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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
H 131/05
Urteil vom 30. Januar 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke
Parteien
P.________, 1922, Beschwerdeführer,
gegen
Ausgleichskasse Basel-Stadt, Wettsteinplatz 1,
4058 Basel, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel
(Entscheid vom 29. Juni 2005)
Sachverhalt:
A.
Der 1922 geborene Altersrentner P.________ leidet an einer hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits; er hat nur noch eine Hand. Am 24. Juni 1999 ersuchte er die Invalidenversicherung um erneute monaurale Hörgeräteversorgung. Gestützt auf die Expertise 1 vom 6. Juli 1999 sowie den Schlussbericht über die Hörgeräteanpassung vom 29. Februar 2000 des Dr. med. T.________, Spezialarzt FMH für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, Hals- und Gesichtschirurgie, sowie den Anpassungsbericht der Lieferantin für Hörgeräte, der Firma H.________, vom 28. Februar 2000 sprach die Ausgleichskasse Basel-Stadt (nachfolgend: Ausgleichskasse) P.________ mit Verfügung vom 23. März 2000 den für die erforderliche monaurale Versorgung in der Indikationsstufe 3 tariflich vorgesehenen Höchstbetrag von Fr. 2‘187.60 (inkl. MWSt 7.5%) zu; einen Mehrbetrag für das angepasste Hörgerät Phonak Sono Forte 2 P3 AZ mit Fernbedienung und Ohrpassstück lehnte sie ab.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess die Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen und IV-Stellen, Basel (heute: Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt) mit Entscheid vom 1. Februar 2001 gut und sprach P.________ einen Beitrag von Fr. 2'617.- an die Hilfsmittelkosten zu. Diesen Entscheid hob das Eidgenössische Versicherungsgericht auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) hin mit Urteil vom 4. Mai 2004 auf und wies die Sache zum Vorgehen im Sinne der Erwägungen an die Ausgleichskasse zurück.
In Nachachtung des letztinstanzlichen Urteils wurde je eine Stellungnahme des Dr. med. G.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin und Tropenkrankheiten, vom 1. April 2004 (welcher eine Bewegungseinschränkung des linken Ellbogens bei Vorderarmamputation rechts und gestützt darauf die Notwendigkeit einer Fernbedienung bestätigte) sowie der Firma H.________ vom 27. Oktober 2004 betreffend Kosten einer marktgängigen Fernbedienung eingeholt. Gestützt darauf sprach die Ausgleichskasse P.________ mit Verfügung vom 17. Dezember 2004 einen Betrag von Fr. 2'320.15 an die Hörgeräteversorgung unter Abzug des bereits bezahlten Betrages von Fr. 2'187.60 zu und hielt nach Einholung einer Stellungnahme des BSV vom 18. Januar 2005 mit Einspracheentscheid vom 21. Januar 2005 daran fest.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid vom 29. Juni 2005 ab.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt P.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides.
Das BSV und die IV-Stelle verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Rechtsstreit dreht sich um die Frage, ob die Vorinstanz mit der Verwaltung zu Recht die Übernahme der gesamten Kosten für die Hörgeräteversorgung abgelehnt und den Anspruch des Beschwerdeführers gemäss dem Tarifvertrag für die Hörgeräteabgabe, in Kraft seit 1. April 1999, auf Fr. 2'320.15, entsprechend dem Höchstbetrag der Indikationsstufe 2 (inkl. MWSt), zuzüglich 75 % des Mehrbetrages für die Fernbedienung, beschränkt hat.
2.
Die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über die Abgabe von Hilfsmitteln in der AHV, speziell über die Abgabe von Hörgeräten bei hochgradiger Schwerhörigkeit sowie den entsprechenden Kostenbeitrag von 75% des Nettopreises (Art. 43ter AHVG; Art. 2 Abs. 1 und 2 HVA, Ziff. 5.07 HVA-Anhang) wurden bereits im Urteil vom 4. Mai 2004 ausführlich dargestellt, ebenso das Verfahren gemäss dem seit 1. April 1999 in Kraft stehenden Tarifvertrag und den Expertenempfehlungen für die Hörgeräteabgabe, die Preislimiten der drei Indikationsstufen und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 130 V 163). Darauf wird verwiesen.
3.
3.1 In BGE 130 V 163 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, dass der durch das BSV abgeschlossene Tarifvertrag mit Blick auf die Gesetzesdelegation bundesrechtskonform ist. Auch hinsichtlich der Übereinstimmung der Tarifbestimmungen mit den materiellen Gesetzesbestimmungen betreffend den Leistungsanspruch der Versicherten sind der Tarifvertrag und die darin festgesetzten Preislimiten grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch im Rahmen der Hörgeräteversorgung durch die AHV (SVR 2004 AHV Nr. 18 S. 54 [Urteil P. vom 4. Mai 2004, I 150/01]). Im Sinne einer Vermutung ist davon auszugehen, dass in der Regel eine den tarifvertraglichen Ansätzen entsprechende Leistungszuerkennung den Eingliederungsbedürfnissen im Einzelfall Rechnung trägt und zu einer zweckmässigen und ausreichenden Hörgeräteversorgung führt. Da aber letztlich stets das konkrete Eingliederungsbedürfnis der versicherten Person massgebend ist, bleibt die gerichtliche Prüfung, ob die tarifarisch vergüteten Höchstpreise dem Eingliederungsbedürfnis im konkreten Einzelfall Rechnung tragen, stets vorbehalten. Dabei trägt die versicherte Person die Beweislast bezüglich der Frage, ob die tarifarische Hörgeräteversorgung ausnahmsweise, auf Grund eines gesteigerten Eingliederungsbedürfnisses, nicht genügt. Ein solches kann sich sowohl aus der speziellen gesundheitlichen Situation wie auch mit Blick auf den Tätigkeitsbereich der versicherten Person ergeben. Komplexe Hörsituationen und entsprechende fallspezifische Besonderheiten liegen beispielsweise vor, wenn die versicherte Person an einer besonders schweren oder komplexen Hörschädigung wie einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit, extremer Hoch- oder Tieftonschwerhörigkeit leidet, eine nur noch kleine Resthörigkeit aufweist oder aber durch zusätzliche Erschwernisse, die Hörsituation komplizierende Beschwerden wie Tinnitus, extremen Hörschwankungen oder Verhaltensstörungen beeinträchtigt ist.
Allerdings rechtfertigt sich das Abgehen von der Indikationsstufeneinteilung mit der Begründung, die tarifarische Hörgeräteversorgung decke das konkrete Eingliederungsbedürfnis der versicherten Person nicht, nur in Ausnahmefällen. Das Indikationenmodell, auf welchem der Tarifvertrag beruht, stellt eine überzeugende Konkretisierung der normativen Leistungsvoraussetzungen dar, unter anderem mit Blick auf die Einfachheit und Zweckmässigkeit der Hörgeräteversorgung. Das System der Punktevergabe ist so abgestimmt und darauf ausgelegt, dass es im überwiegenden Regelfall eine hinreichende Hörgeräteversorgung gewährleistet, aber auch das Verhältnismässigkeitsprinzip in dem Sinne berücksichtigt, dass eine geringe Hörschädigung keinen Anspruch auf eine Geräteversorgung nach hoher Indikationsstufe begründet. Das bedeutet, dass nicht jedes individuelle Eingliederungsbedürfnis eine vom Tarifvertrag abweichende Versorgung rechtfertigt. Vielmehr ist ein ausnahmsweises Abgehen vom Tarifvertrag Fällen vorbehalten, in denen sich die Hörstörung als besonders schwerwiegend oder die Hörsituation als sehr komplex darstellt; denn die Ausnahmemöglichkeit dient nur dazu, schwerwiegende und ausserordentliche Hörstörungen aufzufangen, die vom Indikationenmodell auf Grund ihrer Besonderheiten nicht erfasst werden. Davon kann mit Blick auf das ebenfalls ins Indikationenmodell eingeflossene Verhältnismässigkeitsprinzip umso weniger ausgegangen werden, je geringer die audiologisch fassbare Hörstörung ist (SVR 2005 IV Nr. 5 S. 17 [Urteil G. vom 17. Mai 2004, I 547/03]).
3.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht bestätigte mit Urteil vom 4. Mai 2004, es bestehe beim Beschwerdeführer kein erhöhtes Eingliederungsbedürfnis, das eine über den Höchstbetrag der Indikationsstufe 3 hinausgehende Hörgeräteversorgung rechtfertigen würde; das zusätzliche Erschwernis der Einhändigkeit, das eine Fernbedienung erforderlich mache, sei mit weiteren 25 Punkten berücksichtigt worden, weshalb anstelle der sich allein auf Grund der Schwerhörigkeit ergebenden Indikationsstufe 2 die Indikationsstufe 3 resultiere. Jedoch bleibe auf Grund der Akten unklar, ob die Differenz zwischen den Indikationsstufen 2 und 3 die Finanzierung einer marktgängigen Fernbedienung erlaube. Zur Klärung dieser Frage wies es die Sache an die Ausgleichskasse zurück.
In Nachachtung dieses Urteils hat die Ausgleichskasse nach weiteren Abklärungen durch die IV-Stelle dem Beschwerdeführer neu den Betrag von Fr. 2'320.15 (Beitrag von 75% gemäss Hörgerätetarif AHV für ein Hörgerät der Indikationsstufe 2 von Fr. 1'764.65 inkl. MWSt 7.6% zuzüglich Kostenbeitrag von 75% an eine marktgängige Fernbedienung (hier Fr. 676.-) von Fr. 545.50 inkl. MWSt 7.6%) zugesprochen; demgegenüber beträgt der Differenzbetrag zwischen Indikationsstufe 2 (Fr. 1'764.65) und Indikationsstufe 3 (Fr. 2'189.65) lediglich Fr. 425.-. Dieses Vorgehen trägt dem konkreten Eingliederungsbedürfnis angemessen Rechnung. Denn soweit die Tarifgestaltung gemäss Indikationenmodell nicht ausreicht, jeweils im Rahmen von 75% der Kosten zusätzlich zum erforderlichen Hörgerät auch die notwendige Fernbedienung anzuschaffen, hat der Versicherte Anspruch auf den durch die Fernbedienung verursachten, über die jeweilige Indikationsstufe hinausgehenden Betrag, soweit dies im Rahmen des Einfachen und Zweckmässigen bleibt. Denn es muss in einem solchen Fall, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, sichergestellt sein, dass der Versicherte sowohl für die Schwerhörigkeit als auch für die Notwendigkeit einer Fernbedienung hinreichend entschädigt wird.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, der Expertenarzt Dr. med. T.________ habe eine Hörgeräteversorgung gemäss Indikationsstufe 3 empfohlen, und sinngemäss geltend macht, er habe damit Anspruch auf ein Hörgerät der Indikationsstufe 3 sowie zusätzlich auf eine Fernbedienung, ist er nochmals darauf hinzuweisen, dass er auf Grund seiner Schwerhörigkeit gemäss den audiologischen Kriterien lediglich Anspruch auf ein Hörgerät der Indikationsstufe 2 hat. Dass er vom Expertenarzt in die Indikationsstufe 3 eingereiht wurde, beruht allein auf dem mit weiteren 25 Punkten berücksichtigten zusätzlichen Erschwernis der Einhändigkeit.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 30. Januar 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: