BGer 5P.247/2003
 
BGer 5P.247/2003 vom 15.08.2003
Tribunale federale
{T 0/2}{
5P.247/2003 /bmt
Urteil vom 15. August 2003
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Schett.
Parteien
H.P.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, Postfach, 6000 Luzern 5,
gegen
U.P.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Irène Hänsli, Müller & Beerli, Huobmattstrasse 7, Postfach, 6045 Meggen,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Postfach, 6002 Luzern.
Gegenstand
Art. 9 BV (Ehescheidung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 13. Mai 2003.
Sachverhalt:
A.
Im Jahre 1981 zogen die damals 17-jährige H.P.________ und U.P.________ zusammen, im August 1993 heirateten sie und im Juni 1996 trennten sie sich faktisch. Die Ehe blieb kinderlos. Die Ehefrau arbeitete in all den Jahren bis 1998 vornehmlich in Teilzeitpensen über 50 %; seither geht sie aus gesundheitlichen Gründen keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. 1991 erlitt sie bei einem Verkehrsunfall ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule. In der Folge litt sie über Jahre unter verschiedenen gesundheitlichen Beschwerden.
B.
Am 23. Juli 2002 wurde die Ehe der Parteien durch das Amtsgericht Luzern-Land geschieden und der Ehefrau ein Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 1'200.-- bis Ende Juni 2003 zugesprochen. Auf Appellation der Ehefrau hin sprach ihr das Obergericht des Kantons Luzern in Ziffer 2.2 seines Urteils vom 13. Mai 2003 einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'400.-- bis Ende Juni 2004 zu.
C.
Gegen dieses Urteil hat die Ehefrau staatsrechtliche Beschwerde und Berufung eingereicht. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt sie die Aufhebung von Ziffer 2.2. des angefochtenen Entscheids sowie Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid unter anderem festgehalten, dass die Darstellung der Beschwerdeführerin, wonach sie ab 1981 ihre Erwerbstätigkeit im Hinblick auf eine gemeinsam vorgesehene Familiengründung eingeschränkt habe, vom Beschwerdegegner bestritten werde. In diesem Zusammenhang sei auch auf den Bericht von Dr. med. X.________, FMH Psychiatrie, hinzuweisen, wonach gemäss Angaben der Beschwerdeführerin die Trennung der Parteien darauf zurückzuführen sei, dass der Beschwerdegegner den Kinderwunsch der Beschwerdeführerin nicht geteilt habe. Die Beschwerdeführerin vermöge denn auch keine Umstände darzulegen, die ihre Behauptung als glaubhaft erscheinen liessen. Eine kinderlose Lebensgemeinschaft mache in der Regel keine Einschränkung der Erwerbstätigkeit notwendig; das Motiv der Familiengründung erscheine im Übrigen auch aufgrund des damaligen jugendlichen Alters der Beschwerdeführerin als unwahrscheinlich. Selbst bei einem gemeinsamen Kinderwunsch finde eine Reduzierung des Arbeitspensums regelmässig nicht statt, bevor zumindest über eine Schwangerschaft Gewissheit bestehe. Über medizinische Abklärungen bezüglich Familienplanung habe die Beschwerdeführerin vor Amtsgericht keine Aussagen machen wollen. Ebenso wenig sei mit Blick auf die sich widersprechenden Parteiaussagen vor dem Amtsgericht erstellt, dass aufgrund eines gemeinsamen Beschlusses der Parteien die Haushaltführung ausschliesslich der Beschwerdeführerin obgelegen habe. Damit sei mit der Erstinstanz davon auszugehen, dass die Einschränkung der Erwerbstätigkeit seit dem Jahre 1981 nicht "gemeinschaftsbedingt" sei.
1.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Schlussfolgerung, dass die Einschränkung der Erwerbstätigkeit nicht "gemeinschaftsbedingt" sei, gründe auf einer willkürlichen und einseitigen Beweiswürdigung.
Sie führt zunächst aus, es treffe nicht zu, dass keine Familiengründung geplant gewesen sei. Auch der Beschwerdegegner habe ausgeführt, es sei geplant gewesen, eine Familie zu gründen, sonst hätten sie nicht geheiratet. Mit dieser einzigen Aussage vermag sie keine Willkür in der Beweiswürdigung nachzuweisen. Das Obergericht hat nämlich nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdegegner im Zeitraum rund um die Heirat mit einem gemeinsamen Kind einverstanden gewesen sein könnte. Es durfte aber aus dem jugendlichen Alter der Beschwerdeführerin und dem langjährigen Konkubinat vor der Heirat willkürfrei schliessen, dass der gemeinsame Kinderwunsch kaum von Anfang bestanden haben dürfte, und es durfte - gestützt auf Aussagen der Beschwerdeführerin selber - ebenso willkürfrei annehmen, dass im Vorfeld der Trennung Uneinigkeit über die Kinderfrage bestand. Im Übrigen ist fraglich, ob die streitige Sachverhaltsfeststellung für den angefochtenen Entscheid überhaupt erheblich ist. Das Obergericht hat für seine Schlussfolgerung, dass die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit nicht auf die gemeinsame Familienplanung zurückzuführen sei, nämlich ein weiteres entscheidendes Argument angefügt. Es hat argumentiert, eine kinderlose Lebensgemeinschaft mache in der Regel keine Einschränkung der Erwerbstätigkeit nötig und selbst wenn eine Familienplanung bestanden hätte, hätte eine Reduzierung des Arbeitspensums kaum stattgefunden, bevor zumindest über eine Schwangerschaft Gewissheit bestanden hätte. Inwiefern diese - im Übrigen aus der allgemeinen Lebenserfahrung geschöpfte und damit der staatsrechtlichen Beschwerde nicht zugängliche (BGE 126 III 10 E. 2b S. 12 mit Hinweis) - Schlussfolgerung unzutreffend oder gar willkürlich sein könnte, legt die Beschwerdeführerin nicht dar, so dass ihrer Willkürrüge auch aus diesem Grund der Boden entzogen ist.
Die Beschwerdeführerin hält weiter dafür, sie habe gemäss den Aussagen des Beschwerdegegners gewaschen, gekocht und geputzt und damit den Haushaltprimat innegehabt. Es habe daher eine abgesprochene Arbeitsteilung und damit eine ehebedingte Arbeitspensenreduktion vorgelegen. Auch deshalb sei die Schlussfolgerung, die Einschränkung der Erwerbstätigkeit sei nicht "gemeinschaftsbedingt" gewesen, willkürlich. Das Beweisergebnis des Obergerichts ist indessen nicht willkürlich, auch wenn es Gründe für die Darstellung der Beschwerdeführerin gibt. Willkür liegt nämlich lediglich vor, wenn die Würdigung des Obergerichts mit keinen sachlichen Gründen vertreten werden kann und nicht bereits dann, wenn eine andere Schlussfolgerung ebenso wahrscheinlich erscheint oder sogar vorzuziehen wäre (BGE 124 IV 86 E. 2a; 120 Ia 369 E. 3a; je mit Hinweisen). Der Beschwerdegegner hat nämlich auch ausgeführt, die Parteien hätten sich während des vorehelichen und ehelichen Zusammenlebens die Haushaltarbeit geteilt. Die Beschwerdeführerin habe bereits vor dem gemeinsamen Zusammenleben mit ihm nie zu 100 % gearbeitet, dies jedoch teilweise während des Zusammenlebens getan. Die Beschwerdeführerin habe aus freien Stücken teilzeitlich gearbeitet und habe nicht im gemeinsamen Interesse bzw. im Hinblick auf eine Familiengründung, sondern aufgrund ihrer schlechten schulischen Leistungen auf eine eigene Berufskarriere verzichtet. Angesichts dieser Aussagen ist die Schlussfolgerung des Obergerichts, es habe keine abgesprochene und daher auch keine "gemeinschaftsbedingte" Arbeitspensenreduktion gegeben, nicht willkürlich.
2.
Im Zusammenhang mit der falschen Zeitrechnung bzw. dem Verschrieb des Obergerichts auf Seite 8 des angefochtenen Entscheids erhebt die Beschwerdeführerin keine Willkürrüge, so dass darauf nicht weiter einzugehen ist.
3.
3.1 Das Obergericht hat weiter ausgeführt, im Jahre 1991 habe sich jener Autounfall ereignet, der eine Beeinträchtigung der Gesundheit der Beschwerdeführerin nach sich gezogen habe. Gemäss dem Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 7. November 2002 seien selbst die am 26. Februar 1998 aufgetretenen "neuen" Beschwerden teilweise auf den Unfall von 1991 zurückzuführen. Die Darlegungen der Beschwerdeführerin, wonach die zur Invalidisierung führenden Beschwerden erst während der Ehe im Jahre 1995 aufgetreten seien und daher nicht unfallkausal seien, stellten einen Widerspruch (venire contra factum proprium) zu der von ihr vertretenen Haltung im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren dar, in dem sie erfolgreich geltend gemacht habe, dass ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Unfallereignis von 1991 bestehe. Es sei daher mit dem Verwaltungsgericht und entsprechend ihrer Darlegungen in diesem Verfahren davon auszugehen, dass die gesundheitlichen Beschwerden der Beschwerdeführerin ab 1995 hauptsächlich auf den Unfall von 1991 zurückzuführen seien. Soweit die rheumatologisch bedingte Arbeitsunfähigkeit unfallbedingt sei (nämlich 20 %), fehle es an einem der ehelichen Gemeinschaft zuzurechnenden Risiko. Nicht unfallbedingt sei hingegen die psychiatrisch bedingte Arbeitsunfähigkeit von 30 %.
3.2 Die Beschwerdeführerin rügt als willkürlich, dass das Obergericht die Invalidisierung als einzig entscheidende Komponente für die Risikozurechnung schlechthin vor der Verehelichung am 13. August 1993 angesiedelt habe. Die Beschwerdeführerin setzt sich aber mit den auf das verwaltungsgerichtliche Urteil und ihre eigenen Aussagen gestützten Überlegungen des Obergerichts in diesem Zusammenhang nicht auseinander und zeigt in keiner Weise, inwiefern diese willkürlich sein könnten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 III 279 E. 1c S. 282; 129 I 185 E. 1.6 S. 189; je mit Hinweisen). Auf die Rüge kann daher nicht eingetreten werden. Im Übrigen hat die soeben dargestellte Argumentation des Obergerichts gezeigt, dass dieses gleich wie die Beschwerdeführerin von einem Beginn der Beschwerden im Jahre 1995 ausgegangen ist und diese nur teilweise auf das Unfallereignis von 1991 zurückgeführt hat.
4.
Die Beschwerde muss aus diesen Gründen abgewiesen werden, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten. Da das Rechtsbegehren von vornherein aussichtslos war, kann das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht bewilligt werden (Art. 152 OG). Eine Parteientschädigung ist nicht zu sprechen, weil keine Vernehmlassung eingeholt worden ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. August 2003
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: