BGer C 119/2003
 
BGer C 119/2003 vom 28.08.2003
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 119/03
Urteil vom 28. August 2003
III. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiberin Kopp Käch
Parteien
M._______, 1974, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Klein, Malzgasse 18, 4052 Basel,
gegen
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau (AWA), Rain 53, 5000 Aarau, Beschwerdegegner
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
(Entscheid vom 18. März 2003)
Sachverhalt:
A.
Die 1974 geborene M._______ bildete sich bei der X.________ AG, Fachschule für Kosmetik, vom 17. Juli 2000 bis 29. Juni 2002 zur Kosmetikerin aus, wobei sie in diesem Zusammenhang vom 16. August 2001 bis 18. Mai 2002 ein Praktikum bei der Firma Y.________ im Umfang von 70 % eines Vollpensums absolvierte. M._______ ist Mutter eines Kindes (Jahrgang 1995). Am 7. Mai 2002 meldete sie sich zur Arbeitsvermittlung ab 1. Juli 2002 an und stellte ab diesem Datum Antrag auf Arbeitslosenentschädigung bei der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau. Gegenüber dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) gab sie an, eine Vollzeitstelle als Kosmetikerin oder als Servicemitarbeiterin ohne Lehre zu suchen. Im Formular für Antrag auf Arbeitslosenentschädigung vermerkte sie als Arbeitszeiten, welche neben der Kinderbetreuung in Frage kämen, Mittwoch bis Freitag ganztags sowie Montag, Dienstag, Freitag und Samstag abends, jedoch höchstens zwei Abende pro Woche.
Das RAV überwies die Sache dem Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau zur Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit. Nachdem dieses weitere Abklärungen bezüglich der Betreuung der Tochter der Versicherten vorgenommen hatte, reduzierte es mit Verfügung vom 4. Dezember 2002 die generelle Vermittlungsfähigkeit von M._______ ab 1. Juli 2002 auf 60 % einer Vollzeitbeschäftigung. Gleichzeitig lud es die Öffentliche Arbeitslosenkasse ein, die Versicherungsleistungen für die Monate Juli bis November 2002 neu zu berechnen und etwaige zu viel ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung zurückzufordern. Im Weiteren hielt das AWA in seiner Verfügung fest, die Versicherte müsse jederzeit (Montag bis Freitag) zu den normalen Arbeitszeiten (07.00 Uhr bis 17.00 Uhr) der Arbeitsvermittlung im Umfang von 60 % einer Vollzeitbeschäftigung zur Verfügung stehen. Es wies zudem das RAV an, die Arbeitsbemühungen von M._______ einer strengen Begutachtung zu unterziehen und die Versicherte umgehend in eine adäquate arbeitsmarktliche Massnahme zu weisen.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 18. März 2003 ab.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M._______ beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sowie die Verfügung des AWA vom 4. Dezember 2002 seien aufzuheben und es sei ihr ab 1. Juli 2002 eine Vermittlungsfähigkeit im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung zuzusprechen.
Das AWA und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss der vorinstanzlich bestätigten Verfügung vom 4. Dezember 2002 hat das AWA des Kantons Aargau als kantonale Amtsstelle im Zweifelsfallverfahren das Fehlen der Anspruchsberechtigung der Beschwerdeführerin ab 1. Juli 2002 festgestellt, und zwar unter dem Gesichtspunkt der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung der Vermittlungsfähigkeit. Es hat dabei die Vermittlungsfähigkeit der Versicherten auf 60 % einer Vollzeitbeschäftigung reduziert. Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass der Begriff der Vermittlungs(un)fähigkeit als Anspruchsvoraussetzung graduelle Abstufungen ausschliesst (BGE 125 V 58 Erw. 6a mit Hinweisen). Entweder ist die versicherte Person vermittlungsfähig, insbesondere bereit, eine zumutbare Arbeit im Umfang von mindestens 20 % eines Normalarbeitspensums (vgl. Art. 5 AVIV und BGE 125 V 58 Erw. 6a in fine mit Hinweisen) anzunehmen oder nicht.
2.
Die Problematik, welche vorliegend streitig ist, gilt es bei rechtlich richtiger Betrachtungsweise vielmehr im Rahmen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung des anrechenbaren Arbeitsausfalls zu beurteilen (Art. 8 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 11 AVIG; BGE 125 V 58 Erw. 6b, 112 V 234 Erw. 2c). Zu prüfen ist nämlich, ob die Beschwerdeführerin einen ganzen oder einen teilweisen Arbeitsausfall erleidet und ob sie - bejahendenfalls - im Umfange dieses anrechenbaren Arbeitsausfalles vermittlungsfähig ist. Dazu hat die Vorinstanz die massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen über die Anspruchsberechtigung in der Arbeitslosenversicherung (Art. 8 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG) und die hiezu ergangene Rechtsprechung (BGE 125 V 58 Erw. 6a mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.
3.
Aus den Akten, insbesondere aus den Angaben der Beschwerdeführerin vom 5. Oktober 2002 sowie der eingeholten Obhutserklärung vom 21. Oktober 2002, ist B.________ bereit und in der Lage, die Tochter der Beschwerdeführerin als Tagesmutter jeweils wöchentlich am Montag-, Dienstag-, Freitag- und Samstagabend sowie am Mittwoch, Donnerstag und Freitag jeweils tagsüber zu betreuen. Über eine andere Obhutsmöglichkeit (Krippe, Verwandte usw.) verfügt die Beschwerdeführerin nach Lage der Akten nicht und es wird auch nichts in dieser Richtung vorgetragen, was Anlass zu ergänzenden Abklärungen gäbe. Damit steht fest, dass die Beschwerdeführerin an den Wochentagen Montag und Dienstag keinen anrechenbaren Arbeitsausfall erleidet. Das Fehlen der Arbeit an diesen beiden Wochentagen ist nämlich nicht auf Arbeitslosigkeit zurückzuführen, sondern darauf, dass die Versicherte montags und dienstags ihre Tochter betreut. Hingegen liegt ein anrechenbarer Arbeitsausfall für Mittwoch, Donnerstag und Freitag vor, und es ist nach Lage der Akten nichts ersichtlich, was die Beschwerdeführerin hindern würde, an diesen Wochentagen sich einem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen. Damit erleidet die Beschwerdeführerin einen anrechenbaren Arbeitsausfall von 60 % und sie ist für eine Teilzeitstelle in diesem Umfang vermittlungsfähig (Art. 15 AVIG). Dies führt - im Ergebnis - zur Bestätigung des kantonalen Gerichtsentscheids.
4.
An diesem Ergebnis vermag die bereits im vorinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Argumentation der Beschwerdeführerin, sie könne auch montags, dienstags, freitags und samstags jeweils Abendarbeit leisten, nichts zu ändern.
4.1 Der Rechtsumstand, dass an den (Vor-)Abenden, in der Nacht und auch am Wochenende geleistete Arbeit - je nach zeitlicher Lage der üblichen beruflichen Haupttätigkeit der versicherten Person im Tagesablauf - in der Regel nicht versicherten Nebenverdienst (Art. 23 Abs. 3 AVIG), hingegen den Taggeldanspruch schmälernden Zwischenverdienst (Art. 24 AVIG) darstellen kann (Art. 24 Abs. 3 zweiter Satz AVIG e contrario) - nach der Rechtsprechung ist nämlich das Verhältnis von Zwischen- zu Nebenverdienst nicht komplementär (vgl. BGE 125 V 475, 123 V 230) - hat mit der Anspruchsvoraussetzung des anrechenbaren Arbeitsausfalles nichts zu tun. Es gilt zu berücksichtigen, dass das Gesetz einen Arbeitsausfall dann als anrechenbar erklärt, wenn er einen Verdienstausfall zur Folge hat und mindestens zwei aufeinander folgende volle Arbeitstage dauert (Art. 11 Abs. 1 AVIG). Diese Bestimmung zum anrechenbaren Arbeitsausfall - als eine der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen (Art. 8 AVIG) - steht in einem systematischen Zusammenhang mit den Normen über die Bemessung der Arbeitslosenentschädigung (Art. 18 ff. AVIG), handelt es sich doch beim anrechenbaren Arbeitsausfall um einen Doppelbegriff: Als Anspruchsvoraussetzung (Art. 11 AVIG in Verbindung mit Art. 5 AVIV) bedeutet er ein gewisses Mindestmass an ausgefallenen Arbeitstagen. In masslicher Hinsicht ist er sodann die wichtigste Grundlage für den Entschädigungsanspruch als solchen. Dauer und Ausmass des anrechenbaren Arbeitsausfalles wirken sich daher auf den Entschädigungsanspruch aus (BGE 125 V 58 Erw. 6b, 112 V 234 Erw. 2c). Das verhält sich auch heute noch so, obwohl bei der Einführung der allgemeinen fünftägigen Wartezeit durch den revidierten Art. 18 Abs. 1 AVIG (Bundesgesetz vom 23. Juni 1995, in Kraft seit 1. Januar 1996; AS 1996 293) der alte Normgehalt gemäss Art. 18 Abs. 1 erster Satz aAVIG - wohl versehentlich - fallen gelassen worden ist. Danach richtete sich der Entschädigungsanspruch nach dem anrechenbaren Arbeitsausfall während einer Kontrollperiode (vgl. die Zitierung dieser altrechtlichen Bestimmung im schon erwähnten BGE 112 V 231 Erw. 1b). Auch wenn der Normgehalt von altArt. 18 Abs. 1 AVIG in der Revision 1995 untergegangen ist, muss er - wie das Eidgenössische Versicherungsgericht bereits in BGE 125 V 58 Erw. 6b entschieden hat, aus systematischen Gründen weiterhin Geltung beanspruchen (vgl. auch Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz 267 f.). Daraus folgt wiederum, dass der Taggeldanspruch masslich proportional zum nicht anrechenbaren Arbeitsausfall gekürzt werden muss, wobei der Ausgangspunkt dieser Reduktion der volle Arbeitstag im gesetzlichen Sinne bildet (vgl. Art. 4 Abs. 1 AVIV, wonach als voller Arbeitstag der fünfte Teil der wöchentlichen Arbeitszeit gilt, die die versicherte Person normalerweise während ihres letzten Arbeitsverhältnisses geleistet hat).
4.2 Vorliegend kann nicht bestritten werden, dass die Beschwerdeführerin an den Montagen und Dienstagen keinen anrechenbaren Arbeitsausfall erleidet, weil sie, wie erwähnt, mit der Betreuung ihres Kindes beschäftigt ist. Dieser fehlende Arbeitsausfall kann nach dem Gesagten nicht durch Arbeitsgelegenheiten an Randstunden ausserhalb der für sie üblichen Arbeitszeit kompensiert werden, weil diese Zeitspannen nicht zu dem für die hier am Recht stehende Versicherte massgeblichen vollen Arbeitstag im Rechtssinne gehören. Erst recht nicht kann ein zusätzlicher Arbeitsausfall durch (zufolge Stellenmangels verpasste) Arbeitsgelegenheiten an jenen Wochentagen (in casu Mittwoch, Donnerstag und Freitag) bejaht werden, für welche die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalles in Form des Verlustes eines vollen Arbeitstages schon berücksichtigt worden ist, weil sonst eine Mehrfachbeschäftigung zum Gegenstand der Versicherung gemacht würde, wogegen die Arbeitslosenversicherung praxisgemäss nur normale Arbeitnehmertätigkeiten versichert (BGE 129 V 106 Erw. 2). Anders wäre die Anrechenbarkeit zu beurteilen, wenn die Versicherte vor Eintritt der Arbeitslosigkeit (Art. 10 AVIG) einen Beruf ausgeübt hätte, in welchem Arbeit am Abend oder in der Nacht (z.B. im Gastgewerbe, Schichtarbeit) betriebs- und/oder branchenüblich wäre. Dies trifft hier nicht zu. Die Beschwerdeführerin war zuletzt im Umfang von 70 % eines Vollpensums als Praktikantin in der Firma Y.________ tätig.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 28. August 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: