BGer I 265/2002
 
BGer I 265/2002 vom 19.02.2003
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 265/02
Urteil vom 19. Februar 2003
II. Kammer
Besetzung
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Ackermann
Parteien
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin,
gegen
A.________, 1964, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Remo Maurer, Bahnhofstrasse 15, 9450 Altstätten
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
(Entscheid vom 28. März 2002)
Sachverhalt:
A.
A.________, geboren 1964, arbeitet seit 1990 als Metallarbeiter für die Firma H.________. Er meldete sich am 12. März 1999 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, worauf die IV-Stelle des Kantons St. Gallen einen Arbeitgeberbericht vom 29. März 1999 sowie mehrere Arztberichte (unter anderem ein Gutachten des Dr. med. B.________, Chefarzt-Stellvertreter der Klinik für Orthopädische Chirurgie des Spitals Q.________ vom 2. März 2001) einholte und Berufsberatung durchführte; am 3. Juli 2000 fand aufgrund der Operationsdiagnose einer chronischen Luxation des Radiusköpfchens links eine Knochenresektion statt, welche komplikationslos verlief. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 14. Juni 2001 den Anspruch auf berufliche Massnahmen ab, da A.________ in einer den Ellenbogen nicht stark belastenden Arbeit vollständig arbeitsfähig sei.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 28. März 2002 insoweit gut, als es den Anspruch auf Arbeitsvermittlung bejahte; betreffend weiterer beruflicher Massnahmen wurde die Beschwerde abgewiesen.
C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben.
A.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 14. Juni 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.
2.
Gemäss Art. 8 Abs. 1 IVG haben invalide oder von einer Invalidität unmittelbar bedrohte Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen, zu verbessern, zu erhalten oder ihre Verwertung zu fördern. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG bestimmt, dass eingliederungsfähigen invaliden Versicherten nach Möglichkeit geeignete Arbeit vermittelt wird. Die im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Arbeitsvermittlung relevante Invalidität besteht darin, dass der Versicherte bei der Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle aus gesundheitlichen Gründen Schwierigkeiten hat. Eine drohende Invalidität bezüglich des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung liegt vor, wenn in absehbarer Zeit mit dem Verlust der bisherigen Arbeitsstelle und mit nachfolgenden behinderungsbedingten Schwierigkeiten bei der Suche einer neuen Erwerbsmöglichkeit zu rechnen ist. Anders als im Rentenrecht (Art. 28 Abs. 1 IVG) nennt das Gesetz keinen Mindestgrad der Invalidität, damit Eingliederungsmassnahmen gewährt werden können. Aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit ergibt sich aber, dass das Mass der für den Leistungsanspruch erforderlichen erwerblichen Beeinträchtigung in Relation zu dem mit einer bestimmten Eingliederungsmassnahme verbundenen finanziellen Aufwand stehen muss. Da die Arbeitsvermittlung keine besonders kostspielige Eingliederungsmassnahme darstellt, genügt zur Begründung des Anspruchs bereits ein relativ geringes Mass an gesundheitlich bedingten Schwierigkeiten bei der Suche einer neuen Arbeitsstelle (BGE 116 V 80 Erw. 6a; AHI 2000 S. 70 Erw. 1a).
3.
Streitgegenstand ist einzig der Anspruch auf Arbeitsvermittlung; weitere Eingliederungsmassnahmen sind nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.
3.1 Die Vorinstanz hat den Anspruch auf Arbeitsvermittlung bejaht, da sich die Zahl der für den Beschwerdegegner geeigneten Arbeitsstellen durch den Eintritt des Gesundheitsschadens (Vermeidung bestimmter Bewegungen des linken Armes sowie Unfähigkeit, schwere Gewichte zu heben oder zu tragen) deutlich verringert habe. Die IV-Stelle wendet dagegen ein, dass der Versicherte für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollständig arbeitsfähig sei und genügend zumutbare Stellen existierten; weiter rügt die Verwaltung, dass das kantonale Gericht die aufgeworfene Frage der subjektiven Eingliederungsfähigkeit nicht beantwortet und die Verletzung der Schadenminderungspflicht durch den Beschwerdegegner nicht berücksichtigt habe.
3.2 Der Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die Invalidenversicherung nach Art. 18 Abs. 1 IVG ist von der Arbeitsvermittlung Behinderter durch die Arbeitslosenversicherung (Art. 15 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 17 Abs. 2 AVIG) zu unterscheiden. Die Invalidenversicherung ist für invalide Versicherte hinsichtlich der Arbeitsvermittlung vorrangig zuständig (Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 12). Nach der Rechtsprechung wird die Arbeitsvermittlung in der Arbeitslosenversicherung unabhängig von jener durch die Invalidenversicherung beurteilt (BGE 116 V 85, bestätigt durch Urteil F. vom 15. Juli 2002, I 421/01, sowie letztmals durch Urteil H. vom 17. Januar 2003, I 240/02).
3.3 Notwendig für die Bejahung des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung sind die allgemeinen Voraussetzungen für Leistungen der Invalidenversicherung gemäss Art. 4 ff. und Art. 8 IVG, d.h. insbesondere eine leistungsspezifische Invalidität (Art. 4 Abs. 2 IVG), welche im Rahmen von Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG schon bei relativ geringen gesundheitlich bedingten Schwierigkeiten in der Suche nach einer Arbeitsstelle erfüllt ist (BGE 116 V 81 Erw. 6a; AHI 2000 S. 70 Erw. 1a). Eine für die Arbeitsvermittlung massgebende Invalidität liegt daher vor, wenn der Versicherte bei der Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle aus gesundheitlichen Gründen Schwierigkeiten hat (BGE 116 V 81 Erw. 6a mit Hinweis; AHI 2000 S. 69 Erw. 2b), d.h. es muss für die Bejahung einer Invalidität im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG zwischen dem Gesundheitsschaden und der Notwendigkeit der Arbeitsvermittlung ein Kausalzusammenhang bestehen (Urteil F. vom 15. Juli 2002, I 421/01, letztmals bestätigt durch Urteil H. vom 17. Januar 2003, I 240/02; vgl. Art. 4 Abs. 1 IVG; in diesem Sinne Jean-Louis Duc, L'assurance-invalidité, in Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 85).
Gesundheitliche Schwierigkeiten bei der Suche einer neuen Arbeitsstelle (BGE 116 V 81 Erw. 6a; AHI 2000 S. 69 Erw. 2b) erfüllen den leistungsspezifischen Invaliditätsbegriff, wenn die Behinderung bleibend oder während voraussichtlich längerer Zeit (Art. 4 Abs. 1 IVG) Probleme bei der - in einem umfassenden Sinn verstandenen - Stellensuche selber verursacht. Das trifft beispielsweise zu, wenn wegen Stummheit oder mangelnder Mobilität kein Bewerbungsgespräch möglich ist oder dem potentiellen Arbeitgeber die besonderen Möglichkeiten und Grenzen des Versicherten erläutert werden müssen (z.B. welche Tätigkeiten trotz Sehbehinderung erledigt werden können), damit der Behinderte überhaupt eine Chance hat, den gewünschten Arbeitsplatz zu erhalten. Zur Arbeitsvermittlung nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 IVG ist im Weiteren berechtigt, wer aus invaliditätsbedingten Gründen spezielle Anforderungen an den Arbeitsplatz (z.B. Sehhilfen) oder den Arbeitgeber (z.B. Toleranz gegenüber invaliditätsbedingt notwendigen Ruhepausen) stellen muss und demzufolge aus invaliditätsbedingten Gründen für das Finden einer Stelle auf das Fachwissen und entsprechende Hilfe der Vermittlungsbehörden angewiesen ist. Bei der Frage der Anspruchsberechtigung nicht zu berücksichtigen sind demgegenüber invaliditätsfremde Probleme bei der Stellensuche, z.B. Sprachschwierigkeiten (im Sinne fehlender Kenntnisse der Landessprache, anders wiederum bei medizinisch diagnostizierten, somit gesundheitsbedingten, Sprachstörungen; Urteil F. vom 15. Juli 2002, I 421/01, letztmals bestätigt durch Urteil H. vom 17. Januar 2003, I 240/02).
4.
Es fragt sich, ob der Beschwerdegegner wegen seiner Leiden Probleme bei der Stellensuche hat.
In seinem Gutachten vom 2. März 2001 hält Dr. med. B.________ fest, dass der Beschwerdegegner Berufe ausüben kann, in denen er den linken Ellenbogen nicht stark belasten muss (keine schweren Gewichte heben, keine übermässige Belastung betreffend Flexion und Extension, zudem keine repetitiven Bewegungen bezüglich Flexion und Extension sowie Pronation und Supination); wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, ist die zuletzt ausgeübte Tätigkeit damit behinderungsadäquat. Es fehlt deshalb an der für die Arbeitsvermittlung notwendigen Invalidität, so dass kein Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die Invalidenversicherung besteht. Die von der Vorinstanz vorgesehene Koordination mit den Organen der Arbeitslosenversicherung erübrigt sich deshalb ebenso wie die von der IV-Stelle aufgeworfene Frage der subjektiven Eingliederungsfähigkeit.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 28. März 2002 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes, Bern, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 19. Februar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: