fällt (BGE 112 V 242 E. 1 S. 244). Die Gründe, die hier zur Beendigung des Vertrages führten, rechtfertigen nicht in überzeugender Weise den Vorwurf, die Kündigung sei selbst verschuldet. So wurden drei der ursprünglich von der Arbeitgeberin geltend gemachten Vorkommnisse schon im Verwaltungsverfahren fallengelassen. Die Feststellungen im vorinstanzlichen Entscheid stützen sich zudem einseitig auf die Angaben der Arbeitgeberin, welche wenig aussagekräftig sind. Auch die durch das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen veranlassten Präzisierungen durch die Arbeitgeberin vermögen den erforderlichen Nachweis eines für eine selbstverschuldete Kündigung ausreichenden Grundes nicht zu erbringen. Überdies muss die Glaubwürdigkeit der Arbeitgeberin angezweifelt werden, da ihr Verhalten am Ende des Arbeitsverhältnisses deutlich durch einen Konflikt mit dem Beschwerdeführer geprägt war. Aufgrund der Umstände ist ein gewisses Mitverschulden des Beschwerdeführers an der Entlassung anzunehmen; er gibt denn auch zu, gegenüber zwei bis drei Kunden etwas unfreundlich gewesen zu sein. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des allgemeinen Arbeitsklimas kann ihm jedoch keine (eventual-)vorsätzlich herbeigeführte Entlassung angelastet werden. Ein entsprechend schwerwiegendes Fehlverhalten ist nach Lage der Akten nicht klar beweisbar, weshalb der Beschwerdeführer zu Unrecht gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG und Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV in seiner Anspruchsberechtigung eingestellt worden ist (vgl. zum Erfordernis des vorsätzlichen Handelns nach Art. 20 lit. b IAO- Abkommen Nr. 168 BGE 124 V 234 E. 3b S. 236).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. September 2006 und der Einspracheentscheid vom 3. Februar 2006 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Amt für Arbeit des Kantons St. Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 29. März 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: