BGer H 262/2002
 
BGer H 262/2002 vom 23.04.2003
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
H 262/02
Urteil vom 23. April 2003
III. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Hadorn
Parteien
Ausgleichskasse Hotela, Rue de la Gare 18, 1820 Montreux, Beschwerdeführerin,
gegen
E.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Peter Nuspliger, Bundesgasse 16, 3011 Bern
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur
(Entscheid vom 19. März 2002)
Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 10. Oktober 2001 verpflichtete die Ausgleichskasse Hotela E.________, Gesellschafter der in Konkurs gefallenen Firma X.________, für nicht mehr erhältliche Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich Verzugszinsen und Mahngebühren Fr. 129'403.75 Schadenersatz zu leisten.
Nach Einspruch von E.________ klagte die Kasse auf Bezahlung des erwähnten Betrages. Mit Entscheid vom 19. März 2002 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden die Klage ab und sprach dem anwaltlich vertretenen E.________ eine Parteientschädigung von Fr. 4000.- zu.
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die ihr im kantonalen Prozess auferlegte Parteientschädigung sei zu reduzieren. Eventuell sei die Sache zu deren Neufestsetzung an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
Der Rechtsvertreter von E.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
2.
Streitig und zu prüfen ist die Bemessung der im kantonalen Verfahren zugesprochenen Parteientschädigung.
2.1 Gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. f Satz 3 AHVG hat der obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und Vertretung nach gerichtlicher Festsetzung. Dies gilt auch für den als Klageverfahren ausgestalteten Schadenersatzprozess nach Art. 52 AHVG.
2.2 Nach der Rechtsprechung (SVR 2000 IV Nr. 11 S. 32 Erw. 3b) muss der Entscheid über die zu entrichtende Parteientschädigung in der Regel nicht begründet werden. Um überhaupt eine sachgerechte Anfechtung zu ermöglichen (vgl. hiezu BGE 124 V 181 Erw. 1a mit Hinweisen), wird eine Begründungspflicht jedoch angenommen, wenn sich ein Gericht nicht an vorgegebene Tarife oder gesetzliche Regelungen hält, wenn von einer Partei aussergewöhnliche Umstände geltend gemacht werden (BGE 111 Ia 1; ZAK 1986 S. 134 Erw. 2a), oder wenn das Gericht den Rechtsvertreter zur Einreichung einer Kostennote auffordert und die Parteientschädigung davon abweichend auf einen bestimmten, nicht der üblichen, praxisgemäss gewährten Entschädigung entsprechenden Betrag festsetzt (Urteil S. vom 23. März 1995, U 181/94).
2.3 Die Bemessung der Parteientschädigung für den Rechtsanwalt der obsiegenden Partei ist mangels bundesrechtlicher Bestimmung dem kantonalen Recht überlassen, mit welchem sich das Eidgenössische Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu befassen hat (Art. 128 OG in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 Abs. 1 VwVG). Es darf die Höhe der Entschädigung nur daraufhin überprüfen, ob die Anwendung der für ihre Bemessung einschlägigen kantonalen Bestimmungen, sei es bereits auf Grund ihrer Ausgestaltung oder aber auf Grund des Ergebnisses im konkreten Fall (RKUV 1993 Nr. U 172 S. 144), zu einer Verletzung von Bundesrecht geführt hat (Art. 104 lit. a OG). Dabei fällt praktisch nur das früher aus Art. 4 Abs. 1 aBV abgeleitete, nunmehr in Art. 9 BV verankerte Willkürverbot in Betracht (BGE 125 V 408 Erw. 3a mit zahlreichen Hinweisen; SVR 2001 AHV Nr. 4 S. 11 Erw. 2). Nach dieser Rechtsprechung, die auch unter der Herrschaft des Art. 9 BV gilt (SVR 2001 AHV Nr. 4 S. 12 Erw. 2 am Ende), ist eine Entschädigung dann willkürlich, wenn sie eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt, sich mit sachlichen Gründen schlechthin nicht vertreten lässt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwider läuft (BGE 125 V 409 Erw. 3a mit Hinweisen). Willkür kann in zwei Erscheinungsformen auftreten, nämlich als klare und schwere Verletzung kantonalen Rechts über die Bemessung der Entschädigung oder als schlechthin unhaltbare Betätigung in dem vom Bundes- und kantonalen Recht eröffneten Ermessensbereich (AHI 1999 S. 183 Erw. 3a am Ende). Im letzteren Fall kann die Festsetzung eines Anwaltshonorars wegen Verletzung von Art. 9 BV oder Art. 29 Abs. 3 BV nur aufgehoben werden, wenn sie ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den mit Blick auf den konkreten Fall notwendigen anwaltlichen Bemühungen steht und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstösst (Urteil der I. Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Sachen X. vom 22. Juni 2000, 1P.201/2000). Willkür liegt schliesslich nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (vgl. BGE 125 I 168 Erw. 2a, 123 I 5 Erw. 4a, je mit Hinweisen).
2.4 Praxisgemäss (vgl. die Zusammenfassung der Rechtsprechung in SVR 2000 IV Nr. 11 S. 31 Erw. 2b) steht dem erstinstanzlichen Gericht bei der Bemessung der Entschädigung ein weiter Ermessensspielraum offen (BGE 114 V 87 Erw. 4b; ZAK 1989 S. 254 Erw. 4b, je mit Hinweisen). Ermessensmissbrauch (Art. 104 lit. a OG) liegt vor, wenn die Behörde zwar im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt oder allgemeine Rechtsprinzipien, wie das Verbot der Willkür oder rechtsungleicher Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt (BGE 123 V 152 Erw. 2 mit Hinweisen; AHI 1999 S. 184 Erw. 3b; Rhinow/Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband zur 6. Aufl., Nr. 67 B II/a S. 211). Im Rahmen seines Ermessens hat das erstinstanzliche Gericht für die Bestimmung der Höhe des Anwaltshonorars die Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache, den Umfang der Arbeitsleistung und den Zeitaufwand des Anwalts zu berücksichtigen (BGE 114 V 87 Erw. 4b). Dabei kann das durchschnittliche Anwaltshonorar pro Stunde je nach der kantonalen Anwaltsgebühren-Regelung willkürfrei innerhalb einer relativ weiten Bandbreite von ca. Fr. 160.- bis Fr. 320.- festgesetzt werden (SVR 2002 AlV Nr. 3 S. 5).
3.
Die Vorinstanz sprach dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners eine Parteientschädigung von Fr. 4000.- zu, ohne ihn vorgängig zur Einreichung einer Kostennote aufgefordert zu haben, und ohne dass dieser selbst eine solche beigebracht hätte. Eine nähere Begründung für die Festsetzung des erwähnten Betrages lässt sich dem kantonalen Entscheid nicht entnehmen.
3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Rechtsanwalt habe gleichzeitig den Beschwerdegegner wie auch dessen ebenfalls mit einer Schadenersatzklage belangten Vater vertreten. Demnach habe er für zwei Verfahren auf ein und die selben Recherchen zurückgreifen können, was seinen Arbeitsaufwand pro Fall erheblich reduziert habe. Der Vater des Beschwerdegegners sei vollumfänglich unterlegen; hätte er jedoch ebenfalls gewonnen, wären dem Anwalt somit zweimal Fr. 4000.- zugesprochen worden, was nicht zu rechtfertigen gewesen wäre. Angesichts der gefestigten Rechtsprechung zur Haftung von Gesellschaftern einer GmbH habe der vorliegende Fall des Beschwerdegegners sodann keine besonderen rechtlichen Probleme aufgeworfen.
3.2 Hiegegen wendet der Rechtsverteter ein, die Stellung des Beschwerdegegners und diejenige des Vaters innerhalb der GmbH seien gerade im Hinblick auf die Haftung nach Art. 52 AHVG unterschiedlich gewesen. Daher habe er die entsprechenden Differenzen in den jeweiligen Rechtsschriften detailliert herausarbeiten müssen und nicht einfach im einen Prozess die Ausführungen aus dem andern Verfahren unbesehen übernehmen können. Ferner reicht der Anwalt eine Aufstellung ein, laut welcher er für den kantonalen Prozess des Beschwerdegegners allein insgesamt 21 Stunden 30 Minuten aufgewendet habe.
3.3 Im vorinstanzlichen Verfahren ging es um einen relativ hohen Streitwert von rund Fr. 129'500.-. Dabei hatte der Rechtsvertreter die Unterlagen der konkursiten Firma zu analysieren, eine Klageantwort und eine Duplik zu verfassen. Die ihm zugesprochene Parteientschädigung entspricht bei der vom Eidgenössischen Versicherungsgericht als zulässig erachteten Bandbreite des Stundenhonorars von Fr. 160.- bis Fr. 320.- (Erw. 2.3 hievor) einem Stundenaufwand von zwischen 12,5 (Honorar Fr. 320.-) und 25 Stunden (Honorar Fr. 160.-). Die zugesprochene Entschädigung von Fr. 4000.- kann angesichts der gesamten Umstände nicht als schlechterdings unhaltbar, sonstwie willkürlich oder ermessensmissbräuchlich (Erw. 1) bezeichnet werden.
4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die unterliegende Ausgleichskasse hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG) und dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 700.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 23. April 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: